„Darf ich so gehen?", fragte ich, als ich zusammen mit meinem Bruder ins Haus lief. Ich wusste, dass er und auch Jake es nicht gerne sahen, wenn ich mit kurzen Klamotten draußen herumlief, aber wenn es so warm ist wie heute, genoss ich es bauchfrei herumzulaufen, zu Hause war das ja auch kein Problem. Allerdings gab es einen Unterschied zwischen 2 cm bauchfrei und bauchfrei bis zum BH hoch. Das war mir selber aber auch zu kurz und ich zog eigentlich selten Shirts an, die kürzer waren als mein Bauchnabel. „Klar darfst du so gehen.", erwiderte Cole sofort, „wir wollen nicht, dass du halb nackt draußen herumläufst, so wie du es auch schon wolltest, aber so wie du gerade angezogen bist, ist das überhaupt kein Problem." Zufrieden schlüpfte ich in meine Flip-Flops und lief mit meinem Handy und Buch in der Hand zu Coles Auto. „Und, die zwei freien Tage taten doch ganz gut, oder?", fragte mein Bruder, während er losfuhr. „Ja, irgendwie schon. Ich verstehe nicht wirklich warum, ich meine auch sonst habe ich ja eigentlich viel Freizeit und kann mich entspannen, aber es hat schon gutgetan 2 Tage nicht in die Schule zu gehen und einfach das zu machen, worauf ich Lust hatte." erwiderte ich. „Schule ist anstrengend, nicht unbedingt körperlich, aber du lernst jeden Tag etwas Neues, musst dich den halben Tag konzentrieren und bist die ganze Zeit mit anderen Menschen konfrontiert. Du hast dann zwar immer das Wochenende um wieder herunterzukommen, aber da sind auch immer die Jungs zu Hause und es ist nie so ruhig und still wie es die letzten Tage war. Wir sind auch der Meinung, dass dir das Guttat abzuschalten und von all dem, über das du dir sonst immer Gedanken machst, wegzukommen." antwortete Cole. „Woher kommt das, dass ich einfach überhaupt nicht belastungsfähig bin und mir alles immer total schnell zu viel wird? Bei den Jungs ist das auch nicht so?", fragte ich nachdenklich. „Das ist einfach deine Persönlichkeit. Es gibt Menschen, die jeden Tag unterwegs und so gut wie nie zu Hause sind und gut damit klarkommen, aber dann gibt es auch Menschen, die Zeit für sich brauchen, um wieder herunterzukommen. Ich würde nicht sagen, dass du nicht belastungsfähig bist, du brauchst einfach Zeit für dich um zu entspannen und das ist doch auch okay. Je mehr du erlebst, desto mehr musst du verarbeiten und umso mehr Zeit brauchst du für dich, damit das funktioniert. Du kannst dir das wie ein Glas vorstellen. Alles was passiert füllt das Glas, je nachdem was passiert und wie sehr dich das im positiven, sowie im negativen beeinflusst, füllt es sich schneller, langsamer oder es nimmt wieder etwas ab. Aber das meiste füllt dein Glas und dann ist es am Ende der Woche zu 65 % voll. Indem du dann das Wochenende entspannst und herunterkommst, leert sich das Glas wieder, bis du vielleicht noch bei 25 Prozent stehst, die dich Kraft kosten und die dein Leben etwas anstrengender machen. Wenn jetzt aber etwas Unvorhergesehenes passiert, wie das mit David zum Beispiel, füllt sich dein Glas um 10 Prozent weiter auf. Dann kommt noch etwas und dein Glas füllt sich weiter und weiter. Du hast dann zwar immer wieder das Wochenende, das dein Glas leert, aber es wird trotzdem kontinuierlich voller, da du nicht genug Zeit hast, das Glas zu leeren und mehr passiert, dass es füllt. Dadurch wird alles auch immer anstrengender und es kostet mehr Kraft. Irgendwann kommt der Punkt, an dem dein Glas kurz vor dem Überlaufen ist und du es gerade noch so schaffst, es so weit zu leeren, dass es nicht überläuft. Und das ist die letzten Tage passiert. Du hattest einfach nicht mehr genügend Zeit, um dein Glas zu leeren. Es ist viel neues Wasser hinzugekommen, aber es gibt auch noch ältere Dinge, die dein Glas befüllt haben und was noch immer präsent ist, wie das mit Chapter zum Beispiel. Auch wenn du denkst, dass du vieles, das seit Moms Tod passiert ist, gut verarbeitet hast, hat dein Unterbewusstsein noch mit manchen Dingen zu kämpfen. Das führt dazu, dass du mit allem überfordert warst, weil es so viele unterschiedliche Dinge gab, die dein Glas gefüllt haben und du nicht wusstest, wie du damit umgehen kannst. Deswegen haben wir dich die letzten 2 Tage zu Hause gelassen, da wir bemerkt haben, dass es dir zu viel wird und du Zeit brauchst um dein Glas wieder zu leeren. Oft musst du nicht einmal aktiv etwas an den Problemen, die dein Glas gefüllt haben arbeiten, oft hilft es einfach nur etwas Abstand zu bekommen und schon wird das Glas leerer und leerer. Und genau das ist die letzten Tage passiert. Natürlich wird es nicht komplett leer, ohne dass du etwas dafür tust, aber das können wir gemeinsam machen und dann wird dein Glas immer leerer bis es irgendwann vielleicht komplett leer ist und du dann dein Glas mit dem füllen kannst, womit auch immer du möchtest. So sind wir Menschen einfach unterschiedlich. Viele haben ein komplett leeres Glas, das sich auch langsam füllt und die vielleicht auch nur einen einzelnen Abend brauchen, um es wieder komplett zu leeren und das Glas anderer Menschen ist eben schon halbvoll oder füllt sich viel schneller, als das von anderen oder sie haben ein viel größeres oder kleineres Glas als andere. Das macht die Menschen aus, das unterscheidet sie voneinander und solange du weißt, wie schnell sich dein Glas füllt und was du machen musst, damit es wieder leer wird und du wieder entspannt und fit durchs Leben gehen kannst, ist alles gut. Es ist nur wichtig rechtzeitig zu erkennen, wie voll das Glas ist, um etwas dagegen zu unternehmen, zu können." „Dann habe ich ein Schnapsglas, das sich zu schnell füllt", sagte ich leicht grinsend. „Du hast ein normales Glas, das einfach schon durch andere Sachen gefüllt ist und nicht von alleine und nur von Erholung wieder leer wird. Aber das Gute daran ist, dass man daran arbeiten kann und du das auch schon, seit du zur Therapie gehst, machst. Auch wenn dich das manchmal nervt, was wir übrigens durchaus verstehen können, ist es wichtig, dass dein Glas leer wird und du es mit dem Füllen kannst, was du möchtest und nicht dass es mit dem gefüllt ist, was andere hineingelert haben. Es ist nie leicht und einfach sich seinen Problemen und sich selber zu stellen, aber es lohnt sich. Und jeder hat Probleme, das bekommen oft Außenstehende einfach nicht so mit. Je mehr du mit unterschiedlichen Menschen zu tun hast, desto mehr wird dir bewusst werden, dass du nicht alleine bist und viele Menschen Hilfe von anderen brauchen, um ihr Glas wieder zu leeren", sagte Cole...
DU LIEST GERADE
Big Brothers 6
ActionDas Original und nicht eines der vielen Kopien. Lest am besten zuerst die ersten 5 Teile, bevor ihr hier beginnt. In diesem Buch geht es um Mila und wie sie versucht mit all dem, was sie in den letzten Monaten erlebt hat, klar zu kommen. Dabei bek...