Kapitel 31

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Jack sass in einem Sessel vor Bors Schreibtisch, in seiner Hand hielt er ein Glas Scotch, das angenehm in seiner Handfläche ruhte, während die andere Hand den Brief von Bors fest umklammerte. Es waren die letzten Worte, die Bors ihm hinterlassen hatte, seine letzten Anweisungen, die Jack nun gedankenverloren betrachtete. Sein Blick wanderte zu dem leeren Bürostuhl vor ihm, dort wo eigentlich Bors sitzen müsste, aber nun leer war und zwar für immer. Ein Gefühl der Leere und des Verlusts durchzog Jacks Herz, und er spürte, wie sich seine Kiefermuskeln vor Wut anspannten. Er hatte diesen Mann vergöttert, verehrt und geliebt. Er hatte alles für ihn gemacht und er hätte noch mehr für ihn getan, sogar darüber hinaus. Und nun war, in seinen Augen, der grösste Mann der Welt gestorben. Getötet und vernichtet von seiner eigenen Frau. Von der Frau, nach welcher er sich selbst verzerrte und genau deswegen hasste er sie abgrundtief. Er hasste sie dafür, dass er sie begehrte. Hasste sie dafür, dass sie es geschafft hatte, dass er in Gedanken untreu gegenüber Bors war. Hasste sie dafür, dass sie ihm alles genommen hatte, wofür er gelebt hatte. Und dennoch konnte er sich nichts anderes wünschen, als sie stöhnend und schreiend unter sich zu haben. Hilflos und voller Angst sollte sie sein.
Wieder spannten sich wütend seine Kiefermuskeln an und schnell nahm er einen großen Schluck von seinem Scotch, der angenehm in seiner Kehle brannte und ihm eine vorübergehende Erleichterung verschaffte. Sein Blick kehrte zurück zu Bors Brief, den er bereits auswendig kannte, aber dennoch nochmals las. Jedes Wort, jede Zeile, jedes Komma - sie waren wie ein Echo von Bors Stimme, das in Jacks Gedanken widerhallte und ihn an die vergangenen Zeiten erinnerte.

Mein lieber Jack,
Anna hat mich im Gefängnis besucht. Ihr Auftritt war königlich, dabei strahlte sie die Aura einer Kriegerin aus, genau das, was ich von Anfang an, in ihr gesehen hatte und es hat mich erinnert, weshalb ich mich in sie verliebt habe. Weshalb ich sie immer noch liebe. Doch der Grund ihres Besuches, hat einiges geändert. Wir haben uns ausgesprochen, wenn man es so nennen kann und zum ersten Mal, glaube ich ihren Worten, dass sie mich nie geliebt hat. Das aufzuschreiben verlangt mir mehr Kraft, als du dir vorstellen kannst. Mit ihrem Besuch hat sie alles
mitgenommen, was ich noch hatte. Hoffnung, Kraft, Wille zum Leben. Bereits jetzt spüre ich wie ich schwächer werde, mein Herz vermag kaum mehr zu schlagen. Mein Herzkummer droht mich zu bewältigen, wenn er es nicht bereits getan hat. Ich möchte in keiner Welt leben, in der mich Anna nicht liebt und schon gar nicht in welcher ich sie in den Armen eines anderen sehen muss. Ich kann dies nicht mehr ertragen, in dem Wissen, dass sie mich nie geliebt hat.
Nun merkst du, dass der Fluchtplan hinfällig ist. Die Flucht aus dem Gefängnis, ist nicht mehr mein Wunsch. Was nützt meine Freiheit, wenn ich Anna nicht bei mir haben kann? Ich weiss, was du jetzt denkst, dass wir sie mit Gewalt zurück an ihrem Platz erinnern. Aber Anna hat mir versichert, dass sie sich lieber das Leben nehmen würde, als den Rest ihres Lebens mit mir zu verbringen. Oh Jack, so wie sie es gesagt hat, glaube ich es ihr aufs Wort und du weisst, ich kann nicht in einer Welt leben, in welcher sie nicht mehr ist. Also lasse ich es sein.
Ich möchte, dass du meine Männer und mein Geschäft übernimmst, niemand hat es mehr verdient, denn du hast mir loyal gedient. Nimm das Geld von meinen schwarzen Konten, du wirst es brauchen können. Ich weiss, dass mein Vermächtnis im Untergrund, durch dich weiterleben wird und du mir aller Ehre erweisen wirst. So wie du es schon immer getan hast. Alles andere vermache ich Steven und natürlich an meiner Frau Anna. Auch wenn sie mich nicht liebt, so werde ich sie immer lieben.

Lebe wohl mein Freund!

Bors

Jack kämpfte gegen den Drang an, den Brief zu zerknüllen, und starrte stattdessen auf den leeren Sessel vor ihm. Er verfluchte Anna, dass sie es geschafft hatte, Bors so zu manipulieren, dass er aufgab. Wäre er bei Bors gewesen, hätte er ihn sicher wieder zu Vernunft bringen können, doch dafür war es zu spät. Es gab nichts, was Bors zurückbringen würde. Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine wütenden Gedanken und Rej trat zögerlich ins Büro. Jack spürte seine Unsicherheit, ohne ihn direkt anzusehen.
„Boss?"
„Nenn mich nicht so!", zischte Jack ihn sofort wütend an. Jacks drohender Ton liess Rej leicht ängstlich zusammenzucken. Jeder wusste, in welcher Verfassung Jack sich gerade befand und wie gefährlich ein falsches Wort sein konnte.
„Verzeih mir... ich dachte... da Bors tot ist...", stammelte Rej und sah ihn unverständlich an, bevor er erneut sprach, diesmal aber mit festerer Stimme. „Kommandant, seid Ihr nicht den Nachfolger von Bors? Und sollten wir euch nicht dementsprechend ansprechen?"
„Doch, ich bin sein Nachfolger, aber ich bin nicht würdig seinen Platz und Namen einzunehmen.", erwiderte Jack gereizt, als ob eine Erklärung nötig wäre. „Niemand ist dafür würdig!"
Rej nickte verständnisvoll und senkte demütig den Blick, während Jack einen weiteren Schluck Scotch trank. Eine kurze Stille erfüllte das Arbeitszimmer, bevor Rej vorsichtig das Wort ergriff.
„Kommandant, niemand wird unseren Boss ersetzen können, aber es muss weitergehen und Ihr seid der Einzige, welcher nur Ansatzweise würdig ist, diese Position zu besetzen."
Jack sah ihn mit kaltem Blick an und wusste, dass Rej recht hatte, doch er wollte nicht, dass Bors bei den Männern in Vergessenheit geriet. Er durfte nicht zulassen, dass Bors in den Köpfen der Männer verschwand. Und genau das sollte seine Aufgabe sein! Entschlossen stand er auf und ging zum Schreibtisch, während Rej ihn besorgt beobachtete. Jack legte sorgsam Bors Brief auf den Tisch. Ja, er würde dafür sorgen, dass Bors niemals vergessen wird.
„Trommle die Männer zusammen.", forderte Jack Rej auf. „Ich habe etwas anzukündigen."
„Natürlich Bo...", antwortete Rej sofort und wollte ihn erneut mit Boss ansprechen, doch Jack unterbrach ihn sofort.
„Nein! Unser Boss ist tot! Und niemand wird ihn je ersetzen können!", wiederholte sich Jack und sah Rej wütend an. „Doch euer Kommandant ist aufgestiegen und ist jetzt General."
Rej sah ihn kurz mit grossen Augen an, lächelte aber dann erleichtert.
„Ich versammle die Männer, mein General.", liess Rej ihn wissen, froh, dass Jack endlich aus seiner Trauer erwachte und verliess das Büro. Jack blickte auf Bors Brief und dann auf den kleinen Bilderrahmen, der auf dem Schreibtisch stand. Bors hatte ein Foto von Anna dort platziert und Jack betrachtete es mit Hass und dennoch mit Begierde. Er nahm den letzten Schluck Whisky, während in seinem Kopf bereits Pläne entstanden. Er nahm das Bild von Anna in die Hand und blickte wütend darauf.
„Mach dich auf meine Rache gefasst Anna!", sprach er leise zum Bild und ein teuflisches Lächeln umspielten seine Lippen. „Ich werde dir alles nehmen, was du liebst und noch viel mehr!"

Fortsetzung folgt...



Hallo meine Lieben, :))
Und somit endet das zweite Buch von Annas Geschichte, mit einem echten Knall!🤗 Ein echter Cliffhanger, ich weiss. Ich denke aber, die Vorfreude auf den dritten Teil ist definitiv garantiert. 
Die Vermutung von vielen, dass Bors seinen Tod nur Vorgetäuscht hat, ist wie ihr bemerkt habt, falsch. Bors hat tatsächlich verstanden, dass Anna ihn nie geliebt hat und somit den Sinn seines Lebens verloren. Die Kraft und Wille weiterzuleben, hatte er einfach nicht (schwacher Mann🤭).
Votes und Feedbacks sind auch am Schluss wie immer willkommen, auf welche ich äusserst gespannt bin. :))

Natürlich wird es eine Fortsetzung geben, auch wenn ich noch nicht genau sagen kann, wann die ersten Kapitel des dritten Buchs veröffentlicht werden. Es wird eine Weile dauern, deshalb bitte ich hier um viel Geduld.

Ich möchte mich bei allen Lesern bedanken, die Annas Geschichte so aufmerksam und fleissig mitverfolgt haben und für jeden Kommentar, den ich mit Freude gelesen habe. Ein riesiges Dankeschön an meine Freunde, die mich immer unterstützten, an mich glauben und zu neuen Ideen inspiriert haben.😘

Ich freue mich schon riesig darauf, euch alle wiederzusehen, wenn Annas Geschichte in die Endrunde geht!💖

Eure D.F. Saillants

Gefangen im Schatten der Angst - Wieso er?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt