Kapitel 19

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Anna sass angespannt auf der Bank des Gerichtssaal in der ersten Reihe, links neben ihr sass Adrian und rechts von ihr Kenshin. Sie wusste, dass sie eigentlich nicht neben Kenshins hätte sitzen sollen, aber ohne ihn in ihrer Nähe, würde sie den Prozess wahrscheinlich nicht bestehen. Der Prozess hatte am Morgen begonnen, der erste Teil war jedoch ohne Zuschauer eröffnet worden, da dies so üblich war. Nun aber füllte sich der Saal mit Journalisten, Kameras und Aufnahmegeräte waren nicht erlaubt, dennoch waren viele Journalisten vor Ort. Dieser Prozess war schliesslich der Prozess des Jahres. Kenshins Anwesenheit zeigte dies nur allzu deutlich, sowie die Anwesenheit einiger Mitglieder des Grossen Rats. Yusei war jedoch der einzige, welcher Anna freundlich begrüsst hatte und ihr viel Kraft für die nächsten Stunden wünschte. Das lag wohl daran, dass er merkte wie nervös sie war. Er grüsste auch noch ihre Eltern und Freunde, bevor er sich respektvoll von ihnen entfernten.
Während sich der Gerichtsaal immer mehr füllte, wurde Anna immer angespannter, bei dem Gedanken, dass sie Bors bald wiedersehen würde, wurde ihr beinahe übel. Was der Grund war, dass sie beim Mittagessen kaum einen Bissen runtergebracht hatte.
„Ganz ruhig Anna! Er kann dir hier nichts anhaben.", flüsterte Rick leise von hinten an ihr rechtes Ohr. Rick hatte sich bewusst hinter Anna gesetzt, sie ihm Blick zu haben, war ihm auch hier wichtig, obwohl durch Kenshins Präsenz mehr Sicherheitsbeamte anwesend waren. Anna nickte leicht, dennoch konnte sie ihre Anspannung nicht abstellen. Sie war froh, dass Steven nicht im Saal war, da er heute aussagte, musste er draussen warten, bis er reingebeten wurde. Steven würde sie nur besorgt anschauen, sie spürte bereits Adrian besorgten Blick und dies reichte ihr völlig.
Bis jetzt wusste niemand, ausser Rick, dass Anna nicht aussagen würde, wobei Anna sich sicher war, dass Kenshin Bescheid wusste. Die Anwälten welche vor ihnen sassen tuschelten noch angeregt miteinander. Wahrscheinlich besprachen sie noch die letzten Taktiken, dachte sich Anna, gerade als Mr. Sakamoto aufstand und sich umdrehte. Der Staatsanwalt, sah sie kurz an, dann wandte er sich an Kenshin.
„Kaiserliche Hoheit, die Verteidigung hat darauf bestanden, dass der Duke heute noch aussagt. Der Richter hat es ihnen gewährt. Nach Steven wird der Duke aussagen.", flüsterte Mr. Sakamoto Kenshin leise zu. Anna musste sich richtig anstrengen, zu verstehen was geflüstert wurde, da der Staatsanwalt sehr leise sprach. Anna sah gerade noch wie Kenshin grimmig nickte und diese Tatsache zur Kenntnis nahm, als die Tür geöffnet wurde, welche für die Inhaftierte Ankläger war.
Annas Puls beschleunigte sich wie von selbst, als sie Bors erblickte, welcher von einem Beamten in Handschellen, zu seinem Platz gebracht wurde. Er trug einen klassischen marineblauen Anzug, seine schwarze lockigen Haaren fielen ihm leicht ins Gesicht. Er sah genauso aus, wie in Annas Alpträumen, er hatte sich nicht verändert.
Bors Blick schweifte durch den Raum, als ob er jemand suchen würde und auch fand, als sein Blick auf Anna stehen blieb. Seine meeresblauen Augen durchbohrten sie förmlich und Annas Herz begann zu rasen, liess ihr das Blut schneller durch ihren Körper jagen, als ihr lieb war. Sie glaubte beinahe das Blut in ihren Ohren rauschen zu hören. Als Bors ihr auch noch einer seiner leicht süffisanten und dennoch charmanten Lächeln zeigte, begann Anna, ohne es zu wollen, am ganzen Körper zu zittern. Während der Beamte Bors Handschellen löste, sah Bors immer noch zu Anna, sein Lächeln zeigte ihr, dass er wusste welche Macht er über sie besass. Er wusste, dass er sie kleingekriegt hatte. Plötzlich spürte sie, wie jemand ihre rechte Hand nahm und sie blickte verwirrt zur Ursache. Kenshins schokoladenbraune Augen sahen sie sanft an, während er ihre zittrige Hand hielt.
„Atme Anna! Ganz ruhig. Atme tief durch!", sprach Kenshin beruhigend leise auf sie ein, sodass es niemand mitbekam. Anna nickte, versuchte ruhig zu atmen, damit sie ihr Zittern unter Kontrolle brachte, dabei sah sie wieder zu Bors. Hätte sie es lieber nicht getan, denn Bors war Kenshins Handlung aufgefallen und er sah sie vernichtend an. In ihren Alpträumen hatte Bors sie immer mit genau diesem Blick angesehen, bevor er ihr weh tat und somit fing Anna noch mehr an zu zittern, dass es nun auch Adrian auffiel. Voller Sorge sah Adrian sie an, sein Blick fiel auf Bors und sofort verstand er, was mit ihr los war.
„Anna, sieh mich an!", lenkte Kenshin ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich, bevor Adrian was sagen konnte und Anna sah wieder in Kenshins Gesicht. In sein wunderschönes Gesicht und seinen schönen klug funkelnden schokoladenbraunen Augen.
„Beruhige dich Anna.", flüsterte Kenshin mit seiner sinnlichen Stimme. „Atme tief durch, wie ich es dir beigebracht habe."
Immer wieder sprach Kenshin leise auf sie ein, bis Anna sich wieder unter Kontrolle hatte, bis auf ein leichtes Zittern in den Händen. Gerade rechtzeitig, als ein Beamter den Richter ankündigte.
„Bitte erheben Sie sich für den ehrenwerten Richter Goldsteen."
Mit immer noch leicht zittrigen Beinen stand Anna auf, Kenshin hielt immer noch ihre rechten Hand, als wollte er ihr die nötige Kraft geben.
„Alles wieder in Ordnung?", fragte Adrian leise und Anna nickte sofort, brachte sogar ein leichtes Lächeln hervor. Adrian wirkte beruhigt, dass Kenshin ihre Hand hielt, bemerkte er nicht. Der Richter bat allen Anwesenden sich wieder zu setzen und Anna versuchte dabei nicht zu Bors hinüberzublicken. Sie konzentrierte weiterhin auf ihre Atmung, so sehr, dass sie nicht einmal den Prozess mitverfolgte, erst als Steven im Zeugenstand sass und bereits die erste Frage beantwortete.
„Ich habe Anna das erste Mal im Haus meines Vaters kennengelernt. Sie schien mir zuerst schüchtern und zurückhaltend, mit der Zeit jedoch haben wir uns angefreundet."
„Hat Ihnen Miss Turner jemals einen Hinweis gegeben, dass Sie unfreiwillig beim Duke of Shioko war?", fragte Mr. Sakamoto im freundlichem Ton.
„Nein, nicht wirklich.", antwortete Steven und Anna konnte sehen, wie Steven bei dieser Lüge leer schluckte.
„Erzählen Sie mir, von den Geschehnisse am zweiten Mai.", verlangte Mr. Sakamoto von Steven und dieser nickte.
„Ich war am diesen Tag mit einer meiner Freunde in Kiashuhu zum Mittagessen verabredet, wie immer begleitete mich Rick und als wir zurückkam, war zu meinem Erstaunen mein Vater anwesend, obwohl er eigentlich mit seiner kaiserlichen Hoheit verabredet war. Es herrschte ein Chaos auf seinem Anwesen und mein Vater wies uns wütend an, das Wichtigste zusammenzupacken. Ich fragte wieso, doch er herrschte mich an, mich zu beeilen und so tat ich was mein Vater von mir wünschte. Danach wies er mich an, meine Arztutensilien ebenfalls einzupacken, denn Anna würde bereits in der Limousine warten und wäre verletzt. Voller Sorge tat ich natürlich was er verlangte und sobald Rick und ich in der Limousine sassen, fuhren wir vom Anwesen fort. Bors sass in einem anderen Wagen, sodass ich nicht fragen konnte was passiert war, wohin wir fuhren oder was überhaupt los war. Jedoch dachte ich nicht weiter darüber nach, denn Anna lag verletzt und bewusstlos in der Limousine und ich kümmerte mich zuerst um sie. Sie hatte eine Stichverletzung an der rechten Schulter, welche stark blutete und ich diese beim Fahren vernähte. Danach untersuchte ich mit Hilfe von Rick nach weiteren Verletzungen und wir fanden einen leichten Streifschuss an der linken Bauchseite und am linken Knöcheln, welche ich ebenfalls vernähte und einband.
Wir fuhren lange, ich hatte keine Ahnung was los war und wohin wir fuhren. Am spätem Abend hielten wir vor einem kleinen Anwesen an, ich kannte das Haus nicht. Mein Vater meinte wir sollten uns hier ausruhen, dass wir hier sicher wären. Er bat mich Anna ins Haus zu tragen, denn sie war immer noch bewusstlos. Ich versuchte zwar Informationen von ihm herauszukriegen, aber herrschte mich nur an, dass ich mich um Anna kümmern sollte. Wieder tat ich was mein Vater von mir verlangte, ich brachte Anna mit Hilfe von Rick in ein Zimmer und legte sie in ein Bett. Da wir nicht mehr tun konnten, als zu warten, dass Anna wieder erwachte, beschlossen wir beide zu duschen und danach wieder nach ihr zu sehen.
Ich war gerade fertig, als ich plötzlich Schreie hörte und sofort ging ich zu Anna, jedoch lag sie nicht mehr im Bett, in welchem ich sie hingelegt hatte. Wieder hörte ich Schreie und auch Rick kam aus seinem Zimmer, weil er dachte, dass es Anna schlechter ging. Immer wieder hörten wir die Schreie und wir folgten den Schreien in die angrenzende Werkstatt. Wo ich dann unbemerkt eintrat und ich konnte nicht glauben was ich sah.
Anna hing halbnackt angekettet von der Decke, während mein Vater sie mit einem Elektroschocker folterte. Ich war schockiert, hörte aber wie mein Vater immer wieder; antworte mir, brüllte. Irgendwie schaffte ich es, mich aus meiner Starre zu lösen und ich schrie meinem Vater wütend an, was er hier tue? Er sagte mir, dass er von ihr Antworten wollte, welche sie ihm nicht geben wollte. Ich war verwirrt, ich konnte damit nichts anfangen und meinte, dass er von Sinnen sei, dass er Anna mit einem Elektroschocker folterte. Daraufhin erwiderte mein Vater nur, dass er wissen wollte, weshalb die Frau, die ihn liebte, verraten hätte. Ich verstand immer noch nicht, wollte aber meinem Vater mitteilen, dass ich Anna nun loslassen würde, als es aus Anna alles heraussprudelte.
Wieder war ich schockiert, ich wusste nicht was ich glauben sollte, bevor ich jedoch reagieren konnte, stiess mein Vater erneut mit dem Elektroschocker in Annas Brust. Anna schrie fürchterlich auf, dabei versuchte ich meinem Vater von ihr wegzudrücken und schaffte es auch, jedoch war Anna bereits wieder bewusstlos. Ich schob meinen vor Wut zitternden Vater immer mehr weg von ihr, währenddessen befreite Rick Anna von den Ketten. Nun wollte ich von ihm klare Antworten, was hier los war, doch dann schrie Rick, dass Annas Herz stehen geblieben ist und ich ging sofort zu ihr. Zu meinem Entsetzen, war dies wirklich wahr, ich konnte bei Anna keinen Puls wahrnehmen und ich begann sofort mit der Reanimation."
Steven hielt kurz inne, denn seine Stimme hatte ein wenig gezittert. Es war Anna nie klar gewesen, wie sehr Steven in dieser Situation gelitten hatte, wie sehr er immer noch darunter litt. Steven holte tief Luft, bevor er weitererzählte.
„Immer wieder prüfte ich ihren Puls und nach einer Weile musste ich einsehen, dass ich sie verloren hatte, obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte. Ich war entsetzt, traurig und wütend, weil ich wusste, dass mein Vater dafür verantwortlich war und ich ging wütend auf ihn los. Ich schrie ihn an, schlug ihn, seine rechte Hand Jack musste mich zurückhalten. Ich verstand die Welt nicht mehr, verstand nicht was mein Vater getan hatte. Plötzlich rief Rick mir zu, dass Anna doch noch lebt und sofort ging ich wieder zu ihr, überprüfte ihren Puls und Atmung. Tatsächlich war beides vorhanden, schwach, aber vorhanden. Rick und ich kümmerten uns um Anna, brachten sie zurück ins Zimmer und verarzten sie erneut, denn die Stichwunde an der Schulter war wieder offen. Nachdem ich mich um Anna gekümmert hatte, rief ich unseren Kaiser an, erzählte ihm was ich wusste und bat ihm um eine Lösung. Er gab an, sofort mit seinem Sicherheitschef vorbeizukommen, wenn sich mein Vater sich widerstandslos ergeben würde, wird das Ganze vielleicht nur halb so schlimm sein. Da wussten wir noch gar nicht, was mein Vater alles getan hatte. Wir wussten noch gar nicht, wer Anna wirklich war. Während ich meinen Vater suchte, blieb Rick bei Anna im Zimmer zu ihrem Schutz zurück. Ich sagte meinem Vater was ich getan hätte und dass er sich widerstandslos ergeben sollte. Bors ergab sich einsichtig, er schien selbst sehr mitgenommen, dass er Anna fast umgebracht hätte. Dies sah ich ihm an und er meinte, er würde hier auf unseren Kaiser warten.
