38 Schuld & Schande

5 2 0
                                    

Sie sog die kalte Luft tief ein und ließ sie in ihre Lungenflügel strömen. Es war mitten im Winter und trotzdem saß Scarlett in einem dünnen Pullover und Jeans im frostigen Wald über der Station und blickte gen Himmel. Es war ein sonniger Wintertag, wie sie ihn schon häufig erlebt hatte. Es waren einige Wochen vergangen, die Hüter und Matt wussten mittlerweile Bescheid über Kane und Skylar. Allerdings war letztere nicht mehr aufgetaucht seit jenem Abend. Und Kane hatte sich nicht mehr bei ihr gemeldet - zum Glück. Sie hatte seinen Kontakt ohnehin blockiert, aber man konnte ja nie wissen, wie er sich mit ihr in Verbindung setzen würde. Noch immer stimmte sie der Gedanke an ihn traurig und wütend, doch weit schlimmer fühlte es sich an, von Alessandro jeden Tag mit dieser eisernen Kälte behandelt zu werden. Seit dieser einen Nacht, hatte er sich ihr gegenüber nie mehr geöffnet. Sie wollte es nicht wahrhaben, doch er löste nun mal etwas in ihr aus. Er war ihr nicht so egal, wie sie es gewollt hätte. Er war ihr sogar verdammt wichtig geworden. Er war der Grund gewesen, wieso sie an Kanes Verrat nicht zerbrochen war. Zwar hatte es sie unendlich viel Kraft gekostet, überhaupt an etwas anderes zu denken, doch ohne Alessandro wäre sie längst nicht mehr am Leben. Sie wäre in dieser Gasse elendig erfroren. Das wurde ihr jedes Mal aufs Neue bewusst, wenn sie ihn ansah.
Heute hingegen war ein anderer Tag. Sie fragte sich, ob er sich heute vielleicht wieder öffnen würde. Denn heute war der Tag, an dem das erste Training stattfand, nachdem sie seine Aufgabe bewältigt hatte. Sie war sehr lange unmotiviert gewesen, doch irgendwann hatte sie versucht, es zu schaffen. Und tatsächlich war es ihr nach einigen Trainings gelungen, die hauchdünne Metallstange zu durchtrennen. Sie hatte sich vertraut gemacht mit dem Katana und wusste nun halbwegs, wie sie es halten und sie ihr Gewicht verlagern musste, um eine gute Position zu haben.

Sie drückte sich vom kühlen Waldboden ab und ging zurück in die Station. Obwohl sie sich immer noch dazu hingezogen fühlte, dieses klaffende Loch als Eingang zu nutzen, bestieg sie regelmäßig die Treppe. Sie hatte eh schon Muskelkater vom Training, da konnte die Treppe es nicht groß schlimmer machen. Sie war allerdings etwas nervös wegen dem Training. Zum einen würden sie heute diesen Flammenschwert-Zauber testen und zum anderen hoffte sie, dass Alessandro sie nicht mehr so von sich stoßen würde. Ihr Herz machte einen kleinen Satz bei dem Gedanken daran. Sie hoffte es so inständig. Jedoch wusste sie: Je höher die Hoffnung, desto tiefer der Fall. Doch darüber wollte sie sich jetzt noch keine Gedanken machen. Dafür hätte sie noch genug Zeit, wenn es soweit war.

Sie zog sich nicht um, da sie vermutlich hauptsächlich Magie trainierten, war es unnötig Sportkleidung zu tragen. Wie immer sah sie Alessandro bereits neben der Tür an der Wand lehnen. Er trug dieses arrogante Grinsen, das ihr jedes Mal, wenn sie es sah, Magenschmerzen bereitete. Keiner von ihnen begrüßte sich und so betraten sie den Trainingsraum in Stille. Er legte das Buch auf den Boden und schlug es auf der Seite mit dem Flammenschwert auf. Dann ging er ohne ein Wort in die Waffenkammer und holte die Katanas. Sie nahm es entgegen, als er ihr eines der beiden reichte. Mittlerweile hatte sie es so oft in der Hand gehabt, dass es sie nicht mehr so sehr ekelte, dass der Griff mit der Haut eines Rochen beschichtet war. Plötzlich glommen Alessandros Augen goldgelb auf. Augenblicklich fing sein Schwert Feuer. Nein, es stand nicht in Flammen, es stand mit den Flammen, als wäre es zusammen ein Ganzes.

Mit genervter Miene klatschte sie langsam in die Hände und sagte in einem ebenso ermatteten Ton: »Super. Kannst du mir jetzt zeigen wie das geht, oder bist du nur zum angeben hier?«

»Wieso musst du mich immer so nerven?«, seufzte er, während die Flammen augenblicklich erloschen.

»Wieso musst du immer so ein Idiot sein?«, gab sie zurück.

Sie zog einen Mundwinkel nach oben, um ihn mit diesem Lächeln in den Wahnsinn zu treiben, er hasste es, wenn sie es ihm schwer machte und nicht direkt antwortete. Allerdings fühlte sie sich innerlich gar nicht mehr so stark, wie sie sich gab. Da war nur etwas, das sich wie ein Loch anfühlte. Eine Leere, die nicht gefüllt wurde.

The System of Magic - Verführt & VerratenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt