Kapitel 18: Heldin in weiß

465 36 8
                                    

Ella


Argwöhnisch betrachtete mich der Taxifahrer im Rückspiegel. Er wird sich wohl fragen, warum eine junge Frau im Hochzeitskleid zum Hafen gefahren werden möchte. Der gute Mann war mindestens sechzig, da sollte ihn doch eigentlich nichts mehr schocken können. Dank seiner Erfahrung umfuhr er die stark befahrenen Straßen und brachte uns durch die Seitengassen in Windeseile ans Ziel. Ich drückte ihm dankend meinen letzten Schein in die Hand und hoffte, dass ich hier Reagan finden würde. Eine dritte Taxifahrt konnte ich nämlich nicht mehr bezahlen.

Die Umgebung war trist und grau. Hier wuchs kein einziger Grashalm, nichts wies auf das Vorhandensein von Natur hin bis auf das Wasser, welches hinter den bunten Türmen von Containern floss. Direkt am Fluss ragten orangefarbene Kräne empor, die ununterbrochen Schiffe be- und entluden. Wie wohl in den meisten Städten wirkte auch hier der Hafen wie stupide Industriefläche, die keinerlei Anspruch hatten irgendwem zu gefallen.

Zwei Einsätze hatten Ryan und ich bereits an diesem Ort. Beide Male ging es um das Auffinden hoher Tiere, die im Untergrund gefürchtet waren und beide Male spürten wir die Zielpersonen in einem von McTravishs Containern auf. Das hörte sich wenig spektakulär an und im Grunde war es das auch nicht. Es war reine Fleißarbeit. Das Finden der Nadel im Heuhaufen. Ein Container unter tausenden.

Wenn ich Reagan wäre, was für eine Art von Container bräuchte ich? Einen der voll ausgestattet mit Technik war. Computer, Router, eventuell irgendwelche Server. In jedem Fall mussten aus dem Container Kabel hinausführen, was mich zu der Vermutung führte, dass es einer der Container war, die Bodenkontakt hatten. Das erleichtert nicht nur die Strom- und Wasseranbindung, sondern auch die Zugänglichkeit. Wer möchte schon über dutzende andere Metallkästen klettern müssen, um sein Versteck zu betreten.

Vielleicht war es einer der alleinstehenden Container in Flussnähe. Ich denke dort würde eine störfreie Verbindung am ehesten gewährleistet sein. Die meisten Container kamen gar nicht erst für ein Schlupfloch in Frage, da sie nur von außen verriegelt werden konnten. Blieben also noch die Modelle mit eingebauten Türen. Ich zog mir eine Spange aus dem Haar, verbog den dünnen Draht und machte mich daran ein Schloss nach dem anderen aufzuknacken, um das Innere zu inspizieren.

Wie erwartet standen die meisten der riesigen Aufbewahrungsbehälter leer oder waren vollgestopft mit Sperrmüll. Nicht wirklich aufregend. Interessanter wurde es bei diesem speziellen Container, den ich nun schon seit einigen Minuten zu öffnen versuchte. Zwei Spangen waren dem Schloss bereits zum Opfer gefallen, aber in meinen Haaren gab es glücklicherweise zwei Dinge zur Genüge: Haarspray und Haarspangen.

Das Türschloss war offensichtlich eine Spezialanfertigung. Zu hundert Prozent gehörte dieser High-Tech Container zu McTravishs Inventar und wenn ich ganz viel Glück hatte, steckte Reagan da drin.


Klack!

Na endlich! Die Tür war offen. Dauerte auch lang genug. Vorsichtig spähte ich durch den Schlitz, der sich auftat. Es war stockfinster, aber ich glaubte Bildschirme ausmachen zu können.

Im nächsten Moment riss plötzlich jemand die Tür auf und ich sah direkt in den Lauf einer Pistole. Mein Herz setzte für eine Sekunde aus und ich sah schon mein Leben an mir vorbeiziehen. Shit, das war's dann wohl für mich!

„Ella?"

„Reagan!"

Sie war es! Gott sei Dank! Vor Erleichterung fiel ich der Frau, die eine Pistole auf mich richtete, um den Hals. „Sie haben dich nicht erwischt!", freute ich mich ausgelassen.

Lange ließ sie sich nicht von mir umarmen. Reagan stieß mich unsanft von sich und musterte mich mit einer Mischung aus Verwirrung und Ärgernis.

„Was machst du hier? Und wieso hast du ein Hochzeitskleid an?" Fragen über Fragen. Die hatte ich genauso an sie, aber mir war bewusst, dass eine Zusammenarbeit nur dann möglich war, wenn ich sie zuerst über mein Erscheinen aufklären würde.

Hacking a HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt