Abschluss

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"Schatz, bist du fertig?", rief Emilia. Als ich aus dem Schlafzimmer trat, sah ich, wie Emilia der Kiefer nach unten klappte. Aber auch ich staunte nicht schlecht. Sie sah wunderschön aus. Ich konnte nicht umher als breit zu grinsen. "Du bist so wunderschön", flüsterte ich.
Unwillkürlich fuhr ich mir mit der Zunge über die Lippen.
"Später", flüsterte Emilia mir ins Ohr.
Wir verschränkten unsere Hände miteinander und machten uns auf den Weg.
Auf dem Weg nach draußen überfiel mich eine Erinnerung. Ich kam an einem Donnerstagnachmittag mit Lia vom Kinderarzt nach Hause. In unserer Wohnung hatte Emilia alles für ein candle light dinner vorbereitet. Ich wusste noch, wie überrumpelt ich gewesen war. Wären wir nicht schon verheiratet gewesen, hätte ich angenommen, dass sie mir einen Antrag machen wollte. Sie war tatsächlich vor mir auf die Knie gegangen. Doch statt mich zu fragen, ob ich sie heirate, hatte sie mich gefragt, ob ich sie zu ihrem Abschluss begleite.
Und genau dahin waren wir jetzt auf dem Weg. Wir fuhren eine ganze Weile mit dem Auto. Ich hatte mir damals absichtlich eine Wohnung gesucht, die nicht gerade nahe an der Schule war, damit ich in meiner Freizeit nicht ständig meinen Schülern über den Weg lief.
Ich drehte meinen Kopf zu Emilia und musterte sie. Auch sie sah mich an. Aber Keine von uns sagte ein Wort. Obwohl ich mich auf den Abschluss freute, war die Situation angespannt. Niemand wusste von uns. Heute würden es alle erfahren. Ich hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren würden. Wie würde Frau Behrendt oder meine Kollegen reagieren? Wie würden meine Schüler reagieren? Am meisten beunruhigte mich die Reaktion der Eltern. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es keinen riesigen Aufruhr nach sich zog. Wahrscheinlich würden sie denken, dass ich Emilia bevorzugt hatte.
Ich überlegte, ob sie uns glauben würden, dass zwischen Emilia und mir erst etwas lief, nachdem ich nicht mehr ihre Lehrerin war.  Ein Blick in unsere Heiratsurkunde würde uns entlarven. Aber wir würden sie bestimmt nicht freiwillig aushändigen.
Plötzlich spürte ich Emilias Hand auf meinem Knie. Sie drückte es leicht. „Mach dir nicht so viele Sorgen", sagte sie.
„Du hast gut Reden. Du kehrst dieser Schule in ein paar Stunden für immer den Rücken. Aber ich muss bis zu meiner Rente bleiben", sagte ich seufzend.
„Willst du lieber weggehen?", fragte sie mich.
„Die Option hab ich gar nicht", sagte ich.
Plötzlich fiel mir auf, dass wir gar nicht darüber gesprochen hatten, wie es jetzt mit uns weiter ging. Emilia stand die ganze Welt offen und ich war an diese Stadt gebunden.
„Was hast du jetzt vor?", fragte ich.
„Dich glücklich machen", sagte sie.
Ich lächelte. „Das machst du schon", flüsterte ich und gab ihr ein Küsschen auf die Wange.
Dann bog Emilia auf den Schulparkplatz ab. Der war schon mächtig gefüllt. „Das wird wohl nichts", murmelte ich.
Emilia musste dreimal durch die Reihen fahren, bis sie endlich einen Parkplatz fand. Direkt neben Caros Auto.
„Ich hab euch einen Parkplatz freigehalten", sagte sie.
„Danke", murmelte ich. Vorsichtig sah ich mich um. Bisher war noch niemand auf uns aufmerksam geworden.
„Wie geht es euch?", fragte Caro.
„Nervös", antwortete ich.
Emilia nickte.
„Ich bin auf eurer Seite", sagte Caro.
Ich nickte. Dann schnallte ich Lia ab und hob sie aus ihrem Kindersitz, während Emilia den Kinderwagen aus dem Kofferraum holte und zusammenbaute.
Ich hatte gerade Lia in den Kinderwagen gelegt, da umringten mich auch schon einige Schülerinnen.
„Frau Yılmaz, es ist echt cool, dass Sie gekommen sind. Und mit ihrem Baby! Wie heißt es denn?", fragte mich Lisa.
„Das ist Lia", sagte ich.
Meine Schülerinnen steckten abwechselnd ihre Köpfe in den Kinderwagen, um Lia zu begutachten. Emilia und ich standen daneben und und warfen uns einen amüsierten Blick zu. Mit einem Mal hob Lisa ihren Blick vom Kinderwagen und ihr Blick fiel auf Emilias meine meine Hand, die miteinander verschränkt waren. Ich hielt die Luft an, während sekundenlang nichts passierte und Lisa unsere Hände anstarrte. Sie runzelte die Stirn und sah von mir zu Emilia und wieder zurück. Noch immer sagte sie nichts. Auch Emilia und ich sagten kein Wort. Wir hatten nicht das Bedürfnis die Situation zu erklären.
Lisa schaute wieder auf unser Hände. Und wieder runzelte sie die Stirn. Sie schien zu überlegen, warum ihre Lehrerin mit ihrer Mitschülerin Händchen hielt. Die offensichlichste Lösung war offenbar zu absurd, als dass sie sie begreifen könnte.
Schließlich räusperte sie sich. „Ähm...", stotterte sie. Ich sah, wie sie mit sich kämpfte. Sie wollte uns nicht fragen, aber sie war auch zu neugierig um es nicht zu tun.
„Warum? ... Seid ihr ....?" Sie brach ab. Offenbar konnte sie keine zusammenhängende Frage formulieren. Emilia erlöste sie im nächsten Moment.
„Wir lieben uns", sagte sie. Sofort war es um uns herum still. Keiner sagte mehr ein Wort. Stattdessen starrten sie uns alle an.
„Wir sollten in die Aula gehen", sagte ich zu Emilia. Ich ignorierte die irritierten und fragenden Blicke. Ich wollte auch keine einzige Frage beantworten.
Emilia drehte geschickt den Kinderwagen und dann liefen wir gemeinsam auf die Aula zu.
In der Hoffung nicht allzu viel Beachtung zu erhalten, suchten wir uns einen Platz in der letzten Reihe. Nur leider ging unser Plan nicht auf. Alle starrten uns an.
„Montagmorgen möchte ich Sie in meinem Büro sehen", sagte Frau Behrendt, die urplötzlich neben uns stand. Mehr als ein zaghaftes Nicken brachte ich nicht zustande. Mir stieg jetzt schon die Panik in die Knochen. Meine Beziehung vor ihr rechtfertigen zu müssen, würde sicherlich furchtbar unangenehm werden.
„Ich komm mit", flüsterte Emilia mir zu, als Frau Behrendt außer Hörweite war. Erleichtert lächelte ich sie an.
Wenig später trat Frau Bahrendt ans Mikrophon, um die Zeugnisse zu verteilen.
„Dauert das lange", stöhnte ich. Einer nach dem anderen stand auf un ging nach vorne, um das Zeugnis entgegen zu nehmen. Emilia aber saß noch immer neben mir.
„Wer ist denn schuld, dass mein Nachname mit Y beginnt?", fragte sie.
Ich grinste.
Dann endlich war es so weit. „Emilia Yılmaz"
Emilia stand auf und ging nach vorne auf die Bühne, um hier Zeugnis von Frau Behrendt entgegen zu nehmen. Als sie zurück war, nahm ich ihr das Zeugnis sofort aus der Hand. Ich musste mich selber davon überzeugen, dass sie bestanden hatte. Als ich Frau Behrendts Unterschrift sah, schloss ich meine Augen und atmete erleichtert aus.
„Endlich ist es vorbei", sagte ich. Ohne großartig darüber nachzudenken, verband ich meine Lippen mit Emilias.
„Das ist abartig!"
Erschrocken löste ich mich von Emilia. Dann sah ich in das Gesicht meiner Kollegin. Genau die Kollegin, die Emilia schon einmal wegen ihrer Sexualität schlechter bewertet hatte. Verdattert sah ich sie an. Ich konnte nicht verstehen, wie man heutzutage noch so intolerant sein konnte.
„Ich hätte auch was mit einer Lehrerin anfangen sollen. Dann hätte ich bestimmt auch bessere Noten bekommen", sagte Cenk.
„Ich hab Emilia nie bevorzugt", sagte ich.
„Während sie meine Lehrerin war, lief nichts zwischen uns", sagte Emilia.
„Sag lieber nichts mehr", flüsterte mir Emilia ins Ohr. So impulsiv wie sie manchmal war, so besonnen war sie gerade. Sie hatte recht. Wir mussten aufpassen, was wir sagten.
„Lass uns gehen. Ich hab mein Zeugnis", sagte Emilia.
Ich nickte sofort. Ich hatte nicht das Bedürfnis noch eine Sekunde länger in dieser Schule bleiben zu wollen.
Emilia nahm meine Hand und steuerte den Ausgang an. Dann blieb sie nochmal an. „Tschüss, ihr Luschen!", schrie Emilia. Kichernd verließ ich mit ihr die Schule. Erst als mir die firsche Luft entgegen schlug, merkte ich, wie angespannt ich die ganze Zeit gewesen war.
„Lass uns von hier verschwinden", sagte ich.
Emilia blieb sofort stehen. Sie verstand mich sofort. Ich wollte hier weg. Ich wollte nicht jeden Tag diesen Kampf führen. Ich wollte einen Neuanfang.
„Bin dabei", sagte sie.
„Und ich weiß schon, wo wir hingehen", sagte ich.
Emilia küsste mich zärtlich. „Da, wo wir schon einmal glücklich waren", flüsterte sie in mein Ohr.
Und diesmal war ich zuversichtlich, dass wir nun wirklich glücklich werden würden.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 22, 2024 ⏰

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