Gebete und Beistand dringend benötigt

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~Emilia

Der Gott hatte sich nicht geregt, seit sie ihn mit einem einzigen Schlag außer Gefecht gesetzt hatte und nun fragte sich Emilia, ob wirklich nur ihre Kraft etwas damit zutun hatte. Denn Loki sah nicht danach aus, als wäre er einfach nur bewusstlos, nein, er murmelte Unverständliches vor sich hin und seine Stirn war mit einem dicken Schweißfilm überzogen.

Emilia saß neben ihm und hatte die Knie ans Kinn gezogen, wie ein kleines Kind das nicht wusste, wo es war und was es jetzt tun sollte. Die Dunkelheit in ihr drinn schien zu atmen, jedoch in einem anderen Rhythmus, als ihre eigenen Lungen.

Die junge Agentin seufzte schwer und sah wieder zu dem Gott neben ihr. Sie wusste selbst nicht, warum sie ihn geschlagen hatte. Es war einfach so passiert, eine unterbewusste Reaktion auf die Panik in ihrem Inneren. Und Emilia wusste, mit welcher Kraft sie ein hysterisches Lachen hatte unterdrücken müssen, als ihr bewusst geworden war, dass sie in ein fremdes Haus eingebrochen war, mit demjenigen, der noch vor Kurzem genau diese Stadt hatte einnehmen wollen.

Lokis Wunde an seiner Seite hatte glücklicherweise von alleine aufgehört zu bluten und mal abgesehen von den wahnhaften Murmelattacken dieses Gottes, schien es ihm wieder einigermaßen besser zu gehen. Zumindest was das Physische anging.

Das Haus, in das sie sich verschanzt hatten, war gar kein Haus gewesen, sondern eine Art Mini Kathedrale, eine kleine, leerstehende Kirche, die Emilia in ihrer Eile nicht als solche wahrgenommen hatte.

Sie lachte auf und amüsierte sich über das Schicksal. Sie waren ausgerechnet in eine Kirche gestolpert. Nur wurde hier nicht Loki als Gott angebetet und es war noch immer schwer zu verstehen, dass die nordischen Götter aus den Sagen wirklich existierten.

Emilia war früher oft in die Kirche gegangen. Ihre Mutter war streng katholisch gewesen und so gesehen das völlige Gegenteil zu ihrem Vater, der von sich aus immer gesagt hatte:

"Ich glaube an die Menschen. Ich glaube an deine Mutter und ich glaube an dich. Und wenn ich irgendwann sterben werde, dann freue ich mich herauszufinden, ob deine Mutter Recht hatte."

"Gott, sei uns gnädig, dass er dich so verspottet", hatte ihre Mutter dann erwidert und ihre Hand war zu dem kleinen Kreuz um ihre Hals gewandert.

"Ich verspotte ihn nicht, ich bin ein neugieriger Mensch. Und da ich weiß, wie Recht du IMMER hast, wird es nach dem Tod alles geben, woran du glaubst, mein Herz."

Emilias Eltern waren sich daraufhin immer in die Arme gefallen und sie hatte sich dazwischen gekuschelt und stumm gebetet, dass sich jeder Wunsch ihrer Eltern erfüllen sollte.

Die junge Agentin stand nun vor der Statue des Jesu Christi, die halb mit einem Tuch bedeckt worden war.

Sie hatte nichtmal bemerkt, wie lange sie schon nicht mehr gebetet hatte, als ihr die Worte nur stockend wieder einfielen. Sie kniete sich hin und faltete zitternd die Hände vor der Brust.

Es war ein bizarrer und für einige bestimmt ein verzweifelter Anblick, wie Emilia in einer leerstehenden Kirche vor Jesus kniete und ihm still und stumm alles erzählte, so, wie sie es früher immer gemacht hatte.

Es fühlte sich gut an, befreiend und Emilia spürte förmlich den stolzen und warmen Blick ihrer Mutter, wie sie sich neben sie stellte und ihr eine Hand auf die Schulter legte.

"Beten wir zu einem Gott, damit ein anderer dich nicht zurechtweist, für deinen Ungehorsam?", hörte sie plötzlich Lokis spottende Stimme von hinten. Rasch drehte sie sich um und funkelte ihn böse an.

"Es gibt nur einen Gott", sagte sie und hörte jedoch ihre Mutter sprechen, wie sie es ihr immer wieder erzählt hatte, wenn Emilia etwas über die Bibel oder Jesus und den Vater hatte hören wollen.

Eigentlich war sie schon so lange nicht mehr im Gebet gewesen oder hatte generell an den Vater gedacht, dass es ihr kindlich vorkam, jetzt und hier wieder damit anzufangen. Doch vielleicht brauchte sie auch einfach ein wenig Trost.

"Wenn es nur einen gibt, warum bin ich dann hier?", fragte er und es war keine Spur mehr von dem ängstlichen Ausdruck in seinen Augen zu erkennen.

"Weil du mich gegen meinen Willen hierher geschleift hast, nachdem ich nicht mal zehn Minuten wieder ins Leben zurückgekehrt bin."

Loki kam näher und stand plötzlich direkt vor ihr. Langsam blickte er zu der Statue hinter ihr auf und grinste.

"Vergiss nicht, wer dich überhaupt zurück gebracht hat. Denn er hier war es sicher nicht." Er deutete mit seinem langen Finger auf die Statue und Emilia lief vor Wut rot an.

"Ich habe nicht darum gebeten! Wenn du mir endlich erklären würdest, was da in mir drinn ist, dann sähe die Situation ganz anders aus", rief sie ihm nach, als er sich vollkommen ignorant von ihr abwandte.

Sie folgte ihm mit verschränkten Armen und achtete nicht darauf, wie das Ding in ihr sich immer schneller wandt und zog.

"Es ist schlicht und ergreifend unwichtig für dich. Was aber wichtig ist, dass du mir genau sagst, wie das alles abgelaufen ist und was du dabei gefühlt hast."

"Nein." Loki drehte sich mit hochgezogenen Brauen zu ihr um.

"Nein?"

"Ganz genau, du arroganter Kerl! Ich werde dir nichts darüber verraten, solange du mir nicht sagst. was sich da in mir drinn befindet."

Emilia sah ihn an und für einen Moment starrten sie dem jeweils anderen feindselig in die Augen.

"Du hast keine Ahnung..." Bevor Loki den Satz beenden konnte, klapperte hinter ihnen etwas und hallte ohrenbetäubend laut von der hohen Decke wider.

Sie beide fuhren herum und Emilia sah einen kleinen, mager wirkenden Mann in Arbeitskleidung, der die beiden mit aufgerissenen Augen betrachtete. Das war dann wohl doch keine so ganz leerstehnende Kirche.

"Hey, es ist alles gut. Wir...wir sind nur...ähm...", stammelte Emilia und suchte fieberhaft nach den passenden Worten, doch Loki kam ihr leider zuvor, aber anders, als erwartet.

"Gesegnet seien Sie, guter Mann. Auch auf der Suche nach Erlösung?"

Der Mann sah den Gott genauso verwirrt an, wie Emilia, doch Lokis Blick war konzentriert und nicht wirklich deutbar.

"Nein? Gut, dann lassen Sie uns doch bitte den Vortritt, okay?", redete Loki weiter und packte dann unauffällig Emilias Hand. Sie wollte sich gegen ihn wehren, doch da zog er sie schon mit sich, vorbei an diesem Mann, dessen Gesicht sich plötzlich veränderte. Emilia blieb vor Schreck das Herz stehen.

Seine wässrigen, grauen Augen begannen auf einmal rot zu glühen und der verwirrte Blick wurde berechnend und kalt.

Seine gesamte Haltung veränderte sich, er wurde größer, sein Hals länger, seine Haut dunkel und Klauen gruben sich durch das Fleisch an seinen Händen.

Emilia sah der Transformation geschockt zu und das Etwas in ihr drehte sich unkontrolliert, schien ausbrechen zu wollen und vernebelte Emilias Sicht. Die so hart unterdrückte Panik kam mit einem Schwung zurück, als dieses Monster mit den glühenden Augen seinen Blick auf sie richtete.

"Ich fürchte, vorher brauche ich noch etwas", sagte das Ding und seine Stimme klang rein gar nicht menschlich, eher wie ein animalisches Knurren.

"Loki..?", murmelte Emilia unsicher und sah den Gott an, der immer noch ihre Hand umklammerte.

Das Ding spannte sich an, dunkle Schatten waberten um seinen Körper herum und verschleierten die knochigen Glieder und das eingefallene Fleisch. Emilia würde nie wieder gut schlafen können.

Loki zog sie enger an sich heran, als das Monster in eine Art Lauerstellung ging.

"Lauf", hauchte der Gott ihr ins Ohr und ließ sie los, gerade als das Ding auf sie zustürzte. Emilia dachte nicht nach. Ihre Beine trugen sie von alleine, immer weiter und weiter, während sie das Brüllen dieser Kreatur hörte. In ihrem Kopf hallte nur das eine Wort nach.

Lauf, lauf, lauf!

𝐒𝐡𝐨𝐰 𝐦𝐞 𝐲𝐨𝐮𝐫 𝐝𝐞𝐦𝐨𝐧𝐬 | 𝐋𝐨𝐤𝐢 𝐅𝐅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt