Ich ließ mir ein weiteres Stück medium gebratenes Kalb auf den Teller legen und lächelte dem Diener dankend zu. Königin Astrid saß mir gegenüber an einem hölzernen Tisch, den man auf einem Balkon aufgebaut hatte. Die Sonne kratzte den Horizont und die Möwen hüllten uns in ihr theatralisches Lied, während ich mich bemühte, nicht zu überwältigt von dem beeindruckenden Schauspiel über mir zu sein. An solch atemberaubende Naturschauspiele würde ich mich nie gewöhnen. Das musst du ja auch nicht, du wirst diese Unternehmung eh nicht überleben Jillian.
Morgen, noch vor Sonnenaufgang würden wir aufbrechen, Gott weiß wohin.
Ich gab es nur ungern zu, aber ich hatte Angst. In meinem Inneren tobte ein Kampf zwischen angsterfüllt kneifen und hier im Schloss bleiben, oder mutig ins Ungewisse marschieren. Die Frage war nur, was davon die dümmere Entscheidung sein würde.
„Sag mir Jillian, weißt du etwas über die Pläne meines Sohnes?" fragte die Königin leise und ich hörte auf zu kauen und schluckte kurz darauf. Was wusste sie und was konnte ich noch ausplaudern?
„Kaden sagte, er wolle Verbündete finden, um Avendor in eine positive Zukunft zu lenken. Ich weiß selbst nicht genau, wie sein Vorhaben aussieht."
Kaum merklich nickte sie und starrte hinaus auf das funkelnde Meer. Die Königin war eine atemberaubende Frau. Unglaublich hübsch und engelsgleich, aber auch elegant und einnehmend. Nicht auf die Art einnehmend, wie Mutter es war, ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie Königin Astrid die Stimme erheben würde, aber auf ihre schlichte, leise und friedliche Art doch einnehmend.
„Und du folgst ihm dort hin." es war eher eine Feststellung, als eine Frage, trotzdem erwiederte ich etwas.
„Ja. Ich würde ihm überall hin folgen."
Es war die Wahrheit. Kaden und ich hatten viel zu besprechen und dieses seltsame Etwas, das zwischen uns stand wurde immer größer, aber ich liebte ihn. Ich würde ihm immer folgen, ob auf die andere Seite des Kontinents, der Welt, oder auf die andere Seite des Seins, ein Leben ohne ihn wäre es doch nicht wert.
Ein Teil von mir wollte mich für diese Erkenntnis zu Boden schubsen, da ich so abhängig und fixiert war, aber vielleicht war die Liebe einfach so.
Die Königin legte ihre Hände unerwartet auf meinen Schoß, nahm meine Hände in ihre und schaute mir geradewegs in die Augen.
„Horan kann grausam sein." begann sie und kurz zuckte ihr Blick zu der unverheilten Narbe auf meinem Wangenknochen. „Ich habe früh geheiratet und nicht viel von der Welt gesehen, aber ich bereue es nicht. Du würdest es bereuen, das sehe ich, und deshalb wirst du mit ihm gehen. Kaden ist..." sie atmete hörbar aus und ich lauschte ihr gebannt. „Kaden ist manchmal wie sein Vater. Stur, ehrgeizig und ungezähmt. Nicht einmal die Götter wissen, was durch einen Anführer wie ihn alles ins Rollen gebracht werden kann. Bitte mein Kind, pass auf ihn auf. Lass ihn keinen Held sein und zu große Opfer bringen, bitte. Aber passe dennoch auch auf dich auf. Du liebst ihn, dass ist gewiss, und ich weiß, wozu die Liebe einen manchmal führen kann und wie blind sie einen macht. Bitte sei achtsam, ich kann nicht drei meiner Kinder verlieren."
Mir kullerten einige Tränen über die Wange, aber als sich der Schleier von meiner Sicht löste, störte es mich nicht mehr, denn auch Astrid tupfte sich die Augen.
...ich kann nicht drei meiner Kinder verlieren, ich... sie zahlte mich zu ihren Kindern.
Es gehörte sich vielleicht nicht, aber die Ettikette hatte mich schon lange verlassen, falls sie je zurückkehren würde, und ich stand auf, kniete mich vor der Königin auf den glatten Boden und sie legte ihre Arme um mich. Es war, als wäre es ihr natürlicher Instinkt, ein Gefühl von Trost und Sicherheit zu vermitteln und während mein Kopf auf ihrem Bein gebettet lag, sie mein Haar tätschelte und anfing, ein leises Wiegenlied zu summen, wusste ich, dass auch sie nun meine Familie war.
§
Der Mond und die Sterne warfen ein seltsames Spiel aus Schatten auf den Boden neben meinem Bett und obwohl ich jede Minute Schlaf brauchen würde, war ich hell wach. In ungefähr sieben Stunden würde ich alles verlassen, was ich kannte und mich kopfüber in irgend ein ungewisses Abenteuer stürzen, was mich genau genommen nicht einmal etwas anging. Ich wusste nicht was ich im Moment für Kaden war, wusste nicht was wir waren und ob Avendor jemals ein Teil meiner Krone sein würde. Aber es war bereits ein Teil meines Herzens geworden und da konnte ich wohl kaum ablehnen, für seine Zukunft zu kämpfen.
Kämpfen... was für ein seltsames Wort es doch war. Früher hätte ich gekämpft, indem ich Mutter überredet hätte, mir ein weiteres Ballkleid zu kaufen oder eine Geschichtsstunde ausfallen zu lassen, damit ich ausreiten konnte. Früher...
Jetzt war alles anders. Am liebsten würde ich Kaden erwürgen, in der Zeit zurückreisen und dafür sorgen, dass er niemals in mein Leben tritt, damit alles so bliebt, wie es war. Dafür war es nun zu spät und selbst wenn es möglich wäre, einfach eine Zeitreise in die Vergangenheit zu machen und diese zu verändern, würde ich es gar nicht wirklich wollen. Vielleicht hatte Königin Astrid recht und alles geschah wirklich aus einem bestimmten Grund. Wenn dem tatsachlich so war, würde ich auf dieser Reise hoffentlich erfahren, was dieser Grund war.
Alles war bereit, es war zu spät um zu kneifen.
Alles war gepackt, Amandas vorübergehender Platz im Schloss war sicher, ich hatte einen Brief in den Palast geschickt, dass es in Avendor sehr schön wäre und ich noch etwas bleiben würde, ich hatte sogar Hosen gekauft. Mutter und Vater mussten nicht wissen, was für dumme Entscheidungen ich getroffen hatte.
Ein nervenaufreibendes Kribbeln richtete sich bereits seit einigen Stunden in meinem Bauch ein und schien nicht den Anschein zu machen, sich bald in Luft aufzulösen. Es war eine Mischung aus Angst, Nervositat, aber auch Aufregung. Kaden und Ren hatten mehrfach betont, dass es immer möglich sei, angegriffen zu werden und dass all das vermutlich in einer Art Schlacht enden würde, an der ich allerdings nicht Teilnehmen würde. Ich glaubte ihnen eigentlich nicht, aber der Schnitt an meiner Wange, der noch immer nicht ganz verheilt war und vermutlich eine kleine Narbe hinterlassen würde, belehrte mich des besseren.
Belaria, meine Heimat, schien mir wie eine andere Welt.
Wie ein weit entferntes Land aus einer anderen Zeit oder ein zuckersüßer Traum. Vielleicht war das mein Leben bisher gewesen. Ein Traum.
Verglichen mit den letzten Wochen war alles zuvor leicht gewesen. Nun bin ich aufgewacht und befinde mich mitten in der kalten Realitat.
Dabei war Zuhause nur eine Grenze entfernt. Wie hatte ich nur all die Jahre so blind sein können?
Schlagartig durchfuhr mich eine furchtbare Erinnerung. Ich hatte einen Mann erstochen.
Früher hatte ich sogar Angst davor, eine Biene mit einem Buch zu erschlagen und vor gar nicht langer Zeit hatte ich meinen gottverdammten Dolch mitten in das Herz eines betrunkenen Mannes gerammt. Wie hatte man sich nach einer solchen Tat zu verhalten? Ich wusste es nicht. Hätte es mir mehr ausmachen müssen?
Sollte mich dieser Moment den Rest meines Lebens verfolgen?
Oder war es normal sich damit zu rechtfertigen, was dieser Mann uns antun wollte und dass er uns angegriffen hat? Schließlich hatte ich uns nur verteidigt.
Es war mir schon oft aufgefallen, aber seit ich in Avendor war hatte ich vieles getan, was wie eine Szene aus einem Abenteuerroman klang, und die Geschichte schien weiter zu gehen. Mein Blick wanderte zum Fenster und den glänzenden, sanften Wellen am Horizont.
Cavice war so hübsch mit all den Lichtern, die den Weg bis zur Hafenkante erleuchteten, den Bunten Fischerbooten und den riesigen Handelsschiffen im Hafen.
Es hatte es verdient, gerettet zu werden.
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Die Belington Chroniken - Königin der Sterne
FantasiaIhr ganzes Leben lang war sie die hübsche und doch kluge Prinzessin, Thronerbin von Belaria. Doch was ist, wenn alles, was sie je über ihre Welt zu wissen glaubte, plötzlich auf den Kopf gestellt wird? Was, wenn alles was sie kannte, lediglich auf...