Als ich ein Wiehern in der Ferne unseres Grundstückes vernahm, konnte ich nicht länger an mich halten.
Ich stürmte nach draußen, die Decke hatte ich noch immer eng um mich geschlungen.
„Lukas?",rief ich in die Dunkelheit und wartete vergeblich auf eine Antwort. „Luke?", meine Stimme wurde lauter, als ich endlich das eilige Klappern nahender Hufe vernahm. Das Wiehern der Stute erklang abermals, doch ihr, auf mich zu kommender Umriss versetzte mir einen Schreck.
Kein Reiter - kein Luke.
Thetis näherte sich noch immer in einer ungeheuren Geschwindigkeit, bis sie schließlich auch meine Gestalt entdeckte und sichtlich nervös eine abrupte Bremsung machte. Ich nutzte den Moment, griff nach ihren Zügeln und machte mich eilig auf den Weg zu den Ställen.Was sollte ich nun tun?
Was wenn Luke verletzt war?
Er sonst wo in einem Graben lag?Und alles war meine Schuld.
Wäre ich doch nur bloß nicht, feige wie ich war, vor der Diskussion geflohen.Gedanken verloren nahm ich die Abkürzung über die Wiese, als das leicht feuchte Gras an meinen Fußsohlen kitzelte. Erst jetzt merkte ich, vor lauter Sorge und Eile, dass ich nicht einmal Schuhe angezogen hatte.
Ich hätte schon viel früher aufbrechen müssen.
Was dachte ich mir bloß dabei?
Ach überhaupt kein Problem - dein Mann braucht nur mehr als die doppelte Zeit deines Heimweges, was soll schon sein?Genervt über mich selber schlug ich mir gegen die Stirn und zog Thetis hinter mir durch das kniehohe Gras. Sie ließ immer wieder ein Meckern von sich hören, doch ich konnte an nichts anderes denken als endlich den Stall zu erreichen.
Die heutige Nacht war um einiges kühler als die Letzten, die kalte Erde unter meinen Füßen jagte mir einen Schauder über den Rücken.
Und Luke hatte nur einen dünnen Janker an.Endlich angekommen, bugsierte ich Thetis in ihre Kammer, verschloss die Tür und wandte mich Kaikos zu: „Wir verstehen uns doch mein Lieber.", ich strich ihm sanft über den Hals: „Deswegen schaffen wir beide das auch ohne Sattel, oder? Wir haben keine Zeit, wir müssen schließlich schnell deinen Halter finden." Zum Hengst gewandt, redete ich wohl trotz dessen mehr zu meiner eigenen Person.
Es wird schon klappen Avery.
Hab dich nicht so.Wenige Sekunden später hechtete ich mich, mit Hilfe der Aufstiegstreppe, über den Pferderücken. Die Decke noch immer fest um mich geschlungen, griff ich nach Kaikos Mähne. Mein Zungenschnalzen befahl ihm los zu traben.
Ich versuchte haargenau den Hinweg abzulaufen, in der Hoffnung, dass Thetis Luke nicht Mitten in in Wald oder Feldern abgeworfen hatte. Immer wieder und wieder rief ich den Namen meines Mannes, ohne je eine Antwort bekommen zu haben. Die Wege waren leer, nicht ein Passant befand sich auf ihnen.
Mein Kopf verstrickte sich in den schlimmsten Vorahnungen. Ein leises Wimmern folgte mittlerweile meinen bemühten Rufen.
Es verging eine ganze Stunde ohne das kleinste Lebenszeichen meines Mannes. Wie hatte ich mir die Suche auch vorgestellt? Luke konnte sonst wo sein. Wie naiv von mir zu glauben ihn in der Dunkelheit finden zu können.
Als die ersten Lichter Rochesters am Horizont erschienen, keimte ein anderer Gedanke in mir auf. Vielleicht war Luke ja noch in der Stadt? Er hatte sich womöglich ein Zimmer zum Übernachten genommen. Dieses Szenario wäre nur logisch, schließlich hatte er genug Geld dabei. Hoffnungsvoll redete ich mir ein, dass es genau so sein musste. Ich beschloss noch nach Rochester zu reiten, jedoch danach wieder den Heimritt anzutreten. Die Suche würde gleichgültig seiner Situation in der Dunkelheit ja doch nichts bringen.
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Kitten
RomansaDas neunzehnte Jahrhundert, die „gute alte Zeit" ist Averys Realität. Das Mädchen, das von einem Leben voller Freiheit und Abenteuer geträumt hatte, findet sich plötzlich in einer vermeintlichen Welt der Etikette und Konventionen wieder, als sie mit...