Kapitel 29

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Als die Sonne aufgegangen war, hatte ich die vergangene Nacht aus meinem Kopf verbannt und etwa eine Stunde später waren die Stadtmauern von Cavice zu erkennen. Sie waren grau und hier und da wurde sie von einem Dach oder einem Kirchturm überragt. Ebenfalls aus grauen oder cremefarbenen Steinen. Begeistert hatte ich mein Gesicht aus dem Fenster gestreckt und jeden Eindruck in mich aufgenommen. Schon hier schmeckte die Luft salzig und es duftete nach Freiheit. Die warme Luft war hier nicht stickig, wie in Belaria, sondern durchflutet von kühlen Meeresbriesen. Eine Welle des Glücks durchflutete mich und ich konnte das Grinsen auf meinem Gesicht nicht verbergen. Als wir den breiten Bogen der Stadtmauer passierten fanden wir uns auf einer hellbraun gepflasterten Hauptstraße wieder, die eine gerade Sicht auf das Meer freigab. Dieses blau-grünen Getümmel, durchzogen von weißen Schaumkronen war einfach atemberaubend. Das Rauschen der Brandung war bis hier zu hören und ich hatte das Bedürfnis, geradewegs hinein zu springen. Aber es gab noch hundert andere Dinge, die meine Aufmerksamkeit erregten. Die Menschen hier waren ganz anders gekleidet. Keine Anzüge oder bodenlange Kleider mit Reifröcken und Rüschen. Die Männer, die neben der Straße unterwegs waren trugen lederähnliche Kluften oder Hosen aus robustem Stoff. Dazu keine Hüte wie Zylinder, sondern Schwerter und Waffengürtel quer über der Brust oder um den Gürtel. Als ich einige Frauen betrachtete blieb mir die Spucke weg. Einige von ihnen trugen... Hosen. Viele von ihnen trugen auch Kleider, wie zuhause, aber sie sahen ganz anders aus. Keine unnötigen Verzierungen aus Perlen oder Applikationen. Nein, einige von ihnen hatten metallene, breite Gürtel oder sogar Korsetts aus Eisen. Und sie trugen die Korsetts außen über der Kleidung! Ich war völlig überwältigt von all diesen Eigenarten, aber auch hellauf begeistert. Wirklich jeder, sogar die Kinder, trugen Waffen, was mich eigentlich hätte beunruhigen müssen. Auch die Frisuren brauchten Beachtung. Der ein oder andere Herr, der unterwegs war, hatte lange Haare mit einem Tuch über der Stirn oder einen Zopf im Nacken. Und keiner der Avendorianerinnen hatte einen festen Dutt oder festgesteckte Hochsteckfrisuren. Die meisten trugen ihre Mähnen offen oder mit kleinen, geflochtenen Zöpfen darin. Als wir in eine schmale, kurvige Seitenstraße einbogen steckte ich den Kopf zurück ins Automobil und wandte mich strahlend an Amanda. Auch sie hatte interessiert aus dem Fenster geschaut und die Umgebung bewundert. Soweit ich wusste hatte auch sie Belaria noch niemals verlassen.

„Schnell, mach meine Haare auf." sagte ich und sie schaute mich verwundert an, aber ich wartete gar nicht erst, sondern griff in meine Frisur.

„Na wir wollen doch nicht gleich auffallen. Umso weniger Leute mitbekommen, dass ich die Prinzessin von Belaria bin, desto besser." argumentierte ich und Amanda zog die Spangen aus meinen Strähnen. Ich fuhr mir einmal durch die Haare und legte dann etwa ein drittel von ihnen über meine linke Schulter. Ohne ein Wort streckte ich die Hände nach meiner Zofe aus und zog mit einem Ruck den Reif aus ihrem Dutt. Das geflochtene löste sich auf und ihr honiggoldenes Haar fiel bis zu ihren Ellbogen, nur wesentlich flacher als meines.

„Na also. Besser." bemerkte ich und sie lachte, wenn auch etwas überrascht.

In einer kleinen Auffahrt neben einem großen Platz hielt der Wagen und ich sprang heraus. Der Wind erfasste mein Haar und wirbelte es durch die Luft und mein flach fallender Rock blähte sich auf. Überall um mich herum plapperten die Leute auf dem Weg zu irgendwelchen Orten, die ich nicht kannte und Marktschreier priesen ihre Waren an. Keiner der Menschen war wohl beleibt oder gar rundlich, nein, die Kinder waren alle Hänflinge, aber die Erwachsenen strotzten vor Kraft. Fast alle von ihnen mussten sich täglich mit harter Arbeit befassen, so wie sie aussahen.

Ich wartete nicht auf meine Zofe sondern lief, ermutigt durch das wilde Treiben eines Marktes, geradewegs den Platz hinunter. Ich drängte mich durch die Leute, niemand schien mich zu bemerken, und erreichte schließlich eine Kannte mit einem kleinen Geländer. Ich schaute auf und dachte, ich wäre mitten in einem Gemälde.

Die Belington Chroniken - Königin der SterneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt