Ich wachte auf und fand mich in seinen Armen wieder. Mein Kopf lag auf seiner Brust, die gleichmäßig auf und ab ging.
Panik durchfuhr mich, als die Erinnerungen an den gestrigen Abend zurückkamen: die Begegnung mit Enes, die Angst, das Gefühl der Sicherheit, das Ouissem mir gab, und dann die Fahrt hierher. Alles vermischte sich zu einem unruhigen, dunklen Knoten in meinem Magen.
Enes war weg... und das für immer...
Ich wollte mich losreißen, spürte aber, wie fest sein Arm um mich lag. Vorsichtig versuchte ich, mich zu bewegen, doch es war sinnlos. Er hielt mich, selbst im Schlaf.
„Ouissem", flüsterte ich leise und rüttelte leicht an seiner Schulter. Sein Atem wurde flacher, und dann öffneten sich seine Augen langsam. Er sah mich an, noch etwas verschlafen, aber mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
„Morgen", murmelte er und beugte sich vor, um mich zu küssen.
Ich zog mich schnell zurück. „Ich hab Mundgeruch", sagte ich hastig, mein Gesicht leicht abgewandt.
Er zuckte mit den Schultern und lächelte. „Denkst du, das interessiert mich?", antwortete er rau, während er es noch einmal versuchte. Doch ich legte meine Hand auf seine Brust und schob ihn sanft, aber bestimmt von mir weg.
„Lass mich bitte erstmal ins Bad", sagte ich leise und stand auf. Der Boden war kalt unter meinen Füßen, als ich zur Tür ging. Ohne zurückzuschauen, schloss ich sie hinter mir und lehnte mich für einen Moment dagegen, atmete tief ein und aus.
Ich trat ans Waschbecken und sah in den Spiegel. Mein Gesicht! Meine Nase war blau und komplett angeschwollen. „Scheiße...", hauchte ich und fuhr vorsichtig darüber.
Ich zischte vor Schmerz, und die offene Wunde mit dem getrockneten Blut machte es nicht besser.
Ein leises Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Ouissem trat ein, ohne zu warten. „Kannst du dir vielleicht was anziehen?", trällerte ich voller Scham und merkte, wie meine Wangen sich mit Blut füllten.
„Du kennst doch schon alles, habibti", sagte er und kam auf mich zu. Er legte seine Arme von hinten um meine Taille, während sein Kinn sich auf meinen Kopf ablegte.
Wir sahen beide in den Spiegel vor uns und hielten inne. „Ich seh scheiße aus", meckerte ich verärgert.
„Hm... Bisschen vielleicht", zuckte Ouissem mit den Schultern. „Ouissem!", schrie ich aufgebracht und schlug ihn gegen die Schulter. Er nahm es lächelnd hin und begab sich an den Wandschrank, der sich ebenfalls im Badezimmer befand.
„Komm", murmelte er leise und ging ins Wohnzimmer. Während er sich eine graue Jogginghose über die Hüften zog, setzte er sich breitbeinig auf die Couch, ließ sich in die weichen Polster sinken und deutete mit einer Handbewegung auf seinen Schoß. Es war keine Aufforderung, sondern eine Einladung, die ich nicht lange hinterfragte.
Ohne zu zögern setzte ich mich auf ihn, meine Beine links und rechts von seinen Hüften gesenkt. Seine Hand fand sofort den Weg zu meinem Hintern, eine beruhigende Berührung, während seine andere Hand die Salbe einrieb, um meine Wunden zu versorgen. Die warme Luft, die er leise und entspannt aus seiner Nase ausatmete, strich über mein Gesicht.
Ich kniff meine Augen zusammen, als seine kräftigen Finger sanft die Creme auf die Wunde an meiner Nase und Wange verteilten. Er zog dabei leicht die Augenbrauen zusammen, konzentriert.
„Tut etwas weh", nuschelte er mehr zu sich selbst als zu mir, seine Stimme ein leises Brummen. Ich öffnete meine Augen und sah ihn an, beobachtete jedes Detail seines Gesichts, die geschwungenen Lippen, die sanften Linien seiner Wangen. Er war so verdammt schön.
„Ja", antwortete ich ruhig.
Meine Augen wanderten auf meine Hände, die ihn die ganze Zeit beobachtet hatten. „Kannst ruhig schauen", sagte er konzentriert.
„Was?", entgegnete ich perplex und sah wieder hoch. „Ich meine, die Frauen lieben mein Gesicht. Kann verstehen, wenn du es ansehen willst", zuckte er gelassen mit den Schultern, sah mir für einen kurzen Moment in die Augen und machte weiter.
„Du bist so ein selbstverliebtes Arschloch", grinste ich und verstand natürlich die Ironie seiner Worte.
„Danke", flüsterte ich schließlich, meine Stimme kaum hörbar.
„Hättest du auch selber machen können", antwortete er monoton. „Ich meine nicht das Eincremen, sondern alles, was du für mich getan hast." Ich legte meine Hand auf seine Wange und zog ihn zu mir, in einen kurzen, aber liebevollen Kuss. „Immer gerne", lächelte er breit und zog mich fester in seine Arme. „Ab jetzt wird alles gut", hauchte er mir ins Ohr und zog mich noch näher zu sich.
Ich schloss die Augen und genoss seine Wärme. Genoss seinen Duft, die Art, wie er mich berührte, wie er zu mir sprach – einfach alles. Es war perfekt. Er war perfekt.
Ich konnte es nicht länger verleugnen, dass ich mich Hals über Kopf in diesen Mann verliebt hatte.
Langsam löste ich mich von ihm, drückte mich ein wenig zurück, sodass ich ihm tief in die Augen sehen konnte. Augen, die mich mit einer Wärme und Tiefe musterten, die ich nie für möglich gehalten hätte. Die Kälte, die früher darin war, war verschwunden, ersetzt durch etwas, das mich tief berührte.
„Ouissem, ich li—", „Shh!", unterbrach er mich in der wahrscheinlich ungünstigsten Situation jemals.
„Junge, was?", meckerte ich und kam von null auf hundert in einer Sekunde.
„Warte kurz", hauchte er leise und stemmte sich von der Couch, wobei ich automatisch von seinem Schoß stolperte und ihn verwirrt musterte. Was war los?
„Hörst du das nicht?", fragte er leise und ging langsam Richtung Haustür. Ich lauschte und hörte tatsächlich 2 oder 3 männliche Stimmen direkt hinter der Haustür, die miteinander tuschelten.
Dann passierte es – genau das, wovor ich die ganze letzte Nacht Panik hatte.
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Ein Junge von der Straße | O.G.
RomanceNova, eine leidenschaftliche Künstlerin, die widerwillig zu einem Feature gezwungen wird, das ihr zutiefst widerstrebt. Der andere Künstler, ein mysteriöser hübscher Mann mit markanten Gesichtszügen, weckt in ihr gleichermaßen Angst und Faszination...