Dämon

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Diesmal saß ich auf der anderen Seite der Tafel.

Der Koch legte einen Teller vor mir ab und verbeugte sich, ich nickte dankend.

Luke war nicht da. Unser Butler erzählte mir, dass er ausgegangen sei. Ich überlegte für einen Moment ob ich noch ein wenig mit dem Essen warten sollte, denn es war ja schließlich erst acht Uhr abends und vielleicht kam er ja gleich wieder?
‚Du nervst', schossen mir seine Worte durch den Kopf: „Arschloch!" Empört begann ich zu essen und schaufelte das Pilz-Risotto in mich hinein, es schmeckte unglaublich! Jeder Angestellte des Hauses Turner war mehr als begabt in seinen Aufgaben. Ich beobachtete die Uhr und dachte über das nach was Luke gesagt hatte. Es war fünf Stunden her, dass mein Ehemann ausgegangen war, offensichtlich um Abstand von mir zu suchen. Was sollte das? Ich hatte ihm doch nichts getan.

Gelangweilt stocherte ich in meiner mittlerweile dritten Portion herum und beobachtete das tickende Pendel der Standuhr weiter. 98 Minuten waren vergangen und noch keine Spur von Lukas. Ich seufzte und erhob mich vom Tisch. Klar, er hatte wirklich keine netten Dinge gesagt, aber ich hätte ihn nicht derartig provozieren sollen. Schließlich weiß kaum jemand so gut wie ich, wie miserabel das Verhältnis zwischen Vater und Kind sein kann.

Ich streckte meinen Kopf durch die Tür der Küche: „Kann ich einen Apfel?" Matthes, der zweite Butler, schaute erstaunt auf: „Natürlich Madame - sie hätten mich nur rufen müssen!" Ich nickte lachend: „Solange meine Füße gesund sind gehe ich selbst, aber ich wäre froh wenn du mich kurz begleiten könntest." Matthes überreichte mir die Frucht und stellte sich bereit neben mich.

Gezielt lief ich zu der Gaderobe, mit unserem Butler im Schlepptau, zog flache Schuhe an und einen großen Sonnenhut, der mein Gesicht verdeckte. Auch wenn die Dämmerung bereits vor zwei knappen Stunde n einsetzte und so der Mond bereits den Platz der Sonne eingenommen hatte, verzichtete ich nicht auf meinen Hut. Wenn man als Dame allein unterwegs ist, ist ein wenig Anonymität meistens hilfreich. Mit einem quietschen öffnete ich die Eingangstür und stolperte über Turners Anwesen, bis ich Gottseidank endlich vor den Pferdeställen stand. Wohin sonst ging ich auch, wenn ich nicht wusste wohin?

Meine ägyptische Stute war bedauerlicherweise noch immer in den heimischen Ställen, weswegen ich Kaikos nehmen wollte, Lukes Hengst. Ich lockte ihn geschickt mit dem Apfel aus dem hinteren Teil seines Stalles und bat Matthes darum ihn zu satteln.

Er zögerte: „Miss - ich denke nicht, dass ihr Ehemann es für gut befindet wenn sie nun ausreiten."

Ich schnaufte und zog den Hut ein kleines Stück nach hinten: „Umso besser" Unser Butler versuchte mich weiter von meinem Vorhaben abzubringen: „Wohin reiten Sie aus? Es gibt viele Orte, die Sie in der Dunkelheit nicht aufsuchen sollten - einige Viertel der Stadt sind nicht sicher." So warnte mein Vater uns auch vor Plymouth, dabei war Gefährlichste an der Stadt die jungen Diebe, die dir die Taschen leer räumten. Matthes war in der Zwischenzeit fertig mit dem Satteln. Um ihn zu beruhigen erklärte ich ruhig, dass ich nur an der Küste des Grundstückes ein wenig ausreiten wollte um meinen Kopf freizukriegen. Geschickt kletterte ich auf Kaikos Rücken und strich ihm sanft über die Flanke: „ Danke Matthes. Ab jetzt komm ich allein klar." Er verbeugte sich wieder und lief Richtung Haus. Ich nahm die Zügel in die Hand und lenkte Kaikos aus dem Stall: „Nun denn"

Nach einem kleinen Umweg über die Küste, um meine Lüge mit ein wenig Wahrheit zu füttern, führte ich Ikois zu den Lichtern, zu der Stadt. Sie schimmerte im Dunklen hell und trotz dessen lag etwas Bedrohliches in der Luft. War das Einbildung? Die Angst vor der Geschichte des Butlers? Nein. Umso näher ich der Innenstadt kam, umso mehr erloschen die Lichter und die fröhlich laute Musik aus den Kneipen. Es herrschte totale Stille. Der ruhige Hengst wurde langsam hektischer und mir erging es nicht anders.

Das reicht - es war mein erster Ausritt mit ihm, nicht das er mir noch durchgeht. Zügig brachte ich Kaikos zum Wenden als er plötzlich verharrte und seine Ohren spitzte. „Komm schon - geh!" Das Pferd schnaubte nervös, als eine alte Frau aus dem Schatten trat: „Was machen Sie hier? Lesen Sie denn keine Zeitung? Es ist nicht sicher für Sie - das sollten Sie doch wissen! Heim mit dir! Sonst frisst dich der Dämon! Los, Los, Los!" Meine Nackenhaare stellten sich bei ihren Worten auf und ein Schauder lief über meinen Rücken, was redete sie? Irritiert begutachtete ich die Unbekannte, die einen kaputten Umhang trug und keine Schuhe anhatte , vermutlich eine Obdachlose. Ich nickte zitternd : „Ja danke sehr." Wieder machte ich kehrt und floh durch eine Seitengasse um so schnell wie möglich zurück zu Lukes Anwesen zu reiten.

Was war gerade passiert?
Was war das alles?
Wieso war die Stadt so still?

„Matthes!" Ich sprang von Kaikos Rücken herunter, während der Butler aus dem Haus geeilt kam. Schnell drückte ich ihm die Zügel in die Hand und schlang meine Arme um den Körper: „Ich - Ehm - ich geh schlafen" Ich warf einen letzten Blick für den heutigen Abend auf die Stadt, deren Lichter in der Ferne freudig zu tanzen schienen. Matthes bemerkte es, bemerkte mein Unbehagen und den Schauder, der sich meinen Rücken hochzog: „Sie waren doch nicht in der Stadt Madame?" Ich schüttelte nur den Kopf und trat stillschweigend durch die Eingangstür, wo ich die Treppen hinauf lief. Schon beruhigter bog ich in Luke's und mein Schlafzimmer ab und warf meinen Sonnenhut neben das Bett. Luke war noch immer nicht da. Trotz unserem Streites hätte ich ihn heut Nacht gerne neben mir gewusst.

Die alte Frau - nein. Eher ihre Worte hatten mir Angst eingejagt. Sie war wahrscheinlich nur eine Wahnsinne - doch irgendetwas hatte dort ganz und garnicht gestimmt.

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