Die goldenen Strahlen der Herbstsonne warfen ein warmes Licht in unser Zimmer, darin tanzten die Schatten der ersten herabfallenden Blätter fröhlich, schon beinahe unbekümmert. Meine Aufmerksamkeit galt ihnen für einige Minuten, in denen ich mit Trauer feststellen musste, dass die Tage nun kälter werden und die Natur den Großteil ihrer bunten Farbenwelt verlieren würde. In Blackburn waren die Winter Ton in Ton, grau, wohin man auch sah. Meine Großmutter erzählte mir vor ihrem Tod oft davon, wie schön die kalte Jahreszeit vor den großen Firmen und Backsteingebäuden war. Heute hüllten ihre Dämpfe alles ein. Was man auch berührte, der schwarze Ruß fand seinen Weg überall hin. Ich lächelte bei dem Gedanken an ihre Worte. Der Schnee war wohl weiß, der Himmel blau, die ehemals bunten Wände der Häuser erstrahlten in frisch gemalerten Farben. Heute würde sich solch eine Mühe niemand mehr in meiner Heimatstadt machen, für was denn auch? Der Ruß würde die Pigmente sofort verschlingen.
Wie der Winter hier wohl werden würde? Ich meinte von einem Rückgang der Industrie Londons gelesen zu haben, ob der Schnee womöglich weiß blieb?
Luke unterbrach meine Gedanken und zog mich zurück in die Gegenwart: „Was überlegst du denn so angestrengt?" Überrascht wandte ich meinen Blick in Richtung der Stimme. Er stand in der Tür des Flurs, frisch geduscht und beobachtete mich. Ich lachte: „Ob der Schnee wohl weiß bleibt. Bleibt er es denn?" Ich setzte mich auf, zog die Decke nach oben, um meinen nackten Körper zu verdecken. „Der Schnee? Was für eine Farbe sollte er denn sonst haben?", schmunzelte Luke. Die Mutter meines Mannes hatte mir von dem Anwesen berichtet, auf dem er aufgewachsen war. Es muss wunderschön gewesen sein dort groß zu werden, in Plymouth, weit ab von Industrie und Dämpfen, ganz im Süden Englands.
„Warst du schon arbeiten?", fragte ich interessiert nach einem Blick auf die Uhr. Sie schlug bereits Zehn. „Nein ich habe heute frei." „Frei! Frei?", spielerisch suchte ich in meinem Kopf nach der Bedeutung des Wortes: „Was ist das? Ich kenne nur den eigentlichen Sinn aber aus deinem Mund muss es etwas anderes..." Luke kam näher und drückte mir einen Kuss auf die Lippen: „Sehr lustig Avery." Ich kicherte leise. „Ich habe gestern Abend noch ein Telegramm verschickt, wir haben also die nächsten vier Tage ganz für uns allein." „Schön zu hören", flüsterte ich sanft: „und dein Vater? Hat er nichts dagegen?" Luke räusperte sich, bemerkbar unbehaglich: „Naja, er hat doch sowieso gegen alles etwas einzuwenden... da kommt es darauf wohl auch nicht mehr an, er ist schließlich nicht mein Vorgesetzter. Außerdem wird ihn die Nachricht frühestens in zwei, drei Tagen erreichen, er kann uns also erst einmal nicht auf die Nerven gehen. Jede der nächsten 96 Stunden gehört nur uns. Was willst du als erstes tun?" Luke glitt über mich, das Handtuch rutsche von seinem Körper. Er gab mir einen sanften Kuss und fuhr mit seiner Hand unter meinen Rücken, um mich näher zu ihm zu ziehen. Ich grinste und vergrub die Hände in seinen noch nassen Haaren: „Ich will..." -ich wusste zumindest genau was sein Wunsch war, seine Erektion war nicht zu übersehen. Mit meinen Hände zog ich seinen Kopf näher an mich und flüsterte in sein Ohr: „... unbedingt in die Stadt!"
Kichernd ließ ich von ihm ab, doch Luke gab nicht so schnell auf: „Ach komm schon, wollen wir sicher nicht erst ein bisschen Spaß haben?" Seine Hand wanderte herunter zu meinem Po.
„Die Stadt anschauen macht doch Spaß." Er seufzte: „Wir könnten auch da weitermachen wo wir gestern Nacht aufgehört haben und danach in die Stadt?" Ich schälte mich geschickt unter ihm hervor und sprang von unserem Ehebett auf meine Beine: „Wir gehen jetzt sofort in die Stadt! Diesmal lasse ich es mir von keinem unbekannten aber sehr wahrscheinlich kommenden Hindernis nehmen!" Luke schmunzelte: „Ich habe dich zu lange auf die Stadt warten lassen oder? Okay. Lass uns noch daheim Frühstücken. Ich sage Matthes er soll den Kutscher rufen." Abermals schüttelte ich den Kopf: „Können wir nicht reiten? So sieht man viel mehr und ist freier in den Wegen." Luke zögerte: „Dein Reittier ist noch immer nicht hier - wir erwarten seine Ankunft erst nächste Woche, sonst habe ich nur Kaikos und Thetis, ich reite die Stute schon seit Monaten nicht mehr, sie ist leider viel zu schreckhaft und nervös." Mein Ehemann grübelte nachdenklich: „Aber zu Zweit auf Kaikos ist zu unpraktisch auf der Länge des Ausritts... Okay. Dann reitest du meinen Hengst und ich nimm Thetis." Ich versuchte zu widersprechen, schließlich konnte ich auch mit schwierigen Tieren umgehen, doch Luke ließ mir keine Wahl: „So oder die Kutsche. Ich will nicht, dass du meine Stute das erste Mal außerhalb des Grundstück reitest. Sie ist ein gutes Rennpferd, die Gefahr dass sie bei einer ihr Fremden wegläuft ist mir zu hoch." Ich nickte zustimmend: „Okay. Das verstehe ich natürlich."Unten erwartete uns Matthes mit Tee und Brötchen. Der ältere Butler gab noch einen Löffel Zucker in meine Tasse und reichte sie mir anschließend: „So wie Sie es am Liebsten haben, werte Dame." Ich lächelte dankend und trank den ersten Schluck. Die Angestellten unseres Hauses waren so perfektionistisch und kühl, noch nie war ihnen in meiner Anwesenheit auch nur ein Fehler unterlaufen. Sie waren ganz anders als die Zofen und Butler meiner Familie. Marie, das Hausmädchen welches sich mehr oder weniger nur um meine Angelegenheiten gekümmert hatte, war damals wie eine gute Freundin. Sie hatte oft mit mir gelacht oder etwas unternommen. Ich verstand mich mit unseren damaligen Bediensteten viel besser, als mit den anderen reichen Mädchen der Umgebung. Diese hatten mich spätestens nach dem Ereignis mit Kyle abgeschrieben, mich sogar als dreckiges Weib bezeichnet, weil ich mit einem Jungen der Arbeiterklasse verkehrte. Von dort an, nahm ich an keinen der vornehmen Treffen mehr Teil, ich hatte keine Lust auf ihre abwertenden Blicke und falschen Zungen. Was sie wohl gedacht haben als sie von meiner Hochzeit erfuhren? Mit einem gut aussehenden, jungen Mann, der direkt unter unserer Königin arbeitete? Besonders Janette und Luisa müssen sich vor Neid blau und grün geärgert haben. Ich grinste in meine Tasse hinein, während ich einen weiteren Schluck meines Tees nahm.
„Was schmunzelst du denn so heimlich?", Luke lachte. „Ach, Ich habe gerade nur an die arroganten Schnäpfen meiner alten Stadt gedacht. Und wie neidisch sie auf mich sein müssen." Mein Mann zog eine Braue fragend nach oben: „Weshalb denn neidisch?" Ich schlürfte weiter an meiner Tasse: „Weil ich jemanden wie dich heiraten durfte. Jung, liebevoll, gutaussehend, reich, gute Stellung, tolles Anwesen. Das muss ihnen gewaltig gegen den Strich gehen."
„Jemand wie mich heiraten dürfen-" Luke lachte: „So viel Lob auf einmal habe ich von dir noch nie bekommen. Wieso sollten sie es dir nicht einfach gönnen?" Jetzt war ich die, die lachte: „Gönnen? Sicherlich nicht. Sie würden mir wohl eher die Pest wünschen als einen guten Ehemann."
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Kitten
Storie d'amoreDas neunzehnte Jahrhundert, die „gute alte Zeit" ist Averys Realität. Das Mädchen, das von einem Leben voller Freiheit und Abenteuer geträumt hatte, findet sich plötzlich in einer vermeintlichen Welt der Etikette und Konventionen wieder, als sie mit...