Befreit von der Sorge um meinen Ehemann übermannte mich auf dem Heimritt die eindringende Kälte dieser herbstlichen Nacht. Besonders meine Füße glichen gefühlstechnisch Eiszapfen. Jeder Windstoß glich brennendem Feuer, welches sich ohne Gnade auf meiner unterkühlten Haut verbreitete.
Ich hatte noch einige Minuten vor dem Old Buckles ausgeharrt. In der Hoffnung, dass Luke seinen Fehler einsah und mir hinaus folgte. Doch nichts der gleichen geschah. Ich konnte lediglich eine der drei Frauen dabei beobachten, wie sie im Arm eines Fremden die Bar verließ.
All dies war nun schon einige Stunden her. Der Zeiger unserer Uhr offenbarte mir, dass es bereits Mittag war.
Ich zischte kurz auf als Matthes mir einen weiteren kleinen Splitter aus meiner Fußsohle zog. Wer hätte auch ahnen können, dass der Boden einer Bar übersät mit Scherben war? Ich in meiner Wut sicherlich nicht.
Mehr als genervt schlug ich meine Hand gegen die Stirn und beobachtete unseren Butler dabei, wie er fürsorglich genau eine weitere Scherbe entfernte: „So. Das sollte nun die Letzte gewesen sein." Schluchzend zog ich meine Nase hoch und vergrub diese, rotzend in einem Taschentuch: „Danke Matthes." Eingerollt in mehreren Decken, versorgt mit Tüchern, Tee und einer Wärmflasche versuchte ich der sich schon anbahnenden Krankheit zu entkommen. Unser Butler säuberte ein letztes Mal die feinen Kratzer und wickelte meine Beine anschließend in eine warme Wolldecke ein. Er beobachtete mich voller Besorgnis und legte seine Hand prüfend auf meine Stirnpartie: „Sie haben Fieber Madame. Ich denke ich werde nun den Hausarzt verständigen." Unwohl vergrub ich mich tiefer in dem Berg an Bettwäsche.
Matthes hatte sich mein Abenteuer von letzter Nacht stumm angehört. Er hatte sich nicht dazu geäußert und stattdessen ruhig begonnen sich um mich zu kümmern. Sein neutraler Gesichtsausdruck verbarg jegliche Gefühlsregung.
Der Butler wandte sich gerade zum Gehen, als das Knarren der Eingangstür ertönte.
Luke?
Mit großen Augen starrte ich durch die Tür unseres Schlafgemachs hindurch und schob eilig die Decken zur Seite, um aufstehen zu können. Matthes vernahm meine Bewegung aus dem Augenwinkel, eilte zurück zu mir und drückte mich wieder in das Bett. „Bleiben Sie bitte hier. Falls es Herr Turner ist, schicke ich ihn gleich zu Ihnen." Er überprüfte ein weiteres Mal meine Temperatur: „Sie glühen." Kopf nickend willigte ich ein, der Versuch aufzustehen war schon zu viel für mich. Verzweifelt schloss ich meine Augen, damit ich dem drehenden Raum entkommen konnte.
Mir war noch immer schummrig zumute, da hörte ich eine Stimme im Treppenhaus: „Matthes?" Luke war heimgekommen. Der Butler zog die Tür zu dem Schlafzimmer hinter sich zu, unregelmäßige Schritte kamen näher. „Was ist los? Warum sind Sie hier oben?" Matthes antwortete mit gedämpfter Stimme, doch ich verstand jedes Wort:
„Wo waren Sie, Herr Turner?"
„Das geht Sie nichts an. Ist meine Ehefrau dort? Ich will mit ihr sprechen."
„Das werden Sie nicht tun."Ein überraschter zurückweichender Schritt ertönte: „Wie Bitte?"
Versperrte Matthes ihm tatsächlich den Weg?
„Sie haben mich verstanden."
„Matthes, Sie sind mein Untergebener. Sie gehen jetzt zur Seite und lassen mich zu meiner Frau."
„Nein."Eine ungläubige Stille folgte auf den Widerspruch des Butlers.
„Herr Turner. Sie gehen erst einmal in das Bad, machen sich frisch und werden Ihre intensive Alkoholfahne los. So lasse ich Sie nicht zu ihrer Madame."
Lukes Stimme wurde lauter:
„Du bist mein Angestellter, ich bezahle dich, nicht sie. Und jetzt lass mich zu ihr."„Nein."
Ein Gerangel erklang. Unruhig schob ich die Decken von mir und stolperte zu der Tür. Ich drückte sie auf und starrte auf meinen Mann. Seine Hand umgriff unsanft den Hals unseres Butlers. Er drückte den drahtige Mann mit aller Gewalt gegen die Wand. Schwer atmend versuchte ich meinen Blick auf Luke zu fokussieren. Ich machte einen Schritt nach vorne und versuchte schwach und benebelt seine Hand von Matthes Hals zu lösen. Lukas wollte mich mit dem anderen Arm wegdrücken. Versetzte mir einen Stoß. Doch der Schwung, den er mir dabei mitgab, war zu viel für meinem benommenen Geist.
Ich landete auf dem Teppichboden, hielt mir benebelt die Handfläche an meinen pochenden Kopf. Nun merkte auch Luke, dass mit mir ganz und gar etwas nicht stimmte. Er ließ von Matthes ab, ich spürte wie er seine Hand auf meine Schulter legte und sich neben mich hockte: „Avery? Geht es dir gut?" Meine trübe Sicht wurde immer verschwommener. Eine Hand klatschte leicht und immer wieder gegen meine Wangen: „Madame? Madame!"
...
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Kitten
RomanceDas neunzehnte Jahrhundert, die „gute alte Zeit" ist Averys Realität. Das Mädchen, das von einem Leben voller Freiheit und Abenteuer geträumt hatte, findet sich plötzlich in einer vermeintlichen Welt der Etikette und Konventionen wieder, als sie mit...