Später Rat

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Als die Tore unseres Anwesens endlich in Sichtweite waren, herrschte die Finsternis schon über dem Himmel. Zugegeben- die letzte halbe Stunde alleine über Wälder und Felder zu reiten war mir nicht ganz geheuer gewesen, nicht nach den grausamen Opfer-Bildern, die Luke mir gezeigt hatte. Ich hatte sowieso Glück, dass Kaikos den Weg von alleine zurückfand, auf mich selbst gestellt, hätte ich den Heimweg wohl in mehreren Tagen nicht gefunden.

Meine vorherige Sprachlosigkeit war Wut gewichen, wie konnte Luke nur so über mich denken? Natürlich fand ich es mehr als gut, dass mein Mann den Jungen unterstützen wollte - doch auf so eine Art und Weise war einfach nicht richtig. Das musste er doch selber erkennen.

Ich ritt die letzten Meter durch unsere pinke Allee, deren fallende Blätter in der Dunkelheit wie schwarze Flocken auf mich herabregneten. Bald wären die Kirschblüten kahl, es würde wohl kaum mehr eine Woche dauern.

„Matthes!", rief ich vor unserem Haus angekommen. Als hätte er nur darauf gewartet, öffnete unser Butler zügig die Tür und kam mir entgegen: „Hallo Madame Turner! Wie war ihr Besuch der Stadt?" Mir kam augenblicklich der Streit in den Sinn, doch ich schob ihn gedanklich zur Seite: „Oh! Es war wunderschön Matthes. London ist so voller Leben. Wir haben Kuchen gegessen, waren spazieren, haben Tee getrunken... Es war ein toller Tag!" Der drahtige Mann half mir bei meinem Abstieg von dem Pferd, schaute hinter mich und runzelte die Stirn: „Und wo ist Mr. Turner, Madame?"

Unbehaglich zog ich meine Schultern zusammen: „Ich muss wohl schneller als mein Mann geritten sein." Mit diesen Worten übergab ich Matthes Kaikos, wandte mich von dem Angestellten ab und betrat stumm unser Foyer. Ich zog geschwind meine Schuhe aus und tapste über den kalten Fließenboden zu den breiten Sesseln, um mich dort unter einer Decke einzukuscheln.

Etwa zehn Minuten später, tauchte auch der Butler im Türrahmen auf. Bewaffnet mit Tee und kleinen Keksen kam er zu mir hinüber. Er reichte sie mir und ich nahm sie dankend an. Ein heißer Tee war gerade genau das Richtige. Matthes wollte schon wieder den Raum verlassen, als ich ihn bat zu bleiben: „Sagen Sie, sind Sie verheiratet?" Ein Lächeln umspielte seine Lippen: „Natürlich, ich habe eine liebevolle Frau und zwei Kinder." Sein glücklicher Gesichtsausdruck schien ehrlich zu sein: „Darf ich Sie etwas persönliches fragen, Matthes?" Er nickte zustimmend. „Streiten Sie so oft wie Luke und ich es tun? Ist das normal in einer Ehe?", in dieser Hinsicht konnte ich offen und ehrlich zu ihm sein. Auch wenn Matthes zu höflich war um zu zeigen, dass er unsere Krisen bemerkte, so hörte er doch unsere lauten Stimmen, sah meine verweinten Augen und die Kratzer und Hämatome, die sich nach unserem heftigstem Streit auf unserer Haut ausgebreitet hatten.

Matthes räusperte sich unbehaglich, beinahe ertappt, und schien die richtigen Worte zu suchen: „Wissen Sie Madame Turner, zu Beginn hatten meine Frau und ich bestimmt hin und wieder Streite, doch wir waren Ihnen beiden schon einen großen Schritt voraus." Interessiert horchte ich auf. „Ich kenne meine Frau seit wir Kinder waren, sie lebte in der Nachbarschaft, nur fünf Häuser weiter. Wir spielten zusammen, besuchten gemeinsam die niedrigen Klassen und auch die Jugend verbrachten wir zumindest hin und wieder gemeinsam. Schon lange bevor ich Mary heiratete, das ist der Name meine Frau, kannte ich sie wie einen nahen Bekannten und war mir bewusst über all ihre Ecken und Kanten, sowie den Dingen, die ich am meisten an ihr schätze. Ich habe mich bewusst für sie entschieden, für jede kleinste Charakter-Art ihrerseits. Doch Sie und Herr Turner-", er pausierte kurz, suchte abermals nach der richtigen Wortwahl: „... in ihrem Stand ist das nicht die Norm. Haben Sie und Herr Turner sich denn überhaupt vor Ihrer Hochzeit kennengelernt?" Ich schüttelte leicht den Kopf.

„Sehen Sie? Sie lernen Lukas Turner eben gerade in nur wenigen Wochen, auf engstem Raum so kennen, wie ich mit meiner Frau über Jahre hinweg Bekanntschaft machten konnte. Sie können mir glauben, dass ich Mary mit acht Jahren für ihre Sturheit auf den Mond hätte schießen können, doch damals ging ich ihr schlichtweg aus dem Weg, entschied mich irgendwann dafür, dass Sturheit doch ein guter Kompromiss zu ihrer Herzlichkeit, Sanftheit und Zuverlässigkeit war. Verstehen Sie was ich damit sagen will?" Ich nickte.

„Sie sehen vermutlich gerade nur all die Auseinandersetzungen, doch lassen Sie mich als außenstehende Person meine Sicht erklären: Ich erkenne auf beiden Seiten ein großes Temperament. Dieses führt unbestreitbar zügig zu Konflikten. Doch ich bemerke ebenfalls wie schnell sich Ihre Zuneigung zu dem jeweils anderen aufgebaut hat. Ich erkenne jetzt schon, nach nur wenigen Wochen, eine Liebe und Leidenschaft, die bei meiner eigenen Ehe einige Jahre heranwachsen musste. Ich glaube, dass Sie und Herr Turner Zeit brauchen um zu einander zu finden, doch ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass Ihnen dies auch gelingen wird."

Mein Inneres hatte sich nach Matthes gut gewählten Worten beruhigt. Die Wut, die ich gegenüber Luke empfunden habe weichte Verständnis. Unser Streit war, wie oft zuvor, nur ein großes Missverständnis. Ich musste Luke einräumen, dass er jedes Recht hatte nach Kilian zu fragen, auch wenn die Situation eine andere hätte sein können.

Ich bedankte mich für Matthes Rat und wir plauderten noch ein wenig über seine drei Mädchen. Mary musste eine tolle Person sein. Matthes und sie lebten in dem Dorf neben unserem Anwesen, sie waren nur für seinen Job dorthin gezogen, eigentlich stammten sie aus dem Westen Englands. Seine Töchter waren gerade einmal neun und zehn Jahre alt, hatten wohl jedoch beide schon ihren eigenen Kopf, den sie auch durchsetzten wollten. „Wie die Mutter", lachte Matthes auf. Ich horchte seinen Geschichten über Albereien und Familien-Ausflügen und konnte nicht anders, als mich nach etwas Ähnlichem zu sehnen.

Die Zeit verging und ich merkte wie überrascht Matthes aufschreckte, als er einen Blick auf die Uhr erhaschte: „Es ist beinahe Mitternacht!" Erschrocken schlug ich meine Hand vor den Mund und scheuchte Matthes metaphorisch mit einer Handbewegung aus dem Raum: „Nun gehen Sie schon! Sie haben ja seit zwei Stunden Feierabend!" Er bedankte sich noch kurz höflich wie immer, doch man merkte ihm seine Eile an und so war unser Butler keine Minute später auch schon durch unsere Eingangstür verschwunden.

Nun allein im Haus, lehnte ich mich zurück und nahm die letzten Schlücke meines dritten Tees.
Mitternacht? War ich nicht bereits gegen halb neun daheim gewesen?

Wo blieb Luke?

Eine weitere halbe Stunde verging, in der die Sorge um meinen Mann immer größer wurde. Seitdem Matthes gegangen war, war ich mit meinen Gedanken allein und konnte so die sich nun ausbreitende Unbehaglichkeit kaum verhindern. Irgendwann lief ich hektisch den Raum hoch und runter, warf immer wieder meinen Blick aus den großen Fenstern.

Ich hätte nicht davon reiten dürfen - Luke hatte mir doch sogar erzählt wie schreckhaft Thetis war. Was war wenn sie ihn abgeworfen hatte?

Eine unangenehme Vorahnung erschien vor meinen Augen...

KittenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt