Kapitel 12 - Friedhofsgeister

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Friedhofsgeister

Der kleine, hübsche und auch historisch anmutende Friedhof, mit alten, verwitterten Gräbern, kleinen Mausoleen und Gruften, war nicht so bekannt wie der Erie Cemetery, aber ähnlich eindrucksvoll. In der näheren Umgebung gab es außerdem einige Kirchen, aber das wahre Schmuckstück hier war eindeutig der Friedhof. Ich betrat dennoch eine der Kirchen, sie war von außen ein eher schmuckloses Gebäude und entpuppte sich erst beim Betreten als ein besonderes Juwel. Da das Fotografieren im Inneren jedoch nicht gestattet war, sah ich mich nur um, ließ die Eindrücke auf mich wirken und stahl mich dann durch den seitlichen Zugang wieder hinaus. Der dazugehörige Friedhof war weitläufig, offenbar nach keinem besonderen Muster angelegt, die Gräber lagen verstreut zwischen den Bäumen.

Ich bewegte mich ziellos über das hügelige Gelände, zwischen Gräberreihen hindurch, überflog Inschriften und suchte nach dem älteren Teil, welcher offenbar im dichteren Baumbestand, auf einer Anhöhe angelegt war. Dort fanden sich neben alten Grabsteinen auch schmiedeeiserne Kreuze und kleinere, verwitterte Gruften. Das Herbstlicht stach schräg durch das immer lichter werdende, bunte Blätterdach und malte schillernde Reflektionen auf hellen Stein. Eigentlich war es schon zu spät im Jahr für bunte Herbsttage, aber für ein paar Stunden hielt die Illusion immer wieder mal, wenn die Sonne genug Kraft hatte. Hie und da machte ich also ein paar Fotos, versuchte die Stimmung einzufangen, hatte aber das Gefühl, dass ich etwas Bestimmtes finden musste, also bewegte ich mich weiter zwischen den Gräbern. Absolute Stille umgab mich und vermittelte zusammen mit der angenehmen Wärme einen allumfassenden Frieden. Ich fühlte mich geborgen und alles, was mich sonst beschäftigte, schien hier verflogen. Es gab auch keine bewegten Schatten, die mich heimsuchten. Ich hätte mich gerne in Ruhe umgesehen, doch mittendrin unterbrach eine Trauergesellschaft meine ziellose Schlenderei.

Damit hatte ich nicht gerechnet. Im Gegenteil, ich war der Meinung gewesen, dass das ein recht verlassener Ort war, dass ausgerechnet heute hier tatsächlich eine Beerdigung stattfinden sollte, überraschte mich. Und da mir klar war, dass ich auf jeden anderen Menschen sicher suspekt wirken musste, wenn ich mit einer Kamera bewaffnet über einen Friedhof schlich, verschwand ich im älteren Teil, dort wo auch die Gruften waren, hinter der Mauer mit Urnengräbern. Von dort hatte ich einen guten Blick auf die Gruppe Menschen in dunkler Kleidung, die sich geschlossen und still über den Hauptpfad bewegte. Trauer war etwas sehr Besonderes und Intimes und womöglich genau deswegen auf ihre Weise auch sehr schön. Das mochte sich makaber anhören, aber für mich - durch die Linse eine Kamera betrachtet - gab es kaum eine andere Emotion, die sich echter präsentierte. Auch jetzt machte ich ein paar Fotos - auch wenn es nur für mich selbst war - und betrachtete durch das Objektiv die einzelnen Gesichter.

Ich schwenkte über starre Mienen, verborgen hinter Sonnenbrillen oder unter tief ins Gesicht gezogene Hüte und Caps, über Menschen die die Köpfe zusammensteckten und leise miteinander sprachen, zoomte einzelne Personen näher und wieder raus. Und mittendrin traf mich völlig unvermutet eine grauenvolle Fratze, sodass ich erschrocken den Kopf hochriss und über den Fotoapparat hinweg auf die kleine Gesellschaft blinzelte. Nichts hatte sich verändert, die Menschen sammelten sich an einer bestimmten Stelle, die fast trotzig anmutende Herbstsonne vergoldete immer noch alles, was sie berührte und keinerlei Geister huschten umher. Trotzdem schlug mein Herz hart und schmerzhaft gegen meine Rippen und meine Finger fühlten sich plötzlich kalt und steif an. Die Angst schlich sich wieder an mich heran und während ich die Waldgrenze absuchte, wurde es immer schlimmer. Da war eine Gestalt zwischen den Bäumen, etwas abseits der Gruppe, jedoch ebenfalls beinahe gänzlich in schwarz gekleidet. Es war ein Mann, eindeutig, er trug eine schwarze Cap, Sonnenbrille und ein dunkelrotes Hemd unter der schwarzen Jacke. Gehört er zu der Trauergemeinde? Zumindest wirkte es so, weil er sich ebenfalls in diese Richtung wandte, auch wenn er deutlich hinter den anderen zurückblieb, so als wollte er nicht von ihnen entdeckt werden. Ein seltsames Gefühl streifte mich, etwas, das mir eiskalt in den Nacken kroch.

Blood, sweat and tears [Taegi]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt