Teil 64

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Sarina

Seit Laurian sich entschieden hat, seinen ehemaligen Patienten anzuzeigen, steht sein Handy fast nicht mehr still, so dass er zwischenzeitlich sogar eine andere Nummer organisieren muss, die nur sein engster Freundeskreis und sein Arbeitgeber kennen. Sein guter Ruf und das Renommé als Klinikdirektor begleiten ihn immer noch. Vielen Leuten ist sein Name nach wie vor ein Begriff.
Immer wieder wollen Journalisten ein Interview von ihm. Und er ringt sich durch, mit einigen wenigen auserwählten zu reden, um anderen Betroffenen Mut zu machen, gerade, wenn es sich um Männer handelt, die noch viel länger zögern, bevor sie nach einem Übergriff etwas unternehmen.

Zum Glück wurden damals Laurians Verletzungen genau dokumentiert und auf Bildern fest gehalten. Zudem haben sich sowohl Frieda wie auch Walter Ohnsorg dazu entschieden, vor Gericht auszusagen, so dass die Anklage gut abgesichert ist.

An diesem Morgen gehen wir erst kurz vor Prozessbeginn ins Gericht. Als wir aus dem Auto steigen, werden wir bereits von neugierigen Journalisten belagert, die sich alle ein Statement von Laurian erhoffen. Doch er geht zügig auf den Haupteingang zu, ohne nach rechts oder links zu schauen und ich folge ihm kurz auf den Fersen.

Im Gerichtssaal legt der Staatsanwalt die Anklageschrift vor. Er hat mit Laurian abgesprochen, dass er verbal genau ins Detail geht, was seine Verletzungen angeht, aber dass die Bilder dazu nicht öffentlich gezeigt werden. Dem Richter und dem Anwalt der Gegenpartei liegen sie aber vor.

Laurian wird in den Zeugenstand gerufen, und ich merke, wie schwer es ihm fällt, noch einmal über das Geschehene zu sprechen, noch dazu in aller Öffentlichkeit. Zu Beginn zittert sogar seine Stimme, aber er fängt sich wieder und beantwortet die Fragen dann klar und bestimmt, während es im Saal mucksmäuschenstill ist.

Der Angeklagte ist ebenfalls anwesend und streitet alles ab. Es sei schon möglich, dass Laurian angegriffen worden sei, aber sicher nicht von ihm, behauptet er.

Als nächstes bestätigen Frieda und Herr Ohnsorg Laurians Version, soweit sie es können. Das Problem ist allerdings, dass sie den Übergriff selber nicht gesehen haben.

Der Staatsanwalt meldet sich zu Wort und ruft eine Frau in den Zeugenstand. Wie sich herausstellt, ist es eine Reinigungskraft, die an diesem Abend in der Klinik Dienst hatte. Sie bestätigt, dass sie den Angeklagten genau zur fraglichen Zeit aus dem Fitnessstudio hat gehen sehen, und dass sich niemand anderes mehr im Raum aufgehalten hat, als sie kurz darauf diesen betreten hat.

Im Kreuzverhör will der Anwalt wissen, wie sie sich noch an diesen Tag erinnern könne, immerhin sei das schon Jahre her.

Sie antwortet: "Ich hatte vorher so komische Geräusche vernommen, und zudem habe ich kurz darauf Herrn Artocin aus der Garderobe gehen sehen, und er hatte verweinte Augen. Er war immer so nett - auch zu uns Angestellten - und aufgestellt, dass mich das sehr überrascht hat. Er hat mich gar nicht bemerkt und ist einfach ohne zu grüssen an mir vorbei gegangen."

Im Anschluss zieht sich das Gericht zur Beratung zurück, und wir warten gespannt auf die Urteilsverkündung. Die Fakten sprechen klar für Laurian, allerdings kann sich der Täter einen ganzen Anwaltsstab leisten, und man weiss nie, wie die Verhandlung dann tatsächlich ausgeht.

Die Uhr des Dr. ArtocinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt