Kapitel 22 Teil 2

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Es war noch früh am Morgen, als Anna sich ins Bad begab. Kenshin schlief auf einem Stuhl, neben ihrem Bett, welchen er sich ans Bett gezogen hatte. Nachdem er sie beruhigt hatte, war er bei ihr geblieben. Sein Oberkörper ruhte auf dem Bett, dennoch hatte Anna es geschafft sich vom Bett zu erheben, ohne dass Kenshin wach wurde. Nun stand sie vor dem Spiegel und sah sich an. Beinahe leblose Augen blickten ihr entgegen, welche von tiefen Augenringen umrandet wurden. Ihre blasse Haut liess, die genähte Wunde an ihren Kopf und den Bluterguss auf ihrer Wange, noch deutlicher herausstechen. Über ihren aufgeplatzten Lippen hatte sich bereits Schorf gebildet und liess diese spröde wirken. Von den leichten Fingerabdrücke um ihren Hals ganz geschweige. Der gestrige Tag hatte deutlich seine Spuren hinterlassen, von der vergangen Nacht ganz geschweige. Die Erinnerung prasselte auf sie ein und sie schloss verzweifelt die Augen. Einzelne Tränen rannen ihr über die Wangen.
„Anna?"
Kenshins sanfte Stimme veranlasste sie die Augen zu öffnen. Sie blickte in den Spiegel und sah hinter sich Kenshin im Türrahmen stehen. Da sie die Badzimmertür offengelassen hatte, um jegliche Geräusche zu vermeiden, hatte sie nicht bemerkt, dass Kenshin eingetreten war. Kenshin sah sie ebenfalls durch den Spiegel an, im Gegensatz zu ihr, sah Kenshin blendend aus. Als wäre er bereits seit Stunden wach gewesen, nichts deutete darauf hin, dass er gerade eben geschlafen hatte, ausser vielleicht seine zerknitterte Kleidung. Kenshin ging zu ihr und stellte sich vor ihr hin.
Anna blickte nicht zu ihm auf, sondern starrte stur geradeaus, auf seine Brust. Sanft legte Kenshin zwei Finger unter ihr Kinn und hob diesen sachte hoch. Gezwungenermassen blickte sie zu ihm hoch und erkannte von nahem nun Augenringe unter seinen wunderschönen schokoladenbraunen Augen. Seine Miene konnte Anna nicht deuten, behutsam wischte er die Spuren ihrer Tränen auf ihrer Wange weg und lächelte sie dann sanft an. Danach zog er sie ohne Worte in seinen Armen, schlang seine Arme um sie, während er mit einer Hand ihren Rücken streichelte.
Anna liess ihn gewähren, obwohl sie ihn zurechtweisen sollte. Sie war schliesslich mit Adrian zusammen, doch diese Zärtlichkeit wollte und brauchte sie von ihm. Über seine Schulter konnte sie immer noch ihr Spiegelbild sehen, wenn auch nur ihr Gesicht. Welches von Bors übel zugerichtet worden ist. Ihr Schwur von damals kam ihr durch den Kopf; Niemals wieder würde sie sich einem Mann unterwerfen! Niemals wieder soll ein Mann Macht über sie besitzen!
Und Kenshins Worte von gestern kamen ihr wieder in den Sinn; Du lässt zu, dass er weiterhin Macht über dich besitzt! Du lässt zu, dass er gewinnt! Ich habe dir alles mitgeben, was du brauchst!
Kenshin hatte recht. In allem! Anna blickte erneut in den Spiegel, ihre Augen blickten sie nicht mehr leblos an, sondern entschlossen und sie löste sich von Kenshins Umarmung. Überrascht sah Kenshin sie an, doch sie ging ohne Worte aus dem Bad, ging zügig in den Ankleideraum, wo sie dann die Tür hinter sich schloss.
„Anna?", rief ihr noch Kenshin besorgt und fragend hinterher. Sie ignorierte ihn, ihr Ziel vor Augen. Rasch zog sie sich eine leicht weit geschnittene schwarze Hose, einen schwarzen Tanktop, darüber noch eine graue Jacke mit Kapuze an und schlüpfte in ihren grauen Vans Schuhe. Umgezogen öffnete sie die Tür, wo ihr ein besorgter und ungeduldiger Kenshin entgegentrat.
„Alles in Ordnung?", fragte Kenshin sofort.
„Ich geh meditieren!", gab Anna an, ohne auf seine Frage einzugehen. Kenshin sah sie überrascht an und ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen. Anna wartete nicht ab, dass Kenshin einen Kommentar dazu gab. Sie wandte sich einfach von ihm ab, ging aus ihrem Schlafzimmer und verliess ihre Suite. Es war nicht die feine Art, Kenshin einfach so stehen zu lassen, aber sie musste diesen Elan nutzen. Jetzt war sie entschlossen, vielleicht war sie es in wenigen Minuten nicht mehr.
Während sie die Treppe hinunterstieg, zog sie die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf, um ihre Verletzungen im Gesicht wenigstens ein wenig zu verbergen. Dies hoffte sie jedenfalls. Da es noch früh am Morgen war, begegnete Anna keinen der Angestellten des Palastes oder sonst jemanden. Sie durchquerte den Palast, um zum Garten zu gelangen.
Draussen angekommen, atmete Anna erst einmal tief die frische Luft ein. Es war bewölkt und es regnete leicht, ein eher ungewohntes Wetter für Hiyokuna, wenn man bedachte, dass in Hiyokuna das ganze Jahr warm und sonnig war. Doch für Januar war Regen nichts aussergewöhnliches. Ganz im Gegenteil, im Winter regnete es des Öfteren, was zu schwülen Temperatur führte. Anna zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und ging den Weg entlang zum Teich. Mit raschen Schritten erreichte sie den Teich mit dem künstlichen Wasserfall und dem Pavillon.
Sie stellte sich darunter und nahm sich einen Moment ihre Umgebung zu betrachten. Hier hatte sich nichts verändert, nicht einmal die feinsäuberlichen geschnitten Pflanzen und Blumen, als ob hier die Zeit stehen geblieben wäre. Anna musste unwillkürlich lächeln, hier war schon immer ihr Lieblingsort des Palastes gewesen. Das Plätschern des Wasserfalls, die Blumen und Pflanzen, die rote Farbe und der Stil des Pavillons, alles wirkte harmonisch und strahlte Frieden aus. Das Ganze beruhigte Anna.
Immer noch leicht lächelnd, setzte sie sich im Schneidersitz in die Mitte des Pavillons und schloss die Augen. Sie atmete tief durch, konzentrierte sich nur noch auf ihre Atmung und dachte an nichts. Obwohl Anna schon länger nicht mehr meditiert hatte, fiel es ihr erstaunlicherweise leicht, sich in diesen Modus zu versetzen. Das Plätschern des Wasserfalls und der Regen, welcher auf das Dach des Pavillons tropfte, sowie jedes Geräusch, geriet in den Hintergrund. Stundenlang meditierte Anna in dieser Position, konzentrierte sich nur auf ihre Atmung und sonst nichts. Irgendwann beschloss sie, dass es für heute genug war und sie öffnete ihre Augen.
Langsam stand sie auf, dehnte ihre Muskeln, welche nun deutlich, vom stundenlangem stillsitzen, protestierten. Was sie geflissentlich ignorierte, sie war zu stolz darauf, dass sie es noch konnte und dass sie diesen Schritt endlich wieder getan hatte. Sie wollte gerade den Pavillon verlassen, als sie die kleine Wasserflasche am Eingang des Pavillons entdeckte. Sie lächelte leicht, wahrscheinlich hatte ihr Kenshin die gebracht, nur er konnte sich an ihr so lautlos heranschleichen. Glaubte sie zumindest.
Sie nahm die Flasche zur Hand und trank daraus, dabei blickte sie über den Teich. Der Regen war in der Zwischenzeit stärker geworden und Anna sah zu wie die Tropfen in den Teich fielen und so leichte Wellen verursachten. Nach einer Weile beschloss Anna zurückzugehen und sie zog ihre Kapuze tiefer ins Gesicht, bevor sie den Pavillon verliess. Mit raschen Schritten durchquerte sie den Garten, während der Regen immer stärker wurde und als sie den Palast erreichte, waren ihr Kleider leicht nass.
Anna ging mit Bedacht durch den Palast, wollte niemanden begegnen und so huschte sie an den Angestellten vorbei, sogar an Steven ging sie leise vorbei. In der Eingangshalle ging sie jedoch nicht die Treppe hoch, sondern ging ins Empfangszimmer von Kenshin. Wieso sie zu Kenshin ging, wusste sie selber nicht so genau. Leise trat sie ein und schloss die Tür genauso leise wieder hinter ihr zu. Sie wagte einen Blick in Kanayes Büro, doch Kenshins Generalsekretär war nicht an seinem Schreibtisch, so ging Anna weiter zum Konferenzsaal. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand im Saal war, schloss sie auch diese Tür leise hinter sich zu. Kaum war die Tür geschlossen, hörte sie Stimmen aus Kenshins Büro und sie schlich sich leise zur Tür von Kenshins Büro. Bei der Tür, bemerkte Anna, dass diese nicht ganz geschlossen war, weshalb sie die Diskussion, welche drin stattfand, bestens verstehen konnte.
„Es ist überall in den Zeitungen. Es gibt keine einzige, welche sich diesem Thema nicht gewidmet hat."
Die Stimme des Dukes of Nosakusa hörte sich aufgebracht an.
„Ich habe die Schlagzeilen bereits gelesen Yusei.", vernahm Anna Kenshins gleichgültige Stimme.
„Wieso habt Ihr dies nicht die Staatsanwälte tun lassen? Ihr wusstet bestimmt, was dies für Konsequenzen für euch bedeutet und wenn nicht, der Viscount hat euch sicherlich gewarnt!", wetterte Yusei weiter. Eine Pause trat ein, als ob Yusei wartete, dass der Kaiser eine Antwort gab. Doch diese kam nicht, weshalb der Duke weitersprach.
„Ich weiss, was euch Miss Turner bedeutet, aber dies weiss euer Land nicht. Sie ist nicht Ihre Partnerin, nicht Ihre Freundin und keine Familie. Für euer Volk ist sie einfach ein Opfer. Sie verstehen euch nicht, weshalb Ihr euch in diesem Fall einmischt. Das Volk liebt den Duke of Shioko immer noch und glauben seine Gräueltaten nicht."
„Das ist mir egal!"
„Bei allem Respekt Majestät, Ihr versteht die Lage nicht. Wisst Ihr überhaupt was Ihr getan habt?"
„ICH WEISS SEHR WOHL, WAS ICH GETAN HABE!"
Überrascht von Kenshins Lautstärke, zuckte Anna zusammen und hätte beinahe die Wasserflasche, welche sie in den Händen hielt, fallen gelassen.
„Belehrt mich nicht wie ein dummer Schuljunge Yusei!", entgegnete Kenshin wütend. „Die Konsequenzen meiner Handlungen sind mir allgegenwärtig vollkommen bewusst und zwar alle!"
„Dann wisst Ihr auch, dass wenn Miss Turner nicht aussagt, euch dies den Thron kosten könnte. Sollte das Volk weiterhin die Stimme erheben, dass Ihr nicht zurechnungsfähig seid, kann es durchaus dazu kommen, dass der Grosse Rat euch eures Amtes enthebt."
Anna sog scharf die Luft ein, als sie hörte, was passieren könnte, würde sie nicht aussagen. Bevor Anna weiter darüber nachdenken konnte, sprach Kenshin mit monotoner Stimme.
„Dies ist mir bewusst und so wie es mir auch gleichgültig ist!"
„Ja, dies sagtet Ihr bereits Majestät.", erwiderte Yusei und Anna konnte seine Enttäuschung in der Stimme deutlich hören. Für einen kurzen Moment herrschte Stille und Anna beschloss den Rückzug anzutreten, bevor man sie beim Lauschen erwischte.
„Ihr wisst, dass ich nur euer Bestes möchte Majestät.", hörte Anna Yusei noch sagen, bevor sie, wie vorhin die Tür des Saals öffnete und hinausschlüpfte. Kanayes Büro war immer noch leer und so ging Anna an dessen vorbei, zurück zur Eingangshalle und ihr Aushorchen blieb unbemerkt. Wieder mit bedacht, dass sie niemanden begegnete, ging sie die Treppe hoch, ins oberste Stockwerk, wo sie ihre Suite erreichte.
Sofort ging sie hinaus auf die Terrasse, wo sie sich eine Zigarette anzündete und über das Gehörte nachdachte. Sie gab zu, dass das Lauschen nicht zu einer guten Eigenschaft zählte, leider tat sie dies öfter als ihr lieb war. Aber wie sollte sie sonst zu Informationen kommen, wenn man ihr alles vorenthielt. Hätte sie nicht gelauscht, hätte sie nie erfahren, dass Kenshin seinen Thron verlieren könnte. Dies durfte auf keinen Fall passieren und sie würde alles tun, um dies zu verhindern. Was sie dafür tun musste war klar und ihr Kopf haderte damit, doch tief in ihrem Herzen, hatte sie bereits den Entschluss gefasst. Sie wusste nur noch nicht, ob sie es wirklich tun konnte. Aber sie musste es wenigstens versuchen. Kenshin zu liebe. Doch um die nötige Kraft zu besitzen, gegen Bors auszusagen, musste Anna wieder ein wenig mehr mit sich im Reinen sein. Der einzige Weg dies zu erreichen, war zu meditieren und genau das tat sie die nächsten Tagen auch. Von ihren Freunden und ihrer Eltern schottete sie sich in dieser Zeit ab, konzentrierte sich nur auf sich selbst. Zwar versuchten alle mit ihr zu reden, doch Anna liess, ausser Rick, niemand in ihre Suite. Sie war sowieso mehrheitlich im Garten beim Pavillon am Meditieren. Sogar Kenshin und Steven liess sie nicht eintreten. Rick war der Einzige, welcher sie nie bedrängte und ihr nie seine Meinung aufdrückte. Was auch der Grund war, dass sie ihn in ihrer Suite einliess. Sie brauchte Zeit für sich. Zeit ihre kaputte Seele so zu verbinden, dass es für den Gerichtsprozess halten würde.

Gefangen im Schatten der Angst - Wieso er?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt