Kapitel 10

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Eine Woche war vergangen seit Anna mit Kenshin über ihre Narben gesprochen hatte, an diesem Abend hatte er sie wie immer beruhigt, seine Nähe hatte ihr geholfen. Wusste der Teufel wieso und Anna vermochte nicht darüber nachzudenken wieso. Als sie zurück in ihrer Suite gekommen war, hatte Helene gerade die letzten Kleidungsstücke im begehbaren Kleiderschrank verstaut. Helene nahm sich einen Moment Zeit, um Anna zu erklären, wo sie jedes Kleidungsstück verstaut hatte, und sprach dann über ihren Trainingsanzug.
„Jiu-Jitsu ist eine japanische Kampfkunst, die ursprünglich nur von Männern praktiziert wurde. Das hat es für mich schwierig gemacht, etwas Traditionelles zu finden. Deshalb habe ich mich von chinesischen Kriegerinnen inspirieren lassen. Die Kleider bestehen aus elastischem Gewebe, sodass es Sie in Ihren Bewegungen nicht einschränken wird."
Anna drückte ihre aufrichtige Dankbarkeit für all die Mühe aus, die Helene in ihre Kleiderauswahl gesteckt hatte. Auf die Frage, wo ihr Koffer nun war, hatte Helene mit einem Lächeln geantwortet, dass sie diese schon weggeben worden ist.
Die vergangene Woche hatte Anna bereits ein wenig geholfen, etwas Ruhe zu finden und die Geschehnisse zu verarbeiten. Einen geregelten Tagesablauf half ihr. Früh am Morgen stand sie auf und begab sich in den Garten zum Teich, wo sie meditierte, bis Kenshin sie zum Training abholte. Kenshin erwies sich als ausgezeichneter Lehrer, und Anna lernte schnell. Allerdings war es eine Herausforderung, nur mit einer Hand zu trainieren. Kenshin bestand darauf, dass sie ihren rechten Arm hinter ihrem Rücken hielt, bis ihre Verletzung an der rechten Schulter vollständig verheilt war. Sie verbrachten mehrere Stunden täglich mit dem Training.
Nach dem Training meditierte Anna nochmals, bevor sie duschte und sich anzog. Zum Mittagessen traf sie sich mit Steven, Daichi und Kenshin, letzteren wenn er Zeit hatte. Danach tat sie, worauf sie Lust hatte. Lesen, Musik hören oder einfach entspannt auf der Terrasse sitzen. Allerdings wurde sie oft von Daichi unterbrochen, der sich gerne vor dem Unterricht drückte. Der kleine Prinz liebte es, sich mit Anna zu unterhalten, genau wie sie sich gerne mit ihm unterhielt, dabei bemerkte sie immer wieder seine Intelligenz und Schlauheit.
Obwohl all diese Aktivitäten ihr guttaten, konnten sie ihre Ängstlichkeit und Panik nicht vollständig vertreiben, geschweige denn die Alpträume. Die Vorstellung, von Menschen berührt oder angefasst zu werden, löste bei Anna Angst aus und liess sie in kalten Schweiss ausbrechen, begleitet von Übelkeit. Nur bei Kenshin war das anders. In seiner Gegenwart spürte sie eine aufsteigende Wärme, seine blosse Anwesenheit beruhigte sie und sie fühlte sich sicher.
Doch was nutzte es ihr? Sie sah ihn kaum, nur während des Trainings und auch da wirkte er leicht distanziert. Lag es etwa an den Narben? Oder weil sie ihm davon erzählt hatte? Doch sie konnte die Blicke sehen, die er ihr beim Training zuwarf, seinen intensiven Blick als könne er sie lesen wie in einem Buch und manchmal hatte sie das Gefühl diesen Blick zu spüren ohne dass er anwesend war. Genauso wie jetzt, wenn sie am Meditieren war, sie nahm seinen Blick wahr und wusste er war da, um sie fürs Training abzuholen. Sie beendete ihre Mediation und stand langsam auf, wobei sie ihre Gelenke dehnte.
„Guten Morgen Anna.", grüsste Kenshin mit seiner, für sie, sinnliche Stimme.
„Guten Morgen Kenshin.", grüsste Anna zurück und sah ihn an. Er lehnte sich lässig an einer der Säulen des Pavillons und beobachtete sie.
„Bereit fürs Training?", fragte er sie und Anna nickte. Gemeinsam liefen sie zur alten Weide, wo sie dann auf der grossen Wiese übten. Auf dem Weg dorthin sagte niemand ein Wort und die Stimmung zwischen ihnen bedrückte Anna. Was war geschehen? Wir haben uns so gut verstanden, dachte Anna traurig, oder habe nur ich das so gesehen?
„Alles in Ordnung Anna?"
Kenshins Stimme riss sie aus ihren Gedanken und Anna nickte halbherzig. Sie spürte seinen Blick, doch sie lief stur weiter bis zur Weide. Dort angekommen fingen sie ohne grosse Worte mit dem Training an. Nach mehr als zwei Stunden ordnete Kenshin sie an ihn zu Fall zu bringen. Fairerweise behielt Kenshin auch seinen rechten Arm hinter dem Rücken. Natürlich landete Anna nach kurzer Zeit ins Gras und Kenshin gab ihr seine linke Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Anna ergriff, ebenfalls mit ihrer linken Hand, die seine und er zog, sie problemlos hoch. Sobald sie fest auf den Beinen stand, liess er sie sofort los, als ob er sich an sie verbrannt hätte.
„Nochmals!", forderte Kenshin sie auf und kehrte ihr den Rücken zu. Anna knurrte innerlich, während sie sich in Position brachte, ihr Kampfgeist war erwacht. Nicht nur wegen des Trainingskampfes, sondern auch wie Kenshin sich ihr gegenüber verhielt. Doch auch beim zweiten Versuch Kenshin zu Fall zu bringen, scheiterte und sie landete erneut im Gras, wobei sie diesmal länger durchgehalten hatte.
Erneut bot Kenshin seine Hand an und Anna nahm abermals an. Kenshin zog sie, auch diesmal problemlos hoch, doch Anna taumelte ein wenig, sodass er sie an der Taille festhielt. Anna blickte zu ihm hoch und wollte sich bedanken, doch bei seinem Blick blieben ihr die Wörter im Hals stecken. Sein intensiver Blick liess sie wohlig erschaudern und sie bemerkte erst jetzt, dass er sie immer noch hielt. Sie waren sich so nah wie noch nie, während sie sich gegenseitig in die Augen blickten. Dann küsste Kenshin sie und Anna schloss die Augen. Seine Lippen fühlten sich an die ihren weich und zart an. Sein Kuss fühlte sich wie ein warmer Sommerwind an ihren Lippen, so sanft küsste er sie. Seine Zunge strich zärtlich über ihre Lippen und Anna öffnete bereitwillig ihren Mund. Doch seine Zunge drang nicht hinein, wie sie es von Bors kannte, sondern blieb bei ihren Lippen und erneut fanden seine Lippen die ihren. Anna legte ihre Hand auf seine Brust, während sie sich weiter küssten und sie merkte, dass sie diesen Mann begehrte. Kenshin hielt sie immer noch an ihre Taille und zog sie näher zu sich. Diese kleine Bewegung, welche Bors auch immer getan hatte, reichte für ihr Unterbewusstsein und sie brach in Panik aus. Sie stiess Kenshin von sich, welcher sie überrascht, aber dann entsetzt anstarrte.
„Anna... ich...", stammelte Kenshin bestürzt und wrang mit den Worten. Schwer atmend und mit ängstlichen Augen sah sie ihn an und als er einen Schritt auf sie zuging, nahm sie die Beine in die Hand und rannte von ihm weg, so schnell sie konnte.
„Anna!"
Sie ignorierte Kenshins rufen und rannte weiter durch den Garten, beim Teich hielt sie inne. Sie brauchte einen Moment für sich, ausser Atem überlegte sie sich was sie tun sollte. Sie hörte schnelle Schritte hinter sich und durch ihre Panik getrieben, versteckte sie sich instinktiv in einem Gebüsch. Gerade rechtzeitig, bevor Kenshin sie sehen konnte.
„Anna?", rief Kenshin und sah sich um, bevor er leise sich selbst verfluchte und dann weiterrannte, wahrscheinlich in der Hoffnung sie einzuholen. Anna atmete erleichtert aus, sie wollte jetzt niemand sehen und nur alleine sein. Sie kroch aus dem Busch hervor und ging zum Pavillon, dort lehnte sie sich gegen einer der Säulen und liess sich langsam zu Boden sinken. Sie versuchte die Panik im Griff zu bekommen, in dem sie ruhig atmete und sich nur noch auf ihre Atmung konzentrierte.
Nach einer Weile hatte sie vollends beruhigt und versuchte nun zu analysieren was genau passiert war. Kenshins Kuss war wundervoll gewesen und während sie daran dachte, musste sie unwillkürlich lächeln. Sie hatte den Kuss sehr genossen, bis Kenshin sie an sich gedrückt hatte. Etwas was Bors immer getan hatte, wenn sie sich geküsst hatten. Nur der Gedanke daran liess ihr Puls beschleunigen und sofort musste Anna ihre wachsende Panik mit kontrollierter Atmung bekämpfen. Sie verstand, dass es nicht der Kuss war, der sie in Panik hatte verfallen lassen, ganz im Gegenteil, denn der Kuss an sich selbst hatte Anna jede Sekunde davon genossen. Doch wie sollte sie es Kenshin erklären?
Sie seufzte, stand auf und verliess den Pavillon. Sie ging langsam durch den kaiserlichen Garten, sie hatte es nicht eilig. Sie überlegte, wie sie Kenshin ihre Panikattacke erklären sollte. Sollte sie warten, bis er auf sie zukam? Oder sollte sie zu ihm gehen? Im Palast drin, stieg sie die Treppe hoch bis in den obersten Stock, wo sie in ihre Suite ging. Sie begab sich in ihrem begehbaren Kleiderschrank, sie wählte einen marineblauen Jumpsuit, dazu die passende Unterwäsche und ging damit ins Bad.
Sie duschte ohne Stress, versuchte an nichts zu denken, während sie sich die Haare wusch. Nachdem sie ihre Haare gründlich gewaschen hatte, griff sie zum Handtuch und trocknete sich sanft ab. Anschliessend nahm sie den Haartrockner zur Hand, trocknete ihre Haare, welche sie dann ganz normal offenliess und zog sich an. Als sie sich im Spiegel betrachtete, bemerkte sie mit Freude, dass der Bluterguss in ihrem Gesicht allmählich verblasste. Sie fand sich selbst ein wenig attraktiver und konnte ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht erkennen. Ihr Blick wanderte zu dem Jumpsuit, den sie für den Tag ausgewählt hatte, und sie war angenehm überrascht. Das Kleidungsstück passte perfekt zu ihrem Stil und betonte ihre Figur auf vorteilhafte Weise.
Besonders mochte sie an dem Jumpsuit, dass er keinen tiefen Ausschnitt hatte, sondern stattdessen einen eleganten Rundhalsausschnitt mit kurzen Ärmeln. Der obere Teil des Jumpsuits war leicht ausgeschnitten und verlieh dem Outfit eine gewisse Raffinesse. Ab der Taille, wo der Bindegürtel zu einer zarten Schleife gebunden war, wurde der Jumpsuit etwas enger und betonte ihre Taille auf elegante Weise. Nach unten hin wurde das Kleidungsstück dann wieder weit und verlieh ihren Beinen eine wunderbare Leichtigkeit.
Sie ging zurück zum Kleiderschrank legte ihr Trainingskleid über einem der Sessel und holte sich noch flache Sandaletten mit beigem Kunstleder, welche mit Perlen und Glitzersteine übersät war. An den Füssen sah es so aus, als ob sie eine glitzernde Perlenkette an den Füssen trug. Das gefiel ihr. Sie sollte sich nochmals bei Kenshin und Helene bedanken für diese tolle Garderobe, die sie zur Verfügung gestellt bekommen hat.
Sie verliess ihr Schlafzimmer und ging zur Terrasse, wo sie sich dann eine Zigarette anzündete. Ihre Gedanken schweiften wieder zu Kenshin und ihren Kuss, dabei wurde ihr wohlig warm und es hatte nicht damit zu tun, dass sie in der vollen Mittagssonne sass. Sie sollte Kenshin darauf ansprechen, sobald sie ihn wieder sah. Kaum hatte sie ihren Glimmstängel fertig geraucht und ausgedrückt, klopfte es dreimal an der Tür.
„Anna bist du da?"
Anna erkannte Stevens Stimme sofort und sie erhob sich von der Lounge.
„Ich bin hier.", antwortete sie sogleich und trat ins Wohnzimmer, wo Steven ihr entgegenkam.
„Ist bei dir alles in Ordnung?", fragte Steven mit leichtem sorgenvollem Ton.
„Ja klar.", gab Anna fröhlich an, vielleicht ein Tick zu fröhlich, denn Steven sah sie ein wenig argwöhnisch an. Er behielt jedoch sein Misstrauen für sich.
„Weisst du, dass Kenshin dich gesucht hat?", wollte er von ihr wissen.
„Nein, wusste ich nicht.", log Anna gekonnt, sie wollte nicht, dass Steven davon erfuhr. Dieser Kuss und die Panikattacke ging nur sie und Kenshin etwas an.
„Er wirkte besorgt weisst du und da habe ich mir auch Sorgen gemacht.", erklärte Steven leise.
„Es ist alles in bester Ordnung.", versicherte Anna ihn und lächelte dabei tapfer.
„Okay, wenn du das sagst.", meinte Steven langsam. „Dann kann ich mir deine Schulter ansehen?"
Anna nickte beklommen, auch wenn Steven nur all drei Tage die Wunde kontrollierte, sie hatte immer noch grosse Mühe damit seine Hände auf sich zu spüren, ohne kurz vor einer Panikattacke zu stehen. Sie gingen gemeinsam ins Bad, wo Anna dann den einzigen Knopf öffnete, welcher den ober Teil des Hosenanzugs zusammenhielt. Sie schlüpfte aus dem kurzen Ärmel heraus, damit Steven an ihre Wunden rankam. Wegen der Wunde konnte Anna nur BHs anziehen, welche die Träger hinten ein X bildeten, so musste sie aber nicht noch den ausziehen.
Sie setzte sich auf einen der Hocker im Bad und konzentrierte sich nur noch auf ihre Atmung, während Steven, dass OP-Pflaster entfernte und ihre Wunde beäugte. Atme ein und aus, dachte sie sich, ein und aus. Es ist Steven, der mich berührt, nicht Bors. Immer wieder sagte sie sich diesen Satz, wie ein Mantra, bis Steven fertig war.
„Ich bin fertig.", gab Steven Bescheid und Anna zog sich hastig wieder an, während er weiterredete. „Die Naht sieht gut aus, du scheinst die Schulter wirklich zu schonen, selbst beim Training, das ist gut. Ich habe wieder ein Pflaster drauf gemacht, welches unbedenklich nass werden darf."
„Danke Steven!"
„Kein Problem. Kommst du auch gleich zum Mittagessen?"
Anna nickte und gemeinsam verliessen sie die Suite. Sie stiegen die Treppe hinunter und mit jedem Schritt wurde Anna ein wenig nervöser. Wie würde Kenshin nach dem Kuss auf sie reagieren? Würde er es vor den anderen erwähnen? Nein, dies würde er sicherlich nicht tun. Im Esszimmer wartete Daichi bereits ein wenig ungeduldig, während Bedienstete warme Speiseplatten brachten. Daichi grüsste freundlich und plapperte gleich drauflos. Anna lächelte still in sich hinein, sie mochte der kleine Prinz, er brachte sie immer zum Schmunzeln. Kaum hatten sich Anna und Steven hingesetzt kam Kanaye ins Esszimmer.
„Hoheit, euer Gnaden, Miss Turner.", grüsste Kanaye förmlich und freundlich. „Seine kaiserliche Hoheit lässt sich entschuldigen und wünscht Ihnen allen einen guten Appetit."
Annas Nervosität verflog augenblicklich, als sie verstand, dass sie Kenshin nicht sehen würde.
„Danke Kanaye.", bedankte sich Steven für die Information. Kanaye nickte und verschwand diskret, während sich Steven und Daichi sich von den Platten bedienten. Anna nahm ebenfalls eine Platte zu sich und nahm zwei Löffel voll vom gedämpften Reis. Währenddessen sich Anna noch von den anderen Platten schöpfte, hatte Daichi wieder das Tischgespräch aufgenommen, aber Anna konnte sich nicht darauf konzentrieren.
Hatte sich Kenshin wegen ihr sich entschuldigen lassen? Glaubte er, dass sie seinen Präsenz nicht ertrug? Ihre Gedanken rasten hin und her im Verlauf des Mittagsessen und sie war froh, dass Daichi das Gespräch mehrheitlich mit Steven führte. Sie musste nur gelegentlich lächeln und nicken. Nach dem Essen ging Daichi wieder in den Hausunterricht, Anna und Steven gingen danach nach oben, wo sie dann gemeinsam eine Zigarette rauchten.
„Willst du es mir erzählen?", fragte Steven, nachdem er zwei Züge von seinem Glimmstängel genommen hatte.
„Was denn?", entgegnete Anna im ahnungslosen Ton.
Steven schnaubte verdriesslich, was Anna veranlasste ihn anzusehen.
„Anna verkauf mich bitte nicht für dumm. Ich kenne dich gut genug und weiss sehr wohl, wenn dich etwas beschäftigt."
„Kann ich dir denn gar nichts verheimlichen?", erwiderte Anna leicht genervt, aber mehr auf sich selbst als auf Steven.
„Höchstwahrscheinlich nicht.", gab Steven an und blickte sie erwartungsvoll an. „Also, erzählst du es mir?"
Anna seufzte genervt wegen Stevens Beharrlichkeit und nahm zuerst einen Zug von ihrer Zigarette.
„Nein!"
Steven sah sie völlig perplex an, mit dieser einfachen Antwort hatte er nicht gerechnet.
„Nein?"
„Nein!"
„Wow, ein Einfaches nein hatte ich nicht erwartet, aber okay.", meinte Steven immer noch ein wenig perplex und wechselte, nach einer kurzen Stille, deshalb das Thema. „Na dann, wie läuft das Training mit Kenshin? Machst du Fortschritte?"
Anna biss sich auf die Lippen, Steven meinte es nur gut, dass wusste sie. Doch wenn sie nicht antwortete, würde Steven wissen, dass etwas zwischen ihr und Kenshin passiert ist.
„Es läuft gut. Ich denke, ich komme gut vorwärts.", antwortete Anna lächelnd und hoffte es sah nicht nach einem gequälten Lächeln aus.
„Das freut mich für dich.", sagte Steven und lächelte auch ein wenig. Er blickte auf seine Uhr und seufzte schwer.
„Ich muss jetzt gehen, ich habe eine Konferenz mit den Direktoren unserer Hotelkette."
„Ist bei dir denn alles in Ordnung?", fragte Anna und ihr wurde bewusst, dass sie ihm diese Frage viel zu wenig stellte.
„Ja natürlich.", antwortete Steven viel zu voreilig und nun war es Anna die sarkastisch die Augenbrauen hochzog.
„Mach dir keine Sorgen um mich Anna. Das Familiengeschäft geht gerade ein wenig drunter und drüber. Aber wem wundert es, nachdem Bors als höchst kriminell abgestempelt wurde. Ich muss es jetzt einfach ausbaden."
„Aber du musst das nicht tun."
„Doch muss ich, hunderte von Menschen verlieren ihren Job, wenn nicht tausend, wenn ich es nicht tun würde. Das will ich nicht, also muss ich da wohl allein durch."
„Ich hoffe du schaffst es.", hoffte Anna für ihn und sah ihn sorgenvoll an. Steven drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und Anna tat es ihm gleich, dann sah Steven sie wieder an und lächelte leicht gequält.
„Mach dir keine Sorgen kleine Schwester und konzentriere dich lieber auf dich selbst und auf das Jiu- Jitsu Training. Wir sehen uns später."
Mit diesen Worten verliess Steven die Terrasse und liess Anna allein. Stevens letzte Worte hallten in ihrem Kopf wider und darauf kam ein Bild vor ihr inneres Auge. Wie Kenshin sie küsste, wie sie sich küssten. Sie musste mit Kenshin reden, und zwar sofort.
Sie stand auf, verliess die Suite und nahm die Treppe nach unten. In der Eingangshalle ging sie nach links, wo sie dann die offene Doppeltür nahm, welche in einem Korridor führte. Sie wusste von Kenshins Palastführung an Weihnachten wo sich sein Büro befand. Daher wusste sie auch, dass es zwei Eingänge hatte und sie benutzte bewusst den hinteren Eingang, um Kanaye aus dem Weg zu gehen. Vor der Doppeltür von Kenshins Büro atmete Anna nochmals tief ein, bevor sie leise anklopfte. Nervös drückte sie die Klinge nach unten und trat ein. Zu ihrer Überraschung war niemand im Raum und sie blickte sich um.
Kenshins Büro erstreckte sich in beeindruckender Größe, mit drei grosszügigen Fensterfronten, die das Tageslicht in den Raum strömten. Das mittlere Fenster wurde geschickt genutzt, um Kenshins imposanten Schreibtisch zu platzieren. Der Schreibtisch selbst war von beeindruckender Grösse, aus hellem Holz gefertigt und verströmte einen Hauch von altertümlicher Eleganz. Der dazugehörige Sessel sah aus, als könnte man stundenlang darinsitzen und dabei höchsten Komfort genießen. Die beiden vorderen Sessel waren ebenso einladend gestaltet und versprachen Bequemlichkeit. Gegenüber dem Schreibtisch erstreckten sich entlang der rechten Wand Regale, die vom Boden bis zur Decke reichten. Diese Regale waren randvoll mit einer Vielzahl von Büchern und Ordnern, die sorgfältig verstaut waren. Es war offensichtlich, dass Kenshin eine Leidenschaft für Wissen und Organisation hatte. Die Fülle an Informationen, die sich in den Regalen befanden, verlieh dem Raum eine Aura des intellektuellen Reichtums. Der Boden des Büros war mit weißem Marmor ausgelegt, der mit schwarzen Punkten verziert war. Dies verlieh dem Raum eine gewisse Raffinesse und Eleganz. Die Möbel, hauptsächlich aus hellem Holz gefertigt, fügten sich nahtlos in das Gesamtbild ein. Doch es waren die smaragdgrünen Vorhänge, die Polster der Sessel und einige ausgewählte Dekorationen, die dem Raum eine erfrischende Note verliehen. Anna konnte nicht anders, als den Raum zu mögen. Im Vergleich zu Bors Büro, das hauptsächlich aus dunklem Holz und düsteren Farben bestand, wirkte Kenshins Büro einladend und belebend. Der Raum spiegelte Kenshins Persönlichkeit wider - eine Mischung aus Eleganz, Wissen und einem Hauch von Farbe.
Anna fühlte sich in diesem Raum sofort wohl. Sie schätzte die sorgfältige Gestaltung und die Liebe zum Detail, die in jedem Element des Raumes zum Ausdruck kamen. Anna wollte gerade den Rückzug antreten als sie Stimmen und Lärm aus dem Konferenzraum hörte. Ihr war nicht aufgefallen, dass die andere Doppeltüre offen war, wenn auch nur die eine Tür offen war. Neugierig und auf leisen Sohlen, näherte sie sich der gegenüberliegenden Tür und sie begann die Wörter zu verstehen.
„...auf meine Anordnung hin, wurden alle Geschäfte welcher der Duke Bors Winceston besitzt nochmals vollständig durchsucht. Der Duke ist leider unauffindbar."
Die Stimme der sprechenden Person kam Anna nicht bekannt vor, aber sehr wohl die nächste die sprach.
„Haben Sie dieses Mal auch das Bordell durchsucht Mr. Kingsley?"
Anna hörte die Schärfe in Kenshins Stimme und als sie die Tür erreichte konnte sie ihn auch sehen. Kenshin sass am oberen Ende des grossen Konferenztisches in einem sehr majestätischen Sessel, während wahrscheinlich die anderen an normalen Stühlen sassen, doch Anna konnte es nicht richtig erkennen.
„Natürlich kaiserliche Hoheit, wie Sie es befohlen haben.", schleimte sich die Stimme bei Kenshin ein. „Ein ganz normales Bordell."
Anna runzelte die Stirn, wenn es Bors Bordell war, war es alles andere als ein normales Rotlichthaus. Aber sie wusste aus eigener Erfahrung wie gut Bors seine Kriminalität verbergen konnte. Sie versuchte auf den Mann, welcher Kenshin als Mr. Kingsley angesprochen, einen Blick zu erhaschen, blickte aber wieder zu Kenshin als er zu sprechen begann.
„Trotzdem Mr. Kingsley...", sagte Kenshin mit scharfer Stimme, er machte eine Pause und blickte auf ein paar Dokumente zu seiner Rechten. Er hob kurz den Blick, sah sie, senkte aber sogleich wieder denn Blick auf die Dokumente. Stirnrunzelnd hob er umgehend wieder den Kopf und sah sie überrascht an.
„Anna!", rief Kenshin verblüfft und stand auf. Anna wurde rot, weil sie beim Lauschen erwischt worden war und ging schüchtern in den Konferenzraum rein. Manche der Männer am Tisch grüssten sie mit einem Kopfnicken, unter welche Anna Yusei und Mr. Taylor entdeckte. Manche andere sahen sie neugierig an, aber ein Mann sah sie mit tiefer Abscheu an, dass sie gleich stehen blieb. Er hatte pechschwarzes Haar, welche er mit Gel nach hinten gekämmt hatte, im Gesicht konnte Anna bereits Falten erkennen und sie schätzte ihn auf etwa fünfundfünfzig. Ein wenig verwirrt runzelte Anna die Stirn, weshalb dieser Mann sie so anstarrte, wusste sie nicht, aber etwas sagte ihr, dass er ihr bekannt war.
„Anna was tust du hier?", fragte Kenshin sie leise, er war, ohne dass Anna es mitgekriegt hatte, zu ihr getreten.
„Ich...", stammelte Anna leise, ein wenig verstört vom Blick des Mannes, riss sich dann aber zusammen. „Ich wollte mit dir reden."
„Das ist gerade sehr unpassend!", erwiderte Kenshin kaum hörbar, sein Blick war schon fast hart. „Ich komme später zu dir!"
Anna schluckte schwer bei seinem Blick, aber so schnell liess sie sich nicht abspeisen und wollte mehr von Bors Fahndung wissen.
„Ihr redet über Bors?", fragte Anna in normaler Lautstärke, so dass es die meisten hören konnten. „Habt ihr was Neues herausgefunden?"
Kenshin seufzte und schloss kurz die Augen, als er sie wieder öffnete war sein Blick sanft und ein wenig mitfühlend.
„Nein haben wir nicht, deswegen werden ich und der Grosse Rat besprechen was die nächsten Schritte sind.", antwortete Kenshin ebenfalls in normaler Lautstärke und zeigte beim wir auf die versammelten Männer. „Ich werde Ihnen nach der Besprechung alles erzählen."
Anna nickte langsam und wusste, dass sie jetzt gehen musste, dass Kenshin sie wieder gesiezt hatte, war ihr nicht aufgefallen.
„Bitte geh jetzt Anna.", flüsterte Kenshin ihr zu, so leise, dass nur sie es hätte verstehen können. Sein bittender Blick, liess sie zum Rückzug antreten und sie nickte erneut. Sie drehte sich um und ging zurück zur Tür. Bei der Tür hielt sie inne und drehte sie sich nochmals um, Kenshin setzte sich gerade wieder in seinen Sessel, doch sie musste noch etwas wissen.
„Was ist mit den Frauen passiert?", fragte sie laut. Überrascht sah Kenshin sie an.
„Welchen Frauen?", fragte er irritiert.
„Die welche in Bors Bordell arbeiten."
„Was soll mit denen sein Miss Turner?", fragte eine Stimme und Anna erkannte die Stimme von vorhin. Schlagartig kam es ihr in den Sinn, wo sie diesen Mann schon mal gesehen hatte, und zwar bei Bors zuhause. Er war nicht nur einmal dort gewesen, sondern gleich viermal, aber Anna hatte ihn jedes Mal nur kurz gesehen und Bors hatte ihn ihr nie vorgestellt. Mr. Kingsley hatte Kenshin ihn genannt und es war der Mann welche sie so voller Abneigung angestarrt hatte. Jetzt sah er sie ganz unverständlich an.
„Das ganze Personal wurde überprüft und es war alles in Ordnung, also was soll mit diesen Frauen sein?"
Anna traute dem Mann nicht und sie richtete wieder den Blick auf Kenshin.
„Diese Frauen kommen aus dem Menschenhandel!", gab Anna an und ging wieder ein paar Schritte in den Raum. Sie hörte, wie manche der Männer entsetzt die Luft anhielten. Kenshins sah sie fassungslos an.
„Wie bitte?!", rief er mit beherrschter Stimme und stand langsam auf. „Bist du dir ganz sicher?"
„Ja, Bors hat es mir selbst gesagt.", antwortete sie ihm und hielt seinen harten Blick stand. Kenshin stützte sich mit den Händen auf den Tisch und blickte auf die Tischplatte, er schien zu überlegen. Anna sah kurz zu Mr. Kingsley hinüber, welcher sie hasserfüllt anstarrte. Schnell blickte sie wieder zu Kenshin, welcher sich gerade von dem Tisch abstiess und langsam um den Tisch herumging.
„Es war also alles in Ordnung Mr. Kingsley?", fragte Kenshin, seine Stimme war steinhart und scharf gleichzeitig, sein Blick eiskalt und seine Aura strahlte pure Macht aus. „Das sagten Sie doch."
Anna sah wie Kingsley eingeschüchtert war, aber es wirkte nicht echt und sie wusste, dass dieser Mann mehr war, als er zum Vorschein gab.
„Kaiserliche Hoheit es war wirklich alles in Ordnung. Der Duke wusste sehr wohl, wie er seine kriminellen Machenschaften zu verbergen hatte.", versuchte sich Kingsley seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Anna sah Kenshin an und sie bemerkte, dass er daran war, es zu glauben. Doch ihr war aufgefallen, wie er es gesagt hatte, als wäre es Bors Pflicht gewesen dies gekonnt zu verbergen.
„Sie scheinen es gut zu wissen, dass er dies so gut konnte oder liegt es daran, dass Sie Bors gut genug kannten Mr. Kingsley?!", meinte Anna und versuchte ihn aus der Schauspielerei zu zwingen. Es funktionierte fast.
„Ich habe den Duke of Shioko kaum gekannt und kaum mit ihm geredet.", entgegnete Kingsley wütend. „Das muss ich mir von Ihnen nicht sagen lassen!"
„Das ist aber komisch Mr. Kingsley.", sagte Anna ruhig, aber schnell bevor Kenshin etwas sagen konnte. „Denn ich erinnere mich genau, Sie viermal auf Bors Anwesen gesehen zu haben."
Es wurde plötzlich ganz ruhig im Raum, jeder hatte sofort begriffen, dass Kingsley Bors unterstützte. Kingsley starrte Anna voller Hass und Feindseligkeit, dass sie für einen Moment befürchtete, er würde über den Tisch an ihren Hals springen. Leicht verängstigt blickte sie zu Kenshin, doch sie erschrak bei seinem Anblick. Kenshin Augen glühten vor Zorn und sein Körper bebte vor Anstrengung sich zu beherrschen.
„Ihr lügt mich an und helft einem Mann welches mein Land bedroht Mr. Kingsley.", knurrte Kenshin vor Wut und sah den schuldigen Mann vernichtend an. „Mr. Taylor verhaften Sie bitte Christian Kingsley! Ich klage ihn wegen Hochverrat an!"
Eine neue Welle von entsetzter Luft schnappen ging durch den Raum, doch keiner widersprach. Taylor stand auf und ging zu Kingsley, welcher jetzt wirklich entsetzt und angsterfüllt dreinblickte. Anna verstand es zuerst nicht, doch dann kam ihr in den Sinn, dass in Hiyokuna Hochverrat mit dem Tod bestraft wurde.
„Christian Kingsley ich verhafte Sie im Namen seiner kaiserlichen Hoheit, Sie werden des Hochverrats beschuldigt!", sagte Taylor und griff nach Kingsleys Arm.
„Kaiserliche Hoheit bitte, ich habe Sie nie verraten!", bettelte Kingsley um Gnade, während Taylor ihn am Arm vom Stuhl hochhob und zur Tür geschleift wurde. „Kaiserliche Hoheit, bitte!"
Kenshin sah Kingsley unerbittlich nach, sein Körper zitterte immer noch vor Wut und seine Augen glühten ebenfalls noch vor Zorn. Sobald Taylor mit Kingsley aus dem Raum verschwunden war, wandte sich Kenshin zu Anna und trat näher zu ihr. Verunsichert vor seiner Wut, wäre Anna am liebsten einige Schritte zurückgewichen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Sie konnte seine Wut spüren, was sie sehr beängstigte.
„Anna bitte geh!", sagte er ihr leise, so dass nur sie ihn hören konnte, doch Annas Beine gehorchten ihr immer noch nicht. „Bitte Anna! Ich werde dir alles erzählen was du wissen musst, aber bitte geh jetzt!"
Anna nickte beklommen und ging rasch zur Tür.
„Miss Turner bitte schliessen Sie die Tür hinter sich zu!", rief Kenshin ihr noch nach und Anna schloss sofort die Tür hinter sich zu. Ein wenig irritiert darüber, dass Kenshin sie gesiezt hatte, durchquerte sie Kenshins Büro. Sie war schon bei der gegenüberliegenden Doppeltür als sie Kenshins laute wütende Stimme hörte.
„WENN NOCH JEMAND DIE MEINUNG IST, ER SOLLE BORS SCHÜTZEN, NA DANN SCHÖN! ABER WENN ES JEMAND AUS DIESEM RAUM IST, WERDE ICH DIESE PERSON DES HOCHVERRATS ANKLAGEN! ICH WERDE ES NICHT TOLERIEREN, DASS MEINE BERATER MICH BELÜGEN UND HINTERGEHEN!"
Schnell verliess Anna Kenshins Büro, nicht dass man nochmals glaubte sie würden Lauschen, wobei es bei Kenshins Lautstärke auch nicht nötig gewesen wäre. Leicht geschockt und irritiert von Kenshins Wutausbruch lief Anna weg vom Büro, flitzte in den Garten und lief bis zum Teich. Erst dort machte sie eine Pause und versuchte sich wieder zu sammeln, doch ihre Gedanken rasten von neuem. Langsam ging sie weiter, ohne zu achten wohin.
Kenshin hatte sie gerade sehr eingeschüchtert, seine Wut hatte sie total überrascht, aber wieso eigentlich? Sie hatte ihn doch bereits wütend gesehen. Wobei so genau stimmte es nicht. Sie hatte ihn wütend sprechen hören, als er seinem Onkel die Meinung gesagt hatte, aber sie hatte ihn nicht gesehen.
In tiefen Gedanken versunken fand sich Anna plötzlich beim grossen Weidenbaum wieder und liess sich an seinen Wurzeln nieder. Sie lehnte sich gegen den mächtigen Stamm, so dass sie vorerst von niemandem gesehen wurde, aber dennoch einen Blick auf eventuelle Ankömmlinge werfen konnte. Anna dachte darüber nach, warum sie möglicherweise Angst vor den Wutausbrüchen anderer hatte. Vielleicht liegt es einfach an Bors Wutanfälle daran, dass ich Angst vor Wutanfälle anderer habe, dachte sich Anna. Doch während sie weiter darüber nachdachte, fiel ihr plötzlich ein deutlicher Unterschied zwischen Bors und Kenshins Wutausbrüchen auf. Bei Kenshin handelte es sich nicht um Wutausbrüche im eigentlichen Sinne, seine Wut war in beiden Fällen sehr verständlich und er behielt stets die Kontrolle über sich. Wenn Kenshin die Beherrschung verlor, dann äusserte er seine Wut lediglich durch Schreien. Bors hingegen konnte seine Wut weder beherrschen noch kontrollieren. Er schrie, schlug um sich und drohte mit seiner Macht. Zudem strahlte Bors Aura nur Wut aus, während Kenshin eine Mischung aus purer Macht und Wut ausstrahlte, was bei vielen Angst hervorrief. Anna wusste ausserdem, dass Kenshin nicht wie Bors war, ein Mensch, der bei jeder Unannehmlichkeit sofort wütend wurde.
Es war eine Weile vergangen, während Anna über diese Dinge nachdachte als sie plötzlich Kenshin sah. Sie wollte aufstehen und ihm zurufen, sogleich merkte sie aber, an seinem Gang, dass er noch wütend war. Dann bemerkte sie, dass Kenshin seinen Samurai Kimono trug, statt seinen üblichen Designer Klamotten. Stirnrunzelnd sah sie ihm nach. Er stampfte wütend den Weg entlang und bemerkte sie überhaupt nicht.
Anna fackelte nicht lange und stand auf, um ihm zu folgen. Ihre Neugierde war geweckt worden. Auf Abstand schlich sie ihm hinterher und hoffte Kenshin würde es nicht bemerken. Je weiter sie ihm nachlief desto dichter wurden die Sträucher und Bäume. Fast hätte Anna nicht gesehen wie Kenshin zwischen den vielen Bäumen und Sträucher plötzlich abbog. Rasch folgte sie ihm und sah gerade noch, wie er in einem kleinen Gebäude eintrat, welches aussah wie ein Minitempel im japanischem Stil. Anna runzelte die Stirn, das Gebäude war sehr versteckt und sie fragte sich was wohl drin sein möge, dass es versteckt werden musste. Ungeahnt wurde die Tür des Gebäudes wieder geöffnet und Anna sprang, ohne zu zögern in das nächstbeste Gebüsch. Natürlich zerkratzte sie sich an einem der Äste die Arme auf. Im Stillen fluchte sie, während sie Kenshin beobachte welcher mit einem Bogen und gefülltem Köcher herausgekommen war.
Er platzierte sich auf der grossen Rasenfläche, legte einen Pfeil an der Sehne des Bogens an und schoss auf einer Zielscheibe am anderen Ende der Wiese. Anna wusste nicht wie viele Meter es waren, aber es war sehr weit und Kenshin hatte in die Mitte getroffen. Sogleich spannte Kenshin einen neuen Pfeil ein, schoss und traf wieder die Mitte. Anna sah wie wütend Kenshin noch war, er schoss ein Pfeil nach dem anderem und traf jedes Mal. Anna war total fasziniert, von seinem Können, seiner Perfektion, von ihm. Nach jedem Pfeil wurde Kenshin immer weniger wütend, sodass Anna beschloss aus ihrem Versteck herauszukommen.
Leise kroch sie aus dem Gebüsch hervor und kam ihm näher. Als Kenshin nochmals ein Pfeil abgeschossen hatte, sah er sie, aber er erschrak nicht, als ob er gewusst hatte, dass sie da war. Doch nach seinem Gesichtsausdruck war er überrascht sie zu sehen. Anna wurde bewusst, dass Kenshin gemerkt hatte, dass jemand hier war, jedoch nicht mit ihr gerechnet hatte.
„Du solltest nicht hier sein.", meinte Kenshin nur, während er einen neuen Pfeil einspannte und Anna näherkam. Sie spürte die Barriere, die er hochzog, um sie fernzuhalten. Sie verstand es nicht, schliesslich hatte er sie geküsst und nicht sie ihn.
„Hier im Garten?", fragte Anna nach, weil sie sich nicht sicher war, was er meinte.
„Ja, es könnte dich jemand sehen von den Stallungen, die nicht wissen sollten, dass du hier bist.", erwiderte Kenshin ein wenig monoton und schoss den Pfeil ab.
„Du hast Stallungen?"
„Ja, ziemlich gleich hinter den Bäumen und Sträuchern.", gab Kenshin an und zeigte in die Richtung des Stalles. Anna war überrascht, sie hatte sich keine Stallungen mitten in einer Grossstadt erwartet.
„Sind die Angestellte bei den Stallungen dir gegenüber nicht loyal?", fragte sie weiter und kam ihm näher.
„Natürlich sind sie das, aber ich will nicht, dass jeder meiner Angestellten weiss, dass du hier bist. Je weniger davon wissen umso besser.", antwortete er, nahm einen weiteren Pfeil aus dem Köcher und spannte den Bogen.
„Verstehe, aber hier kann mich niemand sehen, man kann ja das Häuschen kaum sehen.", meinte Anna, sie stand gleich neben ihm, sah zu ihm hoch, bevor sie die heikle Frage stellte. „Warum ist dieser Ort so abgeschottet?"
Kenshin visierte die Zielscheibe, doch bei ihrer Frage, glitt sein Blick zu ihr. Anna hatte nicht erwartet, dass er ihr sofort antworten würde. Es hatte schliesslich einen Grund weshalb dieser Ort durch Bäume und Sträucher versteckt wurden. Leise seufzend liess Kenshin den Bogen sinken und sah sie an.
„Hier habe ich immer mit meinem Vater trainiert oder besser gesagt musste ich ihm zeigen was ich alles gelernt habe. Jeden Sonntag musste ich meinem Vater zeigen welche Fortschritte ich im Schwertkampf, Bogenschiessen und Jiu-Jitsu gemacht habe. Frag mich nicht, wieso ich die Kunst des Schwertes und des Bogenschiessen lernen musste. Mein Vater wollte es so.", erzählte Kenshin verächtlich und atmete dann tief ein, wobei er sich über die kleine feine Narbe strich, welche er auf der linken Augenbraue hatte. Diese Narbe war Anna erst seit kurzem aufgefallen, hatte diese aber bereits vergessen, jedoch durch diese, für Kenshin untypische Geste, war es ihr wieder eingefallen. Sie runzelte ganz kurz die Stirn, hörte ihm aber weiter zu.
„Im Häuschen befinden sich die Waffen, die wir dafür benutzt haben. Nach seinem Tod habe ich veranlasst, dass genug Bäume und Sträucher gepflanzt wurden, um dieses Gebäude zu verstecken. Ich habe sogar angeordnet den direkten Weg hierhin verschwinden zu lassen. Jetzt muss man herumlaufen, aber ich komme nur noch selten hierher, nur noch, um meine Wut herauszulassen. Das Bogenschiessen ist für mich eine gute Art meine Wut freien Lauf zu lassen und mich abzureagieren."
„Ja, das habe ich gemerkt und du bist ziemlich gut darin, soweit ich das sehen konnte.", sagte Anna und gab somit zu ihn beobachtet zu haben. Sie schaute zur Zielscheibe, die Pfeile waren nah beieinander und es wunderte sie das keine davon in zwei geteilt waren. Kenshin schaute ebenfalls zur Zielscheibe und lachte dabei leicht höhnisch auf.
„Ja, das kann ich gut, dafür hat mein Vater schon gesorgt."
Seine bittere Stimme liess Anna wieder zu ihm blicken, während er weiter auf die Zielscheibe starrte.
„Willst du es einmal probieren?", fragte er sie plötzlich und sah sie an. Sein intensiver Blick liess Annas Herz höherschlagen. Sie glaubte nicht mehr richtig denken zu können.
„Warum nicht?", hörte sie sich selber sagen. Kenshin lächelte leicht, streckte ihr den Bogen und Pfeil entgegen und Anna nahm es ehrfürchtig. Der Bogen war wunderschön, jedoch sehr gross, was ihr vorhin nicht aufgefallen war.
„Stell dich hierhin.", ordnete Kenshin sanft an und Anna nahm den Platz ein, wo vorhin er gestanden hatte. „Spann den Pfeil ein, lass aber noch nicht los."
„Muss der Bogen so gross sein?", fragte sie ihn und beäugte nochmals den Bogen, sie hatte das Gefühl, das dieser zwei Meter lang wäre. Kenshin schmunzelte vergnügt.
„Dieser schon.", meinte er immer noch schmunzelnd. „Es ist ein japanischer Bogen, wie es die Samurais trugen. Wobei dieses mit zwei Meter zwölf ein Kurzbogen ist. Die Langbögen sind deutlich länger."
Anna sah ihn ungläubig an, die gefühlten zwei Meter waren also kein Irrtum gewesen. Schnell fasste sie sich wieder und erinnerte sich zurück wie Kenshin gestanden hatte. Sie nahm den Bogen in die linke Hand, stellte sich seitlich mit breiten Beinen hin und spannte den Bogen mit dem Pfeil an. Die Sehne war schwer zurückzuziehen und durch die Verletzung an ihrer Schulter konnte Anna den Bogen kaum spannen. Kenshin kontrollierte ihre Haltung, er stellte sich hinter ihr und sie wurde nervös.
„Spann deinen Körper mehr an, um die Haltung zu bewahren.", befahl Kenshin leise hinter ihr. „Genau, gut so. Berühre mit deiner Hand dein Kinn. Der Oberarm weiter nach unten."
Anna spürte seinen Atem an ihrem Hals, was ihr ein wohliges Kribbeln an dessen Stelle bescherte. Er legte seine Hand sanft auf ihre rechte Schulter, damit sie den Oberarm noch weiter runternahm.
„So ist es gut, bleibe so und visiere dein Ziel an.", ordnete Kenshin weiter leise an. „Halte beide Augen offen. Atme ruhig ein und aus. Wenn du bereit bist, lass los."
Anna befolgte seinen Anweisungen und visierte die bereits volle Zielscheibe, sie atmete ruhig aus und dann liess sie die Sehne los. Der Pfeil schoss davon und landete, zu Annas grosser Überraschung, zu den anderen Pfeilen in die Mitte der Zielscheibe. Leider blieb er nicht stecken, sondern fiel dann von der Zielscheibe zu Boden. Anna war enttäuscht, aber was erwartete sie schon beim ersten Versuch.
„Das war gut, sogar sehr gut.", meinte Kenshin positiv überrascht. „Du bist ein Naturtalent."
„Das sagst du einfach so.", erwiderte Anna unzufrieden und blickte auf die Zielscheibe. „Der Pfeil ist nicht einmal stecken geblieben!"
„Das liegt daran, dass du nicht genügend Kraft hast, die Sehne des Bogens zu spannen.", erklärte Kenshin lächelnd. „Ich denke, es liegt an deiner verletzten Schulter, sobald du genesen bist, wird es kein Problem mehr sein."
„Vielleicht.", erwiderte Anna murmelnd und drehte sich zu ihm um, um ihm den Bogen zurückzugeben. „Danke dass du es mir gezeigt hast."
„Kein Problem. Habe ich gerne gemacht.", meinte Kenshin immer noch lächelnd und nahm den Bogen entgegen, wobei sich ihre Hände flüchtig berührten. Elektrisiert durch diese kurze Berührung sah Anna zu ihm hoch. Kenshin sah ihr in die Augen, genau dieser Blick unter welchen Anna heiss und kalt gleichzeitig wurde. Unter welchem sie das Gefühl hatte, er könne sie lesen wie ein Buch. Seine Nähe wurde ihr plötzlich mehr als deutlich bewusst und sie fing unbewusst an auf ihre Lippen zu kauen.
„Du solltest nicht hier sein!", meinte Kenshin erneut, doch diesmal leise, wobei er ihr weiter in die Augen blickte. Wieder verstand Anna nicht ganz, was er meinte.
„Hier, so nah an den Stallungen?", fragte sie ihn deshalb, ebenfalls leise.
„Nein, hier bei mir!"
Anna zog kurz die Augenbrauen zusammen. Wieso sollte sie nicht bei ihm sein? Seine Nähe tat ihr gut und sie mochte ihn. Sehr sogar. Und jetzt wo sie ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren musste und den Drang nicht mehr widerstehen musste, Kenshin nah zu sein, was sprach dagegen es alles zuzulassen? Sie wollte bei ihm sein!
„Aber ich möchte hier sein.", flüsterte sie und kam ihm noch näher. Es gab keinen besseren Zeitpunkt Kenshin zu zeigen, dass sie den Kuss von heute Morgen weder bedauerte noch unwillkommen war. Sie hatte es nur nicht sofort gewusst. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte eine Hand auf seine Brust, sie spürte Kenshins Herzschlag, welches wie ihres wild schlug und sah tief in seinen schokoladenbraunen Augen, bevor ihre Lippen, die seinen berührten. Sie schloss die Augen und küsste ihn. Eine Welle der Erleichterung überkam sie, als Kenshin sie zurückküsste. Seine Lippen fühlten sich wie heute Morgen warm und weich an. Sowie am Morgen küsste er sie mit gleicher Zärtlichkeit, als wäre sie zerbrechlich wie Porzellan. Kenshin hielt in der linken Hand immer noch den Bogen, doch mit der anderen Hand strich er sanft über ihre Wangen und legte sie dann um ihren Nacken, ohne den Kuss zu unterbrechen. Anna glaubte zu schweben, die Gefühle die Kenshin in ihr wach rief, hatte sie noch nie gespürt. Sie konnte nicht mehr klar denken, aber das wollte sie auch nicht. Sie liess sich fallen und genoss jede einzelne Sekunde an Kenshins Lippen. Langsam beendete er den Kuss, doch Anna wollte mehr.
„Hör nicht auf.", wisperte sie kaum hörbar, die Augenlider halb gesenkt.
„Anna..."
Er flüsterte ihren Namen an ihren Lippen als wäre es das schönste Wort der Welt und küsste sie wieder, jedoch nur kurz.
„Wir müssen darüber reden.", flüsterte er zwischen zwei Küssen, doch dies war das letzte was Anna tun wollte und sie küsste ihn weiter. Auch Kenshin hörte nicht auf, als ob er es aus eigener Kraft nicht konnte. Als ob er ihr nicht widerstehen konnte. Plötzlich hörte er abrupt auf, ging ein Schritt zurück und blickte über die Schulter.
„Was ist denn los?", fragte Anna leise, ein wenig ausser Atem von den Küssen und verwirrt von dem schlagartigen Abbruch des Kusses.
„Es kommt jemand.", erwiderte Kenshin und sah sie wieder an. Sein Blick zeigte ihr, dass auch er sich ein wenig in seinen Gefühlen verloren hatte und wahrscheinlich dasselbe fühlte wie sie. Bevor Anna Fragen konnte, woher er wusste, dass jemand kam, tauchte Kanaye hinter den Bäumen hervor. Anna war baff, wie hatte Kenshin dies gewusst?
„Kaiserliche Hoheit, Miss Turner.", grüsste Kanaye wie gewohnt, bevor er einige Meter hinter Kenshin stehen blieb. Wenn Kanaye überrascht war Anna hier zu sehen, zeigte er es nicht. Kenshin sah sie an und lächelte sanft, bevor er sich umdrehte.
„Was gibt es?"
„Sie werden gebraucht kaiserliche Hoheit."
Mehr sagte Kanaye nicht und Kenshin nickte.
„Ich komme sofort!", entgegnete Kenshin und drehte sich wieder zu Anna um. Anna war immer noch vom letzten Kuss benebelt, dass Kenshin jetzt einfach so ging, war bis zu ihrem Kopf noch nicht ganz durchgedrungen.
„Wir sehen uns später.", war alles was er ihr sagte, doch das Lächeln was er ihr schenkte, zeigte ihr, dass auch er noch an ihren Kuss dachte.




Hallo meine Lieben :))
Endlich haben sich die Beiden geküsst, etwas, was ihr sicher schon alle sehnsüchtig erwartet habt. Kenshin tut Anna unheimlich gut. Ist dass der Weg zur Besserung für Anna?
Was denkt ihr, wird noch geschehen? Oder was wünscht ihr, dass geschehen wird?
Votes und Kommentare sind wie immer willkommen. :))

Eure D.F. Saillants

Gefangen im Schatten der Angst - Wieso er?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt