Kapitel 49

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Lysander POV

Fünf Stunden waren nun vergangen, und es musste mitten in der Nacht sein. Ich hatte Harris alles berichtet, was ich wusste, und auch er saß angekettet neben mir. Er blieb verhältnismäßig ruhig, doch schien es kaum zu glauben, was der kleine Glacier angerichtet hatte.

„Hast du nun einen Plan?", fragte er mich. „Nein, noch nicht. Aber ich habe ein paar Ideen und konnte ein wenig herausfinden", antwortete ich und kaute nachdenklich auf meiner Unterlippe. „Anfangs dachte ich, ich muss hier so schnell wie möglich rauskommen. Doch jetzt denke ich, ich möchte sehen, wie weit das geht", überlegte ich laut. „Über uns stehen Götter, und diese werden einschreiten müssen. Das wird nicht gut ausgehen für Glacier. Allerdings hat er entgegen meinen Erwartungen mitgedacht. Er hat nämlich meine Vergehen herausposaunt, und ich bin für die Götter kein unbeschriebenes Blatt", erzählte ich weiter. „Sie würden dich also bestrafen?", fragte Harris, und ich nickte. „Verlogener Bengel", kommentierte mein bester Freund, und ich erwiderte nichts.

„Es tut mir leid", sagte er und legte eine Hand auf meine Schulter. „Was? Du sitzt doch auch hier", antwortete ich verwirrt und zog die Augenbrauen zusammen. „Nein, ich meine, es tut mir leid, dass das zwischen euch vorgefallen ist. Vorher lief da doch etwas", erinnerte Harris mich. „Das hat sich erledigt und steht mir nicht im Wege. Er wird noch sein blaues Wunder erleben", zischte ich. Dämliche Gefühle.

„Sag schon, was du herausgefunden hast", drängte der Jüngere. „Ich habe herausgefunden, wie ich an Kraft gewinnen kann. Allerdings ist es ein sehr paradoxes Vorgehen und deshalb schwer umzusetzen", seufzte ich. Als ich den erwartungsvollen Blick von Harris sah, wusste ich, dass ich nicht darum herumkam, ihm davon zu erzählen. „Glacier und ich hatten einen, ich nenne es mal, intimen Moment. Danach konnte ich trotz des Gifts meinen Körper so bewegen, wie ich es wollte. Ich habe meine Kräfte spüren können. Warum, kann ich mir nicht erklären. Ich schätze, auch wenn ich es ungern zugebe, dass es an meinen Gefühlen für Glacier liegt", sagte ich und schüttelte den Kopf.

„Tja, dann weißt du ja wohl, was deine Aufgabe ist", grinste Harris, und ich ließ einen abwertenden Laut von mir. „Mittlerweile bin ich so wütend, dass ich darauf keine Lust mehr habe. Und nachdem ich dich geküsst habe, wird er wahrscheinlich Abstand suchen", vermutete ich. „Stimmt, wieso hast du das überhaupt getan?", fragte Harris nach. „Reflex. Ich wollte, dass er leidet. Allerdings weiß ich nicht, wie Glacier nun drauf ist, jetzt, wo ich ihn nicht mehr gesehen habe", beschwerte ich mich. „Wie soll er schon drauf sein? Er hat echte Gefühle für dich und sieht dann das. Ich denke nicht, dass das spurlos an ihm vorbeigeht", Harris lehnte sich zurück. „Das ist mein Ziel. Körperlich kann ich ihn gerade nicht verletzen, aber meistens ist der seelische Schmerz der schlimmste", ich kniff die Augen zusammen. „Er hat sich für etwas entschieden, und mit den Konsequenzen muss er rechnen."

Ich dachte an ihn, daran, wie intim wir bereits gewesen waren und wie er diese Gefühle erwidert hatte. Und trotzdem zog er es durch.

Seine Entscheidung.

Ein Schrei ertönte, und die Umgebung bebte. Erschrocken schauten Harris und ich hoch. Da öffnete sich ein Loch, Schnee und Eis bröckelten hinunter. Schützend hoben wir die Arme, schlossen die Augen, und es krachte im nächsten Moment, während die Schreie nicht verstummten.

Sobald ich ein Fauchen und schweren Atem hörte, öffnete ich die Augen.

Zwei weiße, über 300 Kilogramm schwere Eisbären standen vor der Zelle. Überrascht starrten wir sie an, wie sie sich bewegten, drehten und sich rechts und links an der Zelle niederließen. Der Boden bebte.

„So", Arctic rutschte von einem der Bären hinunter, und FearB folgte ihm. „Mir ist schlecht", beschwerte sich Letzterer. „Jammere nicht so rum. Sie haben doch auf uns aufgepasst", Arctic streichelte mit seinem verbliebenen Arm den Eisbären, der sich in die Berührung lehnte. „Ja, toll", weniger begeistert streichelte auch FearB kurz den Bären.

Mr. Winters Right Hand || boyxboy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt