Kapitel 4

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Kenshin fuhr mit seinem Wagen der wenig befahrenen Hauptstrasse entlang. Die Fahrt zu seinem Anwesen dauerte zwar über die Hauptstrasse länger, dafür hatte es weniger Verkehr, weshalb er sich bewusst für diesen Weg entschieden hatte. Er freute sich auf ein, vielleicht sogar zwei Tage frei, Zeit für sich selbst, eine Zeit, an die er keine Entscheidungen treffen musste. Da das gestrige Treffen mit Bors gestern nicht stattgefunden hatte, hatte Kenshin sich um andere Angelegenheiten gekümmert. Er hatte bis drei Uhr morgens gearbeitet und sich somit ein paar Tage frei erarbeitet, die er meistens auf sein Anwesen in Onaro verbrachte. Er hatte sich vorher noch kurz aufs Ohr gelegt, um nicht komplett müde Auto zu fahren. Seine Gedanken kehrten zurück zu Bors und er dachte an das gestrige Telefonat zurück.

„Es tut mir leid Kenshin, ich bin zwar auf dem Weg zu dir, aber ich muss zurück nach Hause. Es ist etwas mit Anna."
„Ist alles in Ordnung? Habt ihr euch wieder gestritten?", fragte er besorgt nach.
„Nein, haben wir nicht."
„Was ist los?", wollte er von Bors wissen, da er ein gewisses Zögern bemerkte.
„Ich habe keine Ahnung was zuhause los ist. Ich habe nur ein Anruf bekommen, ich soll so schnell wie möglich zurückfahren."
„Willst du mir sonst noch etwas sagen?", da er spürte, dass Bors ihm noch etwas verheimlichte.
„Anna ist schwanger."
Kenshins Kiefermuskeln spannten sich unbewusst an. Eifersucht und Wut kam in ihm hoch, dass Bors Anna geschwängert hatte und er musste diese ganzen Gefühle runterschlucken, bevor er antwortete.
„Das ist doch schön.", meinte er, nachdem es bei ihm eingesackt ist.
„Ja, das ist es."
„Glaubst du es ist wegen der Schwangerschaft, dass du zurückmusst?", fragte er Bors besorgt.
„Ich weiss es nicht. Tut mir leid wegen dem Treffen. Ich melde mich bald wieder."
„Schon in Ordnung und tu dies Bitte."

Nun hatte Bors sich immer noch nicht gemeldet und er begann sich langsam ernsthaft Sorgen zu machen. Hoffentlich ging es Anna gut. Er blickte auf die Uhr, es war bald zehn Uhr morgens und er würde in Kürze ankommen. Er verliess die Hauptstrasse und fuhr nun eine Nebenstrasse entlang. Sein Anwesen lag Abseits der bewohnten Gegenden auf einen kleinen Berg. Er fuhr durch den Wald und dann war er auch schon da. Verwundert blickte er den Wagen vor dem Anwesen an, es war nicht das Auto seines Hausverwalters, für das war es ein zu teures Auto. Besass nicht Bors einen solchen Mercedes? Verwirrt hielt Kenshin vor dem Haus an und stieg aus. Kaum ausgestiegen, kamen Bors und Steven aus dem Haus.
„Was tut ihr hier?", rief Kenshin freudig aus und ging zu ihnen. Beide waren überrascht, ihn hier zu sehen, wobei Bors mehr niedergeschlagen aussah und Steven ein wenig geladen schien.
„Was ist denn los?", fragte er die Beiden, als er sie erreichte und hob überrascht die Augenbrauen nach oben, bei Bors blauem Auge. „Und wer hat sich getraut, dir ein blaues Auge zu verpassen?"
„Das war ich!", meinte Steven grimmig und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wie bitte?", fragte Kenshin verwundert und blickte zwischen Steven und Bors hin und her.
„Und es war nicht genug!", fügte Steven noch hinzu.
„Okay! Was ist hier los?", wollte Kenshin nun endgültig wissen und schaute bestimmend auf Bors, welcher ungewöhnlich still war.
„Ich werde meine Kandidatur zurückziehen müssen Kenshin, ich werde dir nicht zur Seite stehen können.", informierte Bors ihn mit belegter Stimme.
„Weshalb? Weil du Vater wirst?", erwiderte Kenshin ein wenig ungehalten, weil es keine Antwort auf seine Frage war. „Du wirst deine Kandidatur durchziehen!"
„Nein Kenshin, weil ich etwas Furchtbares getan habe.", meinte Bors schuldig und blickte ihn schwermütig an.
„Meine Güte, jetzt raus mit der Sprache! Was ist hier los?", fragte er zornig und blickte Bors ungehalten an.
„Anna hat etwas getan, was mich sehr wütend gemacht hat. Kenshin, ich war so wütend, dass ich sie fast umgebracht habe.", gestand Bors endlich, wobei Steven ein wütendes Schnauben von sich gab.
„Du hast was getan?", flüsterte Kenshin entsetzt und konnte nicht glauben was er hörte.
„Ich habe sie fast umgebracht.", gestand Bors erneut und blickte schuldig zu Boden. „Deswegen werde ich eine Weile weggehen."
„Und Anna?", fragte Kenshin mit klopfendem Herzen.
„Es geht ihr dementsprechend nicht so gut.", antwortete Bors wehmütig und wieder liess Steven ein wütendes Schnauben von sich. „Sie wird bei Steven bleiben."
„Bors du kannst nicht einfach verschwinden! Du hast ein Verbrechen begangen!", sagte Kenshin fassungslos und starrte den Mann, der für ihn wie ein Onkel war, an. „Ich dürfte dich gar nicht gehen lassen!"
„Ich weiss und mir tut es sehr leid, was ich getan habe."
Kenshin fasste sich erschüttert an den Kopf, er wandte sich von Bors ab und fing zu überlegen an. Was sollte er jetzt tun? Bors ins Gefängnis stecken? Konnte er das? Er konnte ihn aber auch ziehen lassen. Wäre das richtig? Bors hatte einen Fehler begangen, den er ihm offenkundig bereute, aber es war ein Fehler welches fast ein Menschenleben gekostet hätte. Er hatte keine Ahnung was er tun sollte.
„Du solltest gehen.", sagte er schlussendlich an Bors gewandt. „Du solltest schnell gehen, bevor ich es mir anders überlege."
„Danke Kenshin und auf Wiedersehen.", sagte Bors leise und wandte sich zu Steven um. „Auf Wiedersehen mein Sohn."
Bors ging zu seinem Wagen, blickte sie noch einmal wehmütig an, dann stieg er ein und fuhr fort. Kenshin schaute dem Wagen nach und als dieser um die Kurve verschwand schloss er schwermütig die Augen. Er drehte sich zu Steven um, er blickte ein wenig bekümmert drein, aber auch grimmig.
„Wie geht es Anna wirklich?", fragte Kenshin sogleich besorgt nach, während er ins Haus trat und Steven folgte ihm.
„Sie ist schwach, aber sie wird sich erholen.", meinte Steven mit besorgter Stimme.
„Kann ich zu ihr?"
„Sie schläft bestimmt, aber ja.", antwortete Steven und brachte ihn in das Zimmer, wo Anna lag. Kenshin blickte überrascht auf, als er Rick im Zimmer sah.
„Kaiserliche Hoheit.", grüsste Rick verwundert, mit seiner tiefen Stimme und Kenshin nickte ihm zu. „Sie ist gerade eingeschlafen."
Kenshin ging zum niedrigen Bett und betrachtete Anna, sie wurde von der Decke fast bis zum Kinn bedeckt, trotzdem konnte er den Verband um ihre rechte Schulter sehen. Doch die Blutergüsse auf Annas linke Gesichtshälfte liessen ihn innerlich zusammenzucken. Er schaute zu Steven und Rick, wollte sie fragen, wie genau alles passiert sei, doch er verkniff sich die Frage, denn beide Männer wirkten erschöpft und besorgt.
„Ihr seid beide erschöpft, geht ins Bett und holt euch ein wenig Schlaf.", befahl Kenshin leise und sanft. „Ich bleibe hier bei Anna."
„Bist du dir sicher?", vergewisserte sich Steven.
„Ja, ihr seid beide müde. Geht und ruht euch aus."
„Danke Kenshin.", bedankte sich Steven müde. „Wenn was ist, ich bin gleich nebendran."
Kenshin nickte und beide Männer verliessen das Zimmer. Er setzte sich am Boden, neben dem japanischen Bett und betrachtete Anna beim Schlafen. Ihr dunkelblondes Haar wirkte stumpf und glanzlos und ihre Lippen waren trocken und aufgeplatzt. Er fragte sich weshalb Anna einen Verband um ihre Schulter hatte. Was für eine Verletzung konnte sie haben, dass es einen Verband brauchte? Er wusste es nicht. Sobald Steven sich ausgeruht hatte, wollte er wissen was genau geschehen ist.
Kenshin seufzte und liess den Blick durch das Zimmer schweifen. Es war einst das Zimmer seiner Mutter gewesen, er war seit einer Ewigkeit nicht mehr in diesem Raum gewesen. Es hatte sich hier drin nichts verändert seit ihrem Tod und doch hat sich alles geändert. Sein Vater war verbittert über ihren Tod und hatte ihn verändert. Er lachte nur noch selten, verlor seine Fröhlichkeit und Unbeschwertheit. Kenshin wusste noch, wie sich sein Vater zuerst eingesperrt hatte, wollte nichts mehr von der Welt wissen, auch nicht von ihm, seinen eigenen Sohn. Dann kam William Winceston, Bors Vater und holte seinen Vater nach und nach aus seinem Loch. Er wusste noch, wie er dachte William wäre die Rettung für seinen Vater, doch William zog seinen Vater in die Dunkelheit. Ja, Bors Vater war ein guter Ratgeber gewesen, sein Vater hatte das Land gut regiert, mehrheitlich dank William. Jedoch war sein Rat für Kenshins Erziehung, nicht lobenswert. Auf Williams Rat hatte sein Vater ihn streng erzogen, ihn gedrillt in allem und er hatte nur sein Vater stolz machen wollen, hatte alles ertragen. Die anspruchsvolle Schulausbildung, die harte Kampfausbildung und die strenge Erziehung zum zukünftigen Kaiser.
Die einzigen Lichtblicke in seiner Kindheit, waren die, wenn Bors mit Steven vorbeikam und er sich verhalten und spielen konnte wie ein normaler Junge. Bors wusste, wie streng er erzogen wurde und kam deswegen auch öfters vorbei, als sein Vater lieb war. Dafür wird Kenshin Bors immer dankbar sein. Verdammt nochmal Bors, dachte sich Kenshin, wieso hast du diesen Fehler begangen? Er blickte wieder auf Anna, beobachtete wie sich ihr Brustkorb hob und senkte, nach einer Weile atmete er in ihrem Rhythmus. Es waren keine zwei Stunden vergangen, als plötzlich sein Handy, in seiner Hosentasche, zu vibrieren begann. Er zog es heraus und blickte stirnrunzelnd auf die Nummer des Dukes of Nosakusa. Yusei wusste das sich Kenshin ein paar Tage frei genommen hatte, also musste es etwas Dringendes sein. Er stand auf und nahm ab.
„Hallo Yusei."
„Majestät, verzeiht mir, wenn ich Sie störe, aber es dringend!", begrüsste Yusei ihn.
„Was gibt es denn so dringend?", wollte er leise wissen, denn er wollte Anna nicht wecken.
„Ihr solltet für diese Angelegenheit besser in den Palast zurückkehren.", meinte Yusei ebenfalls leise.
„Das geht schlecht!", erwiderte Kenshin seufzend und kehrte Anna den Rücken zu. „Ich habe eine familiäre Krise und will mich zuerst darum kümmern."
„Genau darum geht es, Majestät."
Kenshin erstarrte und sein Herz setzte einen Moment aus. Wusste das Land bereits was Bors getan hatte?
„Majestät, in der Schweiz wurden vor einem Jahr eine Schule überfallen und vier jugendliche Mädchen entführt.", begann Yusei zu erzählen, da Kenshin schwieg. „Ein paar Monate später wurde ein Junge entführt und nun hat man diese Jugendliche in Hiyokuna gefunden. Sie wurden gestern Abend befreit."
Kenshin hörte zu und fragte sich, was hatte Bors oder Steven damit zu tun?
„Nur eines der jugendlichen Mädchen konnte nicht befreit werden."
„Weshalb nicht?", fragte Kenshin tonlos, während sein Herz zu rasen begann.
„Der Verantwortliche konnte mit ihr fliehen.", erklärte Yusei immer noch leise.
„Wer ist der Verantwortliche? Wer ist der Entführer?", wollte Kenshin umgehend wissen. Wollte wissen, wer in seinem Land zu solch schrecklichen Taten fähig war. Yusei zögerte und er bemerkte, dass der Duke nicht antworten wollte.
„Yusei?", sagte Kenshin mit leicht drohendem Unterton. „Wer ist für die Entführung verantwortlich?"
„Der Duke of Shioko.", antwortete Yusei schlussendlich. „Bors Winceston ist für die Entführung verantwortlich."
Kenshin hatte das Gefühl, dass ihm den Boden unter den Füssen weggezogen wurde und er musste sich an der Wand festhalten. Sein Herz klopfte unnatürlich schnell und er hoffte, sich verhört zu haben.
„Die Jugendlichen haben alle eindeutig ihren Entführer als den Duke of Shioko identifiziert und das ist leider noch nicht alles.", informierte Yusei ihn bekümmert.
„Was denn noch?", fragte Kenshin atemlos.
„Das vierte jugendliche Mädchen, ihr Name ist Anna Verena Turner, ich habe ihr Vermisst Foto gesehen. Ihr Haar sieht ein wenig anders aus und sie sieht ein wenig kindlich auf dem Foto aus, aber ich bin mir sicher, dass es sich um Annalia Aubry handelt!"
Kenshin glaubte sein Herz bliebe stehen, mit entsetztem Blick drehte er sich um, starrte auf die Frau im Bett, welche nun wach war, an.
„Majestät?"
„Ich rufe zurück!", flüsterte Kenshin atemlos vor Entsetzen und legte auf. Langsam ging er auf das Bett zu, Anna blickte ihn ausdruckslos an. Hatte sie das Telefonat mitgekriegt?
„Wer bist du?", fragte Kenshin flüsternd, obwohl er die Antwort fürchtete, weil es dann bedeuten würde, dass alles was Yusei ihm erzählt, hatte wahr wäre.
„Du weisst wer ich bin.", antwortete sie ihm leise mit ausdruckslosem Blick, dann wandte sie den Blick ab von ihm und starrte mit leblosen Augen die Decke an. Kenshin fasste sich voller Entsetzen an den Kopf, war das die Bestätigung? Sein Herz wurde bleischwer, was hatte Bors getan? Was hatte Steven getan?
Fassungslos hastete Kenshin aus dem Zimmer, blieb im Gang stehen und versuchte sich wieder in den Griff zu kriegen. Sein Herz wollte die Wahrheit nicht akzeptieren und sein Verstand versuchte es zu verarbeiten. Plötzlich kam Steven aus dem Nebenzimmer heraus, bekleidet nur mit einer Trainerhose und blickte ihn besorgt an.
„Ist alles in Ordnung Kenshin?", fragte Steven nichtsahnend. „Ich habe laute Geräusche gehört."
„Ob alles in Ordnung ist?", wiederholte Kenshin leise und ungehalten, dann lauter. „Nichts wird mehr in Ordnung sein, nicht, nachdem was du und Bors getan habt!"
Steven blickte ihn zuerst entsetzt an, danach betreten zu Boden.
„Du weisst es.", sagte er bestürzt.
„Natürlich, weiss ich es!", rief Kenshin zornig aus. „Das ist mein Land, nichts passiert hier ohne, dass ich es weiss! Wie konntet ihr fünf unschuldige Jugendliche entführen? Ihr kommt beide ins Gefängnis und weswegen?"
Steven blickte ihn schuldig an, er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Kenshin grollte weiter.
„Ihr habt mich beide belogen! Ihr, die zu meiner Familie gehören und wenn das noch nicht der Gipfel ist, lässt du mich weiter im Dunkel stehen, damit Bors verschwinden kann!
„Ich wollte es dir erzählen, viele Male!", gab Steven verzweifelt an. „Aber ich konnte nicht!"
„Wieso hast du dann nicht? Ich dachte wir wären Brüder und könnten uns alles sagen!", rief Kenshin wütend und verletzt. „Warum hast du nichts gesagt? Ist dir klar, dass ich dich ins Gefängnis stecken muss?"
„Ja, das ist mir bewusst.", entgegnete Steven wehmütig. „Und trotzdem bin ich noch hier."
Kenshin wollte gerade etwas Wütendes erwidern als eine zitternde Stimme laut wurde.
„Hör auf Kenshin! Hör auf damit!"
Kenshin drehte sich um und sah Anna halbnackt aus dem Zimmer kommen, halt suchend an den traditionellen japanischen Wänden. Auf ihrer Stirn hatte sich bereits Schweiss angesammelt, von der körperlichen Überanstrengung, doch er konnte nur auf ihren wundervollen Körper starren. Dann bemerkte er eine Wunde, gleich unterhalb ihrer Narbe, welche die Kugel verursacht hatte und auf ihrem Brustbereich hatte sie Blutergüsse. Schnell sammelte sich Kenshin wieder, um sie zurück ins Bett zu bringen, doch sie brach zusammen.
„Anna!", riefen Kenshin und Steven gleichzeitig und hasteten zu ihr hin.
„Was tust du nur Anna? Du hättest das Bett nicht verlassen sollen!", rügte Steven sie sanft und wollte sie aufheben, doch Kenshin hinderte ihn daran.
„Nein! Du fasst sie nicht mehr an!", knurrte Kenshin ihn drohend an. „Nicht, nachdem was du getan hast!"
„Kenshin...", flüsterte Anna verzweifelt. „Hör auf Steven zu beschuldigen! Er hat nichts getan! Er wusste von nichts!"
„Was sagst du da?", fragte er verwirrt und blickte in ihren rehbraunen Augen.
„Er hat nichts getan!", wiederholte Anna leise. „Er konnte ihn nur nicht verraten."
Kenshin runzelte die Stirn, meinte sie Bors?
„Komm, ich bringe dich zurück ins Bett.", sagte er sanft und hob Anna sanft vom Boden hoch, wobei sie ihr Gesicht vor Schmerz leicht verzog. Schnell brachte er sie ins Zimmer zurück und versuchte sie sanft ins Bett zu legen, was ihm wohl misslang, da sie wieder ihr Gesicht vor Schmerz verzog. Erleichtert schloss sie die Augen, als sie endlich lag und Kenshin deckte sie mit der Decke zu. Er wollte sich gerade von Anna abwenden, als sie seine Hand ergriff.
„Steven ist unschuldig, er hat nichts getan!", sprach sie kraftlos. „Er hat mir geholfen, wo er nur konnte. Du darfst ihn nicht ins Gefängnis stecken, nur weil er seinen Vater nicht verraten konnte."
„Ruh dich aus Anna.", ordnete Kenshin sie sanft an und lächelte sie schwach an. Sie schloss die Augen und war innerhalb kürzester Zeit wieder eingeschlafen.
„Ist sonst noch jemand hier, ausser Rick?", wollte Kenshin leise von Steven wissen, der ihm ins Zimmer gefolgt war.
„Fabio ist noch hier.", antwortete Steven ebenfalls leise, um Anna nicht noch einmal zu wecken. Kenshin erhob sich vom Bett und drehte sich zu Steven um.
„Zieh dir was an und dann weckst du die zwei anderen!", befahl er ihm leise, aber mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. „Ich will Antworten!"
Steven nickte und verliess rasch, aber leise, das Zimmer. Kenshin blickte noch einmal kurz zu Anna, sie schlief ruhig. Wieso beschützt sie Steven, fragte sich Kenshin, wieso hatte sie nie gesagt wer sie wirklich ist?
Es gab so viele Fragen, doch er würde die Wahrheit herausfinden. Mit einem tiefen Seufzer verliess er das Zimmer und begab sich in den grossen Wohnraum. Er zog sich die Schuhe aus, stellte diese draussen auf der Veranda und holte sich einen Whisky aus der versteckten Bar, dann setzte er sich auf einem der Kissen am Boden an den Esstisch. Er musste nicht lange warten, bis Steven, Rick und Fabio kamen, während Steven sich ihm gegenüber an den Tisch setzte, blieben die anderen hinter ihm stehen. Es war still im Raum und Kenshin nippte ruhig an seinem Whiskyglas.
„Ich will die ganze Geschichte hören!", unterbrach er die Stille, seine Stimme war scharf und sein Blick hart. „Ich will wissen wieso ihr die Jugendlichen entführt habt und was ihr mit ihnen vorhattet. Ich will jedes einzelne beschissene Detail wissen!"
Rick und Fabio blickten sich unangenehm an, niemand ergriff das Wort, was Kenshin fuchste.
„Es fing alles vor vier Jahren an.", begann Steven dann plötzlich leise zu erzählen. „Bors besuchte mich an der Uni, ich hatte gerade Abschlussprüfungen hinter mir und wir wollten feiern gehen. Als er nicht, wie besprochen, vor dem Eingang stand, ging ich allein in meine Lieblingsbar, später traf auch Bors ein und als ich ihn fragte, wo er gewesen sei, sagte er, er hätte eine Frau kennengelernt. Mehr sagte er nicht und ich dachte mir nichts dabei. In den nächsten zwei Jahren, kam Bors immer wieder öfters zu Besuch und nach einer Weile fragte ich ihn, ob es um diese Frau gehe, die er kennengelernt hatte, dass er öfters in der Schweiz wäre. Er bejahte und ich sagte ihm, wenn es schon fast zwei Jahre so ging, möchte ich sie gerne kennenlernen. Bors stimmte zögernd zu und am nächsten Tag fuhren wir aufs Land eine Stunde entfernt von der Stadt, hielten vor einer Schule an und warteten im Auto. Ich dachte mir immer noch nichts dabei, ich dachte vielleicht ist sie Lehrerin. Als die Schule aus war und die Schüler nach Hause gingen, zeigte er auf ein Mädchen und sagte, das ist sie.
Ich bin ausgetickt, sagte ihm wie er nur mit einer Minderjährigen schlafen konnte und das es strafbar sei. Dann erklärte er mir alles, sie hätten noch gar nichts getan, sie kenne ihn noch gar nicht und dass er sie zu sich holen wollte, weil er sich in sie verliebt hatte. Ich habe versucht ihn wieder zur Vernunft zu bringen, noch viele Tage danach, sagte ihm es gäbe andere Wege ihre Liebe zu gewinnen als eine Entführung. Sagte es ihm immer wieder, doch es hat, wie du siehst, nichts genützt."
Kenshin hörte aufmerksam zu, hörte Stevens verzweifelte Stimme.
„Zuerst zeigte er Einsicht und ich war erleichtert, ich hatte wirklich gedacht ihn zur Vernunft gebracht zu haben, aber Bors tat nur so. Ich war mit meiner Arztausbildung fertig und bevor wir die Schweiz verlassen, wollten wir nach Deutschland in einem SPA Hotel und uns entspannen. Wie besprochen, wartete Bors auf mich im Hotel, während Rick mich holte und beim Einpacken zu helfen. Wir waren schon fast beim Hotel angekommen, als Bors mich anrief und einen neuen Treffpunkt ausmachte. Ich war verwirrt, aber wir fuhren zum neuen Treffpunkt und dort traf mich der Schlag. Ich hätte nie gedacht, dass er es wirklich tun würde, aber er hatte Anna tatsächlich entführt."
„Du und Rick wart bei der Entführung nicht involviert?", fragte Kenshin überrascht.
„Nein. Wir wussten von nichts, eure kaiserliche Hoheit.", antwortete Rick für Steven und Kenshin blickte Fabio fragend an.
„Ich war dabei kaiserliche Hoheit.", gab Fabio beschämend zu. „Ich kann bestätigen, dass Steven und Rick keine Ahnung hatten, was Bors vorhatte."
Kenshin hätte am liebsten erleichtert aufgeatmet, weil Steven nicht bei der Entführung dabei gewesen war, doch er liess sich nichts anmerken.
„Wieso hast du die ganze Zeit geschwiegen?", wollte er von Steven wissen. „Du hättest helfen sollen! Du hättest ihr helfen sollen!"
„Das habe ich die ganze Zeit versucht.", antwortete Steven leise. „Bis ich ihr nicht mehr helfen konnte!"
„Was meinst du damit?", fragte Kenshin sofort aus und dann erzählten Steven, Rick und Fabio abwechselnd alles was geschehen war. Sie erzählten von jedem Fluchtversuch die Anna gewagt hatte, jegliche Ausraster von Bors und jede Strafe die Anna erduldet hatte. Wie sie sich selbst angeschossen hatte, um ihre Freunde zu retten und jede Lüge, die sie erzählen musste, um ihre Freunde zu beschützen. Steven erzählte noch von dem Fluchtplan, den Anna monatelang ausgeheckt hatte, da nur er Bescheid wusste, von der vorgetäuschten Schwangerschaft und von letzter Nacht. Nach einer Weile konnte er sein Entsetzen nicht mehr verbergen, er konnte es kaum glauben. Hatte er sich so sehr in Bors getäuscht?
„Wieso hatte Bors die anderen Mädchen entführt?", befragte Kenshin Fabio.
„Das war Jacks Idee, er sagte, es würde die Polizei verwirren und ausserdem könnten sie somit noch ein wenig Geld verdienen.", antwortete Fabio ehrlich.
Kenshin holte ein paar Mal tief Luft, er hatte fast alles erfahren was er wissen wollte,  doch diese Informationen hatten es in sich. Kurz dachte Kenshin nach, was nun sein Urteil war.
„Fabio für dich wird es strafrechtliche Folgen haben, du warst an der Entführung beteiligt und das kann ich nicht tolerieren!", meinte Kenshin mit starker Stimme und Fabio nickte und meinte er würde sich stellen, dann wandte sich Kenshin Steven und Rick zu. „Ich weiss nicht was ich mit euch tun sollte, denn ihr habt nichts getan. Wortwörtlich nichts getan! Weder mitgemacht noch eingegriffen. Zivilcourage ist euch wohl ein Fremdwort! Auch wenn ich weiss, dass sich gegen Bors zu stellen eine Menge an Mut erfordert. Deswegen werde ich mich noch enthalten, was euch betrifft und später entscheiden. Rick und Fabio ihr könnt jetzt gehen und euch weiter ausruhen, ich weiss die Nacht war für euch lang."
„Wenn Ihr erlaubt, kaiserliche Hoheit, würde ich gerne bei Anna Wache stehen, bis sie wieder aufwacht.", bat Rick und Kenshin zögerte einen Moment, unsicher ob er diesen Mann vertrauen konnte, doch dann nickte er. Beide Männer verliessen das Wohnzimmer und Kenshin blickte in Steven erschöpftes Gesicht.
„Ich verstehe immer noch nicht, warum du mir nichts davon erzählt hast!", meinte Kenshin nach einer stillen Minute. „Du hast ihr immer geholfen, aber nie so, dass sie wirklich frei war bis auf gestern! Wieso?"
„Ich konnte Bors nicht verraten.", gestand Steven leise. „Am Anfang habe ich noch gedacht, wenn er einsieht, dass sie ihn nicht liebt, würde er sie alle wieder frei lassen. Aber vor allem konnte ich ihn nicht verraten, nicht nach allem was er für mich getan hatte."
„Das ist der Grund? Du konntest Bors nicht verraten?", fragte Kenshin fassungslos. „Deswegen musste Anna noch mehr leiden?"
„Nein, weil ich meinen Vater nicht verraten konnte!", erwiderte Steven ungehalten. „Mein Vater Kenshin, der der mich gerettet und aufgenommen hat! Der, der mich erzogen hat und mich zu diesem Manne geformt hat, denn ich jetzt bin! Dem ich alles zu verdanken habe was ich habe!"
„Du konntest deinen Vater nicht verraten, obwohl du über seinen schwarzen Geschäften wusstest und nach allem was er getan hat?", fragte Kenshin weiter und wurde selber zornig, beide waren aufgestanden und blickten sich zornig an.
„Er war einst ein guter Mensch und er war ein guter Vater, trotz seiner Geschäfte!"
„Steven, ein solcher Mensch kann kein guter Mensch oder Vater sein!"
„War dein Vater etwa besser?", schleuderte Steven ihm wütend ins Gesicht und Kenshin schnappte nach Luft.
„Meiner hatte keine schwarzen Geschäfte am Laufen!", erwiderte Kenshin zornig.
„Nein, aber er wusste es und tolerierte es!", rief Steven wütend.
„Was???", brach Kenshin hervor und starrte Steven fassungslos an. Entsetzt blickte Steven zurück und schloss schwermütig die Augen.
„Es tut mir leid Kenshin.", entschuldigte sich Steven und fuhr sich durch die Haare. „Ich wollte dir das nie erzählen."
„Ist das wahr?", flüsterte Kenshin entsetzt.
„Ja, leider ja."
Kenshin drehte sich von Steven ab und fasste sich völlig fassungslos an den Kopf. Das konnte alles nicht wahr sein, dachte er sich, dieser Tag wird immer schlimmer.
„Ich wollte nie, dass du es erfährst.", erklärte Steven entschuldigend, hinter ihm.
„Wieso?"
„Ich wollte nicht das Bild deines Vaters zerstören, den du immer hattest."
„Warum?"
„Weil du mein Bruder bist und ich dich beschützen wollte."
Kenshin wurde es warm ums Herz, er drehte sich zu Steven um und blickte ihn traurig an.
„Es ist eine Weile her, dass du mich so genannt hast.", meinte er leise.
„Es ist auch eine Weile her, dass du mich Bruder genannt hast.", erwiderte Steven leise und dann ein wenig lauter. „Ich weiss, ich hätte früher handeln sollen und ich fühle mich deswegen auch schuldig, aber hättest du deinen Vater verraten können?"
Kenshin nickte, er verstand allmählich in welcher inneren Konfrontation Steven gestanden haben muss und schlussendlich hatte Steven sich für Anna entschieden.
„Wieso hat Anna mir nie etwas gesagt? Oder ein Zeichen gegeben?", fragte er schlussendlich Steven.
„Es hätte Adrians Leben gekostet, wenn sie dir etwas erzählt hätte.", meinte Steven seufzend.
„Sie hat Bors nie geliebt?", fragte er weiter, nachdem es kurz ruhig war. Diese Frage war ihm wichtig, eine Frage die er lieber nicht fragen sollte, aber er konnte nicht anders.
„Nein. Sie hat Bors nie geliebt!", antwortete Steven mit Nachdruck und fügte hinzu. „Sie liebte immer nur Adrian."
Kenshin nickte leicht resigniert, natürlich gehörte Annas Herz jemand anderen. Er fragte sich wie der Junge war. Was ihn besonders machte.
„Sie ist eine sehr gute Schauspielerin.", meinte Kenshin darauf nur. „Ich habe ihr geglaubt."
Steven sagte nichts dazu und erneut wurde es kurz still.
„Und was jetzt?", wollte Steven nun wissen und Kenshin dachte kurz nach.
„Jetzt ruf ich Yusei an.", gab Kenshin an und holte sein Handy aus der Hosentasche. „Er soll herkommen und dann entscheiden wir, wie es weitergeht."



Hallo meine Lieben :))
Mein Weihnachtsgeschenk an euch, ein neues Kapitel.
😊🎄🥳
Die Katze ist nun aus dem Sack und Kenshin weiss jetzt Bescheid. Anna ist nun unter seinem Schutz, aber wird dies reichen? Was denkt ihr?
Votes und Kommentare willkommen. :))

Ich wünsche euch besinnliche Festtage mit euren Liebsten.
💖

Eure D.F. Saillants

Gefangen im Schatten der Angst - Wieso er?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt