Kapitel 35: Wut

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Reagan


Ich erinnerte mich noch genau an den Moment als ich Ella in einer verlassenen Lagerhalle zum ersten Mal begegnete. Sie trug schwere, dunkelblaue Einsatzkleidung. Auf die rechte Schulter die amerikanische Flagge gestickt, über der linken Schulter hing die Schnellfeuerwaffe. Ich erinnerte mich noch genau wie ich dachte, dass ich sie niemals umstoßen könnte, doch damals konnte ich mit meinem Glauben Berge versetzten oder in diesem Fall eine CIA-Agentin zu Fall bringen.

Meine Vorurteile hatten meine anfänglich negativ behaftete Meinung zu ihr schnell geformt. Trotzdem respektierte ich sie, weil ich wusste, wie hart sie arbeiten musste, um als Frau auf diese wichtigen Einsätze zu dürfen. Und wenn ich in ihre entschlossenen Augen sah, dann sah ich Stärke, Mut und Hartnäckigkeit. Ella war eine Kriegerin.

„Es tut mir leid. Das habe ich nicht gewollt." Ich wollte nicht das Schlimmste in ihrem Leben sein. In Naivität hoffte ich Liebe zu verbreiten. Mein Leichtsinn dachte Glück zu schenken und meinem moralischen, scheinbar unfehlbarer Kompass traute ich immer zu das Richtige zu tun.

Es musste Überheblichkeit sein. Ja, maßlose Überheblichkeit, die mir das gefährliche Selbstvertrauen gab, so mit den Menschen zu spielen. Ihnen Geheimnisse zu entlocken, sie zu lenken und letztendlich ihre Liebe auszunutzen auf eine Weise, die es mir nicht mehr zuließ, mich hinter irgendeiner Moral zu verstecken.

„Ich will keine Entschuldigungen hören!" Heiße Tränen liefen Ella über die Wangen. Wenn ich ihr den Schmerz irgendwie nehmen könnte, ich würde es tun. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, ich würde keine Sekunde zögern und die Geschichte umschreiben. Ich würde uns ungeschehen machen.

Ich würde mich zurückerinnern, vage und verschwommen, an diese eine Agentin, die uns damals in der Lagerhalle festnahm. Ich wäre nur eine weitere, unbedeutenden Mission gewesen, bloß eine kleine Hackerin, die kläglich scheiterte. Und Ella? Sie wäre verheiratet. Nicht übermäßig glücklich, aber es wäre trotzdem weitaus besser als das hier.

„Ich will wissen, wer du bist!", schluchzte sie verzweifelt. „Wer bist du!? Und wer war ich für dich!?"

„Du warst das, was ich auch für dich war", antwortete ich ruhig.

„Bloß eine Mission."

„Ja." Meine Worte werden ihre Tränen nicht trocknen, ganz im Gegenteil, aber das war alles, was ich ihr geben konnte, denn noch hatte ich kein Programm entwickelt, dass Zeitreisen ermöglichte.

„Und wozu war ich gut?"

„Du solltest mich beschützen. Mich sicher in das Herz der chinesischen Regierung geleiten."

„Also war es doch eine einzige große Lüge. Und du bist doch nur ... gewissensloser Abschaum." Die Worte ließen nun auch meine Augen nass werden. Mein Selbstbewusstsein war verbraucht und meine Liebe für diese Frau wurde massiv auf die Probe gestellt. Der Hass Fremder ließ sich leicht ertragen, der Hass Liebender allerdings hinterließ Narben.

„Nein! Du wirst jetzt nicht weinen! Du hast kein Recht dazu!", reagierte sie auf meine Tränen.

„Ich liebe dich", wehrte ich mich mit gebrochener Stimme.

„Was daran soll Liebe sein!? Ich war bloß die Dumme, die im Ernstfall vor dich springt, um eine Kugel abzufangen."

„Ja, das hättest du sein sollen. Das und nichts anderes. Mir hätte es genauso viel Schmerz erspart, wenn du nur das gewesen wärst. Stattdessen warst du die Frau, die mich Nächte kostete. Stunden, in denen ich wach lag, weil mich meine Gefühle überforderten. Du bist und bleibst der Mensch, den ich nie zu durchschauen vermochte."

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