Hass

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~Loki

Die Brieftasche des Fremden erwies sich als echter Glücksfang. Loki entdeckte mehrere große Scheine und nachdem er seinen unglaublichen Hunger in dem Café nebenan gestillt hatte, dachte der Gott nach.

Es war laut der Uhr hier knapp viertel nach vier. Die junge Agentin konnte noch immer nicht weit sein. Loki ging den Stadtplan noch einmal durch. Eine nette Bedienung brachte ihm den Kaffe, der das einzige auf diesem gottverdammten Planeten war, das wirklich eine Verbesserung zu Asgard war.

Der Gott kippte das Getränk hinunter und verbrannte sich die Zunge, bevor er die Augen zusammenkniff und überlegte.

"Darf es noch etwas sein?", fragte die Frau mit dem einstudierten Lächeln einer Kellnerin. Ihre roten Lippen hatten leider Spuren auf ihren Zähnen hinterlassen.

"Nein, das wäre-" Der Gott sah auf. Wenn Emilia diese Strecke genommen hatte, konnte sie vielleicht jemand gesehen haben. Eine dumme Hoffnung, aber einen Versuch war es wert.

"Sagen Sie, haben Sie zufällig eine junge Frau mit hellblonden Haaren gesehen? Sie hat große schiefergraue Augen, die im Licht blau schimmern, auf ihrer rechten Wange ist ein Muttermal und-" Loki verstummte. Wieso hatte er sich ihr Gesicht so sehr eingeprägt?

Es leuchtete vor seinem inneren Auge und er sah jedes Detail, das ihm je aufgefallen war. Die kleine Narbe unter ihrem Mund, das strenge Kinn und die kleine Nase, die ihr Gesicht so jung wirken ließ...

Der Gott schüttelte all das ab und wies sich an, sich zu konzentrieren. Alles andere war unwichtig. Doch es schien wirklich sein Glückstag zu sein.

"Oh ja, die war hier. Sie ist vor nicht langer Zeit losgegangen."

Loki unterdrückte den Impuls, triumphierend zu lachen.

"Was heißt, vor nicht langer Zeit?"

Die Kellnerin schien zu grübeln und Loki hätte sie am liebsten gepackt. Wenn er sich beeilte, konnte er sie noch einholen! Die junge Agentin war wohl nicht nur blindlings aus der Kirche gestolpert, sondern hatte sich gleich einen Ort gesucht, an dem sie für einige Zeit bleiben konnte.

Der Gott hatte schon befürchtet, dass das Gespräch mit Thor ihn zu viel Zeit gekostet hatte. Loki konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

Doch plötzlich schien die Kellnerin unsicher zu werden. Sie strich sich fahrig durchs Haar und murmelte irgendwas.

"Wann ist sie gegangen? Sagen Sie schon", drängte er, was wohl nicht die beste Idee war. Die Frau wich zurück und ihr Blick wurde distanziert.

"Wer sind Sie? Sie...Sie-" Eine Angst trat in ihre Augen und Loki realisierte, dass sie ihn erkannte. Die Frau drehte sich um, doch Loki packte sie am Handgelenk.

Die Kellnerin schrie erschrocken auf und sämtliche Menschen im Café drehten sich um.

"WANN ist sie gegangen?", zischte Loki und umklammerte die zitternde Frau. "Bitte, Herzchen, ich habe nicht viel Zeit."

"Vor zehn Minuten, vielleicht weniger", stotterte sie und ihre Augen huschten immer wieder von ihm zu den Leuten, die mittlerweile aufgestanden waren. Loki musste hier raus.

"Vielen Dank." Schnell stieß er die Kellnerin nach hinten, die in einen der Tische krachte und lief nach draußen. Er musste sie einholen!

Loki rannte die Avenue weiter, auch wenn seine Rippen schmerzten und die verheilenden Wunden spannten. Es interessierte ihn nicht. Eine Bessesenheit hatte sich bei ihm eingenistet, die nicht nachließ. Eine Bessesenheit, seine Macht wieder zu erlangen. Er musste sie finden.

Laut dem Plan sollte er direkt auf das Avengers Memorial zulaufen. Als er dort ankam, starrten die Menschen in eine ganz bestimmte Richtung. Ihre Münder standen offen und niemand interessierte sich mehr für das Memorial. Alle sahen die East hinunter, doch was auch immer geschehen war, Loki kam zu spät.

Er fluchte laut und konnte sich denken, was passiert war. Die Taser würden ja nicht ewig halten.

"Das kann doch nicht wahr sein!", rief er und einige Leute richteten ihren Blick nun auf ihn. Eine Mutter kreischte auf. Loki gefror das Blut in den Adern.

Er war hier von mehreren Dutzend Menschen umgeben. Weitere Rufe wurden laut, bis ein Mann so laut brüllte, dass es jeder hörte:

"Das ist er! Das Monster, was unsere Stadt angegriffen hat!"

Der Gott erstarrte. Nein. Nein. Nein!

Ohne seine Kräfte, hier in der Unterzahl...

Einige Leute wichen zurück. Andere waren mutiger. Woher sie diese Stärke nahmen, wusste Loki. Es war der Hass. Der Wunsch nach Rache.

Der Gott ging einige Schritte zurück. Seine einzige Chance war die Flucht. Er musste nur schnell genug sein...früher ein Leichtes.

Loki sperrte seine eigenen Gefühle weg und rannte los. Das Adrenalin verdrängte die Schmerzen, doch weit kam er nicht. Er wurde grob zurückgerissen und prallte auf den Asphalt. Keuchend schlug er seinem Angreifer in den Bauch, der wegtaumelte.

Loki sprang auf und wehrte sich nach allen ihm verbleibenen Kräften. Doch es hatte keinen Sinn. Mehrere Männer packten seine Arme.

Man schlug ihm seine Wunden erneut auf, und der Gott brüllte. Nicht vor Schmerz. Sondern vor Wut und Hass auf alles. Auf den Allvater, Thor, diese Menschen, die Avengers, ihn selbst.

Die Scham während er von Sterblichen verprügelt wurde, ließ Hitze durch seinen gesamten Körper schießen. Aus einer unerklärlichen Kraft heraus, stieß er die Leute auf seiner rechten Seite weg.

Dann trat er nach den anderen und befreite sich mit einem Ruck aus deren Umklammerung. Loki lief die East entlang. Er rannte und die Rufe folgten ihm. Doch keine Schritte. Sein Atem ging schluchzend und abgehackt.

Der Gott musste darauf hoffen, dass diese Nachricht unterging. Viele würden dem nicht glauben.

Das Monster von gewöhnlichen Zivilisten zusammengeschlagen.

Loki ballte die Hände zu Fäusten. Völlig unpassend wollten Tränen in seine Augen steigen, doch er zwang sie zurück.

Blut tropfte von seiner Stirn auf den grauen Asphalt.

Nach einigen weiteren Metern brach der Gott zusammen. Nicht nur vor Erschöpfung.

Vor Scham. Vor Zorn. Vor Verzweiflung. Vor Schmerz. Vor...Angst.

Er wollte es sich nicht eingestehen. Wer gestand sich sowas schon gerne ein?

Wer ging sonst mit erhobenem Haupt daher und berichtete von seinen Ängsten?

Loki lehnte den Kopf gegen die Mauer hinter ihm. Während er langsam in eine dunkle Welt dämmerte, lief eine einzelne Träne über seine Wange und färbte sich auf ihrem Weg rot.

𝐒𝐡𝐨𝐰 𝐦𝐞 𝐲𝐨𝐮𝐫 𝐝𝐞𝐦𝐨𝐧𝐬 | 𝐋𝐨𝐤𝐢 𝐅𝐅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt