Da wir am nächsten Tag frei haben, treffen wir uns erneut auf unserem Hof. Hier können wir in Ruhe über alles sprechen, ohne fürchten zu müssen, dass uns jemand belauscht. Das geht nämlich nur uns gemeinsam etwas an. Ich habe mich neben Jasper gesetzt, welcher Gedankenverloren die Gebäude mustert.
„Was hast du?", will ich wissen und scheine ihn ein wenig zu erschrecken. Doch er fängt sich recht schnell wieder. „Wieso seid ihr Helden geworden? Ihr habt es hier so schön, es scheint wie ein Paradies. Wieso begebt ihr euch in Gefahr?" Das scheint Jasper wirklich zu beschäftigen. Lächelnd schaue ich mir unser Zuhause an. Auch für mich ist es ein Paradies, welches ich niemals aufgeben wöllte.
„Seit Nathan sprechen kann, redet er davon ein Held zu werden. Wir sind zusammen aufgewachsen.", schiebe ich noch als Erklärung hinterher, da Jasper verwirrt die Augenbrauen nach oben zieht. „Ich passe also schon unglaublich lange auf ihn auf. Immer wieder hat er sich in Schwierigkeiten gebracht und war in Schlägereien verwickelt." Bei diesen Erinnerungen kann ich nur den Kopf schütteln. Nathan war schon immer äußerst stur und eigensinnig. Und immer mittendrin im Geschehen.
„Das kann ich mir vorstellen.", meint Jasper leise und wir beobachten, wie Nathan versucht Dante zu erwischen, welcher ihn jedoch nur immer wieder nach hinten schleudert. „Dann hat er Robin kennen gelernt und ich musste schließlich schon auf zwei von denen aufpassen. Es war eine Herausforderung." Nun muss auch Jasper lachen und ich stimme mit ein. „Die beiden machen seitdem alles zusammen. Ganz besonders sich in Schwierigkeiten zu bringen."
„Wahrscheinlich kennt ihr Leopold dann auch schon eine Weile.", meint Jasper und ich kann nur zustimmend nicken. „Leopold habe ich in meiner Jugend kennengelernt, einige Jahre vor Paolo. Er hat mich angeflirtet, doch zwischen uns ist nie diese Art von Beziehung entstanden. Eigentlich schade. Es hätte uns einiges erspart." Seufzend lehne ich mich auf der Bank wieder zurück und verscheuche die trüben Gedanken. Es bringt schließlich nichts sich nach all der Zeit noch immer Vorwürfe zu machen.
„Und dann haben wir irgendwann dieses Grundstück von Nathans Großvater bekommen und angefangen es auszubauen. Hinter uns ist unser Wohnhaus, wie du ja bereits mitbekommen hast." Jasper nickt zustimmend. Wir haben bereits einiges an Essen und Getränken aus der Küche geholt, um uns hier draußen zu verpflegen. Und natürlich haben wir den dreien auch das Badezimmer gezeigt.
„Gegenüber von uns in dem Gebäude befinden sich vier kleine Wohnungen, welche wir zeitweise vermietet haben, um uns etwas Geld dazu zu verdienen. Das hat uns sehr geholfen, bevor wir Helden geworden sind." Nachdenklich schaue ich Jasper an. „Solltet ihr also mal über Nacht bleiben wollen, wäre das wohl kein Problem. Es sind nur Einzimmerwohnungen, doch sie sollten ja ausreichend sein.", biete ich an und Jasper mustert mich kurz nachdenklich. „Das klingt wirklich praktisch. Können wir sie uns ansehen?"
Dem stimme ich zu und hole den Schlüssel. Schnell haben wir die Wohnung angesehen und Jasper scheint begeistert. Nachdenklich schaut er sich um und begutachtet alles. Bis Elaine uns aus unserer Ruhe reißt. „Das ist ja der Wahnsinn!", ruft sie aus und scheint regelrecht zu leuchten, so sehr ist sie begeistert. „Kann ich hier einziehen?"
Überrascht muss ich blinzeln und sehe schließlich Leo hinter ihr im Türrahmen stehen und breit grinsen. „Wir könnten die Zimmer auch an euch vermieten. Dann haben wir eine größere Chance als Gruppe noch besser zusammen zu wachsen." Dieser Vorschlag zeugt von einem großen Vertrauen, von welchem ich im ersten Moment überrascht bin. Aber wieso eigentlich? Ich habe Jasper, Dante und Elaine bereits mein Leben und das der anderen anvertraut. Was macht es da noch für einen Unterschied, wenn sie hier wohnen? Keinen.
„Ich will schon lange da weg. Hier ist es so viel schöner!", lacht sie und dreht sich freudig einmal im Kreis, ehe sie uns unschuldig anlächelt. Was uns alle zum Lachen bringt. Elaine ist einfach so ein fröhlicher und aufgeschlossener Mensch, den ich nicht mehr missen wöllte. Langsam verlassen wir die Wohnung wieder und treffen draußen auf die restlichen neugierig dreinblickenden Mitglieder unseres Heldenteams.
„Elaine hat beschlossen in eine unserer Wohnungen zu ziehen.", gebe ich an Nathan und Robin gewandt zu, was Dante aufhorchen lässt. „Ihr habt noch Wohnraum?" Verwirrt nicke ich und nun will auch er eine Besichtigung, wozu sich Robin umgehend bereit erklärt. Er hat den Großteil geplant und ausgebaut, weshalb er auch unglaublich stolz ist.
„Das wird langsam langweilig. Machst du ein Rennen mit mir?", will Leo wissen und ich weiß genau, was er nun will. „Du hast noch nicht aufgegeben?" Wir steuern lachend auf das mittlere Gebäude zu, welches unseren Dreiseitenhof nach hinten abschließt. Dahinter haben wir nur noch einige Tieren und den Garten, um welchen wir uns alle gemeinsam kümmern.
Dieses Gebäude haben wir zu einem Hindernisparkour ausgebaut. Hier ist alles zu finden, was hilft den Körper zu trainieren. Klettermöglichkeiten, Sprung- oder Balancehindernisse und diverse andere Sachen, die wir uns im Laufe der Jahre haben einfallen lassen. Man kann zu zweit starten und ein Wettrennen machen, was unsere übliche Trainingsmethode ist. Nathan, Elaine und Jasper bleiben an der Tür stehen, während Leo und ich zur Startposition gehen.
Kurz wärme ich mich mit einigen Dehnübungen auf, dann geht es auch schon los. Hoch konzentriert laufe ich los. Ich kenne den Parkour in und auswendig und komme schließlich auch als erste am Ziel an. Freudig drehe ich mich um und sehe Leo noch am Start stehen, was mich irritiert blinzeln lässt. „Was machst du denn noch dort oben?", rufe ich ihm verwirrt zu und schaue anschließend, nach einer Erklärung suchend, zu Nathan. Doch in diesem Moment kommen Robin und Dante auch schon zur Tür rein gestolpert.
„Was hast du gemacht?", ruft mir Robin erschrocken entgegen und ich verstehe die Welt nicht mehr. „Du kannst mir nicht einfach ohne Vorwarnung meine Fähigkeit rauben!", wirft er mir vor und so langsam begreife ich, was hier passiert ist. Mein Blick wandert zu Leo, welcher immer noch fassungslos am Startpunkt steht. „Das war echt keine Absicht. Ich habe es nicht mal gemerkt.", versuche ich mich zu verteidigen, wenn auch eher schwach.
Doch zu meiner Überraschung winkt Robin ab. „Damit hätten wir eigentlich rechnen müssen.", lacht er und zieht mich kurz in seine Arme, um mich wahrscheinlich zu beruhigen. „Dabei warst du überhaupt nicht in der Nähe. Wie geht das denn?" „Das finden wir schon noch heraus. Keine Angst." Mehrmals atme ich tief durch, dann kann ich schließlich wieder klar denken.
„Tut mir leid, Leo, aber wir müssen unser Wettrennen wohl verschieben bis ich es schaffe nicht mehr zu schummeln." Doch dieser winkt ab und ruft Nathan zu sich, welcher der Bitte freudig nachkommt. Dann wandert mein Blick zu Dante, Elaine und Jasper. Die drei kennen mich noch nicht so lange und haben nun vielleicht die Sorge, dass ich ihnen versuche ihre Fähigkeiten zu stehlen. Und das habe ich wirklich nicht vor. Ich habe nur keine Ahnung, wie ich ihnen das klar machen soll.
Elaine kommt auf mich zu und zieht mich direkt aus Robins Armen. „Ich habe keinerlei Angst, dass du irgendetwas gegen mich verwenden würdest. Ich habe in dein Inneres gesehen, so wie du auch in meins. Du bist ein toller Mensch, der mein volles Vertrauen genießt. Probiere es aus!" Wir lösen uns voneinander und sie reicht mir ihre Hand.
Ohne groß darüber nachzudenken, setze ich meine Fähigkeit ein und verstärke ihre Kräfte. Elaine vertraut mir vollkommen, denn ich habe Zugriff auf ihr komplettes Potenzial, welches ich freischalten könnte. Was mir Tränen in die Augen treibt. „Ich danke dir.", flüstere ich ihr zu und wir umarmen uns noch einmal. Dann steht Dante neben uns und streckt mir seine Hand entgegen.
Auch seine Kräfte nehme ich unter die Lupe. Ein solch reines Vertrauen wie mit Elaine herrscht zwischen uns noch nicht, doch es ist schon viel besser als beim letzten Mal. Viel fehlt nicht mehr. „Du hast uns so viel von dir erzählt. Wie könnten wir da nicht Verständnis für dich haben. Du hast meine Achtung verdient. Und damit kommt auch das Vertrauen. Ich werde mir ebenfalls ein Zimmer nehmen und hierbleiben. Wir werden das schon noch hinbekommen.", spricht er mir gut zu und wir lächeln uns kurz an. Dann schaue ich über seine Schulter zu Jasper.
Langsam gehe ich auf ihn zu und sehe, wie unwohl er sich fühlt. „Ich verstehe, wenn du nicht so fühlst wie die anderen. Um ehrlich zu sein kann ich deine Reaktion am besten nachvollziehen. Lass dich also nur nicht unter Druck setzen. Ich werde es dir niemals übel nehmen, wenn du mir nicht vertraust." Ganz professionell reichen wir uns die Hand und schaffen es sogar uns anzulächeln.
Ich habe die Hoffnung, dass auch Jasper schließlich noch das Vertrauen in uns aufbaut, welches wir benötigen, um sein Potenzial vollkommen zu erwecken. Doch wir haben noch etwas Zeit. Ich glaube nicht, dass Paolo uns bald angreifen wird. Dafür hat er noch nicht wieder genug über uns in Erfahrung gebracht. Unvorbereitet wird er sich niemals mit uns anlegen. Das ist nicht seine Art. Also haben wir erstmal etwas Zeit uns zu sammeln und selbstständig festzustellen, was wir alles können.

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Heldenepos - Team 42
FantasyScarlett Bright ist dabei eine Heldin zu werden. Nichts, was sie jemals werden wollte, doch sie kann schließlich ihren Bruder Nathan nicht alleine lassen. Wer soll diesen denn beschützen, wenn sie nicht dabei ist? Daher melden sich die beiden mit ih...