Ich ging zurück zu Anna, um bei ihr zu bleiben, falls ihr Zustand sich verschlechtern würde. Rick und ich blieben im Zimmer und warteten, dass unser Kaiser kam. Als seine kaiserliche Hoheit eintraf, war mein Vater jedoch mit den Autos weg. Nur noch Fabio war hier, der sich freiwillig stellte und da erfuhren wir alle, was mein Vater wirklich getan hatte."
„Was sagte Miss Turner, bevor der Duke sie nochmals mit dem Elektroschocker folterte und sie somit tötete?", fragte Mr. Sakamoto in einem neugierigen Ton, als Steven fertig erzählt hatte.
„Sie sagte, sie hätte ihn nicht verraten, nur die ganze Zeit getäuscht. Sie wollte nur sein Vertrauen, damit sie die Flucht mit Adrian ergreifen konnte. Sie hätte ihn nie geliebt. Es wäre alles nur Schauspielerei gewesen."
„Und danach tötete der Duke Anna?", fragte der Staatsanwalt weiter.
„Ja.", antwortete Steven mit belegter Stimme.
„Das Miss Turner lebt, ist eigentlich pures Glück. Denn sie war tot, nicht wahr?", wollte Mr. Sakamoto wissen.
„Ja, Anna hatte keinen Puls mehr, dass sie lebt gleicht einem Wunder.", gab Steven an, seine Stimme war nun wieder fester.
„Vielen Dank Lord Winceston für Ihre Aussage.", bedankte sich Mr. Sakamoto und wandte sich an den Richter. „Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen."
„Mr. Frey, Ihr Zeuge.", teilte Richter Goldsteen dem Rechtsanwalt von Bors mit und Anna wagte es in Bors Richtung zu blicken. Bors Anwalt erhob sich und erst da bemerkte Anna wie gross dieser Mann war. Er schien beinahe zwei Meter gross zu sein, hatte kurze braune Haare und seine Aura strahlte pure Selbstsicherheit aus. Kein Wunder, dass er sich mit Bors gut verstand, dachte sich Anna.
„Wir haben keine Fragen an den Zeugen.", gab Mr. Frey an, seine Stimme war tief und ruhig, dennoch stellten sich bei Anna jedes Nackenhaar auf.
„Lord Winceston, Sie sind aus dem Zeugenstand entlassen.", gab Richter Goldsteen an und Steven nickte. Anna blickte jedoch zu Bors, sie wusste was jetzt kommen würde. Bors würde nun aussagen und sie hielt Kenshins Hand unbewusst fester. Besorgt sah Kenshin sie an, als Bors in den Zeugenstand aufgerufen wurde. Ein Raunen ging durch den Gerichtssaal, welcher der Richter sofort zur Stille ordnete. Anna sah zu wie Bors mit eleganten Bewegungen sich in den Zeugenstand setzte, sein Blick war auf sie gerichtet. Er lächelte sie wieder kurz an, wieder dieses süffisante Lächeln und Anna brach in kalten Schweiss aus.
„Ganz ruhig Anna.", flüsterte Kenshin mit kaum hörbarer Stimme. „Atme ruhig ein und aus. Okay?"
Anna brachte kein Wort heraus, also sah sie ihn nur kurz an und nickte. Kenshin lächelte ihr sanft zu, dabei begann er mit seinen Daumen sanft ihre Handwurzel zu streicheln. Tatsächlich beruhigte sie diese Berührungen, doch sie war immer noch angespannt.
„Euer Gnaden, Sie werden heute vieler Verbrechen beschuldigt, was sagen Sie dazu?", fragte Mr. Frey seinen Mandanten.
„Vieles ist erlogen. Ich habe nicht alles getan wofür ich beschuldigt werde.", antwortete Bors traurig, doch Anna erkannte seine getäuschte Traurigkeit und sie hoffte die Jury würde dies auch erkennen.
„Sie haben diese fünf Jugendliche nicht entführt?", hackte Mr. Frey fragend nach.
„Nun, das ist einer der Verbrechen, die ich getan habe, aber ich tat es nur aus Liebe!", gab Bors darauf zu und Anna dachte schon sie hätte sich verhört. Hatte Bors wirklich soeben gestanden?
„Erklären Sie was damit meinen, dass Sie es nur aus Liebe getan hätten?", verlangte Mr. Frey von Bors.
„Nun, ich lernte Anna kennen, als sie ihren Patenonkel an der Universität in Zürich besuchte, sowie ich meinen Sohn Steven besuchte. Es war Liebe auf den ersten Blick und lange hielten wir unsere Liebe geheim. Wir wussten, dass ihre Eltern niemals dieser Liebe zustimmen würden und wir konnten keine zwei weitere Jahren warten. Also entschlossen wir etwas zu tun. Anna meinte, das Beste wäre eine Entführung und ich soll nicht nur sie entführen, sondern auch noch andere, damit es die Polizei verwirren würde. Und das tat ich auch. Ich hätte alles für sie getan. Ich würde es jetzt noch tun!"
Bei seinen letzten Worten blickte Bors sie wieder direkt an und Anna schnürte dabei beinahe die Kehle zu. In ihren Ohren rauschte es, sie war wie betäubt. Wieso tat Bors ihr das an? Wer würde das den glauben, dass es ihre Idee gewesen wäre? Längst war ein lautes Raunen im Saal zu hören. Richter Goldsteen hatte Mühe die Zuschauer wieder zur Ordnung zu bitten.
„Ruhe! Oder ich lasse den Saal räumen!", rief Richter Goldsteen laut und diese Drohung wirkte. Im Gerichtssaal wurde es wieder still, die Einzigen welche bereits still gewesen waren, waren die die es betraf. Jeder war zu schockiert auf Bors Aussage, um überhaupt reagieren zu können.
„Euer Gnaden, was ist mit den anderen Anschuldigungen? Den Missbrauch an Miss Turner, sowie die Vergewaltigung an Miss Turner und an Miss Gerber, die schwere Körperverletzung an Mr. Müller und Miss Turner?", fragte Bors Anwalt weiter, als dieser die Erlaubnis des Richter bekam.
„Ich habe Anna nie geschlagen, jedenfalls nicht im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und nicht ausserhalb unseres Bettes.", erwiderte Bors mit bestürzter Stimme, als könnte er es nicht glauben, dass man ihm dies unterstellte. Anna hätte bei seiner Antwort kotzen können.
„Und die Vergewaltigungsvorwürfe sind lächerlich. Anna und ich lieben uns! Wieso hätte ich sie mir gewaltsam nehmen sollen, was sie mir freiwillig anbot?"
„Und die Vergewaltigung an Miss Gerber?", fragte Mr. Frey nochmals nach.
„Auch diese ist völlig lächerlich. Ich habe Miss Gerber nie angefasst! Wieso sollte ich Sex von diesem Mädchen haben wollen, wenn ich die schönste Frau in meinem Bett habe?", gab Bors an, dabei schwang in seine Stimme Verachtung gegenüber Vanessa mit, als würde er Vanessa nicht einmal mit dem kleinen Finger anfassen. Wieder wurde im Gerichtssaal getuschelt über Bors letzte Bemerkung und Anna sah zu den Jurys rüber, welche ebenfalls zustimmend nickten. Entsetzt registrierte Anna, dass die Jury tatsächlich auf Bors Seite stand.
„Euer Gnaden, was ist denn mit den Jungen? Mit Mr. Müller?", erkundigte sich Mr. Frey neugierig.
„Nun ja, ich muss zugeben, dass war eine sehr unüberlegte Aktion.", meinte Bors darauf. „Sie müssen wissen, dass Adrian Annas bester Freund war und dass sie es vermisste mit ihm zu reden. Also entführte ich ihn ebenfalls, um Anna eine Freude zu bereiten. Dies war wirklich nicht einer meiner besten Aktionen, aber Anna freute sich und wie schon gesagt, ich tue alles für sie!"
„Aber euer Gnaden, euer Sohn sagte vorhin, ihr hättet Anna beinahe umgebracht. Was ist mit diesen Vorwürfen? Sind diese auch erlogen? Hat euer Sohn gerade gelogen?", wollte seinen Anwalt von ihm wissen.
„Nein, mein Sohn hat nicht gelogen.", antwortete Bors bestürzt leise.
„Was ist am zweiten Mai passiert, euer Gnaden?", bat Mr. Frey Bors zu erzählen und Bors seufzte theatralisch.
„Ich war auf den Weg in die Hauptstadt, ich war mit seiner kaiserlichen Hoheit verabredet, doch unterwegs rief einer meiner Männer mich an, dass Adrian abgehauen wäre. So fuhr ich umgehend zurück, damit ich die Situation unter Kontrolle bringen konnte. Ich wollte schlussendlich das Leben mit Anna nicht aufs Spiel setzen. Zuhause angekommen fand ich Anna bereits verletzt vor, meine Arbeitnehmer haben versucht auf Adrian zu schiessen, um ihn aufzuhalten und hatten dabei Anna erwischt, die versucht hatte Adrian zurückzuholen. Meine Angestellten wussten was auf dem Spiel stand, sie taten dies nur aus Loyalität, ich denke nicht, dass sie jemand ernsthaft verletzen wollten.
Einer meiner Männer bekam die Information, dass die Polizei unterwegs zum Anwesen war, also packten wir unsere Sachen, um unsere Zukunft nicht zu gefährden. Steven kam zu dieser Zeit nach Hause und ich war froh, denn so konnte er sich um Annas Verletzungen kümmern, doch ich erzählte ihm nichts. Wir flohen von meinem Hauptanwesen und fuhren zu einem Anwesen, welches nicht unter meinem Namen lautete. Hier wären wir für eine Weile sicher und hier konnten wir uns ausruhen. Wieder fragte Steven was los wäre, aber ich schwieg immer noch. Ich wollte ihn nicht in diese Sache reinziehen, es reichte, dass ich nicht wusste, wie ich Anna aus dieser Sache raushalten konnte.
Während Steven und Rick sich um Anna kümmerten, teilte mir einer meiner Angestellten mit, was zu Hause wirklich passiert war, denn es war das reinste Chaos gewesen, als ich zu Hause ankam. Er erzählte mir, dass Anna absichtlich Adrian hatte laufen lassen und ich wurde wütend. Wütend auf Anna, dass sie unsere Zukunft zerstört hatte. Ich ging in das Zimmer, in welchem sie lag und sah, dass sie wach war. Da sich meine Angestellten ausruhten und ich wusste, dass wir laut streiten würden, zog ich Anna aus dem Haus in die angrenzende Werkstatt. Dort unterhielten wir uns laut, doch Anna log mich immer wieder an und ich wurde immer wütender. Als sie mir dann auch noch sagte, dass sie schwanger von Adrian sei und dies nur passiert ist, weil ich keine Zeit mehr für sie hatte, drehte ich komplett durch. Ich war völlig von Sinnen. Ich weiss, dass ich sie geschlagen und gefesselt habe. Ich weiss, dass ich sie gefoltert habe, aber ich war völlig neben mir. Als ob ich aus meinen Körper ausgeschlossen war und meine Seele hilflos zusehen musste, wie ich die Frau, die ich über alles liebe, weh tat.", erzählte Bors mit belegter Stimme und tat so, als würde ihm dies alles immer noch Schmerzen. Anna konnte nicht fassen, dass Bors ein solches Lügenmärchen erzählte. Ihre Kiefermuskeln war zum zereissen gespannt, so fest biss sie die Zähne zusammen, um nicht zu schreien, nicht zu weinen oder nicht zusammenzubrechen.
„Was danach passierte, wollte ich niemals. Als sie mir sagte, dass sie mich nie geliebt hätte und alles nur geschauspielert hatte. Ich...", versuchte Bors weiterzuerzählen, doch seine Stimme brach ab.
„Nehmen Sie sich Zeit, euer Gnaden.", meinte Mr. Frey mitfühlend, welcher die Scharade mitspielte und Bors nickte.
„Ich bin ausgetickt, als Anna mir diese verletzende Worte vor Steven an den Kopf warf.", erzählte Bors weiter, nachdem er erneut theatralisch tief Luft geholt hatte. „Nach allem was ich für sie getan und geopfert hatte, vergass ich mich komplett und tat ihr wieder weh. Gott sei Dank, war Steven da und hielt mich von Anna ab, doch es war zu spät. Ich war völlig geschockt, Anna tot zu sehen. Als ich gemerkt hatte, was ich getan hatte, wäre ich am liebsten auch gestorben."
„Eine letzte Frage, euer Gnaden. Sie sagten zuerst eurem Sohn gegenüber, dass Ihr euch stellen würdet, doch dann seid Ihr gegangen. Wieso?", wollte sein Rechtsanwalt von Bors wissen.
„Ich war so schockiert über meine eigenen Taten. Ich meine, ich hatte fast die Frau getötet die ich liebte. Ich war entsetzt über mich selbst und wütend auf mich. Ich dachte, ich müsste dafür wenigsten geradestehen. Doch dann überredete mich Jack, meine rechte Hand, abzuhauen und ich tat es, ohne gross über die Konsequenzen nachzudenken. Später dachte ich, dass ich falsch gehandelt habe und ich mich stellen müsste, jedoch waren nun so viele Anschuldigungen gegen mich, dass ich dies wieder verwarf. Ausserdem, all diese Anschuldigungen schützten Anna, machten mich zum alleinigen Sündenbock, also blieb ich weiterhin auf der Flucht. Ich dachte, das wäre meine Strafe, für das was ich ihr angetan hatte. Nie wieder mit ihr sprechen zu dürfen, nie wieder ihr Lachen zu hören, sie nie wieder anfassen oder küssen zu dürfen und dabei sich für den Rest meines Lebens zu verstecken. Es erschien mir eine gerechte Strafe zu sein.", erklärte Bors mit bedrückter Stimme.
„Vielen Dank für Ihre Aussage, euer Gnaden.", bedankte sich Mr. Frey bei Bors und richtete sich dann an den Richter. „Keine weiteren Fragen euer Ehren!"
„Staatsanwalt Sakamoto, Ihr Angeklagter.", informierte Richter Goldsteen und Mr. Sakamoto nickte.
„Euer Gnaden, wenn die Liebesgeschichte die Sie uns aufbinden wollen, wahr ist, weshalb hätte Miss Turner Ihnen das antun sollen?", fragte Mr. Sakamoto stirnrunzelnd, dabei stand er von seinem Platz auf und ging zu Bors nach vorne. „Ich meine, wenn Miss Turner Sie wirklich lieben würde, weshalb hätte sie Mr. Müller dann gehen lassen sollen?"
„Ich glaube sie wollte mich bestrafen.", antwortete Bors darauf.
„Wofür euer Gnaden? Wofür wollte Miss Turner Sie bestrafen?", fragte Mr. Sakamoto nach und sah Bors verständnislos an.
„Da gab es verschiedene Ursachen. Sowie jede Beziehung, hatten auch wir Streit und Meinungsverschiedenheiten. Des einen war da meine Exfreundin Baronin Amelia Evans, auf die Anna extrem eifersüchtig war und dann war da auch meine mangelnde Zeit. Ich war zu beschäftigt, für die Kandidatur des Grossen Rats und für die Einarbeitung von Steven in unsere Familiengeschäft. Ich hatte schlichtweg keine Zeit für Anna und deswegen hatten wir immer wieder Streit.", erklärte Bors traurig und Anna presste ihre Kiefer noch fester aufeinander, dass es beinahe schmerzte.
„Euer Gnaden, Sie wollen uns weismachen, dass Miss Turner, Ihnen das alles angetan hat, weil Sie keine Zeit mehr für sie hatten?", meinte Mr. Sakamoto mit ungläubiger gespielter Stimme. „Damit ich dies richtig verstehe, nachdem was Sie erzählen, dass Miss Turner und Sie, sich über alles lieben, dass sie beide so viel riskiert haben, um zusammen zu sein. Dies alles soll Miss Turner auf Spiel gesetzt haben, also ihre gemeinsame Zukunft, weil Sie, euer Gnaden, keine Zeit mehr für sie hatten? Das scheint mir ein wenig weit hergeholt zu sein!"
„Ich denke, Anna war sich den Konsequenzen nicht ganz bewusst.", entgegnete Bors ruhig darauf.
„Oder die Liebesgeschichte die Sie uns gerade erzählt haben, ist völliger Unfug!", konterte der Staatsanwalt gekonnt. „Die Wahrheit ist, dass Sie diese Jugendliche entführt haben, weil Sie sich in Miss Turner verliebt haben, es war allein Ihre Entscheidung. Sie haben Miss Turner geschlagen, Missbraucht und Vergewaltigt, weil sie sich nicht in Sie verliebte. Sie haben sich einfach genommen was Sie wollten und Miss Turner wollte einfach immer nur weg von Ihnen, was sie schlussendlich geschafft hat!"
„Das ist nicht wahr!", erwiderte Bors mit zusammengepressten Zähnen.
„Und wie erklären Sie sich, dass die anderen Jugendlichen, Miss Turners Geschichte untermauern? Alle haben unabhängig voneinander die gleiche Geschichte erzählt, bevor Miss Turner überhaupt befreit werden konnte. Wie erklären Sie sich das, euer Gnaden?"
Mr. Sakamoto wurde immer lauter und warf die Fakten nur so vor Bors Füssen.
„Ich weiss nicht, wie Anna das hingekriegt hat. Auf unserem Anwesen konnte sie schlussendlich immer mit den anderen reden, wenn sie wollte.", gab Bors wieder mit gespielter Traurigkeit an.
„Sie Lügen, euer Gnaden!", rief darauf Mr. Sakamoto erbost aus und lief zurück zu seinem Tisch, um ein paar Blätter darauf zu nehmen. „Sie haben Miss Turner mehrmals Missbraucht und gefoltert! Die Narben und die Wunden auf ihren Körper zeigen dies nur allzu deutlich!"
Mr. Sakamoto stand wieder vor Bors und zeigte, wie Anna jetzt erkannte, die Bilder die Agent Smith von ihr geschossen hatte.
„Sie haben ihr das angetan!", beschuldigte Mr. Sakamoto Bors laut, dabei sah er ihn vernichtend und voller Abscheu an.
„Einspruch, euer Ehren!", rief plötzlich Mr. Frey aus. „Unterstellung! Es ist nicht bewiesen, dass mein Mandant Miss Turner dies angetan hat."
„Stattgegeben!", stimmte Richter Goldsteen zu. „Die Jury wird dies nicht beachten!"
„Dann erklären Sie, euer Gnaden, weshalb wir Miss Turner so wiedergefunden haben. In diesem Zustand?", wollte Mr. Sakamoto leicht wütend wissen.
„Ich weiss nicht, was passiert ist. Ich habe mit diesen Verletzungen nichts zu tun!", stellte Bors klar. „Ich würde ihr das nie antun!"
„Natürlich nicht!", erwiderte Mr. Sakamoto darauf sarkastisch und wandte sich von Bors ab, nur um sich dann wieder zu ihm umzudrehen. „Wer sollte Ihnen eigentlich diese Liebesgeschichte glauben?"
„Wer sollte sie nicht glauben?", behauptete Bors felsenfest. „Wir standen oft in der Öffentlichkeit, der Adel hat sie kennengelernt. Ich habe Anna nicht eingesperrt! Jeder konnte sehen wie fest wir uns lieben und wie stark unsere Liebe ist. Wir wollten heiraten! Ich lüge nicht was unsere Liebe angeht."
Anna konnte es nicht fassen, ihre Schauspielkunst hatte sie gerettet und jetzt wurde ihr dies zum Verhängnis.
„Keine weitere Fragen euer Ehren.", teilte Mr. Sakamoto mit und der Richter informierte, dass der Prozess morgen weitergeführt wird. Anna sah zu wie Bors von einem Beamten die Handschellen wieder angelegt wurden und aus dem Gerichtssaal gebracht wurde. Bevor Bors den Saal verliess, sah er zu ihr zurück und lächelte sie siegesfreudig an. Anna brach erneut in kalten Schweiss aus, zu wissen, dass Bors gewinnen würde, machte sie krank. Bors Aussage hatte es in sich und ihr wurde übel. Trotzdem stand sie auf. Rick und Kenshin waren die ersten die bemerkten, dass es ihr ganz und gar nicht gut ging.
„Anna, ist alles in Ordnung?", erkundigte sich Kenshin leise, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, denn die Journalisten waren immer noch vor Ort. Anna brachte kein Wort heraus, nicht einmal nicken konnte sie. Es war alles zu viel. Ihr war übel und schwindlig, ausserdem fing sie wieder an zu zittern.
„Anna, atme tief durch und beruhige dich.", sprach Rick sanft auf sie ein, doch auch dies funktionierte nicht. Adrian sah sie nun ebenfalls besorgt an, sowie Steven. Es war Anna alles zu viel. Sie wollte nur noch hier raus. Sie blickte zu Kenshin, hoffte er würde ihren verzweifelten Blick richtig deuten. Sie hatte keine Kraft mehr alleine hier rauszukommen und draussen warteten bestimmt noch weitere Journalisten mit Kameras. Es war zu viel. Sie kriegte kaum noch was mit und hatte Mühe sich alleine auf die Beine zu halten. Hoffentlich half Kenshin ihr.

Gefangen im Schatten der Angst - Wieso er?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt