Alice Garden

5.3K 51 13
                                    

„Ich gehe ein wenig an die Luft"

Die Feier war im vollen Gange und wurde mittlerweile durch einen Regenschauer in unser Haus verlegt. Luke und ich hatten getanzt, natürlich gegessen und auch ein wenig getrunken, doch meine Gedanken über Kilian plagten mich noch immer sehr. Die Menschenmasse in unserem Saal schien mich zu erdrücken, auf die unehrlichen Glückwünsche mir gegenüber konnte ich kaum mehr antworten, so groß war mittlerweile der Kloß in meinem Hals. Der Butler öffnete mir die Tür und ich trat hinaus auf unsere überdachte Veranda. Nur aus dem Augenwinkel sah ich eine Gestalt die sich aus der Menge löste, um mir in das kalte dämmrige Grau nach draußen zu folgen. Ich lies mich nicht beirren und hielt sie für einen normalen Gast der ebenfalls ein wenig Luft schnappen wollte. Ich schaute in den Himmel und spürte einen kühlen Tropfen, der seinen Weg auf meinen Schultern fand.

„Ave?"

.
.
.

Ave? Geschockt drehte ich mich und betrachtete meinen Verfolger:

„Kyle?"

Zwei Jahre hatte ich ihn nicht zu Gesicht bekommen.
Und nun stand er dort, direkt vor mir. Einfach so.

Geschockt starrte ich die männliche Person vor mir an. Er kam langsam auf mich zu, trat aus dem Schatten in das Licht und wurde immer realer. Doch mein Körper machte nicht einmal die Anstalt sich zu bewegen. „Was machst du hier?", fragte ich leise. Er blieb einen Meter entfernt von mir stehen und machte diese ihm typische Bewegung. Schnell strich er sich diese eine Strähne nach oben, nur damit sie Sekunden später wieder in seine Stirn fiel. „Dein Vater hat mich eingeladen - ich." Er stoppte im Satz, als würde er einen Gedanken beiseite schieben: „Herzlichen Glückwunsch Ave ich hoffe wirklich sehr du wirst glücklich.

Mein Herz schlug immer schneller als er sich wieder drehte um über den Garten in die Dunkelheit zu verschwinden und all die unterdrückten Gefühle kamen wieder in mir hoch. Wieso tat mir mein Vater nur so etwas an? Er hatte alles getan um die Liebe meines Lebens von mir fern zu halten, nur damit Kilian heute - Am Tag meiner Hochzeit - vor mir stehen konnte? Was war seine Intention?

Ich lief so gut es mit den hohen Schuhen möglich war los und schlang meine Arme von hinten um ihn, ein erbittertes Schluchzen entkam meiner Kehle. Kilian drehte sich zu mir und legte seine Hand behutsam auf meinen Kopf, als würde er darauf achten meine aufwendig gerichtete Frisur nicht zu beschädigen: „Ave. Beruhig dich bitte" Ich vergrub mein Gesicht in seinem Hemd - dieser Geruch, ich hatte ihn so vermisst.

„Ich vermisse dich so sehr Kyle", schluchzte ich. Er seufzte nur und strich mir sanft durch mein Haar: „Du bist verheiratet Ave, du darfst mich ab heute nicht mehr vermissen." Enttäuscht schaute ich ihm in die Augen: „Und wie? Wie soll ich deine Stimme vergessen und die Art wie du mich berührt hast? Wie soll ich deinen Geruch nicht vermissen, wenn er für mich Geborgenheit bedeutet? Man kann niemanden aus seinem Gedächtnis löschen, den man noch liebt... Ich -"
Doch die Liebe meines Lebens schüttelte nur den Kopf: „Denkst du das weiß ich nicht? Denkst du wirklich mir geht es anders? Aber sowohl du als auch ich sind erwachsen geworden Avery. Und wir beide haben gewisse Pflichten die wir erfüllen müssen, was sowohl deine als auch meine Ehe miteinschließt" Er war verheiratet? Entsetzt trat ich einen Schritt zurück nur um festzustellen, dass es keinen Grund dazu gab. Er war nicht mehr mein Freund, wir standen uns ja nicht einmal mehr Nahe. Mein Vater hatte dies mehr als erfolgreich verhindert. Eine verzweifelte unsinnige Frage brach aus mir heraus. „Können wir nicht wenigstens Freunde sein?" Sein Blick trübte sich: „Ave, ich bin heute hier um mich zu verabschieden. Meine Gefühle haben sich nicht verändert, dass weißt du hoffentlich. Aber wir wissen auch wie unmöglich für uns Nähe ohne Berührung ist und wir sollten versuchen unsere  Partner lieben zu lernen. Verstehst du das?" Ich wollte es nicht verstehen: „Ja natürlich" Er nahm mich noch einmal für ein paar Sekunden in den Arm, drückte mich fest und gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn: „Ich muss jetzt wieder gehen, ich liebe dich Ave und deswegen wünsche ich dir alles Glück dieser Welt!"

Mein leises Schluchzen füllte die Umgebung, deren Stille nur durch mich und die fallenden Regentropfen durchbrochen wurde. Das es wie aus Eimern schüttete, war so Klischeehaft und doch stand ich nun hier und weinte. Ich schloss meine Augen und versuchte mich krampfhaft zu beruhigen, als meine Aufmerksamkeit im nächsten Augenblick auf das sich erleuchtende Fenster im ersten Stockes fiel.  Da stand er. Die Statur meines Vaters starrte auf mich hinab und auch wenn ich sein Gesicht nicht sehen konnte, war ich mir doch sicher, dass er gerade lachte. Ich glotzte zurück, befreite ich mich aus meiner Erstarrtheit und ging davon um mich zu den Ställen zu begeben.

Sie waren nur einige Meter von unserem Haus entfernt und wie immer wenn man sie betrat, konnte man den gemütlichen Geruch des Strohs riechen. Noch immer schluchzend öffnete ich die dritte Tür und begrüßte Winter. Sie war mein Pferd, eine Stute mit ordentlichem Temperament, ursprünglich aus Ägypten. Die Namensgebung war offensichtlich. Ich hatte sie Winter genannt, weil es absolut nichts gab, dass man besser mit ihrem Fell vergleichen konnte, als den strahlend weißen Schnee. Alleine bewegte sie sich langsam aus ihrer Kammer und wartete ruhig neben mir. Ich holte ihr eine Karotte und gab sie ihr zu fressen bevor ich mich mit der Hilfe eines Hockers auf ihren Rücken zog. Mittlerweile benötigte ich keinen Sattel, Zügel oder Trense mehr, ich vertraute ihr genauso sehr wie sie mir. Mit meiner Stimme lenkte ich sie aus dem Stall und ritt langsam in die Richtung der Stadt  Blackburn, die nur dreißig Minuten mit der Kutsche von uns entfernt lag. Mit der Zeit wurde Winter immer schneller und es dauerte nicht lang, bis wir durch die Gassen der Innenstadt ritten. Einige Bürger betrachteten mich ein wenig komisch, andere begrüßten mich höflich. Ich ahnte nicht, dass dies für die nächste Zeit das letzte mal war, dass ich durch meine Heimatstadt ritt und damit auch das letzte Mal die Konditorei Alice Garden besuchte, sonst hätte ich vermutlich noch einige Stücke mehr von dem perfekt gemachten Kokoskuchen gegessen. Die alte, freundliche Mrs Alice erkannte sofort das etwas nicht stimmte, hakte jedoch nicht nach und wischte mir stattdessen die Tränen aus dem Gesicht: „Das wird schon alles werden Kindchen, du musst nur daran glauben!"

Bis ich wieder zurück auf meiner eigenen Hochzeitsfeier war, waren knappe 3 Stunden vergangen, also war es genau 00:00 Uhr. Die angespannte Stimmung im Foyer unseres Hauses war nicht zu übersehen als ich eintrat. Meine Familie, mein Vater, eine alte Freundin und Luke Turner hatten sich in dem Vorraum versammelt, der Rest der Feier schien mein Fehlen überhaupt nicht aufgefallen zu sein.

Mutter war die erste, die mich geschockt erblickte: „Avery, was hast du getan?" Das erste Mal blickte ich an mir herunter und realisierte was für einen Eindruck ich gerade machen musste. Meine Augen waren angeschwollen und rot vom Weinen und die zuvor so sorgsam hochgesteckten Haare waren ein reinstes Chaos. Dazu kam mein Kleid, von welchem der Stoff unten gerissen war und es bis zu meinen Knien überseht von Schlammspritzern war. Ich schlang meine Arme eng um meinen Körpern und versuchte die ganzen irritierten und abwertenden Blicke zu ignorieren, besonders den meines Ehepartners. „Entschuldige dich wenigstens bei deinem Mann", rief mir mein Vater keifend zu - als wäre er überhaupt nicht an der Situation beteiligt. Schon wieder stiegen mir Tränen in die Augen, wieso konnte ich nicht einmal über die Folgen meiner Taten nachdenken?

„Sie muss sich nicht bei mir entschuldigen", mischte sich Luke ein, er trat aus dem Kreis und reichte mir die Hand: „Wollen wir hochgehen und das unter vier Augen klären?" Er suchte das Einverständnis meiner Mutter: „Ich glaube Sie können den Gästen nun auch sagen, dass die Feier beendet ist. Wir beide ziehen uns zurück." Ich blieb still, lies die Situation unbeantwortet zurück und folgte ihm dankbar und erleichtert die Treppen zu dem privaten Bereichen der Familie hoch: „Danke Luke Turner." . „Du brauchst dich nicht zu bedanken, ich bin dein Ehemann. Jedoch wüsste ich gerne was die letzten Stunden vorgefallen ist."

KittenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt