Der Himmel verdunkelte sich langsam, Anna starrte immer noch vor sich hin und obwohl sie bereits bei ihrem vierten Glas Whisky war, schaffte sie es immer noch nicht zu vergessen, was sie mit Bors alles getan hatte. Ausserdem hatte sie oft das Gefühl, seine Berührungen zu spüren, was natürlich völliger Blödsinn war. Alles Hirngespinste von ihr selbst, das wusste sie. Sie hatte gehofft, der Alkohol würde ihr helfen, was er natürlich nicht tat. Es hatte zwar den Schmerz an der Schulter gelindert, aber der andere Schmerz war noch da. Es ärgerte sie, dass Kenshin Recht behielt.
Es war schon fast dunkel, als Steven auf die Veranda trat und die Lichter auf der Veranda einschaltete. Das Licht blendete Anna einen kurzen Moment, Steven hatte ihr gegenüber Platz genommen und zündete sich eine Zigarette an. Da bekam sie auch Lust, eine Zigarette zu rauchen und sie blickte zu Steven, dieser blickte sie verdriesslich an. Ohne dass sie ein Wort gesagt hatte, holte Steven sein Zigarettenpäckchen aus seiner Hosentasche und schmiss es ihr auf den Lounge Tisch.
„Wenn du dann auch alkoholabhängig bist, reden wir dann?", fragte Steven pikiert, während sie sich eine Zigarette und das Feuerzeug aus dem Päckchen nahm.
„Ich bin nicht alkoholabhängig!", erwiderte sie gekränkt, nachdem sie sich die Zigarette angezündet hatte. Sie spürte wie der Alkohol ihre Zunge löste und wie ihre Gefühle hochkamen.
„Noch nicht, aber du bist auf dem besten Weg dahin!", entgegnete Steven leicht schnaubend.
„Ich versuche doch nur zu vergessen!", flüsterte Anna schmerzlich und zog an ihre Zigarette.
„Damit?", meinte Steven grimmig und zeigte auf die Whiskyflasche. „Das wird dir nicht helfen. Der Alkohol nimmt dir keinen deiner jetzigen Schmerzen weg und lässt dich nicht vergessen, ausser du säufst dich in dem Komma!"
„Wieso verstehst du nicht, dass ich einfach nur vergessen möchte!", rief Anna mit erstickter Stimme und versuchte nicht in Tränen auszubrechen.
„Was möchtest du vergessen Anna?", wollte Steven aufgebracht wissen. „Sag mir was du vergessen willst, damit ich dich verstehen kann!"
„Was ich getan habe!", rief sie gequält, sie wusste nicht, ob der Alkohol sie zum Reden brachte oder weil Steven sauer auf sie war. „Ich versuche zu vergessen, was ich getan habe!"
„Was hast du getan?", fragte Steven stirnrunzelnd und zugleich panisch. „Anna?"
„Ich habe freiwillig mit Bors geschlafen!", brachte sie mühsam hervor. Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und blickte beschämend zu Boden.
„Den Umständen entsprechend, kann man es nicht gerade freiwillig nennen.". meinte Steven nach einer Weile.
„Nein, du verstehst nicht! Du weisst nicht, was ich alles getan habe, damit Bors mir glaubt. Was ich alles gesagt habe, nur damit Bors schlussendlich jeden Tag mit mir schläft. Ich schäme mich so sehr!"
Anna schloss gequält die Augen und eine Träne kullerte über ihre Wange.
„Vergiss nicht weswegen du das getan hast Anna! Du hast es für deine Freunde getan und ihnen vieles erspart. Du brauchst dich für gar nichts zu schämen!", sagte Steven mit fester Stimme, dennoch war seine Stimme einfühlsam.
„Weisst du noch, als du mich fragtest ob ich bereit bin alles für meine Freunde zu opfern?", fragte Anna ihn leise.
„Ja."
„Ich habe immer gedacht, sobald ich frei bin, bekomme ich alles wieder zurück.", flüsterte sie und eine weitere Träne kullerte über ihre Wange. „Ich war so töricht daran zu glauben."
Steven sagte nichts, blickte sie nur schwermütig an und zog an seiner Zigarette.
„Weisst du, wieso ich schon den ganzen Tag nur vor mich hinstarre?", fragte sie ihn, wartete seine Antwort aber nicht ab. „Weil ich versuche die Bilder von mir und Bors, wie wir es treiben, zu vergessen und wenn ich die Augen schliesse, spüre ich immer noch seine Hände an mir, und zwar so als wäre er immer noch hier. Weswegen ich keine Berührungen mehr ertragen kann. Nicht einmal mehr deine! Obwohl du mir immer Halt und Trost gegeben hast und obwohl ich es mir wünschte, dass du mich in den Arm nimmst. Ich würde es nicht ertragen können!"
Weitere Tränen flossen über ihre Wangen, während Steven sie wehmütig und hilflos anblickte.
„Es tut mir so leid Kleines!", entschuldigte sich Steven leise. „Es tut mir so unendlich leid, dass ich nicht früher etwas gegen meinen Vater getan habe."
Anna lächelte bedrückt, sagte aber nichts, sie war ihm deswegen nicht böse. Sie leerte ihr Glas und schenkte sich nochmals ein.
„Glaubst du nicht, dass du genug hattest?", meinte Steven sorgenvoll.
„Nur noch diesen, dann hoffe ich, dass ich genug hatte, um sekundenschnell einzuschlafen.", entgegnete sie ihm, ein wenig lallend und wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht. „Vorausgesetzt ich finde mein Schlafzimmer."
„In Ordnung, danach führe ich dich ins Schlafzimmer.", gab Steven an und beobachtete sie, während sie ihr letztes Glas leer trank. Sobald ihr Glas leer war, gingen sie ins Haus, wobei Anna stark schwankte. Im Wohnzimmer kam Kenshin auf sie zu, er blickte besorgt auf Anna, bevor er sich an Steven richtete.
„Wir müssen reden!", sagte Kenshin bestimmend.
„In Ordnung, ich bringe Anna noch kurz ins Zimmer.", gab Steven Bescheid. Anna runzelte kurz die Stirn, lag da eine gewisse Angst in Kenshins Stimme? Sie musste sich bestimmt irren, schliesslich war sie wirklich sehr angetrunken, wenn nicht schon betrunken. Steven brachte sie zu ihrem Zimmer, er schloss die Fenstertüren zur Veranda, dann wünschte er ihr eine gute Nacht und verliess ihr Zimmer. Anna nahm aus ihrem Kleid das Messer hervor, welches sie vom Abendessen hatte mitgehen lassen und versteckte es unter ihrem Kissen. Sie zog das Kleid aus, liess es einfach zu Boden fallen und ging in Unterwäsche ins Bett, weil sie zu betrunken war, um ein Nachthemd zu finden. Sie legte sich auf ihre linke Seite, eine Hand unter ihrem Kissen, das Messer fest im Griff zu haben gab ihr ein Gefühl der Sicherheit. Sie schlief wie erhofft Sekundenschnelle ein, sie fiel zuerst in einen tiefen Schlaf, welcher später in einem Alptraum mündete. Anna schreckte schweissgebadet hoch, das Messer in der Hand, ihr Herz raste und sie zitterte vor Angst.
„Anna?"
Anna schreckte erneut auf, das Messer fest in der Hand. Das Licht am Kosmetiktisch wurde eingeschaltet und Anna erkannte Kenshin, welcher zuerst perplex auf das Messer schaute.
„Alles in Ordnung Anna, du brauchst keine Angst zu haben.", versicherte Kenshin ihr, nachdem er ihre Angst wahrgenommen hatte. „Bei mir bist du sicher."
Anna liess ihre Hand mit dem Messer sinken, ihr Herz raste immer noch, sowie sie immer noch leicht vor Angst zitterte. Kenshin setzte sich auf die Bettkante und nahm ihr das Messer aus der Hand, dass er sie leicht berührte, bemerkte sie nicht.
„Es war doch nur ein Traum, oder?", fragte Kenshin sanft und Anna nickte leicht. „Wegen Bors?"
„Ja.", antwortete sie flüsternd und schloss wehmütig die Augen. „Er sagte mir, dass wir zusammengehören, dass ich ihm gehöre."
„Du gehörst niemandem, nur dir selbst!", belehrte Kenshin sie sanft. „Leg dich wieder schlafen, ich bleibe hier und beschütze dich. Okay?"
Anna nickte, dass Kenshin bei ihr blieb, beruhigte sie irgendwie und sie legte sich wieder hin. Kenshin stand auf, um das kleine Lämpchen auf dem Kosmetiktisch auszuschalten.
„Nein, bitte lass es an!", bat Anna ihn und er nickte. Er setzte sich im Schneidersitz auf den Boden neben dem Bett, wobei er sanft lächelte.
„Schlaf ruhig ein Anna, ich bleibe hier.", versicherte er ihr und sie schloss die Augen. Nach einer Weile schlief sie wieder ein und sie erwachte erst wieder am frühen Morgen. Kenshin war bereits weg oder hatte sie es sich nur ausgedacht, dass er da gewesen war? Sie war gestern schliesslich sehr betrunken gewesen, was ihr heute einen deftigen Kater bescherte. Sie ging ins Bad und trank ein wenig Leitungswasser.
Sie beschloss ein wenig in den Garten zu gehen, um ihre Kopfschmerzen ein wenig zu lindern, frische Luft würde ihr bestimmt guttun. Ein Blick auf ihre Füsse erinnerte sie daran, dass sie gestern barfuss in den Garten gegangen war, das Kleid war zu ihrer Erleichterung nicht schmutzig, also zog sie erneut an. Sie würde später duschen. Sie öffnete die Fenstertüren, trat auf die Veranda und dann in den Garten. Es war erneut ein sonniger Tag und Anna versuchte an nichts zu denken, während sie durch den Garten spazierte.
Doch auch heute tauchten immer wieder Bilder von ihr und Bors vor ihren Augen auf. Sie versuchte diese zu verdrängen, versuchte an nichts zu denken. Sie konzentrierte sich so sehr darauf, dass sie gar nicht achtete wohin sie ging, bis sie wieder darauf achtete. Ihre Füsse hatten sie zum Pavillon geführt, doch war dieser schon besetzt. Kenshin sass im Schneidersitz auf der obersten Stufe, sein Rücken war gerade, seine Hände ruhten auf den Knien und seine Augen waren verschlossen. Anna blieb stehen und beobachtet ihn, er wirkte entspannte und seine langen schwarzen Haare waren offen. Es war das erste Mal, dass Anna ihn mit offenen Haaren sah, normalerweise hatte er sie immer zu einem perfekten Dutt zusammengebunden. Plötzlich öffnete er seine Augen und blickte sie direkt an.
„Guten Morgen Anna.", grüsste er sie und stand auf, wobei er sie weiterhin intensiv anschaute. Er stieg die wenigen Stufen vom Pavillon hinunter und ging auf sie zu. Anna blickte auf seine Kleidung, er hatte eine weite weisse Hose und oben was aussah wie ein sehr kurzer roter Bademantel. Diesen hatte er aber offengelassen, sodass Anna seinen muskulösen Oberkörper sehen konnte und sie nur noch darauf starren konnte. Keineinziges Haar zierte seine muskulöse Brust und seine Haut war makellos. SeineMuskeln waren ausgeprägt, bis zum Bauch, seine Leiste bildete ein deutliches Vund Anna musste leer schlucken. Es war nicht das erste Mal, dass sie einendurchtrainierten Körper eines Mannes sah, denn Bors Körper konnte man mit einemgriechischen Gott vergleichen, doch Kenshins Oberkörper löste bei Anna tief inihrem inneren etwas aus.
„Entschuldige, ich trage seit Jahren beim Kimono nicht mehr den Kendo Gi.", entschuldigte sich Kenshin, als er ihren Blick erkannte und band den Kimono mit der Schleife zusammen, was nicht sehr viel nützte.
„Denn was beim was?", fragte Anna irritiert, dennbeide Wörter kannte sie nicht und sie riss ihre Augen von Kenshins Oberkörperlos. Versuchte sich zusammenzureissen.
„Den Kendo Gi.", wiederholte Kenshin schmunzelnd. „Das wäre wohl der Teil, der offensichtlich fehlt und der Kimono, nun so nennt sich das Ganze. Ich trage einen Samurai Kimono. Ich trage immer einen, wenn ich trainiere oder meditiere."
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht stören.", entschuldigte sie sich undwar froh wieder ihren Verstand beisammen zu haben.
„Ist schon in Ordnung.", meinte Kenshin und wechselte das Thema. „Dir geht es heute anscheinend besser."
Anna schloss wehmütig die Augen und spannte ihren Kiefermuskel an. Wieso musste er sie daran erinnern?
„Ein wenig.", antwortete Anna leise, nachdem sie ihre Augen wieder öffnete und wandte sich von ihm ab.
„Vielleicht würde dir meditieren helfen.", empfahl Kenshin ihr und sie drehte sich wieder zu ihm um.
„Inwiefern sollte mir das helfen?", fragte sie perplex.
„Du übst doch eine Kampfkunst aus?"
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Anna blickte ihn immer noch verwirrt an, während sie das Gefühl hatte, dass sein Blick sie durchbohren schien.
„Kung Fu?"
Wieder eine Feststellung.
„Hat dir dein Lehrer nie gesagt, wie wichtig Meditation sei, wenn man eine Kampfkunst ausübt?", fragte Kenshin stirnrunzelnd.
„Nein."
„Dann ist er ein schlechter Lehrer."
„Woher willst du das Wissen?", erwiderte Anna etwas pikiert.
„Weil ich auch eine Kampfkunst ausübe.", entgegnete Kenshin leicht amüsiert. „Mir wurde beigebracht, dass Meditation den Geist stärkt, eine innere Ruhe gibt und eine bessere Kontrolle über den Körper. Alles was du jetzt gebrauchen könntest, besonders die innere Ruhe."
Anna überdachte seine Worte, er hatte Recht, meditieren wäre keine schlechte Idee. Probieren könnte sie es ja, das Problem war nur, dass sie nicht wusste, wie man meditierte.
„Soll ich dir zeigen, wie es geht?", fragte Kenshin, als ob er ihre Gedanken lesen könnte und sie nickte schüchtern. Kenshin lächelte und ging zurück in den Pavillon, Anna folgte ihm.
„Setz dich im Schneidersitz auf dem Boden.", wies er sie an, als sie in der Mitte des Pavillons standen und Anna befolgte seine Anweisungen. Er setzte sich ihr gegenüber.
„Halte deinen Rücken gerade, lege die Hände mit geöffneter Handfläche auf die Knie und schliesse die Augen.", wies er sie weiter an. Anna befolgte seine Anweisungen, die Augen geschlossen zu halten fiel ihr schwer, das Gefühl Bors Hände auf ihren Körper zu spüren, liess sie die Augen wieder öffnen. Sie blickte in Kenshins dunkelbraune Augen und sie wusste, dass er ihre Angst erkennen konnte.
„Konzentriere dich auf meine Stimme Anna, blende alles andere aus.", gab Kenshin an und sie nickte. „Schliesse die Augen und beginne dich auf deine Atmung zu konzentrieren."
Anna schloss erneut die Augen und atmete tief durch.
„Atme bewusst ein und aus, bis zur Körpermitte und versuche dabei alle Muskeln zu entspannen und diese locker zu lassen."
Anna befolgte seine Anweisungen, sie konzentrierte sich auf ihre Atmung und ihren Körper. Das Gefühl von Bors Hände auf ihren Körper verblasste langsam und sie begann sich zu entspannen.
„Sehr gut, konzentriere dich auf deinen Körper und auf deine Atmung und werde zu deinem eigenen Beobachter."
Kenshins Stimme drang sanft in ihrem Bewusstsein, während sie weiter seine Anweisungen befolgte. Sie atmete ein und dann wieder aus. Sie hatte das Gefühl, sich selbst sehen zu können, wie sie mit Kenshin dasass und meditierte. Sie atmete ein und aus, dachte an nichts, konzentrierte sich nur auf ihren Körper und ihrer Atmung. Als sie das Gefühl hatte genug zu haben, öffnete sie ihre Augen. Kenshin sass ihr immer noch gegenüber, seine Augen erfassten, die ihre und trotzdem blieb Anna ruhig.
„Genug?", fragte er sie und sie nickte. „Gut, atme ein paar Mal tief durch, danach strecke dich ein wenig, steh auf und dehne dich."
Anna atmete tief durch, streckte ihre Arme aus, stand danach auf und dehnte sich ein wenig. Ihre Glieder fühlten sich leicht taub an, was sie wunderte, denn während der Meditation war ihr dies nicht aufgefallen. Kenshin war bereits aufgestanden und beobachtete sie.
„Jetzt noch ein paar Mal tief durchatmen und dann sind wir fertig.", meinte Kenshin und Anna befolgte seine letzten Anweisungen. Sie fühlte sich besser, ruhiger und weniger ängstlich.
„Fühlst du dich besser?", fragte er mit seiner ruhigen Stimme und sie nickte erneut. „Wunderbar, dann lass uns ins Haus zurückgehen, es ist bestimmt schon Mittag."
„Das kann nicht sein.", meinte Anna sicher. „Es war doch noch früh, als ich in den Garten ging."
„Schon möglich, jetzt ist es aber bestimmt schon Mittag.", erwiderte Kenshin ruhig.
„Aber das hiesse, dass ich stundenlang meditiert habe.", entgegnete Anna ungläubig und blickte ihn genauso an.
„Ja, das hast du.", meinte Kenshin amüsiert und erklärte. „Meditation braucht Zeit, es kann Stunden dauern, aber es kann auch kurz sein."
Gemeinsam verliessen sie den Pavillon, sie schlenderten gemütlich durch den Garten.
„Welche Kampfkunst übst du aus?", wollte Anna von Kenshin wissen, diese Frage lag ihr schon länger auf der Zunge.
„Jiu-Jitsu.", antwortete Kenshin und als er ihren fragenden Gesichtsausdruck sah, erklärte er es. „Eine von den japanischen Samurai stammende Kampfkunst der waffenlosen Selbstverteidigung. Ziel des Jiu-Jitsu ist es, einen Angreifer, ungeachtet dessen, ob er bewaffnet ist oder nicht, möglichst effizient unschädlich zu machen. Dies kann durch Schlag-, Tritt-, Stoß-, Wurf-, Hebel- und Würgetechniken geschehen. Dabei soll nicht Kraft gegen Kraft aufgewendet werden, sondern so viel wie möglich die Kraft des Angreifers gegen ihn selbst verwenden."
Anna hörte ihm aufmerksam zu, dass wäre eigentlich die perfekte Kampfkunst für sie, eigentlich für jede Frau.
„Würdest du es mir beibringen?", fragte sie Kenshin, als sie schon fast beim Haus waren.
„Du übst doch schon Kung Fu aus, es wäre nicht besonders sinnvoll zwei verschieden Kampfkünste auszuüben, wenn man diese noch nicht vollständig beherrscht.", erwiderte Kenshin ruhig.
„Ich war seit einem Jahr nicht mehr bei einem Training und ausserdem hat es mir nicht sehr viel gebracht.", meinte Anna leise. „Bitte bring es mir bei."
„Ich bin kein Meister Anna.", erwiderte Kenshin wieder, aber leise und blieb kurz vor der Veranda stehen. Er blickte sie an, mit diesem intensiven Blick, sodass Anna das Gefühl hatte er lese sie wie ein Buch. Vielleicht konnte er es auch?
„Tut mir leid, ich hatte nicht das Gefühl, dass du noch ein Schüler bist.", entschuldigte sich Anna leise und blickte weg.
„Das bin auch nicht mehr.", korrigierte Kenshin das Missverständnis. „Das bin ich schon lange nicht mehr, aber ich sehe mich auch nicht als ein Meister des Jiu-Jitsu."
„Das musst du doch auch nicht sein. Bitte bring es mir bei.", bat Anna erneut und schaute wieder in seine dunkelbraunen Augen. Kenshin blickte sie an, seine Augen erfassten die ihren, sodass es Anna heiss und kalt zugleich wurde.
„Mal sehen, vielleicht bringe ich es dir bei.", meinte er schlussendlich. „Wenn deine Schulter wieder genesen ist."
„Meiner Schulter geht es bestens.", erwiderte Anna gereizt, während sie Kenshin die Veranda hinauf folgte. „Die Schulter bereitet mir keine Schmerzen mehr."
„Tut es doch!", entgegnete Kenshin, hielt an und drehte sich wieder zu ihr um. „Die Schulter bereitet dir keine Schmerzen, weil du keinerlei Muskelbewegung ausführst und deinen Arm nicht bewegst. Denk nicht, ich hätte es nicht bemerkt. Wenn du willst, dass ich dich trainiere, dann erst wenn du wieder vollständig genesen bist."
Kenshin sah sie entschieden an, während Anna ihn leicht verärgert ansah, weil er sie durchschaut hatte. Sie wusste, er würde seine Meinung nicht ändern. Solange ihre Schulter verletzt war, würde es kein Training geben. Aber sie wollte diese Kampfkunst unbedingt erlernen, sich verteidigen zu können war ihr wichtiger denn je. Nie mehr wieder wollte sie bei einem Mann den Kürzeren ziehen, also blickte sie den Kaiser leicht wütend an.
„Da seid ihr beiden endlich!"
Stevens Stimme liessen beide zu ihm aufblicken, welcher gerade aus dem Haus trat und zu ihnen auf der Veranda kam.
„Ich wollte euch schon suchen gehen, ihr wart so lange weg.", erklärte Steven. „Es ist schon nach Mittag, wollen wir was essen?"
„Mittagessen klingt gut.", meinte Kenshin und blickte Anna wieder an. „Was meinst du Anna?"
„Ich werde zuerst duschen gehen.", erwiderte Anna teilnahmslos und ging ins Haus, ohne die beiden Männer nochmals einen Blick zu würdigen. Sie ging in ihr Zimmer, zog sich aus und stieg in die Wanne. Sie begann sich zu waschen, nicht ohne dabei ihr Gesicht vor Schmerz zu verzerren, da sie immer wieder ihre verletzte Schulter bewegen musste. Ein wenig von der vorigen Wut kam zurück. Sie war wütend auf sich selbst und auf Kenshin. Wie hatte er sie bloss so leicht durchschauen können?
Nachdem sie fertig war, stieg sie wieder aus der Wanne, trocknete ihre Haare und zog ein Kleid aus dem Kleiderschrank an. Es war dem ersten ähnlich, nur das dieses Kleid ganz weiss war und der Teil aus Satin trägerlos war. Sie schloss den Reisverschluss auf der Seite zu, es passte ihr wie angegossen, danach schlüpfte sie in den weissen Chiffonumhang mit weiten langen Ärmeln. Da sie ein wenig Hunger verspürte, verliess sie das Zimmer und suchte die anderen auf. Sie fand Steven im Wohnzimmer, er blickte von seinem Buch auf, lächelte sie dabei ein wenig unsicher an, doch er sagte nichts.
„Ist was vom Mittagessen übriggeblieben?", fragte Anna leise und setzte sich auf das Sofa gegenüber Steven.
„Wir haben noch nicht gegessen.", informierte Steven sie. „Kenshin wollte vorher auch noch duschen."
Anna nickte, sagte aber nichts und blickte zu Boden. Sie wusste nicht was sie tun sollte, bis es Essen gab.
„Anna?"
Stevens sanfte Stimme, liess sie wieder zu ihm blicken. Er hatte sein Buch zur Seite gelegt und schaute sie unsicher an.
„Ich sollte mir deine Schulter mal wieder ansehen.", meinte Steven sanft, aber bestimmend. „Ich weiss du erträgst im Moment keine Berührungen, aber es wäre besser, wenn ich die Wunde neu eincreme und verbinde."
Anna wurde es leicht übel, bei dem Gedanke, dass sie jemand berührte, auch wenn es Steven war. Jedoch hatte Steven Recht, es wäre besser und ihre Schulter würde schneller genesen. Da sie kein Wort herausbrachte, nickte sie.
„Ich hole schnell meine Utensilien.", murmelte Steven und verliess das Wohnzimmer, um wenig später wiederzukommen. Er setzte sich neben ihr, während Anna aufstand, langsam den Chiffonumhang öffnete und den rechten Arm aus dem Ärmel des Kleides nahm, sodass ihre verletzte Schulter frei war. Gerade als sie sich wieder hingesetzt und Steven den Rücken gekehrt hatte, trat Kenshin ins Wohnzimmer. Er blieb kurz stehen, blickte sie mit seinem intensiven Blick an, bevor er nähertrat, um Steven über die Schulter zu blicken. Anna wurde es noch mulmiger zumute und sie schloss die Augen, als Stevens warme Hände die Gaze entfernte, welche die Wunde abgedeckt hatte. Ihr wurde übel, das Gefühl von Bors Händen an ihrem Körper überflutete sie, sodass sie glaubte sie müsste sich gleich übergeben. Sie spannte ihre Kiefermuskeln an und hoffte, sie könne somit verhindern sich zu übergeben.
„Halte ein Steven!", hörte Anna Kenshin sagen, während sie versuchte sich nicht zu bewegen. Sie hielt ihre Augen immer noch fest verschlossen, kämpfte gegen die Übelkeit und das Gefühl wegzurennen.
„Anna?"
Kenshin sprach leise und sanft ihren Namen aus.
„Anna öffne die Augen.", befahl Kenshin, seine Stimme blieb leise und sanft. Anna öffnete langsam ihre Augen und blickte den jungen Kaiser an, der nun vor ihr sass. Seine Augen blickten in die ihren.
„Schliesse nicht die Augen, sondern sieh mich an.", wies er sie leise an, dann nickte er Steven zu und Anna spürte wieder Stevens Hände an ihrer Schulter. Unbewusst hielt Anna die Luft an und schloss unwillkürlich ihre Augen.
„Sieh mich an, Anna.", wies Kenshin sanft und Anna öffnete wieder ihre Augen. „Bors ist nicht hier, nur Steven und ich. Okay?"
Anna nickte und blickte Kenshin weiter an, seine sanfte Stimme beruhigte sie ein wenig, dass Gefühl von Bors Hände auf ihren Körper konnte er ihr aber nicht nehmen.
„Bors ist nicht hier!", wiederholte Kenshin sanft, als ob er wusste was in ihr vorging. „Steven berührt dich, nicht Bors. Konzentriere dich nur auf mich."
Anna konzentrierte sich auf Kenshin, sie war ein wenig verblüfft, dass er wusste, was sie fühlte. Konnte man es ihr so leicht ansehen? Oder war es einfach nur Kenshin, der sie lesen konnte wie ein offenes Buch? Dieses Gefühl hatte sie nämlich bei ihm oft, aber wenn es wirklich so wäre, hätte er früher bemerkt, dass sie nichts für Bors empfand. Dass sie eine Gefangene war. Oder lag es daran, dass sie ihre Maske hatte fallen lassen?
Seine dunkelbraunen Augen ruhten auf ihr und ihre rehbraunen Augen auf ihm. Zum ersten Mal schaute sich Anna den jungen Kaiser genauer an. Seine Augen erinnerte sie an flüssige Schokolade, welche leicht von Augenringen umrandet wurden, als hätte er kaum geschlafen. Die Augenbrauen wirkten gepflegt, wobei ihr erst jetzt an der linken Augenbraue die kleine Narbe auffiel. Seine Haut war makellos und er war wie immer perfekt rasiert. Vertieft in ihre Gedanken, hatte sie das Gefühl von Bors Händen auf ihr vergessen, sowie sie vergessen hatte, dass Steven sie verarzte, bis seine Stimme sie aus ihren Gedanken riss.
„Ich bin fertig. Die Wunde sieht gut aus. Ich habe es eingecremt und neu eingebunden.", erklärte Steven und Anna konnte seine Erleichterung in seiner Stimme hören. „Deine Schulter ist auf besten Weg der Besserung."
Anna riss sich von Kenshins Augen los, schob ihren rechten Arm wieder im Ärmel des Kleides, wobei sie noch ein Dankeschön murmelte und dann aufstand. Ihr fiel erst jetzt Rick auf, welcher bei der Tür stand und die Szene beobachtet zu haben schien. Sein Mund war zu einer dünnen Linie zusammengepresst, sein wehleidiger Blick liess Anna die Stirn runzeln, doch als er ihren Blick bemerkte lächelte er sie freundlich an.
„Das Mittagessen ist bereit.", informierte Rick alle.
„Wir kommen gleich alle.", gab Kenshin Bescheid, blickte aber Anna unsicher an. „Oder etwa nicht?"
„Mir ist der Hunger vergangen.", meinte Anna leise. „Esst ruhig ohne mich."
Sie verliess das Wohnzimmer Richtung Veranda und liess die Männer allein. Sie setzte sich draussen auf die Veranda und blickte hinaus in den Garten. Sie fühlte sich nach Stevens Arztbehandlung wie ausgelaugt und die innere Ruhe, die sie nach der Meditation empfunden hatte, war verschwunden. Sie war keine fünf Minuten auf der Veranda, als Kenshin aus dem Haus trat und sich zu ihr setzte.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Kenshin sanft und blickte sie sorgenvoll an, doch bevor sie antworten konnte, redete er weiter. „Tut mir leid, das ist eine blöde Frage. Ich weiss, dass für dich momentan nichts in Ordnung ist, aber ich will, dass du weisst, dass ich alles tue, damit wieder alles in Ordnung kommt. Nicht nur ich, auch Steven und Rick tun ihr Bestes. Was ich eigentlich fragen wollte, bevor ich mich zum Narren gemacht habe, geht es dir gut?"
Anna blickte den Mann neben ihr ein wenig fassungslos an, noch nie hatte sie ihn so fahrig erlebt, geschweige denn gehört, dass er sich versprochen hatte, sodass sie unwillkürlich Lächeln musste.
„Du machst dich nicht zu Narren.", erwiderte sie lächelnd und wurde dann ernster. „Du hast Recht, nichts ist in Ordnung und es geht mir auch nicht besonders gut."
„Aber vorhin ging es dir doch einigermassen gut?"
„Ja."
„Und vorhin hattest du auch noch Hunger?"
„Ja."
„Glaubst du nicht, dass der Hunger wiederkommt, wenn du erst mal vor dem Essen sitzt?", fragte Kenshin weiter.
„Kann schon sein.", meinte Anna achselzuckend.
„Ich denke, das kann sehr wohl sein.", behauptete Kenshin voller Überzeugung und lächelte dabei. „Es gibt nämlich Sushi und es gibt nichts Besseres als Sushi oder bist du anderer Meinung?"
„Kann ich nicht sagen, ich habe noch nie Sushi gegessen.", gab Anna zu und lächelte, da Kenshins Lächeln ansteckend war.
„Du hast noch nie Sushi gegessen?", fragte Kenshin mit übertriebener Fassungslosigkeit und Anna schüttelte den Kopf, wobei sie noch breiter lächeln musste. „Nun, wäre es nicht äusserst Schade, wenn du nicht zu uns am Tisch kämst und ein paar probierst?"
„Ich glaube schon.", antwortete sie lächelnd.
„Na dann, komm zu Tisch.", meinte Kenshin ebenfalls lächelnd, stand auf und bot ihr seine Hand an. „Sonst essen Steven und Rick alles weg."
Lächelnd und ohne zu überlegen, ergriff Anna seine Hand und er zog sie sanft von der Lounge hoch. Erst da wurde ihr bewusst, wie nah Kenshin ihr war, so nah, dass sie seine Körperwärme spüren konnte und ihr stockte der Atem. Sein männlicher Duft stieg ihr in die Nase. Ihr wurde heiss und kalt zugleich. Sie blickte in seinen dunkelbraunen Augen, er in ihren und sie begann unbewusst auf ihre Lippen zu kauen. Kenshins Augen blitzten kurz auf, er hielt aber immer noch sanft ihre Hand und Anna begann sich unsicher zu fühlen. Als ob Kenshin ihre Unsicherheit bemerkt hätte, liess er ihre Hand sofort los und trat ein Schritt zurück.
„Wollen wir?", fragte er lächelnd, als ob nichts gewesen wäre. „Sonst ist wirklich alles weg."
Anna nickte, versuchte sein Lächeln zu erwidern, was ihr nicht ganz gelang, da sie ihre Gefühle ordnen musste. Was war gerade mit ihr los gewesen? Sie war immer so fahrig in Kenshins Nähe, aber sie fühlte sich auch wohl und sicher bei ihm. Während sie Kenshin ins Haus folgte, grübelte sie weiter nach, wieso Kenshin solche Gefühle in ihr weckte.
Im Esszimmer angelangt unterbrach sie ihre Gedanken, Rick und Steven assen bereits und blickten überrascht auf, als sie Anna sahen. Keiner der beiden sagte ein Wort und Kenshin setzte sich am Kopf des Tisches. Wie es in Japan traditionell war, sassen alle auf den Boden und Anna setzte sich Kenshin gegenüber. Sie blickte über den reich gedeckten Tisch und Kenshin erklärte ihr wie sie die Stäbchen halten musste und wie man Sushi ass. Eigentlich hatte Anna wenig Lust zu essen, aber als sie das erste Stück Sushi ass, kehrte ihr Hunger zurück. Es war einfach nur köstlich. Anna ass so viel wie seit langem nicht mehr.
„Schmeckt es?", wollte Kenshin lächelnd wissen.
„Es ist köstlich!", antwortete Anna ebenfalls lächelnd.
„Das merkt man.", meinte Steven fasziniert und leicht überrascht. „Ich kann mich nicht erinnern, wann du das letzte Mal so viel gegessen hast, aber es ist eine Freude dir dabei zuzusehen."
Anna wurde leicht rot, weil sie so viel in sich reinstopfte, aber sie hatte nun mal wirklich grossen Hunger. Auf einmal spürte sie wieder Kenshins Blick und sie sah zu ihm hinüber. Seine Augen ruhten auf sie, sein intensiver Blick liess Anna nervös werden und sie begann wieder unbewusst auf ihre Lippen zu kauen.
„Wo ist eigentlich Fabio?", fragte Anna, um die Stille zu unterbrechen und weil sie sich erinnerte, dass er hier war. Überrascht sahen die drei Männer sie an und Anna wurde wieder unsicher, was dieses Mal aber nicht an Kenshin lag.
„Fabio ist im Gefängnis.", antwortete Steven schlussendlich.
„Weshalb denn?", wollte Anna stirnrunzelnd wissen. „Ich dachte er hätte sich für Steven entschieden."
Wieder blickten die drei Männer sich und sie überrascht an.
„Woher weisst du, dass Fabio sich für mich entschieden hat?", entgegnete Steven vorsichtig. „Soweit ich mich erinnern kann, warst du nicht bei Bewusstsein."
„Nun ja, eigentlich schon.", gab Anna zu. „Es ist schwierig zu erklären, aber manchmal war ich wach, konnte mich aber nicht bewegen. Ich konnte euch aber hören und da meinte ich gehört zu haben, dass sich Fabio für Stevens Seite entschieden hat. Ich verstand nur nicht, was das genau sollte."
Steven und Rick blickten beide in ihren Teller, als ob sie nicht wussten was sie sagen sollten, was Anna irritierte, dann ergriff Kenshin das Wort.
„Du hast alles richtig gehört Anna, trotzdem musste Fabio in Gefängnis gehen."
„Aber warum?", fragte sie erneut.
„Anna, Fabio hat ein Verbrechen begangen, nämlich die Teilnahme an der Entführung und egal wie sehr es ihm leidtut, kann ich ein solches Verbrechen nicht ungestraft lassen. Er muss für seine Taten geradestehen.", erklärte Kenshin geduldig.
„Seine Strafe wird gemildert, da er sich gestellt hat und alles was er über Bors weiss der Polizei erzählt hat.", fügte Steven hinzu und Anna nickte.
„Wenn wir schon bei diesem Thema sind Anna.", begann Kenshin sachlich, blickte sie aber wieder intensiv an. „Ich muss zurück in die Hauptstadt, wo ich eine Pressekonferenz einberufen habe..."
„Du gehst weg?!", unterbrach Anna ihn bestürzt. Sie hatte selbst keine Ahnung, wieso sie so reagierte, aber irgendwie fühlte sie sich sicherer, wenn Kenshin hier war.
„Ja, ich muss zurück in den Palast und Steven begleitet mich.", fuhr Kenshin vorsichtig fort, jedoch unterbrach Anna ihn ein weiteres Mal.
„Ihr geht beide fort?!"
Unsicher blickten sich Steven, Rick und Kenshin an, als wussten alle nicht genau was sie sagen sollten.
„Anna sie kommen ja beide wieder.", meldete sich Rick nun zu Wort.
„Natürlich, weiss ich doch.", erwiderte Anna emotionslos und stand auf. „Danke für das Mittagessen."
Schnell verliess sie das Esszimmer, konnte aber noch Kenshin Stimme hören.
„Irgendetwas ist jetzt gerade richtig schiefgelaufen, aber ich habe keine Ahnung was!"
Anna ging mit raschen Schritten zur Veranda, weiter in den Garten, sie hielt beim Pavillon an, wo sie dann rastlos hin und her lief. Was war nur los mit ihr? Wieso hat diese Information sie so aus der Fassung gebracht? Hatte sie Angst alleine zu sein? Nein, das war es nicht! Bei Steven war es vielleicht, weil sie ihn vertraute, er war wie ein Bruder für sie. Auch wenn sie momentan seine Berührungen nicht ertragen konnte, war er die Person, die sie am meisten vertraute, ihm alles sagen konnte, sich bei ihm sicher fühlte. Vielleicht der Hintergedanke, dass jedes Mal, wenn er weg war, irgendetwas passierte. Aber wieso hatte sie bei Kenshin so reagiert? Sie mochte Kenshin, okay sie mochte ihn sehr. Sie fühlte sich bei ihm sicher und sie spürte, dass sie ihm vertrauen konnte. Doch dann war da auch noch seine Blicke, unter deren sie richtig nervös wurde.
Anna hastete auf den Pavillon hin und her, versuchte ihre Gefühle zu ordnen, um sich zu beruhigen beschloss sie, wieder zu meditieren. Dies hatte heute Morgen doch funktioniert. Vielleicht funktionierte es ein weiteres Mal. Sie setzte sich auf den Boden des Pavillons und begann ruhig zu atmen, schloss die Augen, wischte ihre Gedanken beiseite. Sie konzentrierte sich auf ihren Körper und ihre Atmung, wie es ihr Kenshin beigebracht hatte. Als sie ihre innere Ruhe wieder gefunden hatte, mehr oder weniger, und sie genug von der Meditation hatte öffnete sie wieder ihre Augen. Sie fühlte sich ruhiger, ein wenig reiner mit sich selbst. Sie stand auf, atmete ein paar Mal tief durch und streckte sich. Da entdeckte sie Kenshin, der sich lässig an der Säule des Pavillons bei den Stufen anlehnte und ihre Augen weiteten sich kurz vor Überraschung.
„Du machst das schon sehr gut.", meinte Kenshin und stiess sich von der Säule ab.
„Seit wann stehst du denn da?", wollte Anna wissen, als ihr bewusst wurde, dass er sie beobachtet hatte und ignorierte sein Kompliment.
„Fünfzehn, zwanzig Minuten etwa. Ich wollte dich nicht stören", gab er zu und fügte hinzu. „Das habe ich doch nicht?"
„Nein, hast du nicht.", erwiderte Anna, ging am anderen Ende des Pavillons und blickte über den wunderschönen angelegten Teich. Kenshin kam zu ihr hinüber, blieb neben ihr stehen und blickte ebenfalls über den Teich.
„Wollen wir darüber reden, was vorhin passiert ist?", fragte Kenshin nach einer Weile. Seine Stimme war ruhig und ein wenig besorgt und Anna spürte seine Augen auf sich ruhen.
„Ich weiss nicht was war.", offenbarte Anna leise und wurde leicht nervös, blickte ihn jedoch ebenfalls an. Seine dunkelbraunen Augen strahlten Wärme aus und Annas Nervosität verflüchtigte sich ein wenig.
„Hast du vielleicht Angst, dass wir nicht zurückkommen?", befragte er sie weiter.
„Ich weiss es nicht.", antwortete Anna leise und machte eine kurze Pause. „Es liegt vielleicht daran, dass meistens etwas schlimmes passierte, wenn Steven weg waren."
„Ich verstehe.", meinte Kenshin verständnisvoll. „Ich glaube dein Unterbewusstsein hatte diese vorige Reaktion verursacht, wahrscheinlich deswegen. Nun ist aber alles anders Anna, du bist keine Gefangene mehr und musst keine Konsequenzen mehr fürchten. Ausserdem bist du nicht alleine, Rick bleibt hier und wird dich beschützen. Okay?"
„Okay. Mir wäre trotzdem lieber, wenn ihr nicht fortgehen würdet.", gab Anna leise zu und sah wieder über den Teich.
„Ich verstehe dich Anna, aber diese Pressekonferenz ist äusserst wichtig.", gab Kenshin an, er holte einmal tief Luft, bevor er weitersprach. „Es ist höchste Zeit, dass Bors Verbrechen an die Öffentlichkeit kommen, und das werde ich morgen tun. Bors als Verbrecher brandmarken."
Langsam drehte sich Anna zu ihm um, sie glaubte sich verhört zu haben.
„Das wirst du wirklich tun?", hauchte Anna erstaunt.
„Natürlich werde ich das tun.", versicherte er ihr.
„Kannst du denn das tun? Ich meine, Bors ist ein Duke."
„Du vergisst, dass ich der Kaiser bin. Ich kann tun was ich will."
Anna konnte es kaum glauben, Kenshin wird Bors als Verbrecher abstempeln. Das hiesse, er würde ins Gefängnis kommen.
„Alles in Ordnung Anna?", riss Kenshins Stimme aus ihren Gedanken.
„Ja.", hauchte sie, während sie eine enorme Erleichterung spürte.
„Ganz bestimmt?"
„Ja, es ist nur, ich hätte nicht gedacht, dass du Bors das Antun würdest. Er ist doch deine Familie."
„Ja leider schon, aber das entbindet ihn nicht von unseren Gesetzen oder mich. Deswegen muss ich es verkünden. Ich muss mich von ihm distanzieren.", erwiderte Kenshin leicht bedrückt und sah zu Boden. „Anna, ich habe mich bis jetzt nicht entschuldigt für alles was du erleiden musstest. Es tut mir so unfassbar leid, dass ich nicht früher etwas bemerkt habe, dass ich dir nicht genug das Gefühl gegeben habe, mir alles anzuvertrauen zu können und dass du glaubtest, ich würde dir nicht helfen."
Anna sah dem jungen Kaiser an, dass er glaubte, versagt zu haben. Ihn so bekümmert zu sehen, liess ihr Herz irgendwie schwerer werden und sie legte, ohne zu überlegen ihre Hand auf seinen Arm.
„Kenshin, du musst dich für nichts entschuldigen oder dich schuldig fühlen.", meinte Anna ruhig, ihre Hand wanderte unbewusst zu seiner und der junge Kaiser blickte überrascht auf ihre Hand, die seine sanft berührte. „Du kannst nichts dafür was passiert ist. Wir alle können nichts dafür... nur Bors kann etwas dafür."
„Es ist schön, dass du so denkst.", erwiderte Kenshin lächelnd, seine Augen wurden wärmer und liess Anna wieder an flüssige Schokolade erinnern. „Gerade da ich gestern noch das Gefühl hatte, dass du eben nicht so denkst."
„Ja, ich arbeite daran.", gab Anna zu und lächelte kurz. „Es ist nur nicht so einfach, aber die Meditation hilft mit mir im Reinen zu kommen. Danke, dass du es mir gezeigt hast."
„Es freut mich, dass ich dir helfen konnte.", sagte Kenshin lächelnd, nahm seine Hand unter ihrer weg, um diesen auf ihre Hand zu legen. „Ich lass dich wieder allein."
Er drückte kurz sanft ihre Hand und dann war er weg. Völlig irritiert von ihren Gefühlen, blickte Anna ihn hinterher. In den Moment, wo Kenshin seine Hand auf ihre gelegt hatte, spürte sie kurz wie die Dunkelheit nach ihr Griff, als wenn Bors sie berührte und gleichzeitig hatte sie ein wohliges Kribbeln im Bauch gespürt. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie sich unwohl gefühlt hatte oder sie Angst vor der Berührung gehabt hatte. Nein, das hatte sie nicht. Aber sie hatte Angst vor der Berührung der anderen, sogar die von Steven. Wieso also nicht von Kenshin?
Anna merkte, dass sie wieder völlig aufgelöst war, also beschloss sie nochmals eine Runde zu meditieren, um zur Ruhe zu kommen. Nachdem sie die Meditation beendet hatte, bemerkte Anna, dass es bereits zu dämmern begann. Sie hatte den Tag mehrheitlich mit Meditation verbracht und trotzdem war sie müde. Müde aber innerlich ruhig. Sie verliess den Pavillon und begab sich zurück zum Haus. Auf der Veranda fand sie Steven vor, welcher gerade eine Zigarette rauchte und ein Glas Whisky trank.
„Wartest du auf mich?", wollte Anna von ihm wissen, als sie das zweite Glas bemerkte, dass auf den Tisch stand.
„Wäre es schlimm, wenn, ja?", fragte Steven leise und legte seinen Kopf leicht schräg.
„Nein.", antwortete Anna ehrlich, griff nach dem Whiskyglas und setzte sich Steven gegenüber. „Ich bin es gewöhnt, dass du dich Sorgen um mich machst. Hast du eine Zigarette für mich?"
„Ja, aber das Whiskyglas war nicht für dich gedacht.", merkte Steven an und wies auf das Glas in ihren Händen, welches sich Anna an die Lippe setzte und einen grossen Schluck trank. Der Whisky brannte angenehm in ihrer Kehle.
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.", erwiderte Anna ruhig und nahm die Zigarette die Steven ihr entgegenhielt. Sie zündete sich ihren Glimmstängel an und begann genüsslich daran zu ziehen.
„Willst du noch was essen?", fragte Steven nach einer Weile.
„Nein, ich bin noch satt vom Mittagessen und ich bin müde. Ich gehe danach ins Bett.", gab sie ihm Bescheid und nahm nochmals einen grosszügigen Schluck aus ihrem Glas.
„Ist alles in Ordnung?", fragte Steven leise und blickte sie besorgt an.
„Ja... es ist alles in Ordnung.", gab Anna zur Antwort. „Soweit alles in Ordnung sein kann."
Sie lächelte ihn schwach an und Steven erwiderte das schwache Lächeln. Beide tranken einen Schluck. Anna rauchte ihre Zigarette fertig, leerte ihr Glas und stand auf.
„Gute Nacht Steven.", verabschiedete sich Anna.
„Gute Nacht Kleines."
Anna ging zu ihrem Zimmer, zog sich aus und schlüpfte in ihr Negligé. Sie legte sich ins Bett und spürte, dass sie erschöpfter war, als sie gedacht hatte. Nach einer Weile schlief sie ein und Bors begann in ihren Träumen zu wandeln, sodass sie mitten in der Nacht laut aufschrie. Sie zitterte am ganzen Körper und ihr Herz raste.
„Anna?"
Die kleine Lampe am Kosmetiktisch ging an und Anna sah Kenshin. Besorgt lief er zum Bett und setzte sich neben ihr auf dem Bett.
„Alles ist gut Anna.", beruhigte er sie, als er merkte, wie sie vor Angst zitterte. „Es war nur ein Traum. Sonst nichts."
Trotz Kenshin beruhigende Worte, konnte Anna nicht aufhören vor Angst zu zittern. Der Alptraum steckte noch tief in ihren Knochen und ihr Herz raste nach wie vor.
„Ist es wieder wegen Bors?", wollte Kenshin wissen.
„Ja.", flüsterte Anna ängstlich.
„Hab keine Angst mehr.", sagte Kenshin sanft, er nahm ihre Hand in seine mit der anderen streichelte er ihren Arm. Zu ihrem Erstaunen liessen seine Berührung sie nicht zusammenzucken, im Gegenteil. Seine Berührung trösteten sie, sowie seine Anwesenheit und Anna hörte nach einer Weile auf zu zittern.
„Schlaf ruhig wieder ein.", meinte Kenshin leise. „Bei mir passiert dir nichts."
Kenshin hörte auf ihren Arm zu streicheln und wollte aufstehen, doch Anna hielt seine Hand fest. Überrascht blickten seine warmen Augen sie an.
„Bleibst du bei mir?", flüsterte Anna immer noch leicht ängstlich.
„Natürlich.", erwiderte Kenshin leise und setzte sich einigermassen bequemer aufs Bett. „Leg dich hin Anna und schlaf. Ich beschütze dich."
Anna nickte und legte sich wieder hin, ohne dabei Kenshins Hand loszulassen. Sein Daumen strich sanft über ihren Handrücken und Anna schloss wieder die Augen. Langsam verflog die Angst und ihr Herz schlug wieder im normalen Rhythmus. Seine Nähe und seine Berührung beruhigten sie. Nachdenken, wieso es so war, wollte Anna nicht und nach wenigen Minuten fiel sie in einem ruhigen Schlaf, welcher sie bis spät morgens schlafen liess.
Als sie erwachte, merkte sie Kenshins Abwesenheit sofort, dass er nicht mehr da war, stimmte sie traurig. Sie stand auf, verrichtete ihre Morgentoilette und zog wieder einer der Kleider aus dem Kleiderschrank an, diesmal zog sie das rosarote Kleid an. Sie verliess ihr Zimmer und ging ins Esszimmer, wo sie Rick vorfand, der die Morgenzeitung las.
„Guten Morgen Anna.", begrüsste Rick sie mit seinem leichten französischen Akzent, er legte die Zeitung zur Seite und stand auf. „Kaffee?"
„Morgen.", grüsste Anna ein wenig schüchtern. „Sehr gerne. Ich kann mir sonst selber Kaffee holen, dann kannst du in Ruhe deine Zeitung lesen."
„Ist schon okay, ich mache das gerne.", meinte Rick freundlich und ging in die Küche. Anna lächelte schüchtern, irgendwie wusste sie nicht wie sie sich bei Rick verhalten sollte.
„Wo sind denn Kenshin und Steven?", fragte Anna, als Rick zurück ins Esszimmer kam und ihr eine Tasse Kaffee überreichte. „Danke."
„Kenshin und Steven sind heute früh abgefahren.", antwortete Rick, während er sich wieder setzte.
„Oh...", murmelte Anna leicht enttäuscht.
„Wegen der Pressekonferenz. Weiss du noch?", fragte Rick, der ihre Enttäuschung bemerkte.
„Natürlich.", erwiderte sie leicht lächelnd, um ihre Enttäuschung zu verbergen.
„Sie kommen heute Abend wieder.", meinte Rick lächelnd. „Und bevor ich es vergesse, Steven hat dir etwas dagelassen."
Er kramte etwas aus seiner Hosentasche und legte es auf den Tisch. Anna erkannte Stevens Zigarettenmarke und sie musste unwillkürlich Lächeln. Steven kannte sie einfach zu gut.
„Danke.", bedankte sich Anna und nahm die Zigarettenschachtel. „Ich bin dann mal draussen."
Rick nickte lächelnd und widmete sich wieder seiner Zeitung. Anna betrat die Veranda und ging diese bis zur Lounge entlang, wo sie sich dann hinsetzte und sich eine Zigarette anzündete. Sie betrachtete den Garten, während sie genüsslich an ihrem Glimmstängel zog und ihren Kaffee trank. Ihre Gedanken wanderten zu Kenshin, wie er sie nach dem Alptraum getröstet hatte und wie gut und lange sie danach geschlafen hatte. Ihr wurde bewusst, wie wohl sie sich in seiner Nähe fühlte, auch wenn sie dabei oft nervös war.
„Anna?", Ricks Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Willst du dir die Pressekonferenz ansehen?"
„Ansehen? Du meinst ansehen, wie im Fernseher ansehen?", fragte sie stirnrunzelnd.
„Ja es kommt jetzt live.", antwortete Rick schmunzelnd. „Ich dachte du willst es vielleicht sehen."
Anna nickte, leerte ihre Tasse Kaffee und folgte Rick ins Wohnzimmer, welcher bereits auf dem Sofa sass. Anna setzte sich ein wenig weiter weg von Rick ebenfalls aufs Sofa, gerade als das Bild wechselte und Kenshin zeigte. Anna erkannte links vom jungem Kaiser Yusei und ein paar anderen vom Grossen Rat, rechts von ihm stand Steven mit undurchdringlicher Miene. Kenshin blickte ernst in die Kameras, die Presse schoss unendliche Bilder und mindestens zehn Mikrofone waren auf ihn gerichtet. Gespannt wartete Anna auf Kenshins Rede.
Hallo meine Lieben :))
Zuerst auch von mir noch ein frohes neues Jahr. 🎉😚
Kenshin wird Bors als Straftäter brandmarken, etwas was vielleicht viele von euch freut. Doch ob dies Bors aufhalten wird?
Votes und Kommentare willkommen. :)))Eure D.F. Saillants
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Gefangen im Schatten der Angst - Wieso er?
Mystery / ThrillerDer Weg von Anna, einer sechzehnjährigen jungen Frau, ist von schrecklichem Missbrauch und Vergewaltigung geprägt. Trotz der schmerzhaften Erfahrungen, denen sie ausgesetzt ist, stellt sie sich mutig dieser Tortur, um ihre Freunde vor ihrem Entführe...