Kapitel 42 - Rache

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Rache

Das unmenschliche Kreischen zweier Bestien erfüllte alles. Ihr Brüllen hallte von den Wänden wider, drang in jeden Winkel und breitete sich in meinem Kopf aus, sodass es sich anfühlte, als wolle er gleich bersten. Sie prallten aufeinander wie Urgewalten, einer so besessen wie der andere, wenngleich auch erfüllt von ganz unterschiedlichen zornigen Impulsen. Hier das Wesen, das man hintergangen hatte, dessen fragwürdiger Ehrenkodex mit Füßen getreten worden war, dort das gewissenlose Untier, das allein von seiner Gier getrieben wurde. Beide sich im Recht fühlend, beide im Unrecht.

Sie hatten mich zu einem Stück Fleisch degradiert, um dass sie jetzt verbissen kämpften.

Weil er es gewagt hatte, die Zähne in meinen Leib zu versenken. Jimin. Weil er es gewagt hatte, von mir zu kosten, mein Blut zu trinken. Weil er sich etwas genommen hatte, was ihm nicht zustand, oder ihm nicht gehörte, wie Suga es sicher ausgedrückt hätte.

Das zumindest wurde deutlich.

Es ging zu schnell und war auch zu brutal, als dass ich wirklich verstanden hätte, was rings um mich geschah. Zitternd kauerte ich auf dem Boden, zu benommen, um klar zu denken, zu schwach auch, um irgendeinen Fluchtversuch zu bewerkstelligen, wenn mein überfrachteter Verstand diese Möglichkeit überhaupt zugelassen und in Betracht gezogen hätte. Mein Körper war erschöpft, dennoch in hellem Aufruhr, das wilde hohe Schreien in meinem Kopf, das mir den Schädel spalten wollte, ein aufflammender Schmerz an meinem Hals. Als ich eine Hand hob und dorthin fasste, hatte ich Blut an den Fingern, aber all diese Eindrücke waren nicht mehr als Bruchstücke, die sich sinnlos aneinanderreihten. Ich hatte wahnsinnige Angst, ohne dass ich sie hätte erklären können, weinte und wollte eigentlich nur weg, doch war ich viel zu kraftlos, um aufzustehen. Auf Knien rutschte ich also über den Teppich, drückte mich an die Wand, während in meinem Rücken ein wahrer Krieg tobte. Es hörte sich an, als wären dort zwei tollwütige Raubkatzen zu Gange. Holz splitterte, Glas ging zu Bruch und immer wieder das ohrenbetäubende Kreischen der beiden Kontrahenten.

Dann veränderte sich etwas. Aus dem wütenden Brüllen kristallisierte sich ein geradezu panisches und schrilles Schreien heraus, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ich kauerte mich in meine Ecke, sah zurück zu den beiden und bekam gerade noch mit, wie Suga den Jüngeren niederriss. Er packte ihn an den Haaren, zerrte ihn heran und hockte regelrecht auf ihm. Dann biss er zu, einmal, noch einmal, immer wieder. Zum Teil hielt er ihn gepackt, schüttelte ihn wie ein Hund seine Beute und tiefe, grollende Knurrlaute drangen aus seiner Kehle.

Ich sah auch, wie Jimin panisch um sich schlug, dabei spitze, schrille Schreie ausstieß, die nach und nach immer weniger wurden und schließlich in einem dumpfen Röcheln vergingen. Dann, als Suga auf ihm kauerte, die Beine um den schmalen Körper unter sich geklemmt, während er gierig von ihm trank. Jimins Hand lag jetzt schlaff auf dem Boden, seine Finger zuckten hin und wieder und zwischendurch hörte man ihn wimmern und leise stöhnen. Gerade hatte er noch die Fersen in den Boden gestemmt und sich gewehrt, jetzt bebte sein Körper nur noch leicht, leistete aber keine Gegenwehr mehr.

Aber all das, was sich wie in Zeitlupe vor meinen Augen abspielte, dauerte in Wirklichkeit vermutlich noch nicht mal mehr als zwei Minuten. Die Zeit reichte, um Jimin außer Gefecht zu setzen und wenn es länger gedauert hätte, wäre es wohl auch ausreichend gewesen, um ihn zu töten. So weit kam es jedoch nicht, denn mittendrin prallte etwas mit voller Wucht in Suga und rammte ihn förmlich von seinem Opfer. Namjoon war das und wie aus dem Nichts entbrannte ein neuer Kampf. Einer der von keinem der beiden gewonnen werden konnte. Wieder krachten zwei rasende Kreaturen ineinander, zornbebend und völlig von Sinnen. In diesem Moment schloss ich nicht aus, dass sie sich gegenseitig zerfetzen würden und sah mich panisch nach den verbleibenden Vampiren um. Jin war jetzt ebenfalls hier, lag auf Knien neben seinem Bruder und half ihm behutsam wieder auf die Beine.

Blood, sweat and tears [Taegi]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt