Kapitel 6

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Tim führte mich aus dem Internat hinaus. Wind erfasste mein Gesicht und ich blieb kurz stehen, um den Parkplatz mit meinem Blick zu überfliegen.
Vorhin hatte ich nur wenig Zeit gehabt, denn meine Eltern hatten mich nahezu in das Gebäude gedrängt.
"Kommst du?"
Ich blickte zum Brünetten und nickte. Er führte mich über den mit Kieselsteinen bedeckten Parkplatz.
Ein Weg tauchte links auf, welchen Tim ins Visier nahm und betrat.
Der Pfad war nah am Internat, auf der anderen Seite jedoch befanden sich viele Bäume und hohes Gestrüpp.
Auf einmal erblickte ich noch etwas.
Ein weißes Häuschen, nebenan zwei große Hallen, verbunden mit einem verblichenen Gang.
"Da sind die Umkleiden und die zwei Sporthallen. Hinten ist der Sportplatz, mit einer Lauf- und Sprintbahn, einem Sprungplatz und noch anderem Zeugs."
Tim blieb kurz stehen und musterte die Ferne.
"Es gibt auch einen Basketballplatz", meinte er leise.
Er mag Basketball anscheinend ziemlich gerne.
"Vielleicht kannst du den mir ja auch mal zeigen?!", schlug ich vor.
Er nickte.
"Jetzt komm. Aber leise!"
Er löste sich von seiner Starre.
Seine Beine führten ihn hinter die Halle. Dort erwartete mich ein heller Wald.
Unterholz und Büsche zierten den Boden, Äste verdeckten halb das Sonnenlicht.
Tim führte mich weiter am Rande entlang, bis er an einem Baumstumpf den Wald betrat.
Nach nur wenigen Schritten hielt er an.
Wir waren auf einer kleinen Lichtung gelandet.
Ein niedriger Baum stand dort, ein Teich mit Schilf und Seeblättern befand sich davor.
Es war wunderschön.
Nein, eher atemberaubend.
"Den Platz kennen nur Tobi, Rafi und ich. Ich habe ihn entdeckt."
Tim lächelte mich an.
"Warum zeigst du es ausgerechnet mir?"
Tims Blick ruhte auf mir, was mir eine leichte Gänsehaut verschaffte.
Oder war es doch eher der Wind?
"Ich weiß nicht. Fühlt sich ... richtig an."
Er zögerte kurz.
"Gefällt es dir denn?"
"Ja, ziemlich."
Ein erleichtertes Seufzen seinerseits.
"Wir können das Internat sehen, die Leute aber uns nicht, da sie nie hinter die Turnhallen kommen."
"Ist doch perfekt!", rief ich grinsend.
Ich trat näher an den Teich und blickte hinein.
Er war sauber und der Wind kräuselte das Nass.
Danach schritt ich zum Baum, bewusst, dass Tim mich beobachtete.
Ich strich mit meinen Fingern sanft über die Rinde und erspähte die Äste über mir. Dick und massiv.
"Man kann hier hochklettern, oder?"
"Klar", kam es von hinten.
Jetzt bloß nicht zum Affen machen!
Ich spannte meine Muskeln an und sprang in die Höhe.
Mit meinen Händen ergriff ich den ersten Ast und wollte mich hochziehen, doch ich rutschte aus und fiel ächzend hin.
"Lächerlich!", fauchte ich leise.
Ich versuchte es mehrere Male, rutschte jedoch immer wieder ab.
Blöder kann man sich gar nicht anstellen!
Meine Wangen röteten sich vor Verlegenheit.
Ich mach' mich definitiv zum Affen.
Ich holte tief Luft und sprang.
Noch im Sprung spürte ich, wie zwei starke Hände meine Hüfte umfassten und mir halfen.
Auf dem Ast angekommen, schaute ich herunter, wer das gewesen war.
Tim.

#Stexpert - Ein langer WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt