chapter 27

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Jᴇssɪᴄᴀ

Schnell atmend öffnete ich die Tür zu dem Krankenzimmer. Es roch genau so, wie man es sich vorstellen würde. Nach Desinfiktionsmittel und eben Krankenhaus.

Mit einem unwohlen Gefühl im Magen trat ich ein paar Schritte in den Raum. Die Gardinen waren weit offen, sodass man einen guten Ausblick auf den kleinen Garten hatte, welcher sich neben dem Haus befand. Ein paar Leute gingen dort mit einem Rollstuhl oder Krücken spazieren. Die meisten hatten dabei ihre Liebsten dabei.

Bei dem Bild zog sich ein leichter Stich durch mein Herz. Ich wusste nicht, ob meine Mutter jemals so mit uns umgegangen war. Ob wir mit ihr wirklich jemals durch den Garten laufen könnten, so wie es diese Familien konnten. Wahrscheinlich nicht. Und ich hoffte auch, dass es nie dazu kommen würde.

Erst jetzt bemerkte ich die Krankenliege an der Wand. Meine Mutter lag still dort und hatte ihre Augen geschlossen. Für einen kurzen Moment dachte ich sie wäre tot, doch dann erblickte ich die Monitore, wo ihr schlagendes Herz abgebildet war. Die Linien zogen sich von oben nach unten und wurden nicht ruhiger.

Mit klopfendem Herzen erblickte ich den Blumenstrauß, welcher neben ihrem Bett war. Ich war mir ziemlich sicher, dass keiner von meiner Familie so schnell hier her gekommen war, also tippte ich mal darauf, dass ein Krankenpfleger es hingestellt hatte.

Ich wusste nicht mal was ihre Lieblingsblumen waren. Sie hatte so wenig über sich erzählt. Sollte eine Tochter das über ihre Mutter wissen? Das einzige was sie getan hatte, war sich bis zum übergeben zu betrinken.

Mir wurde es lau im Magen und ich setzte mich still auf den Stuhl neben ihr. Nachdenklich betrachtete ich ihre Hände. Sie waren blass und fielen fast vom Bett hinunter, da sie diese am Rande abgelegt hatte.

Ohne wirklich darüber nachzudenken nahm ich die zu mir am nähsten Hand, um sie auf ihren Bauch zu legen. Genau in diesem Moment öffnete sie ihre Augen. Ich konnte sehen, wie der Puls auf dem Monitor stärker anfing zu schlagen.

Vor Schreck ließ ich ihre Hand fallen. »Mom!«

Diese drehte ihren Kopf langsam zu mir. Ihre Augenbrauen verzogen sich langsam in einen wütenden Strich. Mit klopfendem Herzen beobachtete ich sie. Sie sah nicht erfreut aus mich zu sehen. So gar nicht.

»Was machst du hier?!«, zischte sie und packte meinen Arm. Erschrocken über ihren festen Handgriff zuckte ich zusammen. Ihre Augen funkelten nur vor Wut.

»M-mom? Wir sind im Krankenhaus, du hast zu viel getrunken«, murmelte ich nervös und versuchte mein Handgelenk wieder zu lösen. Vergeblich. Sie drückte nur noch fester.

Ich merkte, dass es ihr nicht gut ging. Nicht nur an ihrem Gesicht, welches nun noch wütender wurde als davor. Auch an ihrer Art wie sie sprach. Es war eher ein zitterndes Beschweren. Normalerweise tat sie dies ohne zittern. Normalerweise beschwerte sie sich nicht.

Ich schluckte fest. Der Blick meiner Mutter war barsch auf mich gerichtet und mein Handgelenk begann langsam weh zu tun. Sie drückte nämlich nicht nur ein bisschen, sondern so stark, dass es sich anfühlte als würde dein Blut abgetrennt worden. Ich war mir sicher, dass genau das auch in dem Moment passierte.

»Du... tust... mir weh«, flüsterte ich und langsam trieb der Schmerz mir Tränen in die Augen. Ich war noch nie davor so gepackt worden. Ich wusste nicht einmal, woher sie die Kraft aufwandte.

»Ich muss hier weg«, meinte meine Mutter plötzlich bestimmt und sah mir in die Augen. Der Hass verschwand langsam aus ihrem Gesicht und Entsetzen breitete sich aus. Der Griff blieb.

»Mom, ich glaube nicht, dass das eine gute-« Genau in diesem Moment wandte sie sich zu mir und stand auf. Ihre Beine wirkten etwas wackelig und sie stand auch nicht gerade fest auf dem Boden, also versuchte ich sie zu stützen. Doch das schien sie wohl gar nicht zu wollen.

Der Hass breitete sich erneut ab, dieses Mal mit einem Hauchen Ekel und sie ließ mein Handgelenk los. Erleichtert atmete ich ein, doch dann wurde ich auch schon nach hinten geschleudert.

»Ich brauche keine Hilfe!«

Es ging alles so schnell. Ich verlor mein Gleichgewicht und krachte komplett gegen eine Kommode, die neben ihrem Bett stand. Ich spürte wie die Kante meinen Rücken aufschirfte und sich danach reinbohrte. Meine Wirbelsäule begann wie höllisch zu brennen vom Aufprall. Vor Schmerz schrie ich auf und schloss meine Augen. Ich landete keine Sekunde später auf dem Boden.

Mir tat alles weh.

Meine Ohren piepten leise und mein gesamter Körper pochte wie wild. Langsam öffnete ich meine Augen und mein Blick fiel auf die Handgelenke. Sie waren rot und hatten Striemen von ihrem festen Griff. Ihre Hände hatten sich so reingebohrt, dass ich nun einen Abdruck hatte. Einen Bluterguss.

Ich wollte nicht wissen, wie mein Rücken aussah. Er brannte so höllisch. Ich spürte ebenfalls wie leichtes Blut an ihm herunterlief. Mein Steisbein fühlte sich an, als hätte ich es gebrochen. Meine Hände hatten ebenfalls Schnitte, vermutlich da ich mich an der Vase festhalten wollte und diese auf dem Boden zerschmettert war, sodass ich nur noch Scherben in der Hand hatte.

Langsam bildeten sich die Tränen. Keine Sekunde später rannten sie wie Regen über mein Gesicht. Mir tat alles weh. Und das wegen meiner Mutter. War es überhaupt noch meine Mutter, oder war sie ein Monster? Meine alte Mutter war sie definitiv nicht mehr. Von der Mutterliebe war nichts mehr übrig geblieben.

Vorsichtig sah ich in ihr Gesicht. Sie war immer noch wütend. Und wie sie das war. In ihrem Gesicht spiegelte sich keinen Haufen Reue. Ab diesen Moment wusste ich, dass meine echte Mutter tot war. Dies war zwar ihr Körper, doch nicht mehr ihre Seele. Sie war ausgetauscht.

Keuchend lag ich zitternd auf dem Boden. Mein gesamter Körper war an die Kommode gepresst, während ich auf einen weiteren Schlag meiner Mutter wartete.

»RAUS«, brüllte sie mich an.

Ihre Stimme klang entfernt. Als würde sie nicht wirklich in diesem Raum sein. Als würde ich hier nicht sein. Als wäre alles nie passiert. Doch es war passiert.

Ich rappelte mich vorsichtig auf. Ein paar Mal sackte ich fast wieder zusammen, doch ich hielt mich an der Kommode fest, um nicht umzufallen. Dass sich ein paar Scherben erneut in meine Hände reinbohrten ignorierte ich.

Gebeugt verließ ich das Zimmer. Ich sah nicht mehr zurück. Ich brauchte auch nicht mehr zurück blicken. Das war nicht meine Mutter. Ich musste mich nicht bei ihr verabschieden. Nicht nach dem all hier.

Eigentlich sollte ich hier bleiben und meine Wunden versorgen. Ich hatte jedoch Angst, dass deshalb meine Mutter als Täter auffallen würde. Sie durfte nicht ins Gefängnis. Nicht mal vors Gericht. Das würde alles zerstören.

Bibbernd lief ich die Treppen hinunter und versuchte meine Arme unter meiner Jacke zu verstecken. Ich lief gebeugt und passte extra darauf auf, nicht aufzufallen.

Dann nahm ich den Weg nach Hause. Ein Taxi konnte ich wohl kaum nehmen. Der Fahrer würde mich sofort wieder ins Krankenhaus schicken. Somit begann ich den ganzen Weg nach Hause zu laufen.

Alleine, voller Schmerzen und Tränen in den Augen. Voller Wut und Verzweiflung, Hass und Verletzung.

bryanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt