self-punishment

909 52 43
                                    

Sicht Julian

„Jule?" Flüstert eine raue Stimme, welche mich direkt hochschrecken lässt.

„Kai?" Frage ich hoffnungsvoll, werde aber direkt enttäuscht, als ich in das immer noch leblose Gesicht meines besten Freundes blicke. Sofort überströmt mich dieses Gefühl der Trauer und Hilflosigkeit erneut und ich kann nichts dagegen tun, neue Tränen zu verlieren.

„Leider nicht. Tut mir leid Jule" spricht Jannis hinter mir und kommt langsam auf mich zu. Fest schließt er seine Arme um mich und streichelt beruhigend über meinen Rücken.

„Ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber wir müssen gehen. Die Besuchszeit ist vorbei." Erklärt er mir, doch ich schüttle den Kopf. Ich will noch nicht gehen. Ich kann Kai hier nicht allein lassen. ich weiß, wie viel Angst er allein in Krankenhäusern hat. Vor allem nach dem Tod seiner Mutter. Ich kann ihn nicht hier zurücklassen.

„Nur noch fünf Minuten. Bitte" flehe ich meinen Bruder an, welcher jedoch schwer ausatmet.

„Tut mir leid. Wir hätten schon vor zwanzig Minuten gehen müssen. Ich hab ewig mit der Krankenschwester diskutiert. Wenn wir nicht gleich gehen, dürfen wir morgen gar nicht wiederkommen." Spricht er weiter, weshalb ich schweren Herzens nachgebe. Ich stehe von dem Stuhl auf, küsse noch einmal Havy's Stirn und flüstere ihm noch leise einige Worte zu, sodass es mein Bruder nicht hört.

„Ich verspreche, ich bin morgen wieder hier. Ich liebe dich. Bitte wach schnell wieder auf. Es tut mir unglaublich leid, was passiert ist." Noch einen winzigen Kuss platziere ich auf seinem Handrücken, bevor ich gemeinsam mit meinem Bruder das Krankenhaus verlasse. Die Blicke, die mir mein Bruder dabei zuwirft, ignoriere ich. Seit Tagen erkenne ich nur noch Mitleid und Verwunderung in seinem Blick. Ich habe ihm nicht erzählt was passiert ist. Jedenfalls nicht alles.

Jannis weiß, dass ich Kai angefahren habe. Er weiß jedoch nicht, dass ich ihm vorher das Herz gebrochen habe und er weiß ebenso nichts von meinen Gefühlen für meinen besten Freund. Das kann ich ihm einfach nicht erzählen. Er würde sich mindestens genauso vor mir ekeln, wie ich es tue.

Zuhause angekommen laufe ich direkt in Kais Zimmer, nehme mir einen Pullover aus seinem Schrank, welchen ich mir überziehe und lasse mich in sein Bett fallen. Mein Gesicht vergrabe ich in seinem Kissen und die Bettdecke ziehe ich soweit nach oben, bis ich komplett darunter verschwinde. Ein lauter Schrei entweicht meiner Kehle, welcher nur durch das Kissen gedämpft wird. Heiße Tränen verlassen meine Augenwinkel und ich verliere mich wieder in seinem Geruch.

Ich vermisse ihn, so unfassbar sehr. Und ich hasse mich jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde mehr dafür, was ich meinem besten Freund angetan habe. Ich habe es verdient, dass ich mich jetzt so unglaublich ekelhaft fühle. Aber er hat all das nicht verdient. Er muss doch endlich aufwachen. Er darf mich nicht verlassen. Er darf nicht sterben.

Meine Angst wächst von Tag zu Tag mehr. Ich weiß, dass Kai es schaffen kann, doch ich habe zu viel Panik, dass er es nicht versuchen wird. Ich habe Angst, dass ich ihn so sehr verletzt habe, dass es ihm egal ist, ob er es überlebt. Ich werde mir all das nie verzeihen.

Ein Klopfen reißt mich aus den Gedanken. Sofort wische ich mir die Tränen von den Wangen und setze mich auf. Jannis kommt mit einem vollbeladenen Teller Nudeln auf mich zu. Doch ich kann jetzt nichts essen. Ich darf nichts essen. Hungern wird nie Bestrafung genug dafür sein, was ich getan habe. Aber es ist ein Anfang. Ich habe es nicht verdient, mich gut zu fühlen. Ich muss diese Schmerzen aushalten, egal wie schlimm es wird. Egal wie lang es dauert.

„Hab keinen Hunger" gebe ich also nur lustlos von mir und ziehe mir erneut die Decke übers Gesicht.

„Julian Brandt, ich lasse bestimmt nicht zu, dass du verhungerst. Du isst jetzt etwas, ich hab mir das lange genug angeschaut. Hör verdammt nochmal auf damit, im Selbstmitleid zu versinken." Ermahnt mich mein jüngerer Bruder. 

Er hat doch keine Ahnung. Wie würde er sich fühlen, wenn er sich nicht mehr selbst im Spiegel ansehen kann, weil er dann nur das sieht, was er am meisten auf der Welt verabscheut?

„Verdammt Jannis. Ich hab gesagt, ich hab keinen Hunger. Lass mich einfach in Ruhe. Fahr wieder nach Hause, ich brauch dich hier nicht. Ich komm ganz gut alleine klar." Schreie ich ihn an. Ich weiß, dass es ungerecht ist. Ich weiß es und kann es trotzdem nicht lassen. Er soll mich einfach in Ruhe lassen. Ich will nicht, dass sich jemand um mich kümmert.

„Drehst du jetzt völlig am Rad? Willst du mich verarschen? Ich lass dich sicher nicht alleine. Ich werde nicht verantwortlich dafür sein, dass du dich mit deinem Verhalten wohlmöglich noch umbringst. Du isst jetzt wenigstens die Hälfte von diesem Essen und schläfst dich danach mal ordentlich aus. Vielleicht kann man sich ja danach mal normal mit dir unterhalten." Befiehlt er, doch ich weigere mich weiterhin. Ich werde nichts essen, das kann er vergessen.

„Julian. Iss jetzt diese scheiß Nudeln, sonst stopf ich sie die höchstpersönlich in den Mund." Schreit er mich weiter an. Ich habe keine Lust mehr, weiterhin mit ihm zu diskutieren.

Wütend und genervt nehme ich den Teller aus seiner Hand, schiebe mir genau eine Nudel in den Mund und gebe ihm den Teller zurück.

„Schmeckt scheiße, kannste wieder mitnehmen." Gebe ich eintönig von mir. 

Ich sehe, dass ihn meine Worte verletzen. Ich sehe es, kann mich aber nicht dazu durchringen, mich zu entschuldigen. Vielleicht lässt er mich dann ja endlich in Ruhe und verschwindet.

„Schön. Dann verhungere halt. Ist mir egal. Aber ich komme nicht zu deiner Beerdigung. Du kannst mich mal." Ruft er noch, bevor er das Zimmer verlässt und die Tür mit einem lauten Knall schließt.

Ich bin wirklich ein absolutes Arschloch. Wieso muss ich nur jeden in meinem Umfeld verletzen? Ich hasse mich dafür so unfassbar sehr. Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn ich sterben würde und nicht Kai.


Tut mir leid an alle, die dachten, dass Kai aufwacht. Aber ich hoffe, euch hat das Kapitel trotzdem ein wenig gefallen. Ich wollte euch noch einen kleinen Einblick in Jules momentane Gefühlslage geben. Wenn ich es schaffe, kommt später vielleicht noch ein Kapitel. Sonst morgen. Schreibt wie immer gern eure Meinung dazu in die Kommentare, oder auch gern per Privat Chat. Werde mich sehr interessieren :)

-M <3

FOOL FOR YOU ~ Kai Havertz & Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt