Zurück zu Hause

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Bis zu meinem Abflug hatte ich Emilia tatsächlich nicht wiedergesehen. Was in der einen Nacht passiert war, konnte ich noch immer nicht begreifen. Ich stand nicht auf Frauen. Ich war hetero. Schon immer.
Dann hatte ich auch noch geheiratet. So etwas passierte mir nicht. Das passierte anderen. Aber nicht mir. Ich war immer vernünftig. Ich befolgte immer die Regeln. Ich ließ mich nicht volllaufen und trat dann vor den Traualtar. Eigentlich.
Am liebsten würde ich das einfach vergessen und so tun, als wäre es gar nicht passiert. Nur leider befand sich in meiner Handtasche der Beweis dafür, dass das tatsächlich passiert war. Die Heiratsurkunde. Was für ein Mist. Das konnte ich niemandem erzählen und das würde ich auch nicht. Ich würde einfach so tun, als wäre das nicht passiert. Ich würde einfach schweigend das Jahr abwarten und dann diese blöde Scheidung ausfüllen. Ich konnte einfach so tun, als wäre nichts passiert.

Jetzt aber musste ich erstmal nach Hause. Da ich heute noch nichts gegessen hatte, kaufte ich mir eine Laugenstange und setzte mich anschließend ans Gate, um auf das Boarding zu warten.
Ich holte mein Handy aus meiner Hosentasche und wählte die Nummer meiner Schwester.
"Hi, Leyla", begrüßte mich Louisa.
"Hi", sagte ich bloß, da ich keine Ahnung hatte, wo ich anfangen sollte.
"Wo bist du? Bei dir ist es so laut", fragte sie mich.
"Ich bin in Las Vegas, am Flughafen", antwortete ich.
"Was?", kreischte Louisa.
"War ein spontaner Einfall. Ich erzähl dir das alles, wenn ich wieder zu Hause bin. Kannst du mich abholen?", fragte ich sie.
"Natürlich", sagte Louisa.

Erleichtert verließ ich in Deutschland wieder das Flugzeug. Am liebsten würde ich meinen Trip in die Staaten einfach vergessen.
Ich freute mich, als ich kurz darauf Louisas Gesicht entdeckte. Ich begrüßte sie mit einer Umarmung.
"Hast du kein Gepäck?", fragte sie mich.
"Der Trip nach Las Vegas war eher ein spontaner Einfall", sagte ich.
"Spontan? Du?", fragte sie mich verblüfft. Spontanität war nucht unbedingt etwas, was man mit mir in Verbindung brachte.
"Ich erzähl es dir unterwegs", sagte ich.
"Der Flug nach Las Vegas war eine Kurzschlusshandlung. Jake hat mich betrogen. Dann bin ich einfach in den nächsten Flieger gestiegen", erzählte ich ihr.
"Er ist ein Arschloch", sagte Louisa.
"Ich weiß, du hast es mir gleich gesagt", sagte ich. Louisa hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie Jake nicht ausstehen konnte.
"Ich will nur, dass du-" Mitten im Satz brach Louisa plötzlich ab. Sie nahm meine Hand und hielt sie sich vors Gesicht. "Was hast du da?", fragte sie.
"Nichts", antwortete ich und entwand ihr meine Hand, um sie dann hinter meinem Rücken zu verstecken. Doch Louisa zog sie einfach wieder hervor. "Ist das ein Ehering?", fragte sie.
"Nein. Das ist bloß ein ganz normaler Ring. Er hat mir bloß an den anderen Fingern nicht gepasst", log ich. Es war ein letzter lahmer Versuch die Wahrheit vor ihr zu verheimlichen.
Louisa aber zog mir bereits den Ring vom Finger.
"Wer ist Emilia Yılmaz?", fragte sie. Bis dahin hatte ich selber nicht gewusst, dass der Ring eine Gravur hatte.
"Meine Ehefrau", murmelte ich leise, denn ich wusste, dass ich ihr die Wahrheit inzwischen nicht mehr verheimlichen konnte.
"Deine was?", fragte sie. Sie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Statt ihr zu antworten stieg ich in ihr Auto und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen.
Louisa setzte sich hinters Steuer. Doch statt den Motor zu starten, schaute sie mich prüfend an. "Das musst du mir erklären", sagte sie.
Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und stieß einen tiefen Seufzer aus. "Ich hab richtig Scheiße gebaut", sagte ich.
Louisa nahm mir die Hände vom Gesicht. "Du kannst mir alles sagen", sagte sie.
Ich stöhnte. "Ich hab Emilia auf dem Flug nach Vegas kennengelernt. Wir haben uns gut verstanden und sind dann abends zusammen feiern gegangen. Wir haben zu viel getrunken. Ich hab einen totalen Filmriss. Das ist mir noch nie passiert", sagte ich.
"Aber Leyla, das ist doch kein Weltuntergang. Was glaubst du, wie oft ich schon einen Filmriss hatte?", sagte Louisa.
"Hast du auch sturzbesoffen in Vegas geheiratet?", fragte ich.
"Du verascht mich doch. Du hast doch nicht geheiratet", sagte Louisa.
Ich öffnete meine Tasche und holte meine Heiratsurkunde heraus. Ich reichte sie Louisa.
"Das ist doch nicht gültig, oder?", fragte sie.
"Doch", sagte ich. "Leider", schob ich hinterher.
"Du bist wirklich verheiratet?", fragte Louisa ungläubig.
Ich nickte.
"Und wer ist diese Emilia?", fragte Louisa.
Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass sie 18 ist", sagte ich.
"18? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass du eine midlife crisis hast", sagte Louisa.
"Wie konnte mir das nur passieren?", fragte ich.
"Was hast du jetzt vor?", fragte Louisa.
"Warten bis das Jahr um ist und mich scheiden lassen", sagte ich.
Ich spürte Louisas eindringlichen Blick auf mir. Sie sagte jedoch nichts.
"Das darf niemand erfahren", sagte ich.
"Von mir erfährt es niemand", sagte sie.
"Danke", sagte ich.
Dann endlich startete Louisa den Motor. "Kann ich bei dir schlafen? Ich hab keine Lust mich heute Abend noch mit Jake auseinander zu setzen", sagte ich.
"Natürlich", sagte sie.

What happens in Vegas, stays in VegasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt