Veinticuatro

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Ich spürte meinen Herzschlag überdeutlich. Es ist nur ein Name. Nur ein Name. Erwartungsvoll sah mich Lennox - Lenny an. Er hatte irgendwas gefragt. ,,Was?" ,,Ob du auch etwas trinken willst?" Er hob seinen Becher und grinste. ,,Äh, nein, gerade nicht. Danke", meinte ich und zwang mich ebenfalls zu einem Lächeln.

,,Na gut, komm mit, ich stell dich ein paar Leuten vor", meine er und griff meinen Arm. Sein fester Griff war mir unangenehm, aber ich war innerlich immer noch so blockiert, dass ich ihn nicht abschüttelte. Er zog mich hinter sich her und wenig später standen wir in einem großen Raum. Ich schätzte, dass es normalerweise das Wohnzimmer war, denn an die Wand geschoben standen zwei Sofa und ein großer Tisch. Ein weiterer Tisch war auf der anderen Seite des Raums aufgestellt, an welchem gerade Beer Pong gespielt wurde.

In der Mitte des Raums drängelten sich die unterschiedlichsten Leute aneinander und tanzten gerade zu einem alten Song von Cascada. Lenny zog mich in Richtung des Beer Pong Tisches und stellte mir die Leute vor. Ich vergaß fast augenblicklich jeden neuen Namen, doch ich ging nicht davon aus, dass das irgendwen stören würde. Ich würde niemanden von den Leuten je wiedersehen. Allerdings wurde ich bei der nächsten Runde in eins der Teams gesteckt und dank des Gruppenzwangs, trank ich schließlich doch.

Ich hatte keine Ahnung, worum es sich bei der rötlichen Flüssigkeit in den Bechern handelte, doch Bier war es sicherlich nicht. Nachdem ich meinen ersten Becher geleert hatte, stieß ich das Mädchen neben mir an. ,,Hey, weißt du, was das für ein Zeug ist?", fragte ich und deutet auf die Becher. Sie lachte. ,,Keine Ahnung, ich glaub die Geheimmische der WG. Auf jeden Fall was hochprozentiges!"

Die Gegnermannschaft traf einen weiteren unserer Becher und da ich insgesamt am wenigsten getrunken hatte, war ich erneut an der Reihe ihn zu leeren. Da Lenny irgendwann, ohne ein Wort, gegangen war, kannte ich niemanden mehr und spielte eine Runde nach der anderen mit. Gelegentlich sah ich mich nach Alejo und Ivo um, doch ich konnte keinen von beiden entdecken. Wahrscheinlich waren sie mit ihren Girls in einem der Zimmer verschwunden. Ich versuchte mein Kopfkino im Zaum zu halten, aber unwillkürlich flackerte ein Bild von Ivo ohne Shirt in meinem Kopf auf. Ich stellte mir vor, wie sein Haar sich vom Schweiß ein wenig kräuselte - sah seinen trainierten Rücken, auf den ich im Hotel bereits einen Blick erhascht hatte und vor meinem inneren Augen spannten sich die Muskeln seiner Arme an, während er sie aufstützte. Seine Zunge befeuchtete kurz seine Lippen... Ich ließ fast den Becher fallen als ich ein sanftes Ziehen zwischen meinen Beinen spürte und Scham stieg in mir auf. 

Ich wusste nicht, wieso ich mich schämte, aber irgendwie wusste ich es doch. Ich hatte es mir angewöhnt in den letzten Monaten nichts zu fühlen und ganz besonders wollte ich mich niemals erregt fühlen. Und jetzt war das Gefühl einfach so wieder da und ich musste damit umgehen. Ich wusste nicht, wie oft ich mir in den vergangene Wochen geschworen hatte nie wieder Sex zu haben - nie wieder irgendjemandem die Chance zu geben, mich so zu erniedrigen und zu entwürdigen, wie die zahlreichen Kerle es getan hatten, die ich kennenlernen musste. Und doch, war dieses Gefühl jetzt da, was gegen meinen Kopf und jegliche meiner Überzeugung ankämpfte und das machte es schlimmer. Es strafte mich mit Lügen. Ich hatte das Gefühl, mich selbst belogen zu haben.

Ich war mir sicher gewesen, dass ich nie wieder jemanden wollen würde - nicht auf diese Weise. Und diese Gefühlsregung zerstörte auf einen Schlag jegliche Illusion. Mein Herz schlug in einer viel zu hohen Geschwindigkeit gegen meine Rippen und plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich jeden Moment umkippen würde. Mir war schwindelig und alles um mich herum schien sich zu drehen - meine Hände begannen zu zittern.

Ich musste hier raus. Ohne ein Wort zu den anderen am Tisch, kämpfte ich mich durch die Menge. Die Musik war so laut, dass ich nicht hören konnte, wie ich atmete, was mich in dem Glauben bestärkte, keine Luft zu bekommen. Ich zerrte am Kragen meines Shirts und versuchte ruhig zu bleiben, während ich gleichzeitig aber immer schneller atmete. Irgendwer rempelte mich an und der Becher, den ich noch in der Hand hatte, fiel zu Boden. Ich blinzelte, da dunkle Punkte vor meinen Augen flackerten. Ich musste ruhiger atmen - ich hyperventilierte, doch ich konnte nicht. 

Endlich erreichte ich die Tür. Tränen brannten in meinen Augen als ich in die kalte Nachtluft stolperte. Ich taumelte um die Hauswand und bemerkte zu spät, dass dort jemand stand. Nicht nur eine - sondern zwei Personen. 

,,Laurel?", fragte Alejo verwirrt. Vor ihm lehnte ein Mädchen und da er sich mir ein Stück zugewandt hatte, sah ich, dass sein Gürtel offen stand und ihre Hände sich in seiner Hose befanden. Ich identifizierte sie als das Bib-Mädchen. Ich wollte den Rücktritt antreten, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass mein Herz mittlerweile so schnell schlug, dass es jeden Moment so überlastet sein musste, dass es stehen bleiben würde. 

,,Lass sie, sie ist nur betrunken. Irgendwer kümmert sich schon um sie", hörte ich das Bib-Mädchen murmeln und sah, wie sie Alejos Gesicht wieder zu  sich zog. ,,Ne, warte mal, Babe. Ich -", hörte ich Alejo noch sagen, ehe ich wieder um die Ecke getaumelt war. Ich war nur wenige Meter von der Tür entfernt. Da es hier vorne kein Fenster gab, drang auch kein Licht mehr raus. Ich sah, dass einige Schritte entfernt die Spitzen von drei Zigaretten glimmten.

Ich ließ mich an der Wand zu Boden sinken. Ich sah mich um. Was sah ich noch. Da war ein Busch neben mir. Zigaretten und Busch. Was noch? Wie viele Dinge hatte Ivo nochmal gesagt, sollte ich sehen? Was kam danach? Riechen? 

Plötzlich spürte ich eine Berührung am Arm. Jemand hockte sich neben mich. ,,Was ist los mit dir, Laurel? Soll ich Ivo holen?", fragte Alejo, der ziemlich stark nach Gras roch. Scheinbar hatten die beiden vorher noch einen durchgezogen. ,,Hast du noch ein bisschen Gras übrig?", fragte ich. ,,Sicher, dass das ne gute Idee ist? Hast du schonmal gekifft, wenn du getrunken hast?"

,,Gib mir einfach was, wenn du was hast!" Ich hörte, dass meine Stimme schrill klang. ,,El, kannst du mal nach Ivo suchen?", rief er und ignorierte mich damit völlig. ,,Ist das jetzt dein fucking ernst, Alejo? Bin ich jetzt dein Laufbursche oder was?", drang wieder die Stimme des Bib-Mädchens an mein Ohr. 

,,Ich mach es wieder gut. Mehrmals!", hörte ich Alejo murmeln. Das Mädchen seufzte und dann hörte ich sie ein wenig entfernt ihren Namen sagen, der Elodia lautete. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür des Wohnheims. ,,Warum hast du das getan?", fragte ich immer noch atemlos und spürte, wie Tränen in mir aufstiegen. Meine Beine hatten zu zittern begonnen. ,,So hab ich nicht nur dir die Tour versaut, sondern auch Ivo. Und das wegen nichts!", fauchte ich, da ich mich so unsagbar verzweifelt fühlte. Und mir war schlecht. Ich hatte keine Ahnung, ob es an dem Alkohol lag oder an der Panikattacke oder an einem Mix aus beidem. Ich bereute es, hergekommen zu sein.

,,Keine Sorge, Elodia ist noch länger hier - du hast mir nicht die Tour versaut. Und du scheinst mich gerade dringender zu brauchen, als sie", sagte er und legte einen Arm um mich, um mich zu beruhigen. Doch das half nichts. Es wurde eher schlimmer.

Mit einem Mal, war es nicht mehr sein Arm. Es war ein fester, unnachgiebiger Arm, der mich so oft niedergedrückt hatte, dass ich es nicht mal mehr zählen konnte. Ich keuchte auf, konnte mich aber nicht bewegen. Jemand redete auf mich ein, doch ich hörte nichts. Eine Hand fuhr an meinem Arm auf und ab. Ich konnte mich immer noch nicht bewegen. Ich war wie in Schockstarre. Ich hörte Lennox keuchenden Atem an meinem Ohr, fühlte seine Hände überall. ,,Ich wünschte wir hätten uns früher kennengelernt, Süße. Du bist so verdammt scharf!" Er rieb sich an mir und ich wartete darauf gedanklich wegzutreten, aber er holte mich immer zurück. Er wollte, dass ich wach war. 

Und dann war er plötzlich weg. Jemand zog mich auf die Beine und lehnte mich gegen die Wand. Dann waren da keine Hände mehr. In meinen Ohren rauschte es und ich versuchte zu unterscheiden, was Realität war und was nicht. Wo ich war. Ich war nicht bei Lennox. Ich war auf einer Party. Ich blinzelte. Einmal. Zweimal. Dann machte ich die Schatten eines bekannten Gesichts aus. Es war Ivos Gesicht. Sein Geruch drang in meine Nase. Und dann kam auch seine Stimme bei mir an.

,,Laurel. Hörst du mich?"

Ich nickte langsam - hielt mich mit den Augen an seinem Blick fest. Er erwiderte meinen Blick. ,,Sag mir fünf Dinge, die du siehst!"

Lo Que Necesitas - Was du wirklich brauchstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt