chapter 15

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Jᴇssɪᴄᴀ

Frustriert schlug ich mein Mathebuch zu. Das ganze Lernen brachte nichts. Vorallem nicht um diese Uhrzeit. Es war schon 19 Uhr. Heute hatte ich erneut eine Schicht im Lighthouse gehabt. Danach war ich sofort nach Hause gefahren und nun saß ich hier an meinem Schreibtisch und hoffte, dass ich Mathe irgendwie in meinen Kopf bekam.

Doch egal wie länger ich die Formeln anstarrte, es ging einfach nicht in meinen Kopf. Ob es daran lag, dass ich kaum zugehört hatte im Matheunterricht, oder ob es daran lag, dass Raphael gerade eine Freundin in seinem Zimmer hatte, weshalb es polterte (falls ihr versteht was ich meine), wusste ich nicht.

Ach ja. Raphael hat eine Freundin in seinem Zimmer. Erneut hörte ich Geräusche aus dem Nebenzimmer, welche mich übergeben lassen wollten.

Aufgegeben fuhr ich durch mein Haar und massierte meine Schläfen. Es hatte keinen Sinn mehr. Mathe machte keinen Sinn.

Ich griff nach meinem Handy und öffnete als erstes den Chat von mir und Veronica.

Hey, verstehst du Mathe? schrieb ich. Normalerweise antwortete sie sofort, weshalb es mich verwirrte, dass sie auch nach zwei Minuten nicht geantwortet hatte. Vielleicht hatte sie besseres zu tun. Vielleicht machte sie gerade mit einem Jungen herum.

Ich schnaubte bei dem Gedanken und wechselte Chat. Ich konnte es mir kaum vorstellen, dass sie so etwas tat, vorallem nicht um diese Uhrzeit. Immerhin waren ihre Eltern streng und ließen sie bei keinem bis um diese Uhrzeit bleiben, als bei mir. Aber doch hatte ich das Gefühl, dass an dem klitzekleinen Gedanken etwas wahr war.

Ich tippte auf den Chat mit der unbekannten Nummer. Keine neue Nachricht. Ich hätte nichts anderes erwartet, und doch wollte ich unbedingt wissen, weshalb diese Person mich angeschrieben hatte. Und vorallem, wer war es?

Erneut hörte ich ein Poltern. Genervt stöhnte ich auf und legte mein Handy zur Seite. Ich hatte Durst. Der Tag war schon zu anstrengend gewesen. Schnell schnappte ich mir ein leeres Glas, welches immer auf meinem Schreibtisch stand. Ich würde es unten auffüllen können.

Ich lief zu meiner Tür und öffnete sie langsam. Ich war keinen Schritt draußen, als sich die Tür von meinem Bruder mit einem Stoß öffnete. Herausgepurzelt kam er. Und ein Mädchen. Beide waren wild dabei zu knutschen.

Ich verzog angeekelt das Gesicht. Das war das letzte, was ich heute zu sehen wollte. Raphael und das Mädchen drehten sich leicht und ich konnte das Gesicht erhaschen.

Nein.

Nein, das kann nicht sein.

Verdammt nochmal, nein.

Was macht sie denn hier?

Mein Körper gefrohr und ich konnte mich keinen Schritt bewegen. Meine Augen waren starr auf das Gesicht des Mädchens gerichtet.

Es war Veronica. Es war meine beste Freundin. Ihr Gesicht war tief in das meines Bruders gequetscht und wie es aussah, hatten sie sehr viel Spaß.

Meine Hände fingen an zu zittern. Ich konnte meinen Blick immer noch nicht abwenden. Plötzlich wanderte der Blick von ihr zu meinem. Sie hörte sofort auf mit dem, was sie gerade tat.

Meine Hände ließen das Glas los und es zerbrach in Tausenden Stücken unter meinen Füßen. Ich ignorierte den Schmerz, als sich die Scherben in meine Füße bohrten. Ich spürte ihn kaum. Das einzige, was ich spürte, war das tiefe Loch in meinem Herzen.

Als sich Raphael auch umdrehte, konnte ich mich von meiner Starre lösen. Ich drehte mich hastisch um und verschwand wieder in meinem Zimmer.

»Jess warte-«, hörte ich nur die verzweifelte Stimme meiner besten Freundin, als ich die Tür hinter mir zustieß. Verzweifelt kamen mir Tränen.

Ich dachte ich könnte ihr vertrauen. Ich dachte, dass sie nur bei Matt bleiben würde. Sie ist meine beste Freundin. Wie konnte sie-

Ich stieß einen verzweifelten Laut aus und ließ mich auf den Boden senken. Weinend vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen.

»Lass sie sich abregen«, hörte ich die gedämpfte Stimme von Raphael. »Aber-«, widersprach Veronica. Ich krabbelte nur zu meinem Bett und ließ mich darauf sinken, um mein Gesicht in einem Kissen zu vergraben.

»Sie ist wütend, sie braucht ihre Zeit.« Verzweifelt schluchzte ich erneut auf. Plötzlich öffnete sich die Tür leise und langsam. Ich strich die Tränen aus meinem Gesicht und schaute auf.

In meiner Tür stand Veronica. Sie trug ein freizügiges Kleid, bei dem ihr Ausschnitt gut zu sehen war. Als sie bemerkte, dass ich auf das starrte, räusperte sie sich und zupfte es zurecht.

Langsam schloss sie die Tür hinter sich. Nun waren wir beide alleine in meinem Zimmer. Dabei wollte ich sie nicht mehr sehen. Nie wieder.

»Jess-«, fing sie an, doch ich unterbrach sie. »Geh weg.« Meine Stimme brach am Ende ab.

»Jess, es tut mir Leid. Ich wollte das nicht.« Ich schnaubte nur enttäuscht. »Klar, das ist rein zufällig passiert. Sag mal, wie lange ist das schon?« Meine Stimme wurde lauter und ich zitterte vor Wut und Enttäuschung.

»Nicht lange. Wirklich nicht. Es ist auf der Party geschehen. Ich konnte nicht anders, Jess, ich-« »Er ist mein Bruder, gottverdammt! Meine Güte, ich wusste dass du mit jedem rumvögelst, aber es ist mein Bruder! Da sollte selbst dir auffallen, dass es tabu ist!« Ich funkelte sie voller Wut an.

»Er war heiß, okay? Und er hat sich als erstes an mich rangemacht! Ich bin doch deine beste Freundin, ich würde so etwas nie tun!« Und jetzt tat sie als wäre sie unschuldig. In meinem Kopf pochte es.

»Du warst meine beste Freundin. Ich glaube, dir ist klar, dass ich nichts mehr mit dir zu tun haben will, nach der Aktion«, knurrte ich. »W-was...«, hauchte sie, doch ich sprang auf.

»RAUS! Verschwinde aus meinem Zimmer. Am besten aus dem Haus, und lass dich hier nie wieder blicken!« Nun fing sie auch an zu weinen. Mit nassen Augen starrte sie mich an und nickte leicht. Dann öffnete sie die Tür und stolperte hinaus. Dabei beachtete sie, nicht auf eine der Scherben zu treten.

Sie konnte es aber anscheinend nicht lassen, meinem Bruder einen Kuss noch zu geben. »Das gibt Konsequenzen, Jessica. Niemand spricht so mit mir«, zischte mir sie bissig zu, bevor sie nach draußen stürmte.

Ich bibberte und zitterte am gesamten Körper. Meine Beine wurden schlaff und ich sank erneut zum Boden. Die Tränen fließen und ich konnte sie nicht aufhalten. Ich hatte hiermit meine beste Freundin verloren.

»So ausrasten hättest du dann doch nicht müssen«, brummte mein Bruder vor der Tür. Ich stürzte mich mit einem Schrei auf und knallte die Tür vor seiner Nase zu.

Es war so verwirrend und die gesamte Situation war scheiße. Ich konnte nicht aufhören, als zu wimmern. Die Situation hatte mich mehr überfordert, als ich zu hoffen wagte. Draußen hörte ich nichts mehr. Es war still im Haus. Langsam spürte ich aber den Schmerz in meinen Fußsohlen. Das hatte ich komplett vergessen.

Zischend starrte ich meine Füße an. Kleine Scherben stachen in die Haut und es sah echt übel aus. Ich kroch zu meiner Tür und öffnete sie. Zum Glück war Raphael nun auch wieder in seinem Zimmer. Bedacht versuchte ich, die Scherben mit meinen Händen wegzuschieben.

Fluchend bemerkte ich, dass ich mich nun auch dort geschnitten hatte. Mein Tag wurde ja immer besser.

Ich kroch weiter zu unserem Badezimmer, wo ich aus einem Schrank einen Erste-Hilfe-Kasten holte. Durch einen Kurs wusste ich, wie man alles richtig auftrug. Also desinfizierte ich die Wunden (welche danach ziemlich brannten) und verband alles.

Erschöpft lehnte ich mich an die Badewanne. Ich musste morgen zur Schule, da meine Mutter mir bestimmt nicht frei gab. Seufzend gab ich mir einen Ruck und holperte zurück in mein Zimmer.

Jeder Schritt war wie eine Hölle. Doch mit zusammengebissenen Zähnen schaffte ich es schlussendlich an mein Bett, wo ich mich hinwarf und die Augen schloss.

bryanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt