1888

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28. Juli

Beinahe 2 Jahre waren vergangen.
24 Monate in denen ich unaufhaltsam älter wurde und damit 104 Wochen, die ich Kilian nicht gesehen hatte. Heute war der Tag meiner Vermählung, mit einem mir vollkommen unbekannten Mann. Die einzigen Informationen, die mein Vater mir gewährte waren begrenzt auf sein hohes Vermögen, einen guten Ruf und seine Arbeit am königlichen Hof. Also nur das, was ihm, und nicht mir, am wichtigsten war.

„ Avery kommst du nun endlich?", der warme Blick meiner Mutter lag auf mir: „Hab Mut zu etwas neuem Kind, du bist beinahe 19 und hast noch keinen Mann, in der Nachbarschaft kommen schon Gerüchte auf!" Ich spielte mit meiner feinen Goldkette und beobachtete meine zwei kleinen Geschwister, die im Garten ausgelassen Ball spielten: „Ich habe ihn immer noch gern Mutter und ich will keinen Mann heiraten den ich nicht kenne und liebe" Sie schüttelte ihren Kopf und zog mich von dem Fenster weg: „Aber du wirst ihn kennen und lieben lernen. Gib ihm eine Chance Avery. Und jetzt komm, es wird Zeit dein Brautkleid anzuziehen." Ich seufzte tief. Natürlich hatte ich mich mittlerweile irgendwie damit abfinden müssen einen anderen Mann als Kilian zu heiraten und doch - hätte ich mir meinen Lebenspartner wenigstens selber aussuchen dürfen, oder wenigstens eine Auswahl gehabt - das hätte den heutigen Tag so viel einfacher gemacht.

Ich schritt in mein Ankleidezimmer und wartete bis meine Zofen mir mein Kleid herbeigebracht hatten. Es war weiß mit einer langen Schleppe und mit feinster italienischen Spitze überseht. Das klassische Muster stellte Rosen dar, an der Hüfte bauschte sich cremefarbiger Stoff zu einem traumhaft schönen Rock zusammen. Passend dazu wurde mir der goldene Haarschmuck und ein Armband überreicht - er waren Erbstücke meiner Mutter, die mittig liegenden Smaragde waren das letzte fehlende i-Tüpfelchen. All das war mein absoluter Traum in einem Kleid und trotzdem machte es mich kein Stück glücklich es heute zu sehen.

Ich entledigte mich meinem Nachthemd und zog mir vorsichtig das teure Designerstück an. Die Zofen schnürrten das Korsett eng, halfen mir in die hohen Schuhe hinein und legten mir schlussendlich den Schmuck an. „Sie sehen traumhaft aus Madame, ihr zukünftiger Ehemann wird sicher sehr erfreut sein." Ich zwang mir ein Lächeln auf und nickte leicht: „Vielen Dank Marie- du weißt, ich schätze deine Meinung sehr!"

Die Hochzeit fand in dem Garten unseres Grundstückes statt, in dem Pavillon. Durch die hohen Schuhe ein wenig verhindert, lief ich langsam den langen Flur entlang um schließlich vorsichtig die Stufen zu unserer Eingangshalle hinabzusteigen. Unten wartete Mutter und meine beiden großen Schwestern, Gabby und Louisiana, die für den heutigen Tag extra aus Ungarn und Frankreich angereist waren. Ich begrüßte alle drei mit einem Nicken und wartete danach auf die nächste Aufforderung meiner Mutter, die auch schon bald kam: „Bist du bereit?" Ein heiseres Ja entwich meiner Kehle und ich hackte mich bei Gabby und Louisi ein.

Zusammen liefen wir über die weite Wiese, bis ich kurze Zeit später meinen ersten Blick auf meinem zukünftigen Partner erhaschen konnte. Die knapp 600 Gäste rückten für mich komplett in den Hintergrund. Ich musterte ihn als wir dem Pavillon immer näher kamen. Er hatte schwarzes kurzes Haar, schien noch recht jung aber trug die Uniform eines Offiziers. Mein Herz pochte wie verrückt als ich bemerkte wie auch er mich zu begutachten schien, denn seine Augen wanderten erst über meinen Körper und blieben schließlich an meinem Gesicht hängen. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen.

Meine geliebten Schwestern wichen von meiner Seite ab und nur zögerlich setzte ich die nächsten Schritte, bis ich schließlich kurz vor ihm stand. Bei den drei Stufen reichte er mir als Hilfe vornehm die Hand, die ich dankend annahm. Er sah nicht schlecht aus, keine Frage. Sein schwarzes Haar stellte sich als dunkles Braun heraus und sein Körperbau als muskulöser als gedacht. Mit dem Alter hatte ich Recht behalten - die Züge seines Gesichtes waren keineswegs älter als Dreißig. Ich schaute meinen baldigen Ehemann mit einem aufgezwungenen Lächeln an und machte einen kleinen Knick: „Grüß Gott Mister-" . „Man nennt mich Luke Turner, ich bin froh Sie endlich kennenzulernen Fräulein Avery Johnson" Seine Stimme war angenehm und tief und doch gefiel mir die Art wie er redete nicht. So nobel und gehoben. So ruhig und doch dominant.

Die nächsten Sekunden herrschte eine unangenehme Stille, bis sich der Pfarrer räusperte: „Nun, da alle wichtigen Personen anwesend sind- lasst uns beginnen! Heiraten,Liebe und Glück sind nicht unbedingt dasselbe und doch hoffe ich für die zwei jungen Menschen vor mir, dass sie in dieser Heirat sowohl Liebe als auch das höchste Glück erfahren...." Er predigte noch einige Minuten, bis der glatzköpfige Mann zum letzten Teil kam: „Deshalb frage ich Sie Ms. Johnson möchten Sie den hier anwesenden Luke Turner lieben,achten, beschützen und ihm die ewige Treue schwören?" Meine Gedanken wollten wieder zurück zu Kyle schweifen, doch ich ignorierte sie so gut wie möglich: „Ja ich will" So ein kurzer Satz, der so viel in meinem Leben verändern würde. „Möchten auch Sie Mr.Turner die hier anwesende Avery Johnson, Tochter des William Johnson, lieben, achten, beschützen und ihr die ewige Treue schwören?" Luke nickte erst leicht, dann folgten seine Worte: „Ja ich will" Der Pfarrer wandte sich der Menge zu: "Wenn jemand der Anwesenden etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, möge er jetzt sprechen oder auf ewig schweigen." Ich folgte dem Blick des Geistlichen und nahm das zufriedene Nicken meines Vaters war - sonst herrschte Totenstille. Mein letzter Funken Hoffnung, Kilian würde erscheinen um dazwischen zu rufen, starb.

Ich zog harsch die Luft ein und versuchte meine Gedanken wieder zurück in die Realität zu bringen. „Steckt euch nun im Zeichen der Liebe die Ringe an" Eine der Zofen meiner Mutter brachten die gold glänzende Stücke auf einem kleinen purpurfarbenen Samtkissen, da nahm Luke Turner schon vorsichtig den filigraneren Ring zwischen seinen Daumen und Mittelfinger. Ich streckte meine rechte Hand zögerlich aus und er steckte ihn mir behutsam an, ich nahm den zweiten ebenfalls in meine Hände und betrachtete den jungen Mann vor mir für einen Moment. Er lächelte und schaute mir weiter direkt in die Augen. Seine waren braun und zugegeben wunderschön. Sie hatten etwas an sich was einen direkt in den Bann zog, mit dem hellen gelblichen braun und dem dunklen Iriskreis schienen sie deinen Körper bis auf die Seele zu durchdringen, jedoch mit einer solchen Wärme, dass sofort das Gefühl der Geborgenheit in mir ausgelöst wurde.

„Kraft meines Amtes erkläre ich euch nun zu Mann und Frau."

Er bückte sich zu mir herunter, nahm behutsam mein Kinn in seine Hände und drückte mir einen sanften Kuss auf den Mund - Kyles Lippen schossen durch meine Fantasie, doch ich verbannte sie. Das war nun Vergangenheit, eine Geschichte ohne Zukunft, Sinnlos. Die Gäste fingen an zu klatschen und standen begeistert auf - vermutlich um endlich zum Buffet zu kommen oder meinem Vater und Ehemann zu gratulieren, denn persönlich kannten mich nur wenige von ihnen. Die meisten meiner Freunde hatten keine Einladung erhalten. Ich blieb stumm neben meinem Mann stehen und beobachtete, dass bunte Treiben und die Masse die sich vor mir, Mr. Turner und meinem Vater versammelten um uns zu gratulieren. Die Erste die zuerst zu mir kam war eine alte Schulfreundin. Sie war schon seit fast vier Jahren mit einem 35 jährigen Politiker verheiratet und begrüßte mich herzlich: „Na Avery Turner, es fühlt sich toll an endlich verheiratet zu sein stimmt's?" Mehr als jeden anderen Tag der letzten zwei Jahre dachte ich an Kilian: „Ja ich bin sehr froh" Sie lachte ehrlich und sprach mit ihrer hohen Stimme hektisch weiter: „Und Sie Mr. Turner haben eine ausgezeichnete Wahl getroffen! Wunderschön, gute Manieren und einen einzigartigen Charakter und Sichtweise für diese Zeit. Herzlichen Glückwunsch auch Ihnen!" Er legte seinen Arm um meine Hüften und gab ihr einen Kuss auf die Hand: „Ich bin mir meiner Auswahl durchaus bewusst und werde darauf achten, sie wie eine Prinzessin zu behandeln!"

Mehrere Freunde meines Vaters und meines Mannes folgten, die mir nicht näher bekannt waren. Dazwischen erschienen meine Schwestern und ein paar alte Bekannte, die meisten wünschten uns Glück, meine Mutter sprach von der Hoffnung auf Liebe. Jeder überreichte uns ein kleines Geschenk und die besten Glückwünsche, wie es nunmal Brauch auf einer Hochzeit war.

KittenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt