Teil 5

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Sarina

Ich gehe ganz beschwingt nach Hause, nachdem ich einen so guten Preis für die Uhr ausgehandelt habe. Und ich muss mir eingestehen, dass Laurian bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Immer wieder sind während unseres Treffens meine Augen zu seinen schön geschwungenen Lippen abgeschweift und daran hängen geblieben. Es ist schwierig, sein Alter zu schätzen, ohne die grauen Haare hätte ich ihn auf dreissig geschätzt, doch so würde ich ihm eher vierzig geben, allerdings sehr attraktive vierzig Jahre.

Er hat ein hellblaues Hemd mit weissem Kragen und einen flauschigen, sicher edlen Pullover in hellbeige dazu getragen. Das steht ihm sehr gut, wobei ich den Verdacht habe, dass er so ziemlich alles tragen könnte und toll darin aussehen würde.


Laurian

Der Tag unseres zweiten Treffens ist gekommen. Diesmal bin ich etwas verspätet und Sarina wartet schon auf mich in dem gemütlichen Lokal am Pulverplatz, in dem wir uns verabredet haben. Ich überreiche ihr feierlich die Box mit der Segeluhr, und ihre Augen strahlen.

Wir plaudern zusammen, und es ist so unterhaltsam mit ihr, dass ich gar nicht merke, wie die Zeit vergeht. Irgendwann sagt sie: "Hier ist übrigens der Turbolin, sind Sie immer noch am Kauf interessiert?" Sie zeigt mir die Uhr, die in der Tat in einem sehr guten Zustand ist, und ich schaue sie interessiert an. "Wie viel möchten Sie denn dafür haben?" frage ich sie. Sie meint: "Ich habe sie für 90% des Neupreises ausgeschrieben." Diesmal bin ich etwas unnachgiebiger im Verhandeln und sage: "Ich gebe Ihnen 80% bar auf die Hand."

Sie schaut mich einige Zeit an und geht mit dem Angebot auf 88%.- runter. Ich wiege etwas den Kopf hin und her und erwidere wagemutig: "Ich gebe Ihnen 82% und lade Sie zusätzlich zu einem Abendessen ein." Sie schaut mich herausfordernd an und antwortet: "Sagen wir 85% und das Abendessen bleibt bestehen."

Mein Herz macht einen Freudensprung, habe ich doch gerade eben ein Date mit einer der umwerfendsten Frauen, die mir je begegnet ist, ausgemacht.

Sie schaut mich mit grossen Augen an und meint: "Darf ich Sie etwas fragen?" Ich nicke, und sie fährt fort: "Sie sind der Traum aller Schwiegermütter und könnten zwischen so ziemlich allen Zwanzigjährigen der Alpennordseite aussuchen. Warum möchten Sie ausgerechnet mit mir ausgehen?"

Ich muss etwas schmunzeln und überlege mir meine Antwort gut: "Nun, sehen Sie, jeder Mensch hat seine Vorlieben, was das andere Geschlecht angeht. Gern erzähle ich Ihnen ein wenig von meinen: Ich stehe grundsätzlich auf natürliche Schönheiten. Ich mag grosse, sportliche, nicht allzu dünne Frauen, ich stehe auf blonde Frauen mit blauen Augen, wobei ich gestehen muss, dass mir in letzter Zeit grau melierte Haare auch bei Frauen immer besser gefallen. Zudem wäre es schön, wenn sie 'etwas auf dem Kasten' haben - wenn Sie wissen, was ich meine."

Sie schaut mich belustigt an, bevor sie mich lapidar fragt: "Sie kennen Ödipus?" Als ich geschnallt habe, was sie da zu mir sagt, muss ich laut losprusten, was eine ältere Dame am Nebentisch veranlasst, mich ganz distinguiert anzuschauen.
Ich reisse mich wieder zusammen und entgegne ihr: "Und Sie, kennen Sie Elektra?" Es freut mich, dass sie meine Antwort versteht. Der Elektra Komplex besagt, dass eine Frau eine überstarke Bindung für ihren Vater entwickelt. Sie erwidert: "Vielen Dank für das Kompliment, aber nein, Sie können mich nicht täuschen, Sie Silberfuchs mit Ihren schönen grau melierten Haaren. Ihr hübsches Gesicht und - bitte entschuldigen Sie - Ihr attraktiver Körper verraten Ihr wahres, jugendliches Alter." "Ok, ich gebe mich geschlagen", erwidere ich, und mein Blick wird ganz weich.

Es entsteht eine kurze Pause, in der wir uns einfach nur ansehen und beide in den Augen des Gegenübers versinken.

Sarina räuspert sich als erste wieder und sagt: "Ich hoffe, Sie werden viel Freude haben an der neuen Uhr", und ich erwidere: "Das selbe wünsche ich Ihnen auch." "Oh, ich habe sehr viel Freude daran, das kann ich Ihnen versichern."

Ich bezahle unsere Rechnung, und wir verlassen zusammen das Lokal. Als sie sich vor dem Eingang zu mir umdreht und sich verabschieden will, frage ich sie spontan: "Ich mache noch einen Spaziergang zum See, hätten Sie Lust, mich zu begleiten?" Sie überlegt kurz und meint dann: "Wieso eigentlich nicht? Ich habe tatsächlich noch etwas Zeit."

Die Uhr des Dr. ArtocinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt