Dieses Projekt lag mir am Herzen und obwohl ich meine Direktorin lange bearbeiten musste und kaum einer meiner Kollegen mein Vorhaben unterstützte, war es mir doch gelungen mich durchzusetzen.
Ich stand auf dem Schulhof. Ich wollte unbedingt Emilias Reaktion sehen, wenn sie ankam. Wie immer war sie ziemlich spät dran. Sie stieg aus ihrem coolem schwarzem Cabrio und schlenderte dann wie jeden Morgen schlecht gelaunt über den Schulhof. Kurz bevor sie die Eingangstür erreichte, blieb sie stehen. Erst schaute sie auf die bunte Fahne und sah sich dann verwirrt um.
Ein anderes Mädchen blieb neben Emilia stehen. "Hübsche Fahne. Die ist so bunt. Zu welchem Land gehört sie?", fragte sie. Emilia verdrehte nur genervt die Augen und ich grinste vor mich hin. Dann entdeckte mich Emilia und kam zu mir herüber.
"Das warst du, oder?", fragte sie.
"Schuldig", sagte ich und grinste zufrieden. Ich war schon ziemlich stolz auf meine Idee.
"Danke. Auch für neulich", sagte Emilia.
"Klar", sagte ich.
"Jetzt entschuldige mich. Ich muss nochmal aufs Klo, bevor ich mir gleich vor Augregung in die Hose mache", sagte ich.
"Was kommt denn noch?", fragte Emilia.
"Lass dich überraschen", sagte ich und ließ sie grinsend stehen.Als ich um dieses Projekt gekämpft hatte, hatte ich nicht bedacht, dass ich nun vor der ganzen Schule stehen musste und durch diesen Projekttag führen musste. Ich war so aufgeregt, dass ich am liebsten von der Bühne gelaufen wäre. Jetzt aber stand ich hier ohne jegliche Unterstützung.
Mit langsamen Schritten ging ich zum Mikrophon. Auf diese Weise konnte ich noch etwas Zeit schinden und nochmal im Kopf durchgehen, was ich gleich sagen wollte.
"Ich begrüße euch heute zu unserem Projekttag zum Thema Akzeptanz", begann ich. So musste ich den Projekttag offiziell nennen, obwohl es dem Thema kaum gerecht wurde.
"Wie ihr bestimmt gesehen habt, hängen draußen bereits die Fahnen der LGBTQ Community. Heute beschäftigen wir uns mit dem Thema Liebe, die nicht nur zwischen Mann und Frau stattfinden kann", sagte ich. Ich war mit meinem Einstieg überhaupt nicht einverstanden. Eigentlich wollte ich cool und lustig sein, aber das gelang mir bisher nicht.
Ich blickte in einige fragende in andere gelangweilte Gesichter. Wenn mir nicht schnell was einfiel, würde das der reinste Reinfall werden. Das wollte ich auf jeden Fall verhindern. Ich hatte für diese Chance gekämpft und ich wollte an dieser Schule was verändern. Ich durfte jetzt nicht scheitern.
Dann fing ich Emilias Blick auf. Unmerklich drehte sie an ihrem Ehering, den sie, obwohl wir es anders vereinbart hatten, jeden Tag trug. Ich warf einen Blick auf meinen eigenen Ehering. Auch ich trug ihn ständig.
Dann zog ich ihn vom Finger und hielt ihn gut sichtbar in die Höhe.
"Ich bin verheiratet. Auf diese Neuigkeit haben alle positiv reagiert. Ich wurde beglückwünscht. Ich habe Blumen bekommen", sagte ich.
"Wer glaubt, die Reaktionen wären anders ausgefallen, wenn ich eine Frau geheiratet hätte, der steht jetzt bitte auf", sagte ich.
Erst tat sich gar nichts. Dann stand Emilia auf. Dann eine meiner Kolleginnen. Bis schließlich mehr oder weniger alle Schüler und Lehrer standen.
"Schaut euch mal um. Beinahe jeder von uns denkt, dass es einen Unterschied macht, ob ich eine Frau oder einen Mann geheiratet habe", sagte ich.
"Ihr könnt euch wieder setzen", sagte ich.
Ich wartete, bis das Stühlerücken verstummt war.
"Ich glaube, dass ich nicht so freundlich beglückwünscht worden wäre, wenn ich eine Frau an meiner Seite hätte. Das hätte viele Fragen aufgeworfen. Viele hätten das nicht verstanden. Einige hätten sich über mich lustig gemacht. Einige hätten mich sogar beleidigt. Es kann nicht sein, dass das Geschlecht unseres Partners darüber entscheidet, ob wir beglückwünscht oder angefeindet werden", sagte ich.
Es war totenstill in der Aula. Ich hatte einen Punkt getroffen. Ich sah, dass ich gerade einige meiner Kollegen zum Nachdenken angeregt hatte. Bei meinen Schülern war deutlich mehr nötig.
"Ist hier irgendjemand in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung und würde kurz zu mir auf die Bühne kommen?", fragte ich.
Ich sah, wie sich Emilia gerade erheben wollte. Kaum merklich schüttelte ich den Kopf und sie setzte sich wieder. Ich hatte gerade schon mit dem Feuer gespielt. Wir mussten die Leute nicht auch noch auf unsere Ehe stoßen.
Also musste ich eine ganze Weile warten, bis schließlich ein Junge aufstand und zu mir kam. Leises Gemurmel ging durch die Aula. Schon allein das machte mich wütend. Aber ich wusste auch, dass ich die Köpfe nicht über Nacht ändern würde.
"Und jetzt brauche ich noch jemand, der in einer hetero Beziehung ist", sagte ich.
Cenk aus meinem Sportkurs war der Erste, der auf der Bühne war. Er liebte es Aufmerksamkeit zu bekommen.
"Wir spielen jetzt ein Spiel", sagte ich. Ich gab den beiden einen Tischtennisschläger. Auf der einen Seite stand ja und auf der anderen Seite nein. "Ich stelle euch nun Fragen und ihr haltet die entsprechende Seite hoch", erklärte ich den beiden.
Dann stellte ich meine erste Frage.
"Hat eure Familie die Nachricht über eure Beziehung gut aufgenommen?"
Cenk hielt die Ja-Seite hoch und der andere Junge die Nein-Seite. Ich ließ das fürs erste unkommentiert.
"Musstest du dich outen?"
Cenk hielt die Nein-Seite hoch und der andere Junge die Ja-Seite.
Auch dazu sagte ich nichts.
"Hältst du mit deinem Partner oder deiner Partnerin in der Öffentlichkeit Händchen?"
Der Junge, dessen Namen ich nicht kannte, hielt die Nein-Seite hoch.
"Warum nicht?", fragte ich ihn und gab ihm das Mikrophon.
"Na ja, wir haben keine Lust auf Streit und wenn wir in der Öffentlichkeit Händchen halten würden, kommen blöde Kommentare oder wir werden angemacht. Darauf haben wir keine Lust. Eigentlich wollen wir nur unsere Ruhe", sagte er.
Während die beiden sich wieder setzten, stellte ich mich wieder hinters Mikrophon.
"Anscheinend macht es einen großen Unterschied, ob wir in einer gleichgeschlechtlichen oder in einer hetero Beziehung sind. Und so ist das auch hier an der Schule. Dabei sollte es völlig egal sein, welches Geschlecht unser Partner oder unsere Partnerin hat. Wir verlieben uns in eine Person und wir sollten die Liebe feiern. Stattdessen behandeln wir Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen anders. Wir diskriminieren sie. Wir grenzen sie aus. Wir geben ihnen weniger Chancen. Das ist zwar nicht immer so, aber trotzdem passiert es noch zu oft und ich möchte, dass sich das an dieser Schule ändert", sagte ich.
Ich hatte eine Schauspielerin eingeladen, die davon erzählte, wie sie sich als lesbisch geoutet hatte und dass sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung weniger Jobs bekam als ihre hetero Freunde.Rasend schnell ging der Tag vorbei. Als ich gerade aus dem Lehrerzimmer kam, um nach Hause zu fahren, stand Emilia davor.
"Heute gibt es kein Nachsitzen", scherzte ich.
Emilias Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln.
"Das war cool heute", sagte sie.
"Ich hoffe, es bringt auch was", sagte ich.
"Hat es schon. Meine Englischlehrerin hat sich bei mir entschuldigt", erzählte Emilia.
"Wirklich? Das ist großartig", sagte ich.
"Und du? Immer noch hetero?", fragte sie mich. Anders als sonst grinste sie diesmal nicht.
"Bi", antwortete ich.
"Ich bilde mir jetzt was darauf ein, dass ich deine erste Frau war", sagte sie.
"Du bist ein Spinner", sagte ich.
Emilia grinste.
"Und wann outest du dich?", fragte sie mich.
"Wenn du dein Abi hast. Also komm nicht auf die Idee eine Ehrenrunde zu drehen", sagte ich.
"Ich fühle mich geschmeichelt", sagte sie und stupste mich an.
"Bild dir nichts darauf ein. Ich bin immer noch deine Lehrerin und zwischen uns wird nichts passieren", sagte ich.
"Schade. Du küsst ziemlich gut", sagte sie.
"Emilia!", protestierte ich. Gleichzeitig merkte ich, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Zum Glück waren wir inzwischen auf dem Parkplatz angekommen.
"Bis Morgen", sagte ich und stieg in mein Auto.
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What happens in Vegas, stays in Vegas
RomanceLeyla reist nach Las Vegas und verbringt dort eine verhängnisvolle Nacht mit der jungen Emilia. Am nächsten Morgen beschließen die beiden getrennte Wege zu gehen und nie wieder ein Wort über die Geschehnisse der letzten Nacht zu verlieren. Was aber...