Wir saßen in seinem Auto und fuhren in Richtung des Dope Studios, das mitten in Stuttgart lag. Seit gestern hatten wir außer einem „Guten Morgen" und „Was wollen wir essen?" kaum miteinander gesprochen.
Ich war ihm nicht mehr böse. Er hatte sich erklärt und seine Tat bereut, aber die Unsicherheit zwischen uns war immer noch spürbar, sie ließ sich nicht einfach so wegsperren.
„Bevor wir reingehen... alles ist cool, oder?" fragte er, als er mich kurz vor dem Studio zurückhielt. „Alles okay," stimmte ich zu. Er nickte erleichtert, und ein kleines Lächeln erschien auf seinen Lippen.
Ich fand es süß, dass er sich so viele Gedanken machte, was auch dazu beitrage, ihm nicht länger böse zu sein.
Im Studio war bereits ein Producer, den ich nicht kannte, über das Mischpult gebeugt. Zwei weitere Typen saßen daneben – Gesichter, die ich von meinem ersten Treffen mit Ouissem wiedererkannte. Der eine war sein Manager, der andere ein enger Kollege.
Ich begrüßte die beiden freundlich und setzte mich auf die Couch. Ouissem hingegen ging direkt auf den Producer zu, der konzentriert an den Reglern arbeitete.
„Hast du den Beat bekommen, den ich dir geschickt hab?" fragte Ouissem, während er sich auf einen drehbaren Studiostuhl niederließ, ohne den Blick vom Producer abzuwenden.
Der Producer nickte kurz, immer noch auf das Mischpult konzentriert.
Dann lief der Beat – und der zweite Beat, den wir zuletzt ausgewählt hatten, drang in meine Ohren. Ein zufriedenes Lächeln huschte über mein Gesicht.
Ouissem drehte sich zu mir um, mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen. „Der zweite Beat, hm?" Sein Ton war spielerisch, fast neckend, aber hinter seinen Worten lag tiefe Zuneigung. Ich zuckte mit den Schultern und grinste zurück. „Ja, der hat was."
Wir machten uns an die Arbeit, und die Spannung, die zuvor zwischen uns gehangen hatte, begann sich aufzulösen. Die Musik nahm das Ruder in die Hand und spülte alle unausgesprochenen Worte weg. Der Beat zog uns in seinen Bann, und bald waren wir beide voll und ganz in der Musik versunken.
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Die Zeit verging wie im Flug. Wir nahmen verschiedene Parts auf, probierten neue Ideen aus, und tauschten uns über die Parts aus, wie Ouissem es vor einiger Zeit in Antalya geplant hatte.
Ouissem war in seinem Element. Seine Bewegungen waren fließend, seine Worte präzise und kraftvoll. Es war, als würde uns jeder Takt, jede Line wieder näher zusammenbringen, als würden wir durch die Musik das wiederfinden, was gestern verloren gegangen war.
Nach ein paar Stunden, die sich gleichzeitig endlos und wie ein Wimpernschlag anfühlten, ließen wir uns erschöpft, aber zufrieden auf der Couch nieder.
Der Raum hatte sich inzwischen gefüllt – außer dem Producer waren auch Mezzy und Locky dazugekommen. Mezzy kannte ich bereits, und Locky war Ouissem's ältester Freund, von dem er mir schon erzählt hatte.
Ouissem ließ sich schwer neben mir auf die Couch fallen und atmete tief durch. „Das war Baba, oder?" fragte er, und ein Hauch von Stolz lag in seiner Stimme. Ich nickte, noch benommen von der intensiven Session. „Ja, das war es."
Dann geschah etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Ouissem legte plötzlich seinen Arm um mich, zog mich näher zu sich und ließ seinen Kopf auf meiner Brust ruhen.
Die Geste war so selbstverständlich und vertraut, dass sie mich für einen Moment sprachlos machte. Doch als ich spürte, wie sich seine Atmung beruhigte, ließ ich mich einfach darauf ein.
Mezzy und Locky verstummten. Sie starrten uns an, sichtlich irritiert und unsicher, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten.
Der Producer, der gerade dabei war, die Aufnahmen zu überprüfen, hielt inne und blickte überrascht zu uns herüber. Die Spannung im Raum war fast greifbar – als würde jeder darauf warten, was als Nächstes passieren würde.
Doch Ouissem schien das nicht zu kümmern. Er schloss die Augen, ließ sich tiefer in die Kissen sinken und fand in der Nähe, die wir teilten, offenbar die Ruhe, die er suchte.
Ein sanftes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Vielleicht hatten seine Jungs ihn noch nie so gesehen. Vielleicht hatten sie sich nie gefragt, ob er je jemanden so nah an sich herangelassen hatte.
„Ich bin so müde...," murmelte er leise in meine Brust, seine Worte kaum mehr als ein Hauch.
Sein Gesicht wirkte so friedlich, und mein Herz schmolz bei diesem Anblick. In diesem Moment war er nicht der harte O.G., den jeder von der Straße kannte, sondern einfach nur jemand, der für einen Augenblick Ruhe suchte.
„Wollen wir gehen?" flüsterte ich leise, als ich mich leicht zu ihm hinunterbeugte. Mein Atem streifte sanft sein Ohr, und ich spürte, wie sich sein Körper leicht anspannte, bevor ein verschmitztes Lächeln seine Lippen umspielte. Ich kannte dieses Lächeln gut – es war das, das er immer hatte, wenn ihm ein besonders perverser oder frecher Gedanke kam.
Er setzte sich auf, sein Gesicht verwandelte sich wieder in die gewohnte, grimmige Miene, die er vor seinen Jungs aufsetzte. „Hajde, wir gehen," sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Er erhob sich von der Couch und ging auf die anderen zu, die ihm neugierige Blicke zuwarfen. Doch er umarmte sie nur kurz, brüderlich, ohne große Worte.
. Mit einem kurzen Kopfnicken deutete er an, dass ich ihm folgen sollte. Er sprach es nicht aus, aber es war klar, dass wir uns jetzt so schnell wie möglich aus dem Staub machen würden.
Ich folgte ihm tapsig, spürte dabei die Blicke der anderen im Raum, aber das war mir egal. Bevor ich die Tür erreichte, drehte ich mich noch einmal um, grinste und winkte den Jungs kurz zu. Sie erwiderten mein Lächeln, und ich konnte die leichte Verwunderung in ihren Augen sehen – als ob sie nicht ganz wussten, was sie von all dem halten sollten. Doch es war nicht meine Aufgabe, das zu erklären. Nicht jetzt.
Kaum saßen wir im Auto, ließ Ouissem die Motoren an und ohne ein weiteres Wort startete er seine Oldschool-Hip-Hop-Playlist.
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Ein Junge von der Straße | O.G.
RomanceNova, eine leidenschaftliche Künstlerin, die widerwillig zu einem Feature gezwungen wird, das ihr zutiefst widerstrebt. Der andere Künstler, ein mysteriöser hübscher Mann mit markanten Gesichtszügen, weckt in ihr gleichermaßen Angst und Faszination...