Burnout

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Sicht Kai

Langsam wache ich auf, doch ich kann mich nicht bewegen. Mein Körper ist total schlapp und kraftlos. Ich kann nicht einmal meinen kleinen Finger bewegen. Ich bin schon froh, dass ich meine Augen nach dem dritten Anlauf wirklich offen halten kann. Doch zu mehr bin ich nicht fähig.

Mein Kopf dröhnt, als hätte ich den schlimmsten Kater meines Lebens, dabei habe ich schon wochenlang keinen Alkohol mehr getrunken. Um mich herum dreht sich alles und bevor ich mich versehe, schließen sich meine Augen wieder automatisch und mein Kopf schaltet sich aus.

Als ich dann das nächste Mal wieder aufwache, fühle ich mich schon ein wenig besser. Nicht gut, aber besser. Ich kann mich zumindest bewegen und meine Kopfschmerzen sind nur noch leicht zu spüren. Langsam betrachte ich den Raum, in welchem ich mich gerade befinde. Weiße Wände, weiße Vorhänge, weiße Bettlaken... alles weiß. Selbst dieses Ding das ich anhabe, welches aussieht wie ein Nachthemd, ist weiß. Das alles ist so weiß, eintönig und langweilig, dass es mir auf die Nerven geht. Ich fühle mich hier so fremd, so unwohl, obwohl ich genau weiß, wo ich bin. Ich bin im Krankenhaus. Was für eine Überraschung.

Moment, Krankenhaus? Nein. Nein das darf nicht sein. Meine letzte Begegnung mit einem Krankenhaus ist nicht sonderlich gut ausgegangen. Das letzte Mal, als ich in einem Krankenhaus war, war auch das letzte Mal, als ich meine Mutter gesehen habe.

Sofort beginnt mein Körper wieder zu zittern. Mein Atem stockt und Tränen fließen über meine Wangen. Ich will hier weg. Ich muss hier weg. Ich will nicht sterben.

Ich sehe, wie eine Frau in blauer Kleidung auf mich zukommt und versucht mich zu beruhigen. Sie hält mir ein Gerät vor das Gesicht, in welches ich schnell ein- und ausatme.

„Herr Havertz, beruhigen Sie sich. Sie müssen langsam atmen. Sie hyperventilieren." Redet sie auf mich ein, was mich tatsächlich dazu bringt, immer ruhiger zu werden. Doch ständig schießen mir die selben Gedanken durch den Kopf. Ich will nicht sterben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffe ich es, normal zu atmen und mein Körper beruhigt sich allmählich. Was zur Hölle ist nur los mit mir? Doch bevor ich diese Frage laut aussprechen kann, betritt ein Mann mit weißem Kittel den Rau. Weiß... schon wieder weiß. Wieso ist hier überall weiß? Sogar seine Haare sind weiß. Gott geht mir diese Farbe gerade auf die Nerven.

„Guten Tag Herr Havertz, ich bin Doktor Dirk Lange. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Sie unter einem massiven Burnout leiden. Ich habe schon mit Ihrem Trainer gesprochen, welcher mir erklärt hat, dass Sie in den letzten Tagen sehr viel Stress und sehr wenig Schlaf abbekommen haben. Dies hat dazu geführt, dass sie schneller reizbar, sehr emotional und weniger motiviert geworden sind und schlussendlich bewusstlos geworden sind. Vor allem die sportliche Belastung hat sie noch mehr geschwächt. Sie müssen sich dringend schonen und erstmal eine Pause vom Fußball einlegen. Nach dieser Woche haben Sie ja sowieso erstmal frei, weshalb ich sie erstmal nur drei Wochen krank schreibe. Wenn sie dann aber immer noch das Gefühl haben, nicht fit genug zu sein, bleiben sie länger zu Hause. Gehen Sie wirklich erst wieder trainieren, wenn sie sich besser fühlen, sonst sehe ich Sie hier öfter, als Ihnen lieb ist." Erklärt er, während ich gespannt zuhöre.

Traurig nicke ich. Drei Wochen kein Fußball? Das kann der doch nicht ernst meinen.

„Ruhen Sie sich aus, lassen Sie sich von Ihren Freunden und Ihrer Familie unterstützen, sie müssen das nicht allein durchstehen. Belasten Sie sich so wenig wie möglich. Unternehmen Sie kleine Spaziergänge, welche Sie aber nicht belasten, sondern entspannen. Treffen Sie sich mit Freunden, motivieren Sie sich für die Sachen, die Sie sonst immer tun, aber denken sie daran viele Pausen einzulegen und genug zu schlafen. Ihr Körper durchlebt gerade eine sehr schwere Phase, sie müssen sich unbedingt viel Ruhe gönnen. Auch Massagen, Yoga oder Meditation kann dabei helfen. Denken Sie darüber nach." Erklärt er weiter.

Einerseits ist es vielleicht ganz gut, meinem Körper ein wenig Ruhe zu gönnen, aber ich kann doch nicht so lang auf Fußball verzichten. Dann brauche ich doch ewig, um wieder in Form zu kommen. Doch wahrscheinlich hat er Recht und ich will ehrlich gesagt nicht bald schon wieder ins Krankenhaus. Eigentlich will ich nur noch hier raus.

„Wie lang muss ich denn hier bleiben?" Frage ich also, da ich wirklich gerade nichts lieber will, als in meinem eigenen Bett zu liegen.

„Noch etwa ein bis zwei Tage. Wir müssen noch ihre Blutwerte auswerten. Wenn diese gut sind und Sie sonst keine weiteren Beschwerden aufzeigen, können Sie vielleicht schon morgen nachmittag nach Hause." Diese Worte machen mich unfassbar glücklich. Ich kann wahrscheinlich schon morgen nach Hause.

Der Arzt verschreibt mir noch einige Medikamente, bis er den Raum verlässt, mit dem Satz „Es gibt da noch eine Person, die sie unbedingt sehen will."

Bevor ich mich versehe, springt schon mein bester Freund auf mich zu und wirft sich in meine Arme.

„Havy was machst du nur für dumme Sachen? Weißt du eigentlich, wie viel Angst ich um dich hatte? Bist du irgendwie komplett dumm? Du kannst mich doch nicht so erschrecken. Ich hab gestern fast einen Herzinfarkt wegen dir bekommen." Redet er aufgeregt auf mich ein. Und wieder ist da dieses blöde kribbeln in meinem Bauch, was jedesmal auftaucht, wenn er mich ansieht oder anfasst. Fuck, wieso musste ich mich auch in ihn verlieben?

„Tut mir leid Jule." Entschuldige ich mich einfach nur, bevor er mich loslässt und mir erzählt, dass Mitch sich wohl wirklich mies gefühlt hat und es ihm unendlich leid tut. Doch ich höre ihm kaum zu, da ich etwas entdeckt habe, was mein Herz sich schmerzhaft zusammenziehen lässt.

Mehrere Knutschflecken an Jules Hals. Frische, neue Knutschflecken, welche nicht älter als 24 Stunden sein können, da er sie gestern noch nicht hatte.

Während ich im Krankenhaus liege und es mir beschissener als je zuvor geht, denkt er an nichts anderes, als gleich wieder mit der nächstbesten ins Bett zu springen? Ist das sein Ernst? Wow, der muss sich ja wirklich total Sorgen gemacht haben... Was ein Bullshit. Er hat sich kein Stück weit Sorgen gemacht. Das Einzige was ihn wohl interessiert hat, war es, endlich wieder irgendjemanden flachlegen zu können.

Ich hätte nie gedacht, dass Jule mich mit seiner bloßen Anwesenheit so sehr verletzt. Doch die Gedanken daran, dass ich ihm anscheinend scheißegal bin, tun so weh, dass ich ihn um mich herum nicht ertrage. Ich ertrage nicht seinen Geruch, welcher mich sonst immer verzaubert hat. Ich ertrage nicht dieses Lächeln, was mir sonst immer weiche Knie bereitet hat. Am wenigsten ertrage ich ihn und seine Stimme, welche mir sonst immer Schmetterlinge im Bauch bereitet hat. Doch gerade fühle ich nichts als Schmerz, Trauer und Wut. Ich bin so wütend, enttäuscht und verletzt, dass ich mich jede Sekunde übergeben, oder in Tränen ausbrechen könnte. Ich verfolge schon gar nicht mehr, was er erzählt, da ich mich viel zu sehr darauf konzentriere, nicht den nächsten Zusammenbruch zu durchleben.

Leise räuspere ich mich also und bringe mit zitternder Stimme hervor ,,Kannst du bitte gehen? Mir geht es echt nicht gut und ich will nur noch schlafen. Tut mir leid."

Als ich sehe, wie verletzt er aussieht, tut es mir gleich wieder ein wenig leid, doch ich ertrage seine Nähe gerade absolut nicht.

„Natürlich Havy. Hab ich etwas falsch gemacht?" Fragt er sofort. Ja Jule, das hast du. Du hast mich enttäuscht, verletzt und trittst auf meinen Gefühlen herum. Doch das würde ich wohl nie zugeben.

„Nein, ich habe Kopfschmerzen und will einfach nur meine Ruhe. Tut mir leid Jule, aber ich will jetzt wirklich allein sein." Bringe ich noch hervor. Dann steht er von meinem Bett auf, verabschiedet sich von mir mit einer langen, innigen Umarmung und verlässt dann die weiße Tür meines Krankenhauszimmers.

Sobald sich die Tür schließt, habe ich das Gefühl wieder atmen zu können. Fuck. Seine Nähe macht mich wirklich krank.

FOOL FOR YOU ~ Kai Havertz & Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt