chapter 11

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Jᴇssɪᴄᴀ

Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Der gestrige Abend war schnell wieder vergessen, so wie die letzten fünfzig Male. Es war einfach ein komplett normaler Abend gewesen.

Natürlich kam meine Mutter um drei Uhr betrunken nach Hause. Ich würde von dem Lärm wach, welchen sie veranstaltet hatte. Die Stöckelschuhe und das Ächzen, als sie die Treppen hochgelaufen war, hatte mich bis in den Traum verfolgt. Und deshalb konnte meine Mutter auch schlichtweg nicht arbeiten. Wenn sie täglich um drei Uhr nachts alkoholisiert nach Hause kommt - wie soll sie dann frühs glücklich und munter bei einer Arbeit ankommen? Es ging nicht. Und deshalb tat sie es auch nicht.

Die einzigen, die somit eine Arbeit haben, sind mein Vater und ich. Raphael gibt Nachhilfe, und wird minimal dafür bezahlt. Als feste Arbeit galt das nicht. Aber das Geld behält er genauso wie ich es tat.

Murrend schlich ich ins Bad und machte mich fertig. Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, um wach zu werden. Danach duschte ich mich und zog mich an. Makeup trug ich nicht auf.

Mein Handy blieb die ganze Zeit auf meinem Nachttisch liegen und erst nachdem alles fertig war, griff ich nach ihm. Keine neue Nachrichten. Auch nicht von der unbekannten Nummer. Ich runzelte meine Stirn und packte mein Handy in die Hosentasche. Danach griff ich nach meinem fertig gepackten Schulranzen und lief sofort zum Bus.

Raphael hatte erst später Schule, weshalb er nicht mit mir kam. An der Bushaltestelle wartete ich einen Moment und stieg in meinen Bus ein, als er auftauchte. Zum Glück war noch ein Platz frei, und ich konnte mich einfach fallen lassen. Der Bus setzte sich in Bewegung und ich zog meine Kopfhörer auf, um Gesprächen aus dem Weg zu gehen.

Wie gesagt, ich hatte kaum Freunde außer Veronica. Ich kannte zwar ein, zwei Personen, mit denen ich mich gut verstand aber ich würde sie nicht als Freunde bezeichnen. Außer natürlich meine Mitarbeiterin im Lighthouse.

Ein Tippen auf meiner Schulter ließ mich stutzen. Ich zog meine Kopfhörer runter und grummelte. Ich wollte doch nicht an diesem Morgen gestört werden.

»Hey, Schlampe!«, meinte eine weibliche Stimme. Eine andere kicherte. Empört drehte ich mich um.

Hinter mir saßen zwei Mädchen, welche ebenfalls in meine Schule gingen. Ich kannte sie vom Sehen her. Aber gesprochen hatte ich mit ihnen noch nie. Hatten sie eine falsche Person erwischt? An ihrem Blick änderte sich jedoch nichts, als sie mein Gesicht sahen.

Die eine, welche links saß, hatte braune, in einen strengen Zopf gesteckten, Haare. Die andere war blond.

»Du warst gestern an unserem Stammtisch. Und hast mit unseren Jungs geredet. Mach das noch einmal, und glaub mir, du wirst nicht einmal daran denken zurückzukommen«, meinte die blonde schnippisch und starrte mich hasserfüllt an.

Ich betrachtete beide mit gerunzelten Augenbrauen. Die Gesichter kamen mir bekannt vor. Ich hatte sie gestern wirklich gesehen. Dann traf die Erkennnis mich. Die beiden waren gestern an Matt gelehnt. Sie waren beide die Betthäschen.

Dabei hätten sie doch eher Veronica anmaulen sollen. Sie war doch die Person, welche sich an ihren heißgeliebten Matt rangemacht hatte.

Ich hob die eine Augenbraue und drehte mich erneut nach vorne. Wie gesagt, Gesellschaft im Bus ist nie gut. Vorallem nicht, wenn man davor mit den beliebtesten Jungs an einem Tisch gesessen hatte. Ich zog meine Kopfhörer erneut auf und drehte die Musik lauter, sodass ich die Zickereien der Mädchen hinter mir nicht hören konnte. Eine Sache zog ich aber aus dem Gespräch. Ich werde mich heute nicht zu dem Stammtisch setzen. Ich hatte nämlich keine Lust auf eine Begegnung von den Fingernägeln der Mädchen.

. . .

Als ich endlich aus dem Bus austeigen konnte, war ich erleichtert. Doch dann traf mich die Erkenntnis, dass ich wieder Schule hatte. Meine Laune war so schnell vergangen, wie sie gekommen war.

Mit schnellen Schritten lief ich zu dem Platz, wo sich Veronica und ich immer trafen. Als sie nach Gong immer noch nicht auftauchte, setzte ich mich in Bewegung und huschte in unser Klassenzimmer.

Die meisten waren schon auf ihren Plätzen, nur manche Sitze waren leer und auch unser Englischlehrer fehlte noch. Als es zum Unterricht läutete, waren alle Klassenkameraden da - alle außer Veronica. Die stürmte erst fünf Minuten später in den Raum.

Mein Lehrer betrachtete sie mit einem Seufzen und machte mit dem Unterricht weiter. Er hatte keine Lust mehr auf Ermahnungen.

Glücklich ließ sich Vero neben mich auf den Stuhl fallen. »Du glaubst nicht, wen ich heute früh gesehen habe«, schwärmt sie und starrt mit geröteten Wangen auf die Tafel. »Lass mich raten, Matt?«, murmelte ich leise. Sie tat so als hätte sie meine Antwort nicht gehört. »Matt!«, rief sie euphorisch aus und schüttelte mich leicht.

»Jess, ich habe Matt getroffen! M. A. T. T. Er hat mich zu deren Stammplatz eingeladen und ich konnte die ganze Zeit bei ihm stehen!«, hauchte sie aufgeregt und quietschte leicht. Ich brummte nur.

»Deshalb warst du heute früh nicht bei unserem Platz«, murmelte ich enttäuscht. »Sorry, Jess, aber er war so un-wieder-stehlich!« Ich schüttelte nur leicht mit dem Kopf und richtete meinen Fokus wieder auf den Unterricht. Sie schwärmte weiter.

bryanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt