Kapitel 14 Teil 1

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Anna sass auf der Lounge auf ihrem Balkon und rauchte, dabei dachte sie zurück an die letzten paar Stunden. Obwohl sie wusste, dass Himikos Worte nur Gift waren, konnte sie nicht aufhören daran zu denken. Nachdem Kenshin zurückgekommen ist, musste er sich sogleich verabschieden. Eine wichtige Angelegenheit war ihm dazwischengekommen, sodass Himiko sich dann ebenfalls verabschiedete. Den Rest des Nachmittages hatte Anna über Himikos Worte nachgedacht. Den Gedanken sich Himiko in Kenshins Bett vorzustellen, machte sie vor Eifersucht rasend, aber dann erinnerte sie sich zurück, dass Kenshin, wie jeder andere Mensch eine Vergangenheit hatte. Seit sie im Palast war, hatte Kenshin Himiko nicht mehr gesehen oder getroffen. Was spielte es dann für eine Rolle was vorher war? Sie wusste Kenshin war nicht so, wie Himiko es gesagt hatte. Was hatte Himiko mit dem Gespräch bewirken wollen? Wollte sie Kenshin für sich allein?
Obwohl wie sie es selbst gesagt hatte, seiner nicht würdig war. Du bist seiner auch nicht würdig, ertönte eine fiese Stimme in Annas Kopf. Das ist wahr, stimmte Anna denkend der Stimme zu. Sie war nur ein einfaches Mädchen, nicht einmal ein bisschen adelig. Sie gehörte nicht hierher! Sie war nur hier, weil ein wahnsinniger Mann sie zu sich geholt hatte. In der Meinung, dass er sie liebe und in seiner Welt gehörte. Aber Anna gehörte nicht hierher und Kenshin hatte jemand Besseres verdient als sie.
Diese Erkenntnis traf Anna wie ein Schlag in den Magen, dass ihr die Luft zum Atmen raubte. Sie versuchte sich zu beruhigen in dem sie langsam tief ein und ausatmete. Nach einer Weile hatte sie sich beruhigt. Sie ging ins Wohnzimmer und sie sah, dass es Zeit war fürs Abendessen. Sie hatte zwar keinen Hunger, dennoch verliess sie ihre Suite.
Im Esszimmer war noch niemand, Anna setzte sich bereits zu Tisch, während die Angestellten das Essen auf den Tisch brachte. Sie wartete bereits seit fünf Minuten, als Kanaye das Esszimmer betrat und den Kaiser entschuldigte. Da Rick und Steven immer noch nicht zurück waren und Daichi immer noch das beleidigte Leberwürstchen spielte, schöpfte sich Anna ein wenig Essen auf den Teller. Sie war immer noch in ihren Gedanken und stocherte eher lustlos auf den Teller herum, als es zu essen. Tief im Inneren hatte sie bereits eine neue Entscheidung getroffen, eine Entscheidung die Kenshin verletzen wird. Auch sie würde darunter leiden, aber es war besser so. Glaubte sie jedenfalls.
Mit einem tiefen Seufzer gab sie es auf, etwas in den Magen zu bekommen und sie stand vom Esstisch auf. Sie stieg die Treppe hinauf in den obersten Stock und beschloss nach Daichi zu sehen. Sie klopfte an und trat ein. Die Suite war etwa gleich gross, wie die ihre, nur die Form war hier anders. Das Wohnzimmer war ein grosser Rechteckiger Raum und während bei Anna die Farbe weiss und Eichenholz im Vordergrund stand, stand hier die Farbe hellblau im Vordergrund. Da im Wohnzimmer niemand war, ging Anna zur nächsten Tür.
„Daichi bist du da?", rief Anna laut, nachdem sie an der Schlafzimmertür geklopft hatte und immer noch kein Lebenszeichen von Daichi erhalten hatte. Sie öffnete die Tür und da sah sie Daichi auf seinem Bett liegen. Er hatte ihr den Rücken gekehrt, sodass Anna nicht erkennen konnte, ob er schlief oder nicht. Aber seiner Körpersprache nach, tippte Anna, dass der Junge immer noch schmollte.
„Daichi wollen wir nicht reden?", fragte Anna einfühlsam, während sie sich am Bettrand setzte.
„Geh weg!", rief Daichi wütend, ohne sie anzusehen.
„Aber das tue ich ja, auch wenn ich es erst morgen tue.", erwiderte Anna traurig und Daichi drehte sich wütend um. Auch wenn der Junge sie wütend ansah, Anna konnte auch die Traurigkeit in seinen Augen erkennen.
„Wieso gehst du weg?", fragte Daichi wütend und dann traurig. „Wieso bleibst du nicht bei uns? Magst du uns nicht?"
„Oh nein Daichi, das hat nichts damit zu tun, dass ich euch nicht mag!", antwortete Anna sofort. „Aber leider muss ich gehen."
„Aber Kenshin hat gesagt, du darfst solange bleiben wie du willst!", rief Daichi trotzig und seine Augen glitzerten wütend. „Ausserdem bist du hier in Sicherheit und wirst von uns beschützt. Kenshin und ich haben dir das Versprochen!"
„Ich weiss und dafür bin ich dir sehr dankbar Daichi."
„Wieso willst du dann gehen?", rief der kleine Junge nun endgültig wütend und den Tränen nahe. Anna verstand nicht, wieso es Daichi so mitnahm, dass sie ging. Ja, sie hatten den Jungen schnell ins Herz geschlossen. Er in diesem Fall auch?
„Es geht nicht darum, dass ich gehen will Daichi, sondern dass ich gehen muss.", erklärte Anna mitfühlend. „Manchmal muss man Dinge tun, was man lieber nicht tun will und manchmal... manchmal muss man geliebte Menschen verlassen, weil man dann das Richtige tut."
„Du willst also nicht weg von uns?", hackte Daichi mit grossen Augen nach.
„Nein, am liebsten nicht."
„Aber du wirst trotzdem gehen, habe ich Recht?"
Traurig nickte Anna zustimmend.
„Weisst du, Kenshin hat grosse Verpflichtungen und leider würde ich ihm nur im Weg stehen. Auch ich habe zuhause Verpflichtungen, natürlich nicht so grosse, aber dennoch sind es Verpflichtungen. Ausserdem, ich kann mich nicht auf ewig verstecken. Ich hoffe, du verstehst es jetzt ein bisschen besser."
Daichi nickte traurig und Anna lächelte ihn traurig an. Plötzlich warf er sich um ihren Hals.
„Ich werde dich sehr vermissen und Kenshin sicher auch!", sagte Daichi leise und umarmte sie ganz fest.
„Ich werde euch auch sehr vermissen!", versicherte Anna ihn und erwiderte seine Umarmung. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass es Daichi nun besser ging, verliess sie seine Suite und klopfte dann an Kenshins Tür. Wie immer trat sie ein, ohne eine Antwort zu erhalten. Im Wohnzimmer war niemand, nachdem Anna auch im Schlafzimmer Kenshin nicht entdeckt hatte, beschloss sie sich ein Glas Whisky zu genehmigen. Sie bediente sich an Kenshins Bar und trat dann auf der Terrasse hinaus.
Sie setzte sich auf der Lounge und sah der untergehenden Sonne zu, welche langsam über die Stadt herabsank. Es war früher Abend und es war immer noch warm genug, dass sie in ihrem Sommerkleid nicht kalt hatte. Langsam nippte sie an ihrem Whiskyglas, die Flüssigkeit brannte wie immer angenehm in ihrem Hals. Nach dem bereits emotionalen Gespräch mit Daichi, wusste Anna nicht wie sie Kenshin überhaupt über ihre Entscheidung mitteilen sollte. Hatte sie überhaupt so viel Kraft ihm wehzutun? Geschweige denn sich selbst? Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen, als Kenshin zu ihr auf den Balkon trat.
„Es tut mir leid, dass ich dich solange habe warten lassen.", entschuldigte er sich sofort bei ihr, während er sich zu ihr setzte. „Es gab plötzlich doch noch einiges zu tun."
„Du musst dich für gar nichts entschuldigen Kenshin, du bist Kaiser und so ist es nun einmal!", erwiderte Anna lächelnd, wie konnte sie ihm böse sein? Er hatte nun mal Verpflichtungen, dass konnte weder er und schon gar nicht sie ändern.
„Morgen kommen deine Eltern, gleich nach dem Mittagessen, aber davor würde Dr. Johnson gerne mit dir nochmals sprechen.", informierte Kenshin sie. „Ich hoffe das ist immer noch in Ordnung?"
„Ja natürlich.", sagte Anna lächelnd. „Das war ja so besprochen."
Anna griff zum Whiskyglas und trank einen Schluck, sie musste sich nun zusammenreissen. Kenshin sah sie kurz stirnrunzelnd an, bevor er wieder aufstand, um sich ebenfalls ein Glas Whisky einzuschenken. Er trat wieder auf der Terrasse mit einem Whiskyglas in der Hand. Er lächelte sie liebevoll an, setzte sich aber nicht zu ihr hin, sondern ging zur Brüstung und blickte über die Hauptstadt. Anna wusste, dass sie es ihm jetzt sagen musste, wofür sie sich entschieden hatte, jedoch wusste sie immer noch nicht wie sie es ihm sagen sollte. Nervös kaute sie auf ihre Unterlippe und betrachtete den Terrassenboden.
„Bist du nervös wegen morgen?", riss Kenshin sie aus den Gedanken und sie blickte überrascht zu ihm hoch.
„Wie kommst du darauf?", wollte Anna von ihm wissen und trank den letzten Schluck Whisky aus ihrem Glas. Kenshin lachte leise und ging vor ihr in die Knie, sein Glas setzte er neben ihr leeres ab.
„Immer wenn du nervös bist oder du dich ein wenig unbehaglich fühlst, kaust du auf deinen Lippen.", offenbarte er seine Erkenntnisse lächelnd und er kam ihrem Gesicht näher. Annas Herz beschleunigte automatisch und sie biss sich unbewusst auf die Lippen, während sie wie betäubt in sein schönes Gesicht starrte.
„Ausserdem beisst du dir auf die Lippen, immer wenn ich dir ganz nahe bin, so wie jetzt.", flüsterte Kenshin heiser. „Das macht mich jedes Mal fast wahnsinnig."
Anna konnte, so wie immer, wenn Kenshin ihr nah war, kaum atmen und sie wollte nichts Sehnlichstes als dass er sie endlich küsste, was er auch tat. Seine Lippen, auf die ihren und Anna konnte, keinen klaren Gedanken mehr erfassen, obwohl seine Lippen dir ihren kaum berührten, so sanft war sein Kuss. Seine Zunge fuhr über ihre Lippen, was ihr eine wohlige Gänsehaut verursachte.
Wie zum Teufel sollte sie ihm ihre Entscheidung übermitteln, wenn er sie mit nur einem Kuss entwaffnen konnte? Kenshin legte seine Hand zärtlich um ihr Gesicht und zog ihr Gesicht sachte näher zu ihm, bevor er sie leidenschaftlich küsste und Anna nur noch dahinschmolz. Als Kenshin den Kuss beendete, lächelte er sie liebevoll an, er nahm sein Glas wieder in die Hand und stand auf.
„Und konnte ich deine Nervosität verjagen?", fragte Kenshin grinsend, während er sich lässig neben ihr auf der Lounge setzte, sein Körper zu ihr gedreht, dass einte Bein angewinkelt auf die Lounge und den Arm locker auf der Rückenlehne. So wie er da sass, konnte man nicht denken, dass er ein Kaiser war.
„Nur für einen Moment.", gab Anna zu, blickte weg und begann wieder auf ihre Lippen zu kauen, weil sie einfach nicht wusste, wie sie es ihm sagen sollte. Kenshin nahm sich einen Schluck Whisky und stellte das Glas wieder hin. Er sass da, unbeschwert, nichts ahnend von dem was sie ihm gleich sagen wird.
„Was ist los Anna?", wollte Kenshin besorgt wissen. „Ist es, weil du nicht weisst, wie du deinen Eltern sagen sollst, dass du bei mir bleiben möchtest?"
Das war der Moment, der Moment es ihm zu sagen, doch Anna brachte es kaum übers Herz, welches bereits zu schmerzen begann, aber sie musste es tun. Kenshin war ein Kaiser und sie nur ein einfaches junges Mädchen. Sie gehörte nicht hierher und würde es auch nie. Anna schloss schwermütig die Augen und atmete tief ein, bevor sie ihm antwortete.
„Nein, das ist es nicht, denn ich werde mit meinen Eltern nicht darüber reden."
Eine unerträgliche Stille breitete sich aus.
„Was genau meinst du damit?", fragte Kenshin mit leichter brüchiger Stimme. „Anna sieh mich bitte an."
„Ich werde nicht hierbleiben.", gestand Anna und sah Kenshin an, der lässig sitzende und grinsende Kaiser war verschwunden. An dessen Stelle sass ein angespannter, entsetzter dreinblickender Kaiser, welcher versuchte die Situation zu begreifen und um Worte wrang.
„Weshalb?", war das Einzige was Kenshin herausbrachte.
„Weil ich nicht hierher gehöre Kenshin."
„Natürlich gehörst du hierher!", erwiderte Kenshin leicht verzweifelt. „An meiner Seite!"
„Nein, tue ich nicht.", entgegnete Anna flüsternd, während ihr Herz schmerzte. Kenshin schloss schmerzlich die Augen und stand von der Lounge auf, wo er dann bei der Brüstung stehen blieb und sie mit den Händen daran stützte. Die Stille, die zwischen ihnen herrschte, war unerträglich und Anna wollte nur noch die Terrasse verlassen. Sie erhob sich schweren Herzens von der Lounge, um den Rückzug anzutreten.
„Es ist wegen ihm, nicht wahr? Wegen Adrian?", wollte Kenshin plötzlich wissen und drehte sich zu ihr um. „Du liebst ihn, nicht wahr?"
Verwirrt und gleichzeitig geschockt schaute Anna ihn an. Woher wusste er, dass mit Adrian und ihr?
„Woher... weisst du...?", fragte sie ihn stockend.
„Habe ich Recht?", unterbrach Kenshin ihr Gestammel und ging zu ihr hin, bis sie nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Anna bekam kaum Luft, was nicht nur am Gespräch lag, sondern auch an Kenshins Nähe.
„Ja.", gestand Anna flüsternd und sah weg. Kenshin legte sanft seine Finger um ihr Kinn und hob es hoch, sodass sie ihn wieder in die Augen sah.
„Doch mich liebst du auch."
Seine Stimme war leise, gepaart mit Hoffnung und Schmerz.
„Ja."
Sie sahen sich eine Weile in die Augen. Schokoladenbraun traf auf rehbraun.
„Aber ihn liebst du mehr?!"
Was? Nein! Annas Gedanken riefen jegliche Verneinungen und doch wusste sie, dass Kenshin sie sonst nie aufgeben würde, wenn sie nicht das richtige sagen würde, und er musste sie aufgeben, damit er sich eine Frau nahm, die seiner Würdig war. Anna spürte, wie ihr die Träne hochkamen, versuchte dennoch sich zusammenzureissen.
„Ja.", flüsterte sie und konnte dabei nicht verhindern, dass eine Träne über ihr Gesicht rann. Kenshin schloss schmerzlich die Augen und als er sie wieder öffnete, trat er ein Schritt zurück.
„Dann ist es klar, dass du hier nicht bleiben kannst und willst.", sagte Kenshin mit fester Stimme, als hätte er sich wieder unter Kontrolle. Anna nickte steif, wischte mit ihrer Hand ihre einzelne Träne weg und floh dann von der Terrasse. Sie durchquerte seine Suite, ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen und ein Teil von ihr hoffte, dass Kenshin ihr nachlaufen würde. Sie wusste das würde nicht passieren, dafür hatte sie mit den richtigen Worten gesorgt.
Sie rannte aus seiner Suite in die ihre und erst als die Tür hinter ihr geschlossen war, liess Anna ihre Gefühle freien Lauf. Sie liess sich an der Tür hinuntersinken, die Tränen rannen ihr nur übers Gesicht und sie hatte das Gefühl, dass ihr Herz schmerzte. Sie versuchte sich zu beruhigen, doch nichts funktionierte. Sie weinte und weinte. Nach einer gefühlten Stunde hatte sie es geschafft mit dem Weinen aufzuhören. Sie rappelte sich auf und bewegte sich zur Bar. Sie goss sich einen doppelten Whisky ein und ging hinaus auf die Terrasse. Sie zündete sich eine Zigarette an und zog daran. Sie rauchte und trank, während sie starr über die Stadt starrte, ansonsten versuchte sie an nichts zu denken.
Als ihr Glas leer war, schleppte sie sich in ihr Schlafzimmer und erledigte im Zombiemodus ihre Abendtoilette, dabei registrierte sie ihre roten Augen, welches von der ganzen Heulerei kam. Sobald sie im Bett lag, konnte sie nicht verhindern, dass ihr erneut Tränen hochkam. Kenshin fehlte ihr jetzt schon, seit fast einem Monat hatte er neben ihr im Bett gelegen. Sie riss sich zusammen und versuchte einzuschlafen. Lange liess der Schlaf auf sich warten und als es Anna endlich übermannte, suchte sie gleich ein Traum heim.
Sie lag nackt im Bett mit Bors, er nahm sie gerade von hinten, während er an ihren Haaren zog, sodass er ihren Hals küssen konnte.
„Sag das du mir gehörst!", knurrte Bors an ihr Ohr. Anna versuchte sich von ihm zu lösen, doch es ging nicht. Bors zog ihr noch gröber an den Haaren.
„Sag das du mir gehörst!", wiederholte Bors knurrend, jedoch drohender. Anna brachte kein Wort heraus, sie versuchte immer noch von ihm wegzukommen. Doch es gelang ihr überhaupt nicht und Bors tat ihr nur mehr weh.
„Du. Gehörst. Mir!", zischte Bors wütend, weil sie ihm nicht antwortete und betonte jedes Wort einzeln.
„NEEEEIIIIIN!"
Anna schrie aus Leibeskräften. Sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass es nur ein Traum war. Ein Traum der es in sich hatte. Sie sass aufrecht im Bett, ihr Herz raste und ihr Atem ging nur noch stossweise. Sie zitterte am ganzen Körper. Es war nur ein Traum, versuchte sie sich zu beruhigen, es war nur ein Traum. Immer und immer wiederholte sie es sich in Gedanken, dass sie am ganzen Körper zitterte, trug nicht dazu bei, dass sie sich beruhigen konnte. Sie schlang die Arme um sich und wiegte sich selbst hin und her. Das Bett empfand sie plötzlich als viel zu gross und ihre Gedanken schweiften automatisch zu Kenshin. Den Gedanken an ihm schmerzte sie. Sie vermisste ihn. Er war immer für sie da gewesen, wenn sie einen Alptraum hatte, wobei sie seit längeren Zeit keinen Alptraum mehr gehabt hatte. Eigentlich seit sie mit Kenshin im gleichen Bett schlief, aber er würde nie mehr an ihrer Seite schlafen und ihr die Geborgenheit geben.
Bedrückt legte sich Anna wieder hin und rollte sich zusammen. Ihr Herz schmerzte und sie versuchte sich zusammenzureissen nicht nochmals zu flennen. Sie konzentrierte sich darauf wieder einzuschlafen, an nichts zu denken und nach einer Weile fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Wieder tauchte Bors in ihren Traum auf, diesmal waren sie beide bekleidet und Bors drückte sie gegen eine Wand. Während die linke Hand um ihre Taille lag, lag die rechte Hand um ihren Hals, wobei er sie brutal küsste. Mit Entsetzen musste Anna registrieren, dass sie sich nicht wehrte, als hätte sie aufgegeben.
„Es ist gut, dass du zu mir zurückgekommen bist! Es erspart dir eine Strafe!", flüsterte Bors mit unheilvoller Stimme an ihren Lippen. Anna versuchte sich von ihm zu befreien, aber sie konnte keinen einzigen Muskel bewegen.
„Du gehörst mir!", flüsterte Bors nach einen weiteren groben Kuss. „Ich will es hören!"
Anna konnte sich vielleicht nicht mehr wehren, aber diese Bestätigung, welcher er von ihr verlangte, wollte sie ihm auf keinen Fall geben.
„Sag es!", knurrte Bors drohend und begann den Griff um ihren Hals zu verstärken. Angst kroch in Annas Körper, es lähmte sie und beherrschte sie, trotzdem sagte sie kein Wort.
„Sag es! Ich will es hören!", knurrte Bors wütend und drückte weiter ihren Hals zu, immer und immer mehr, sodass Anna nicht mehr atmen konnte.
„SAG DAS DU MIR GEHÖRST!"
Anna erwachte mit einem Schlag, sie schnappte nach Luft, weil sie immer noch das Gefühl hatte, erwürgt zu werden. Ihre Hände tasteten zu ihrem Hals, wo sich gerade eben Bors Hand gefühlt hatte, während sie weiter nach Luft japste. Die Dunkelheit erdrückte sie, also tastete sie mit zittrigen Finger nach dem Schalter der Nachttischlampe. Das Licht der Nachttischlampe erhellte nicht das ganze Zimmer, aber es reichte aus, dass sie sich von der Dunkelheit nicht mehr erdrückt fühlte. Mit zittrigen Körper stand Anna auf und ging ins Badezimmer, wo sie dann im Spiegel nachschaute, ob um ihren Hals abdrücke zu sehen waren. Natürlich waren da keine, obwohl es sich so echt angefühlt hatte.
Mit zittrigen Beinen setzte sie sich auf den Schemel, der in der Nähe stand und vergrub verzweifelt ihr Gesicht in ihren Händen. Was war nur los mit ihr? Diese Träume waren nicht normal! Diese Träume fühlten sich zu echt an. Das durfte nicht sein. An weiteren Schlaf war nicht mehr zu denken, auch wenn sie müde war, die Angst einen weiteren Alptraum mit Bors zu erleben war zu gross. Der Schweiss der letzten beiden Alpträumen klebte immer noch an ihr und so beschloss sie ein Bad zu nehmen. Nachdem sie warmes Wasser in die Wanne eingelassen hatte und ein paar ätherische Öle dazugegeben hatte, stieg sie langsam in die Wanne. Die Wärme umhüllte ihren Körper und der Duft der Öle benebelte ihren Verstand, sodass sie sich entspannte und sogar einschlief.
Sie erwachte viel später vom kalten Wasser auf. Völlig steif erhob sie sich aus der Wanne, sie fühlte sofort, dass ihre Muskeln verspannt waren und müde war sie immer noch. Schnell trocknete sie sich ab und schlüpfte in den seidenen Bademantel. Sie ging ins Schlafzimmer und zog die schweren Vorhänge zurück. Es war noch früher Morgen, der Horizont leuchtete bereits in rötlichen Tönen und Anna sah der aufgehenden Sonne einen Moment zu.
Sie versuchte die schreckliche Nacht aus ihren Kopf zu verbannen, entschlossen es nicht an ranzulassen, wendete sie sich vom Fenster ab und zog ihre Trainingskleid an. Sie zog gerade ihre Schuhe an, als sie innehielt. Kenshin würde heute bestimmt nicht mit ihr trainieren wollen, nicht nach dem gestrigen Gespräch. Oder würde er, professionell wie er war, einfach darüberstehen? Sollte sie nach unten gehen und auf ihn warten? Andererseits wollte sie nicht im Garten warten, nur um dann wie bestellt und nicht abgeholt dazustehen.
Sie ging auf ihre Terrasse, zündete sich eine Zigarette an und lief hin und her. Unsicher was sie tun sollte. Sie wollte Kenshin sehen, wollte mit ihm trainieren und Spass haben. Sie wollte sein Lächeln sehen, wollte sehen wie seine Augenbraunen sich hochzogen, wenn ihn etwas amüsierte. Wiederum wollte sie ihn auch nicht sehen, sie wollte seinen gekränkten Blick nicht sehen, wollte seine kühle Art nicht spüren, mit welcher er sie nun behandeln wird. Wie könnte sie es ihm verübelnd, nachdem sie doch zuerst hierbleiben wollte, wegen ihm und jetzt doch ging?
Aber sie war sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, auch wenn sie dafür ihre Gefühle hintenanstellen musste. Sie drückte ihre Zigarette aus und sah zum Garten, als ob sie darauf wartete Kenshin zu sehen. Wenn Kenshin noch vorhatte mit zu ihr trainieren, dann musste er an diesem Punkt vorbei. Sie konnte hier auf der Terrasse bleiben, wenn sie Kenshin sehen würde, könnte sie immer noch schnell nach unten rennen, um mit ihm dann zu trainieren. Also stand sie da, den Blick starr auf den Garten gerichtet. Je länger sie dastand, desto düsterer wurde ihre Stimmung, wenn das überhaupt bereits noch möglich war. Es war Irrsinn, das wusste sie, aber da war noch ein Fünkchen Hoffnung in ihr.
Wie dumm von mir, dachte sich Anna und schnaufte verächtlich über sich selbst. Es war ihre Entscheidung. Deprimiert setzte sie sich auf der Lounge und zündete sich eine Zigarette an, die Sonne stand schon fast am Zenit, es war bald Mittagszeit. Um diese Zeit kehrte sie normalerweise vom Training zurück. Normalerweise... schwermütig schloss Anna die Augen, sie wusste nicht, wie sie diesen Tag überstehen sollte. Sie wollte zu Kenshin, wollte in seinen Armen sein. Sie liebte ihn so sehr. Für einen kurzen Moment zweifelte sie an ihrer Entscheidung, doch dann erinnerte sich wieder, weshalb. Er war ein Kaiser, sie nur ein einfaches Mädchen. Denk immer daran, mahnte sie sich und nahm den letzten Zug ihrer Zigarette, bevor sie diese ausdrückte.
Entschlossen irgendwie diesen Tag zu überstehen, stand sie auf und ging durch das Schlafzimmer ins Bad. Sie duschte, trocknete sich dann die Haare und ging in ihr Ankleideraum. Sie zog sich einen schwarzen, leicht eleganten, Jumpsuit an. Es hatte einen Carmenkragen und einen weiten Beinen schnitt, dazu zog sie schwarze Sandalen mit Keilabsätze an.
Sie schaute sich im Spiegel an. Die Farbe ihres Outfits widerspiegelte ihre Stimmung. Die Spuren der letzten Nacht war ihr anzusehen, sie versuchte zu lächeln, brachte aber nur eine Grimasse hin. Sie hörte wie eine Tür aufging und Steven, der ihren Namen rief. Sie atmete tief ein, bevor sie aus dem Schlafzimmer trat. Steven schaute gerade nach, ob sie sich auf der Terrasse befand, drehte sich aber um als er sie hörte.
„Hey Kleines, wie geht es dir?", fragte Steven sogleich lächelnd. Anna wrang sich zu einem Lächeln, ob es ihr gelang, wusste sie selbst nicht genau. Nach Stevens Gesichtsausdruck, war es gerade so lala gelungen.
„Gut.", log Anna knapp und stellte sogleich eine Gegenfrage. „Und dir? Du und Rick wart gestern sehr lange weg."
„Ja, ich wollte gestern alles geschäftliche regeln, damit ich Zeit habe für dich, bevor du abreist.", antwortete Steven und lächelte dabei ein wenig traurig. Anna wurde plötzlich bewusst, dass sie sich auch von Steven verabschieden musste. Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen, bei dieser Erkenntnis. Sie würde ihn schmerzlich vermissen, das wusste sie. Er war ihr engster Vertrauter, ihr Freund, ihr Bruder. Als ob Steven wusste was sie gerade empfand, lächelte er breit, die Traurigkeit in seinem Blick konnte er aber nicht ganz verschwinden lassen.
„Ich wollte gerade nach unten zu Mittag essen. Kommst du auch?", fragte er gelassen, ohne mit dem Lächeln aufzuhören.
„Na klar.", antwortete Anna, obwohl ihr nicht nach essen zumute war. Sein Lächeln konnte sie aber kaum erwidern, es würde ansonsten nur eine Grimmasse ergeben. Gemeinsam verliessen sie, ihre Suite und stiegen die Treppe hinunter. Bei jeder Stufe die Anna hinunterstieg, wurde ihr Herz schwerer. Gleich würde sie Kenshin sehen, seinen emotionslosen Blick und seine Gleichgültigkeit ihr gegenüber spüren. Sie wusste nicht, ob sie es ertragen konnte und mit jedem Schritt näher zum Esszimmer, wurden ihre Beine schwerer. Kurz vor dem Esszimmer hielt Steven sie zurück. Verwirrt sah Anna zu ihm hoch.
„Ist mit dir alles Ordnung Anna?", fragte er sie, sein Blick war voller Sorge. Anna wollte schon zu einer Lüge greifen, aber diesmal schaffte sie es nicht.
„Nein...", antwortete sie ihm leise, jedoch brachte sie kein anderes Wort mehr heraus. Ein Kloss bildete sich in ihrem Hals, sie schloss die Augen und atmete tief durch. Sie spürte, wie ihr die Tränen hochkamen, doch sie bekämpfte das Gefühl. Sie atmete nochmals tief durch.
„Ist es wegen deinen Eltern?", fragte Steven einfühlsam weiter und Anna atmete ein weiteres Mal tief durch. Sie öffnete die Augen, sie hatte sich wieder unter Kontrolle und ihre Antwort fiel genauso knapp aus, wie vorhin.
„Nein."
Sie wandte sich um und ging weiter Richtung Esszimmer, sie hörte wie sich Steven ebenfalls in Bewegung setzte. Vorerst würde er nicht nachbohren, jedenfalls nicht während des Mittagsessen. Sie versuchte vorbereitet zu sein, Kenshin zu sehen. Wie sollte sie sich ihm gegenüber überhaupt verhalten? Darüber nachzudenken war jetzt zu spät. Sie trat ins Esszimmer, Kenshin, Daichi und Rick sassen bereits am Tisch.
„Hallo Anna!", rief Daichi sofort, freudig lächelte er sie an, dann grüsste er Steven.
„Hallo zusammen.", grüsste Anna und versuchte zu lächeln, was ihr auch gelang. Mit Absicht schaute sie nicht zu Kenshin, während sie an ihrem Platz ging, wie immer zur linken von Kenshin. Sie wagte es kaum ihn anzusehen, dennoch musste sie ihn anschauen. Sie hob ihren Blick und traf den seinen. Rehbraun traf auf schokoladenbraun. Jedoch waren seine Augen, welche sie immer an flüssige Schokolade erinnerte, erkaltet. Wie Anna es befürchtet hatte und sie konnte es ihm nicht einmal übelnehmen. Trotzdem traf es sie mit voller Wucht und ihr Herz schmerzte erneut. Schwermütig wandte sie ihren Blick ab und schöpfte sich ein wenig Essen in den Teller.
Obwohl sie schon gestern Abend kaum gegessen hatte, hatte sie keinen Hunger und wenn, würde ihr bei Kenshins Blick so oder so den Appetit vergehen. Während des Essens plapperte Daichi wie immer ununterbrochen und Anna versuchte ihre Aufmerksamkeit dem jungen Prinz zuzuwenden, jedoch spürte sie Kenshins Blick. Sie brachte keinen Bissen hinunter und stocherte in ihr Essen herum, was ihr auch besorgte Blicke von Rick und Steven einbrachte. Irgendwann ertrug sie das Ganze nicht mehr und stand auf.
„Entschuldigt mich!", sagte Anna leise, aber laut genug, dass es jeder hören konnte und lief zur Tür.
„Aber Anna du hast gar nichts gegessen.", rief Steven besorgt aus, dass Anna kurz innehielt. Ihr Blick wanderte automatisch von Steven zu Kenshin. Er sah sie an, sein Blick wirkte nicht mehr emotionslos, jedoch wandte er den Blick ab von ihr und das reichte ihr völlig, um ihr den Rest zu geben.
„Ich habe keinen Hunger.", murmelte sie nur und drehte sich abrupt ab. Sie verliess in Windeseile das Esszimmer und rannte förmlich die Treppe hoch. Oben in ihrer Suite angekommen, kämpfte sie wieder gegen die Tränen und irgendwie schaffte sie es. Sie brauchte jetzt eine Stärkung, ihr Blick wanderte automatisch zur Bar. Sofort griff sie zur einer Flasche Whisky und goss sich ein Glas ein. Schnell trank sie einen Schluck und genoss den Alkohol, der ihr ein angenehmes brennen im Hals bescherte. Sie atmete ein paar Mal tief durch, versuchte an nichts zu denken, doch sie sah immer wieder wie Kenshin seinen Blick von ihr abwandte. Fast schon abschätzend. Schnell nahm sich Anna noch einen weiteren Schluck, versuchte wieder an nichts zu denken. Jedoch funktionierte es nicht. Wütend über sich selbst, ging sie auf die Terrasse, setzte sich auf die Lounge und zündete sich eine Zigarette an.
Sie starrte auf Stadt hinunter, während sie sich einen weiteren Schluck von ihrem Whisky genehmigte. Während sie weiter starrte, schaffte sie sie endlich an nichts zu denken. So sass sie eine Weile, trank und rauchte, dachte an nichts. Als ihr Glas leer war hörte sie wie die Eingangstür ihrer Suite geöffnet wurde.
„Anna?", rief Steven durch die Suite. Anna bewegte sich keinen Millimeter, sie wollte nicht mit Steven reden, eigentlich wollte sie mit niemandem reden. Sie hörte wie Steven auf die Terrasse trat, sie aber, blickte weiterhin starr über die Stadt.
„Anna?", sprach Steven sie an, er berührte sie leicht an der Schulter und erst jetzt wendete sie ihren Kopf zu ihm. Neben ihm stand ein Mann mittleren Alters mit beigen Anzug und Brille, welche seine Augen leicht vergrösserten. Anna erkannte den Psychiater, sie hatte die bevorstehende Besprechung mit ihm total vergessen.
„Du erinnerst dich an Dr. Damian Johnson?", fragte Steven und zeigte auf den Mann hinter ihm. Anna nickte knapp.
„Es freut mich Sie wieder zu sehen.", grüsste Dr. Johnson sie freundlich, er streckte ihr die Hand entgegen. Anna blickte auf die Hand, unbekannte Menschen zu berühren, liess sie immer noch übel werden, weswegen sie einfach wieder knapp nickte. Besorgt sah Steven sie an, sein Blick glitt zu ihrem bereits leeren Whiskyglas und er runzelte kurz besorgt die Stirn. Natürlich entging ihr seine Reaktion nicht, aber das war ihr egal.
„Ich lasse euch allein.", meinte Steven dann nur. „Bis später Kleines."
„Bis später Steven.", verabschiedete sich Anna von ihm und er lächelte sie an, drückte kurz aufmunternd ihre Schulter, bevor er ins Wohnzimmer ging und die Suite verliess. Dr. Johnson stand immer noch vor der Lounge und Anna hoffte sehr, dass er nicht vorhatte sich neben ihr zu  setzen.
„Ein wunderschönes Wetter, nicht wahr?", meinte Dr. Johnson nur und sah zum Himmel. „Da bleiben wir doch lieber draussen. Ich hole mir schnell einen Stuhl."
Und schon ging der Psychiater ins Innere und kam mit einem Stuhl vom Esszimmer wieder hinaus. Er stellte den Stuhl so hin, dass er schräg ihr gegenüber sass. Er zog sich seine Tasche näher zu sich und holte einen Block und Kugelschreiber heraus.
„Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich mir ein paar Dinge aufschreibe?", fragte Dr. Johnson mit einem freundlichen Lächeln.
„Ein bisschen spät zu fragen, nachdem Sie sich bereits die Mühe gemacht haben. Finden Sie nicht?", meinte Anna sarkastisch darauf, nahm sich eine Zigarette zur Hand und zündete diese an.
„Natürlich, wie dumm von mir.", erwiderte Dr. Johnson und lächelte sie weiterhin an, dabei betrachtete er sie genau. Es blieb eine Weile still, keiner sagte ein Wort. Anna war es egal, von ihr aus konnte er wieder gehen. Sie verstand nicht einmal, wieso dieses Gespräch überhaupt stattfand. Das Gespräch hatte sie nur aus Freundlichkeit gegenüber Kenshin zugestimmt.
„Wie geht es Ihnen heute?", fragte der Psychiater sie, als sie den Glimmstängel im Aschenbecher zerdrückte.
„Gut.", antwortete Anna sogleich und sah ihn bei dieser Lüge sogar an.
„Wie ging es Ihnen in letzter Zeit?", fragte er weiter.
„Bestens.", gab Anna wieder sogleich an, wobei sie diesmal nicht log.
„Seine kaiserliche Hoheit erwähnte mir gegenüber, dass Sie in letzter Zeit viel meditiert haben und dass Ihnen Selbstverteidigung beigebracht worden ist. Glauben Sie, dass es daran lag, dass Sie sich besser fühlten?"
Anna merkte, dass Dr. Johnson, lag, gesagt hatte und nicht, ob es daran liegt. Aber er hatte Recht, Vergangenheitsform brachte es auf dem Punkt.
„Unter anderem.", erwiderte Anna leise und sah wieder über die Stadt, während sich Dr. Johnson sich ein paar Notizen machte. Einen kurzen Moment war es wieder still, Anna starrte weiter über die Stadt, während Dr. Johnson eine weitere Frage stellte.
„Seit wann rauchen Sie?"
„Schon eine Weile!", antwortete Anna, ohne den Blick von der Stadt zu nehmen.
„Seit wann trinken Sie Alkohol."
„Ebenfalls eine Weile!"
„Und seit wann trinken Sie Alkohol tagsüber?"
Anna schnaubte verächtlich, den Blick weiterhin auf die Stadt. Natürlich war ihm das Whiskyglas aufgefallen.
„Wenn es mir passt!"
Sie hörte wie sich Dr. Johnson weitere Notizen aufschrieb.
„Haben Sie Alpträume?"
Die Frage liess Anna den Kopf ruckartig zum Psychiater drehen. Sie spannte die Kiefermuskeln an, bevor sie antwortete.
„Nein!"
„Sie haben keine Träume?", hackte Dr. Johnson weiter, seine hellbraunen Augen hinter seinen Brille, waren fest auf sie gerichtet. „Nichts, dass Ihnen den Schlaf raubt?"
„Nein!", log Anna mit angespannten Kiefermuskeln.
„Es ist keine Schande, zuzugeben, dass man Alpträume hat.", meinte Dr. Johnson freundlich und lächelte sie warm an. „Träume entstehen im Unterbewusstsein, welches oft die Geschehnisse verarbeiten möchte, vor allem wenn es sich um solche schlimme handelt, wie Sie es erlebt haben. Es wäre ganz normal, dass Sie Alpträume haben."
„Ich habe keine Alpträume, aber vielen Dank für die Belehrung.", erwiderte Anna bissig und lächelte dabei sarkastisch.
„Wollen Sie mir einer von Ihren Alpträume erzählen?", fragte Dr. Johnson ruhig weiter und sah sie weiterhin genau an.
„Nein!", antwortete Anna sofort, sie wollte keinem Menschen erzählen, dass Bors sie in ihren Träumen heimsuchte und das es so schlimm war, dass sie sogar beim Schlafen fast erstickt wäre. Nur der Gedanke daran und sie hatte plötzlich das Gefühl, Bors Hände auf ihrem Hals zu spüren, sodass sie nach ihren Hals tastete und Mühe mit dem Atmen hatte. Sie merkte nicht, dass Dr. Johnson sie stirnrunzelnd ansah. So schnell wie es auch gekommen ist, verschwand das Gefühl wieder und da merkte Anna, dass sie indirekt bestätigt hatte, dass sie unter Alpträume litt. Wütend sah sie den Psychiater an, jedoch liess er sich davon nicht beirren und sie hoffte das Gespräch war bald zu Ende.
„Freuen Sie sich nach Hause zu kommen?"
Wieder spannte Anna ihre Kiefermuskeln an, nicht nur weil ihr das Gespräch nicht behagte, sondern auch, weil sie selbst nicht die Antwort kannte auf diese Frage.
„Ich weiss es nicht.", antwortete sie deshalb ehrlich.
„Vielleicht stelle ich die Frage anders.", gab Dr. Johnson darauf an. „Freuen Sie sich Ihre Eltern wieder zu sehen?"
„Ich weiss es nicht.", gab Anna wieder an und schloss schwermütig die Augen.
„Haben Sie Angst vor der Begegnung mit Ihren Eltern?", löcherte der Psychiater weiter.
„Nein, natürlich nicht!", rief Anna empört aus. Natürlich hatte sie Angst, jedoch würde sie das diesem Mann nicht zugeben. Gar nichts würde sie diesem Psychiater zugeben. Es gab nichts was sie ihm erzählen wollte. Sie kannte ihn nicht, sie würde sich ihm bestimmt nicht anvertrauen.
„Es ist normal, Angst davor zu haben. Jedes Mädchen welches...", begann Dr. Johnson zu erklären, doch Anna schnitt ihm das Wort ab.
„Ich habe keine Angst und ich bin längst kein Mädchen mehr! Nicht nach alldem!", zischte Anna wütend und stand entschlossen auf. „Für mich ist das Gespräch beendet!"
Sie ging an Dr. Johnson vorbei, ins Wohnzimmer und lief in ihr Schlafzimmer, wobei sie die Tür laut zuschlug. Wütend blieb sie hinter der Tür stehen und versuchte ruhig zu atmen. Sie hörte wie Dr. Johnson den Stuhl wieder an den kleinen Esstisch stellte und die Suite verliess. Nach einer Weile, bewusster ruhiger Atmung, verschwand die Wut und der Liebeskummer trat wieder ein. Sie trug sich zum Bett und rollte darauf ein, wie eine Katze, während der Kummer sie zu überwältigen drohte.



Bereits der fünfte Teil der Lesenacht und ich hoffe, ihr seid noch nicht müde und wollt mir  auch nicht den Kopf abreissen, nach diesem Kapitel.😁
Ein sehr emotionales Kapitel, sogar für mich. Aber ich denke, alle können Annas Entscheidung nachvollziehen.
Votes und Kommentare willkommen. :))

Gefangen im Schatten der Angst - Wieso er?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt