Kapitel 17: Eine unmögliche Entscheidung

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Ella


Hier saß ich nun an dem vermeidlich schönsten Tag im Leben einer Frau in dem wahrscheinlich schönsten Kleid, das ich jemals tragen werden. Hübsch hergemacht und professionell geschminkt. Wie sich das gehörte für eine Braut. Und wenn ich so in den Spiegel schaute, dann könnte ich meinen mich nie schöner gesehen zu haben. Eine wunderschöne Hülle, die im Inneren verdorben war.

In den vergangenen Tagen spielte ich jedes Szenario in meinem Kopf durch, um die richtige Entscheidung zu fällen. Ich wusste es gab keinen richtigen Weg mehr. Den richtigen Weg verbaute ich mir in dem Moment, in dem ich mit Reagan schlief. Jetzt konnte ich nur noch überlegen, welcher Weg weniger schlimm war. Es gab keine Hilfestellung, keine Tipps und keinen Rat, den ich in Anspruch hätte nehmen können. Nur die letzten Worte, die Reagan mir mit auf den Weg gab: Brich ihm nicht das Herz.

Also brach ich ihm nicht das Herz. Nichts leichter als das, nicht wahr? Alles was es brauchte waren ein paar entzückende Lügen, die man sich in seinen eigenen Kopf pflanzte und dort gedeihen ließ. So lange bis diese Lügen der eigenen Wahrheit entsprachen.

Die Wahrheit war also, dass Reagan ein unbedeutender Fehler war, eine kurze Krise, die an meiner Beziehung rüttelte, aber sie nicht zu Fall brachte. Phasen wie diese machte jedes Paar eines Tages durch. Man stritt regelmäßig, im Bett herrschte Flaute und man sah sich kaum. Sowas passierte, aber am Ende fing sich das alles wieder. Joel und ich hatten bloß Pech, was das Timing dieser Krise anging. Kein Grund die Hochzeit ins Wasser fallen zu lassen.

Was machte ich mir eigentlich vor? Diese Dinge von denen ich mich zu überzeugen versuchte, waren absoluter Müll. Aber was sollte ich sonst tun? Es war zu spät. Alle waren sie hier. Freunde, Familie und ein Joel, der alles verzieh und alles verdrängte, um diese Hochzeit geschehen zu lassen. Dabei musste er sehen, wie ich mich quälte, spüren wie ich mich mit jeder Minute weiter von ihm entferne. Wir beide wussten um den Trümmerhaufen von Beziehung, aber keiner von uns gestand es ein. Nicht vor uns und bestimmt nicht vor unseren Familien. Lieber spielten wir heile Welt, als wirklich in einer zu leben. Ein bisschen wie Hera. Nur dass ich auf die Hochzeit mit Joel noch weniger Lust hatte als auf die mir aufgezwungene Fake-Hochzeit mit einer kriminellen Hackerin. Keine guten Voraussetzungen.

Ein energisches Klopfen war an der Tür zu meinem Umkleidezimmer zu hören.

„Herein!"

„Hi." Meine Schwester entpuppte sich als die Besucherin. „Du hast es aber nett hier."

Beschweren konnte ich mich nicht. Der Raum war mit großen Spiegeln ausgestattet, vermittelte mit der altrosanen Tapete stolze Weiblichkeit und stimmte mit den farbenfrohen Blumenbouquets auf die Feierlichkeiten ein. Einst war das Gebäude eine Feuerwache, heute heiraten Paare darin. Eine wahrhaft traumhafte Location, die ehrlicherweise ein harmonischeres Brautpaar verdiente als Joel und mich.

„Du siehst übrigens atemberaubend schön aus. Das werden richtig gute Hochzeitsbilder", merkte Chloe an. Sie hatte angeboten den Fotografen zu geben. Schließlich gehörte das Fotografieren zu einem ihrer Ex-Hobbies.

„Danke."

Chloe setzte sich neben mich auf den Stuhl und musterte mich eindringlich.

„Alles okay? Dad meinte, du seist etwas angespannt. Oder war es unglücklich? Ich weiß nicht mehr genau, wie sein Wortlaut war."

„Du weißt nicht, ob er angespannt oder unglücklich gesagt hat? Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Wie kannst du die verwechseln?", regte ich mich auf. Aber wieso überhaupt? Es war Chloe. Ihre Wege unergründlich, ihr Verstand ein Mysterium.

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