Gegen vier Uhr morgens ertönte der laute Ton einer Glocke und wenige Minuten später fanden sich alle samt ihrer Sachen auf dem Deck der Aurora ein. Ich hatte mir nur eilig einen Zopf geflochten, dessen Unordentlichkeit Amanda wohl zum weinen gebracht hatte und stand nun mit meinen u brigen beiden Koffern neben Ren und Kaden auf dem Deck.
Jemand von den Docks zurrte die Seile fest und wahrend um uns herum ein wildes Treiben tobte wurde eine kleine Treppe an die Reling gelehnt und Lana stellte sich auf die obere Stufe. Als sie ihren Säbel gen Himmel hob und jeden ihrer Männer ansah verkündete sie: „Wir sind zu Hause!"
Es wurde, wie so oft, laut gejubelt und nach und nach stiegen wir die schmalen Stufen hinunter.
Der Steg führte auf einen dunklen Schotterweg, auf dessen anderer Seite eine Reihe kleiner, ungeordneter Häuser zu sehen war. Milata erstreckte sich links und rechts von dieser Straße, von der wiederum weitere Richtung Mitte der Insel abgingen. Ich trottete hinter Lana und Malich her, die zielsicher durch die dunklen Straßen marschierten. Jeder der Männer hatte am Hafen einen anderen Weg eingeschlagen. Vermutlich gingen sie nach Hause zu ihren Familien. Oder in die Taverne.
Alle Gassen waren von zwei oder dreistöckigen Hausern gesäumt und der Aufbau der Stadt erinnerte ein wenig an den von Cavice, nur dass hier alles wesentlich düsterer war. Kaden ging neben mir her und Ren bildete das Schlusslicht, als eine seltsame Melodie meine Aufmerksamkeit erregte. Aus einem Schankhaus zu meiner Linken vernahm man eine ruhige und doch kraftvolle Melodie. Es war Gesang.
Tiefe Männerstimmen sangen ein Lied, mit summenden Harmonien geschmückt, dass nach nichts klang, was ich je gehört hatte. Die Intensität, die deutlich wurde, als wir näher an dem Gebäude vorbeigingen, war mysteriös und doch angenehm klar.
Ich beugte mich beim Laufen etwas zu Kaden.
„Was ist das für eine Melodie?" flüsterte ich und der Prinz schien sich auf den Klang der fremden Töne zu konzentrieren.
Mindestens zwanzig Männer mussten im Wirtshaus sitzen und mit ganzer Seele singen. Es wirkte fast schon wie eine Hymne oder eine Art Andacht, da fiel mir etwas auf.
„Das ist nicht unsere Sprache oder?"
Kaden schaute einen Augenblick zum Himmel empor und wandte sich dann mir zu.
„Nein, aber ich habe solche Worte schon einmal gehört."erklärte er mit gesenkter Stimme und ich schaute wieder auf den Weg, als wir um eine Kurve gingen.
Einige Meter weiter drang ein ähnliche Lied aus einem weiteren Haus und mir huschte ein Schauer über den Rücken.
„Warst du denn schon einmal hier?" fragte ich erneut an Kaden gewandt.
„Nein."
Dem war nichts hinzuzufügen. Vielleicht war es ein altbekanntes Volkslied, dessen Töne durch zu viel Bier verunstaltet worden waren oder so etwas.
Es mussten mindestens zwanzig Minuten gewesen sein, die wir dem Captain der Aurora quasi blind gefolgt waren, aber wir schienen endlich unser Ziel erreicht zu haben.
Wir standen vor einem großen Haus aus Blau angestrichenen Backsteinen, welches etwas entfernt von der Straße stand. Lana hämmerte mit der Faust gegen eine dunkelbraune Holztür und kurz darauf wurde diese von einer älteren Dame geöffnet.
„Miss Morgen, wie schön, dass es ihnen gut geht, sie kommen so spät, das Essen ist schon lange kalt." sprach die Frau und ließ alle hinein. Wir drängten uns in einen kleinen Hausflur, dessen Wände mit dutzenden Gemälden der See oder von riesigen Schiffen behangen waren.
„Eden, das ist kein Problem, wir wollen nur Schlafen."
Die Frau mit den grauen Haaren nickte und nur wenige Sekunden später waren Lana und Malich verschwunden. Ich vermutete, dass sie schnellstmöglich schlafen gegangen waren, denn auch ich konnte mich kaum auf den Beinen halten.
„Bitte kommen sie." murmelte die Frau und wir drei folgten ihr.
Ren schien die Schultern einziehen zu müssen, so schmal waren die Flure, durch die sie uns führte. Von Außen hatte dass Haus kaum größer ausgesehen, als mein Gemach im Palast, aber anscheinend hatte die Dunkelheit der Nacht einiges versteckt gehalten. Die Frau, die Lana Eden genannt hatte, öffnete eine schmale, leicht schiefe Tür und erklärte, hier sei das Quartier von dem Bullen und dem Schönling, woraufhin meine Begleiter schmunzelnd in den Raum gingen. Kurz nachdem die Tür geschlossen war, ertönte das rumpelnde Lachen von Ren, was mich zum schmunzeln brachte.
Wie es aussah würde mir die Ehre zu Teil werden, ein eigenes Zimmer zu haben, also folgte ich Eden zwei knarrende Treppen tonlos nach oben.
„Bitte Miss." sagte sie leise und deutete auf eine Tür, bevor sie sich umdrehte und wieder nach unten ging.
Ich griff etwas fester als nötig um die Griffe meiner Koffer und drückte mit der Schulter die Tür auf. Der Raum war noch kleiner, als die Kammer auf dem Schiff und an beiden Seiten von Dachschrägen durchteilt. An einer Seite stand, genau unter einem kleinem und einzigen Fenster, ein Bett und auf der anderen Seite ein großer Schrank, der fast die Hälfte des Zimmers einnahm. Auf dem klapprigen Nachtisch stand eine freundlich flackernde Kerze und ich stellte schnaufend meine Koffer auf den Boden und schloss die Tür. Besser, als eine weitere, äußerst befremdliche Nacht neben Kaden zu verbringen.
Da wir in wenigen Stunden schon wieder aufstehen würden, machte ich mir nicht die Mühe mich umzuziehen, sondern schlüpfte nur aus den ledernen Stiefeln und kroch unter die dünne Decke. Trotz tiefster Nacht und der Tatsache, dass mein Fenster nicht einmal eine Scheibe hatte, war es nicht kalt und ich pustete die Kerze aus und zupfte das Kissen zurecht.
Ich hatte Kaden begleiten wollen, um ihm mit meinen nicht vorhandenen kämpferischen Talenten zur Seite zu stehen, weil ich dachte, es würden gefährliche Zeiten auf ihn zukommen, und somit auch irgendwie auf mich. Bis jetzt war überhaupt nichts passiert, was ja eigentlich auch gut war, aber es ließ mich an meiner Entscheidung zweifeln. Andererseits hatte ich etwas von der Welt sehen wollen und das tat ich nun, also warum machte ich mir einen Kopf darum?
Mein Blick wanderte aus dem Fenster und ich starrte in den wolkenlosen Nachthimmel, bis ich einschlief.
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Die Belington Chroniken - Königin der Sterne
FantasiaIhr ganzes Leben lang war sie die hübsche und doch kluge Prinzessin, Thronerbin von Belaria. Doch was ist, wenn alles, was sie je über ihre Welt zu wissen glaubte, plötzlich auf den Kopf gestellt wird? Was, wenn alles was sie kannte, lediglich auf...