Kapitel 29

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Den ganzen Tag wartete Anna ungeduldig, dass Rick wiederkommen würde. Noch nie war sie so rastlos wie heute, als ob sie auf glühenden Kohlen sitzen würde und ging in der Suite hin und her oder rauchte, um sich abzulenken. Sie war froh, dass Steven gerade einer seiner Hotels am anderen Ende des Landes inspizierte und das Daichi mit Freunden beschäftigt war.
Am Nachmittag kehrte Rick schliesslich zurück. Sein Blick war leicht finster, seine Lippen fest zusammengepresst, aber er nickte.
„Wann?", fragte Anna leise nach.
„Noch heute Abend!", liess Rick sie wissen. Anna schluckte kurz leer und nickte resigniert. So schnell hatte sie es nicht erwartet und ihr wurde ein wenig übel.
„Zieh etwas Schwarzes an und nimm etwas mit, um dein Gesicht zu verdecken. Eine Kapuze wäre ideal.", wies er sie an und fügte noch hinzu. „Und nimm die Kreditkarte mit, wir haben jede Menge Schmiergeld zu bezahlen."
„In Ordnung."
„Wir fahren um sechs los.", gab Rick noch an, bevor er wieder die Suite verliess. Anna blickte kurz auf die Uhr, sie hatte genügend Zeit, um sich vorzubereiten und entschloss zu duschen, in der Hoffnung, die Anspannung ein wenig zu lösen. Doch natürlich war nach der heissen Dusche die Anspannung nicht weg, sondern wurde immer schlimmer, je näher die Uhr auf sechs Uhr abends zu tickte. Ihr Magen rebellierte vor dem bevorstehenden Ereignis, dass sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte, ausser einem kargen Frühstück am frühen Morgen, trug sicherlich nicht zur Beruhigung bei. Aber jetzt würde sie sowieso nichts mehr hinunterbekommen.
Anna ging in den begehbaren Kleiderschrank, der seit ihrem Zusammenleben mit Kenshin erheblich vergrössert worden war und suchte sich einen schwarzen Jumpsuit aus. Der Jumpsuit hatte lange Ärmel, einen sanften V-Ausschnitt und war oben enganliegend mit einem Schleifengürtel versehen. An den Beinen war er eher weit geschnitten und hatte praktische Hosentaschen. Dazu entschied sie sich für schwarze Schnürboots mit hohem Absatz und Gummisohlen. Bewusst hatte sich Anna für dieses Outfit entschieden, In der Schauspielschule hatte sie gelernt, dass das richtige Outfit helfen kann, in eine Rolle zu schlüpfen und dies entsprechend auszustrahlen. Heute Abend musste sie vor Selbstbewusstsein strotzen, sowie Stärke zeigen. Auch eine gewisse Arroganz, gegenüber Bors, war nicht verkehrt. Dieses Outfit verkörperte genau das, was Anna ausstrahlen wollte. Sie kehrte ins Badezimmer zurück, um sich leicht zu schminken und ihr Outfit für ihre bevorstehende Rolle abzurunden. Die Haare liess sie offen.
Als sie fertig war, blickte sie zur Uhr. Es war fast soweit und Kenshin würde bald von seinen Audienzen zurückkehren. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie ihm eine Nachricht schreiben sollte, um ihm mitzuteilen, dass sie nicht zum Abendessen da sein würde. Sie griff nach ihrem Handy und überlegte kurz, wie sie ihre Abwesenheit rechtfertigen könnte. Sie wusste jedoch, dass sie ihn anlügen müsste. Anna presste die Lippen zusammen. Seitdem sie mit Kenshin zusammen war, hatte sie ihn noch nie belogen, und ihr Herz zog sich leicht schmerzhaft zusammen, als sie die Nachricht verfasste.

Hey, ich gehe noch zu Lorelei und esse mit ihr zusammen zu Abend.
Wir sehen uns später.
XOXO

Obwohl Anna ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte, schickte sie die Nachricht ab. Sie legte ihr Handy in ihre Handtasche und überprüfte, ob sich Stevens Kreditkarte in ihrem Portemonnaie befand, was der Fall war und sie legte das Portemonnaie zurück in die Handtasche. Dann fiel ihr ein, dass sie noch etwas brauchte, um ihr Gesicht zu verdecken, und sie ging zurück zum Kleiderschrank. Obwohl sie wusste, dass sie keine Jacke besass, bei der sie die Kapuze tief ins Gesicht ziehen konnte, durchsuchte sie ihre Kleiderschränke. Natürlich fand sie nichts. Vielleicht hatte Kenshin etwas? Ein wenig befangen durchsuchte Anna Kenshins Kleiderschrank und tatsächlich fand sie ganz hinten im letzten Schrank einen dünnen, langen schwarzen Mantel mit Kapuze. Schnell probierte Anna ihn an und zog die Kapuze über ihren Kopf. Als sie in den Spiegel blickte, stutzte sie kurz. Der Mantel hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Jedi- Mantel, und sie wunderte sich, dass Kenshin so etwas besass. Aber er passte gut und verdeckte auch ihr Gesicht.
Perfekt, dachte sich Anna, zog den Mantel wieder aus und stellte diesen bereit, neben ihre Handtasche. Sie überprüfte erneut die Uhrzeit und stellte fest, dass sie noch ein paar Minuten hatte, um sich zu sammeln und in ihre Rolle einzutauchen. Sie nahm Platz in einem der Sessel und schloss die Augen. In ihrem Inneren malte sie sich aus, wie sie sein sollte, welche Ausstrahlung sie haben würde und wie sie sich elegant bewegen würde. Sie visualisierte dieses Bild mehrere Minuten lang und als sie schliesslich die Augen öffnete, wusste sie, dass es Zeit war, loszugehen. Sie griff nach dem Mantel und ihrer Handtasche, verliess die Suite und begab sich die Treppe hinunter. Bereits jetzt strahlte sie Selbstvertrauen, Stärke und Arroganz aus, obwohl es in ihr völlig anders aussah.
Rick wartete bereits auf sie in der Eingangshalle, auch er hatte sich ganz in schwarz gekleidet. Seine Körperhaltung war angespannt und ein finsterer Ausdruck lag immer noch in seinem Gesicht. Als er Anna sah, konnte sie erkennen, wie überrascht er von ihrem Outfit war, aber gleichzeitig lag Bewunderung in seinen Augen. Er wusste, dass sie in eine bestimmte Rolle geschlüpft war, konnte es förmlich spüren. Dennoch sagte er nichts dazu, sondern fragte lediglich, ob sie an alles gedacht hätte. Anna nickte bestätigend.
„Gehen wir, bevor Kenshin kommt.", gab Rick an und öffnete ihr die Eingangstür. Anna trat hinaus und steuerte direkt auf den bereitstehenden Wagen zu. Es war nicht den üblichen Wagen, denn normalerweise fuhren sie in einer Rolls Royce Limousine, begleitet von mehreren Sicherheitsleuten. Diesmal stand jedoch ein eleganter schwarzer BMW der Klasse sieben bereit und Anna nahm auf dem Beifahrersitz Platz, während Rick sich hinter das Lenkrad setzte. Rick startete den Wagen und fuhr sogleich los, geschickt fädelte sich Rick vor den Palast in den Feierabendverkehr der Stadt ein. Mitten in der Stadt hielt er vor einer Bank an und bat Anna um die Kreditkarte.
„Ist es noch der gleiche Pin?", wollte er wissen und Anna bejahte. Rasch stieg Rick aus dem Auto und betrat die Bank. Es vergingen keine fünf Minuten, als er bereits wieder im Wagen sass und Anna die Kreditkarte übergab. Sie steckte die Karte zurück in ihr Portemonnaie und warf einen kurzen Blick auf ihr Handy. Sie bemerkte, dass Kenshin geantwortet hatte und öffnete seine Nachricht.

Gefangen im Schatten der Angst - Wieso er?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt