Teil 4

2.2K 39 2
                                    

Laurian

Meine letzte Sitzung heute war etwas früher fertig, und ich sitze schon seit halb sieben im Café und beobachte die Leute um mich herum. Es ist ein reges Kommen und Gehen, und von meinem Platz ganz in der Ecke des Cafés habe ich einen guten Überblick.

Schon einige Frauen sind eingetreten, aber keine, die mich wirklich beeindruckt hätte.

Kurz nach sieben betritt eine relativ grosse, elegante Frau das Lokal. Sie hat eine umwerfende Ausstrahlung, und die wenigen Männer im Café drehen sich instinktiv nach ihr um. Auch ich kann meine Augen nicht von ihr wenden, denn es ist die Frau, der ich heute morgen die Zehnernote geschenkt habe. Sie trägt ein weisses Kleid und einen passenden Poncho dazu.

Vor lauter Staunen vergesse ich ganz, dass ich mich zu erkennen geben sollte.

Ihr Blick schweift durch den Raum, und es scheint, als müsse sie sich erst noch an die Dunkelheit gewöhnen. Endlich kommt Bewegung in meinen Körper, ich stehe auf und gehe auf sie zu.

Sarina

Als ich mich endlich an die Dunkelheit gewöhnt habe, sehe ich, wie aus der hinteren Ecke des Raumes ein grosser schlanker Mann auf mich zu kommt. Er bleibt in gebührendem Abstand zu mir stehen und stellt sich vor: "Guten Tag, ich bin Laurian Artocin, sind Sie Frau Mancuso?"

Mir verschlägt es kurz die Sprache. Erwartet hätte ich eher einen älteren untersetzten Herrn mit einer dicken Brille auf der Nase.

Nun, dies ist er alles definitiv nicht: Über eins neunzig gross, schlank, durchtrainiert mit einem markanten, äusserst attraktiven Gesicht. Der Dreitagebart und die grau melierten Haare tun seinem Äusseren ebenfalls keinen Abbruch, im Gegenteil, sie tragen zu der attraktiven Gesamterscheinung noch bei. Und seine rauhe, tiefe Stimme lässt meine Knie weich werden. Ich muss mich erst wieder fassen, bevor ich antworte: "Ja, genau - Herr Artocin, das soll jetzt nicht plump klingen, aber kennen wir uns nicht von irgendwo her?" Er schmunzelt und meint: "Nun ja, Sie haben mich heute morgen davor bewahrt, eine Zehnernote auf dem Boden liegen zu lassen." "Ah, genau, jetzt erkenne ich Sie wieder. Schön, dass wir uns so schnell wieder über den Weg laufen. Und mein Sohn hat sich reisig über den Zustupf in seinem Sparschwein gefreut."

Er macht eine Handbewegung zu seinem Tisch und meint: "Das freut mich, Frau Mancuso, bitte setzen Sie sich doch, ich habe schon einen Tisch für uns reserviert."

Laurian

Während die Bedienung Frau Mancuso fragt, was sie trinken möchte, betrachte ich unauffällig ihr schönes Gesicht. Ich schätze sie auf Mitte vierzig, aber hey, ich habe noch nie eine so attraktive und ausdrucksstarke Frau in ihrem Alter gesehen.

Wir tauschen ein paar Belanglosigkeiten aus, und ich muss mir Mühe geben, dem Gespräch zu folgen. Am liebsten hätte ich sie einfach nur die ganze Zeit betrachtet.

Sie fragt mich, wie alt die Uhr sei, und ich sage ihr, dass ich sie vor drei Jahren erstanden habe.

"Darf ich Sie fragen, weshalb Sie sie verkaufen möchten?" fragt sie mich. "Ich war auf der Liste meines Konzessionärs für dieses Modell und habe jetzt die Gelegenheit, diese Uhr neu zu erwerben. Und zwei gleiche brauche dann auch wieder nicht", füge ich augenzwinkernd hinzu. "Gut für mich", erwidert sie mir und fährt fort: "Es beruhigt mich, dass Sie auch das Echtheits-Zertifikat der Herstellerfirma dabei haben. Auf diesem Markt muss man vorsichtig sein, ich wäre vor einiger Zeit nämlich fast einmal einem Internet-Betrüger aufgesessen, als ich eine Uhr - es war ebenfalls eine Ramonia - verkaufen wollte."

"Das tut mir leid, welches Modell wollten Sie denn verkaufen?" "Es war ein Turbolin in Rotgold Bicolor." Mir kommt spontan ein Gedanke, wie ich Sarina wieder sehen könnte, und ich sage: "Haben Sie die Papiere und die Box dazu noch?" "Ja, er ist aus erster Hand, alles dabei. Ich habe ihn nur selten getragen, er ist auch noch nie revidiert worden", informiert sie mich. "Ich habe einen Freund, der sich schon seit längerer Zeit überlegt, einen Turbolin zu kaufen. Wenn Sie sich entschliessen, die Segeluhr zu erstehen, bringen Sie ihn doch mit, gern würde ich ihn mir ansehen." Sie schaut mich erstaunt an, antwortet mir aber dann: "Gern würde ich die Segeluhr kaufen, wenn das für Sie in Ordnung ist. Leider habe ich das Geld nicht dabei, dafür könnte ich bei einem nächsten Treffen auch gleich den Turbolin mitbringen." "Das ist doch tip top, so machen wir es", antworte ich ihr. 

Sie zögert etwas, bevor sie fragt: "Wie ist es mit dem Preis, Sie haben auf der Plattform geschrieben, man könne auch einen tieferen Preis vorschlagen." Ich antworte: "Ja, da haben Sie recht, wie viel wären Sie denn bereit zu zahlen?" Wir verhandeln den Preis, wobei ich ihr einen deutlich tieferen Preis gewähre, als ich ihn im Internet veranschlagt habe. Eigentlich bin ich allgemein bekannt dafür, dass ich ein harter Verhandlungspartner bin, aber irgendwie war es mir hier wichtig, ihr einen mehr als fairen Preis zu machen.

Wir vereinbaren einen Termin zur Übergabe der Segeluhr, und als ich die Rechnung für unsere Getränke zahlen will, kommt sie mir zuvor: "Sie sind mir mit dem Preis für die Uhr schon entgegen gekommen, die Getränke gehen auf mich." Schmunzelnd akzeptiere ich ihr Angebot und freue mich jetzt schon, sie wieder zu sehen.

Die Uhr des Dr. ArtocinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt