Nachsitzen

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Am nächsten Morgen reichte ich meinen Personalbogen ein. Ich hatte Emilias Rat befolgt und aus ihrem a ein unleserliches o gemacht. Vermutlich würde sowieso jeder denken, dass ich mit einem Mann verheiratet war.

Danach freute ich mich auf eine entspannte Doppelstunde mit meinen Fünftklässlern. Wir spielten Handball, was ihnen allen gefiel und ich kaum jemand ermahnen musste.
So kam ich nach den ersten beiden Stunden relativ erholt ins Lehrerzimmer.
"Frau Yılmaz, haben Sie geglaubt, dass Sie uns so etwas Wichtiges verheimlichen können", sagte Frau Behrendt.
"Was?", stammelte ich. Mir rutschte das Herz in dir Hose. Waren Emilia und ich aufgeflogen? Mein Gehirn ratterte bereits. Ich suchte nach einer plausiblen Erklärung, warum ich es verschwiegen hatte. Die erste Schulwoche war bereits um und ich hätte meine Verbindung zu Emilia bereits am ersten Schultag melden müssen. Was ich nicht getan hatte. Warum eigentlich nicht?
"Sie haben geheiratet", sagte sie.
"Ähm ... ich kann das erklären", murmelte ich. Wie zum Teufel sollte ich aus der Nummer wieder herauskommen? Ich fühlte mich ertappt. Ich saß in der Falle.
"Alle mal herhören!", rief Frau Behrendt. Sofort schenkten ihr alle Kollegen ihre Aufmerksamkeit und mein Herz rutschte in die Hose. Wollte sie mich vor dem ganzen Kollegium bloßstellen?
"Wir müssen auf Frau Yılmaz anstoßen. Sie hat in den Ferien geheiratet", sagte Frau Behrendt. Erst da bemerkte ich, dass alle ein Glas in der Hand hielten. Wieso hatte ich das nicht schon früher bemerkt? Meine Kollegen applaudierten und beglückwünschten mich. Während mir ein Sektglas in die Hand gedrückt wurde, wäre ich am liebsten im Erdboden verschwunden.
"Wer ist denn der Glückliche?", fragte mich Frau Behrendt.
"Er heißt Emilio", antwortete ich. Das war meine erste Lüge. Schon in dem Moment wusste ich, dass es nicht die Letzte sein würde, die ich in nächster Zeit erzählen würde.
Natürlich wurde ich sofort über Emilio ausgefragt. Ich versuchte so wenig wie möglich zu antworten, denn alle Lügen musste ich mir merken, um diese Geschichte erneut erzählen zu können. Also beschränkte ich mich darauf, dass er Fitnesstrainer war und gut aussah. Offenbar reichte das meinen Kollegen als Info.

Zum ersten Mal seit den Sommerferien war ich erleichtert, als es klingelte und ich zum Unterricht gehen konnte. Mathe in der Elften.
"Frau Yılmaz, stimmt das?", fragte mich Lara, kaum dass ich die Tür aufgeschlossen hatte.
"Was denn?", fragte ich.
"Haben Sie geheiratet?", fragte sie mich. Wie konnte es sein, dass diese Information so schnell zu meinen Schülern durchgesickert war?
"Ja", murmelte ich.
"Oh wie cool! Herzlichen Glückwunsch", sagte Lara. Auch meine anderen Schüler beglückwünschten mich. Nur Emilia nicht. Sie saß gelangweilt auf ihrem Tisch und gähnte. "War ja klar, dass Sie so eine Spießerin sind", sagte sie.
"Wie war das?", fragte ich.
"Eine Ehe ist nur was für Spießer und für Leute mit wenig Vertrauen. Wer braucht denn schon bitte ein Papier, wo drauf steht, dass man nie wieder mit jemand anderem Sex haben darf?", sagte sie. Dabei überschlug sie ihre Beine.
"Du würdest natürlich niemals heiraten?", fragte ich. Ich hatte alle Mühe mir das Grinsen zu verkneifen.
"Nicht bei klarem Verstand", sagte sie.
Dass ich bei dieser Eheschließung nicht bei klarem Verstand gewesen bin, verkniff ich mir.
"Also, ich will auf jeden Fall heiraten", sagte Lara.
Einige andere Mädchen flichteten ihr bei. Die Jungs hatten sich aus diesem Gespräch bereits völlig zurückgezogen.
"Dann können wir ja jetzt mit dem Unterricht anfangen", sagte ich.
Meine Schüler setzten sich auf ihre Plätze und verstummten. Emilia hingegen saß noch immer immer auf dem Tisch und daddelte auf ihrem Handy.
"Emilia, der Unterricht hat begonnen", sagte ich.
"Und?", fragte sie mich ohne den Blick von ihrem Handy zu heben.
"Setz dich auf deinen Stuhl und pack dein Handy weg", sagte ich.
"Und was wenn nicht?", fragte sie. Diesmal schaute sie von ihrem Handy auf. Als sie mich ansah, hob sie provozierend ihre Augenbraue.
"Du hast genau zwei Möglichkeiten: entweder du hörst jetzt auf meinen Unterricht zu stören oder du kannst die neunte Stunde beim Nachsitzen verbringen", sagte ich.
Emilia stöhnte theatralisch und schwang sich dann lässig von ihrem Tisch auf den Stuhl. Ich musste zugeben, dass sie dabei wirklich cool wirkte.
Zu meinem Glück verstummte sie dann erst einmal. Einige Minuten konnte ich meinen Schülern nun die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung näher bringen, bis Emilia sich entschied, dass sie mein Unterricht zu sehr langweilte. Sie holte ihr Handy aus der Tasche und begann darauf herumzutippen.
Ich debattierte innerlich, ob ich sie darauf ansprechen sollte oder nicht. Wenn ich etwas sagte, würde das nur eine weitere Unterrichtsstörung nach sich ziehen und wenn ich es einfach ignorierte, würden in zwei Minuten zwanzig weitere Schüler mit ihrem Handy unterm Tisch verbringen.
"Emilia, der Unterricht findet hier vorne statt nicht unterm Tisch", sagte ich.
Doch sie hörte mich nicht oder es interessierte sie gar nicht. Stattdessen lächelte sie über irgendeine Nachricht.
Wütend stellte ich mich vor ihren Tisch. Sie nahm noch immer keine Notiz von mir.
"Emilia!", rief ich laut.
Erschrocken fuhr sie zusammen.
"Handy her!", sagte ich und streckte ihr meine Hand entgegen.
"Nö", sagte sie.
"Wie bitte?", fragte ich. Ich hatte noch nie erlebt, dass mir jemand widersprach, wenn ich eine Strafe androhte.
"Ich denke gar nicht dran Ihnen mein Handy zu geben", sagte sie.
"Deine Entscheidung. Entweder du gibst es mir jetzt oder ich geb dir eine 6. Körperliche Anwesenheit reicht hier nicht", sagte ich. In dem Moment konnte ich mich selber nicht ausstehen. Ich war zwar keine besonders coole oder lustige Lehrerin, aber ich hatte meinen Schülern auch nich nie mit schlechten Noten gedroht.
Zu meiner Überraschung legte sie es tatsächlich in meine Handfläche.
"Du kannst es dir beim Nachsitzen abholen", sagte ich.
"Sie sind eine Schreckschraube", sagte Emilia.
"Wenn du nicht langsam ein anderes Benehmen an den Tag legst, werde ich dein schlimmster Albtraum", sagte ich.
Dann fuhr ich mit dem Unterricht fort.

Pünktlich zur neunten Stunde ging ich zu meinem Klassenraum. Ich war überrascht, dass Emilia lässig an der Wand lehnte. Ich hatte damit gerechnet, dass sie gar nicht erst auftauchte. Aber ihr Handy war ihr wohl wichtiger.
Ich schloss schweigend den Klassenraum auf. Emilia setzte sich zu meiner großen Verwunderung in die erste Reihe.
"Tut mir Leid wegen heute Morgen", sagte sie.
"Du bist mir keine Erklärung schuldig", sagte ich.
"Ich will aber", sagte sie.
"Ich hab nichts von dem so gemeint und es ist mir ziemlich schwer gefallen gerade bei dir wie ein Arsch zu sein", sagte sie.
Ich zog die Augenbraue hoch. Das war alles nur Show gewesen?
"Es war eine gute Show", sagte ich.
Emilia nickte. "Die Anderen haben es mir voll abgekauft", sagte sie.
Dann schwiegen wir.
"Was machen wir die ganze Stunde?", fragte mich Emilia.
"Ich korrigiere und du machst diese Blätter hier", sagte ich. Ich reichte ihr vier Seiten mit Matheaufgaben. Emilia stöhnte und ich setzte mich ans Pult, um die Hausaufgaben der Fünftklässler zu korrigieren.
Doch lange konnte ich mich nicht konzentrieren. Ich schaute von dem Heft, das vor mir lag auf, und schaute stattdessen zu Emilia. Auch wenn das heute im Unterricht bloß Show gewesen war, würde ich dieses Verhalten in meinem Unterricht noch öfter zu spüren bekommen. Ich musste dringend einen Weg finden damit umzugehen. Ich konnte ihr nicht jedes Mal mit einer 6 drohen. Nur im Moment wusste ich nicht, was ich sonst tun sollte. Jemand wie sie hatte ich bisher noch nie unterrichtet. Irgendwie machte sie auf mich nicht den Eindruck als hätte sie besonders viel zu verlieren. Ich runzelte die Stirn und musterte sie von unten nach oben. Plötzlich sah ich ein Tattoo an ihrem Arm hervorluken. Ob es eine besondere Bedeutung hatte?
"Wie lange willst du mich noch anstarren?", fragte mich Emilia ohne ihren Kopf zu heben.
"Was?", fragte ich. Mein Starren war wohl zu offensichtlich gewesen.
"Es gibt nichts, was du noch nicht gesehen hast", sagte sie und spielte damit auf unsere Hochzeitsnacht an.
"Emilia!", sagte ich empört.
"Was denn?", fragte sie und bedachte mich dabei mit einem möglichst unschuldigen Blick.
"Wir können das gerne wiederholen", sagte sie und zwinkerte mir zu.
"Emilia! Ich bin immer noch deine Lehrerin!", sagte ich.
"Du bist auch meine Frau. Willst du deine ehelichen Verplichtungen etwa vernachlässigen? Du stehst doch sonst so auf Verpflichtungen", fragte mich Emila.
"Äh...", stammelte ich. Ich war unfähig irgendetwas dazu zu sagen.
Plötzlich begann Emilia lauthals zu lachen.
"Hat dir schonmal jemand gesagt, dass du der Teufel bist?", fragte ich.
Emilia grinste. "Ständig", sagte sie.
Ich sah sie an. Plötzlich trafen meine Augen auf ihre. Erst jetzt viel mir auf, dass sie wunderschöne Augen hatte. Ein grünes Auge und ein blaues.

What happens in Vegas, stays in VegasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt