Mit einem letzten Blick in meine Wohnung drehte ich den Schlüssel dreimal im Schloss um, damit alles gut abgeschlossen ist für die Zeit, in der ich weg bin.
„Hast du alles?", fragte Nadija, während Louis meinen Koffer bereits sicher im Kofferraum verstaut hatte. „Jup, kann losgehen", rief ich noch motiviert, bevor ich in Nadijas Wagen stieg und mich auf den Beifahrersitz setzte.
„Ich bin neidisch. Du kannst mit so vielen Typen in den Urlaub", nörgelte Louis von hinten und sprach, als wäre es wirklich ein Urlaub.
„Wenn du das Songschreiben und Aufnehmen für mich übernimmst, kannst du an meiner Stelle fliegen."„Nee, lass mal", trällerte er und lehnte sich entspannt nach hinten.
„Aber mal ehrlich, hast du nicht ein bisschen Angst, als einzige Frau?", sorgte sich Nadija und sah mich mit stark gerunzelter Stirn an. „Schon. Ich denke aber mal, dass nichts passieren wird. Außer, wenn die alle so notgeil wie Louis sind. Dann bin ich echt am Arsch", lachte ich zum Ende hin und hörte nur ein nörgelndes „Hey" von hinten.
„Pass aber auf dich auf...", hauchte sie und widmete sich der Straße. „Mach ich schon", antwortete ich gelassen. Ganz ohne Angst war ich nicht, aber ich hatte noch ein wenig Anstand und Intelligenz, um zu wissen, dass nicht alle Männer Vergewaltiger oder Mörder sind.
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„Hajde, ich ruf euch an, wenn ich angekommen bin", rief ich den beiden zu, nachdem wir an meinem Terminal angekommen waren und uns verabschieden mussten.
„Bau keinen Scheiß!"
Ich lächelte und senkte den Kopf. Als würde ich etwas Dummes machen. Das Einzige, was sich wie ein Repeat in meinem Kopf abspielte, war Sonnen und Songs schreiben. Mehr nicht...
Angekommen im klimatisierten Flughafen, zückte ich mein Handy, um Andreas zu schreiben, wo das Gate ist und ob die anderen schon Da sein. Gerade angefangen zu tippen, beschloss ich, ihn einfach anzurufen, weil das einfacher und schneller ging.
„Andi", fing ich an, „welches Check-in und Gate muss ich?"
„Guck doch auf der Anzeigetafel. Aber warte, ich schick dir das Ticket einfach." Warum denn nicht gleich so.
„Ist O.G. und sein Team schon am Flughafen?", fragte ich in der Zwischenzeit, da man normalerweise eine Gruppe von Südländern direkt erkennen oder hören würde.
„Ach die. Die sind vorgestern schon vorgeflogen. O.G. wollte anscheinend noch ein bisschen Spaß vor der Arbeit haben." Ich weitete geschockt meinen Mund. „Das glaub ich jetzt nicht...", hauchte ich leise zu mir selbst. Der will sich echt noch ein bisschen entspannen. Musik ist doch der beste Zweck zur Entspannung.
„Okay, hab das Ticket bekommen. Danke", sagte ich, bevor ich auf den roten Telefon-Button tippte und mich zu meinem Check-in machte.
Jetzt schon genervt, rollte ich meinen schweren Koffer hinter mir her, um mich an die überraschenderweise so gut wie leere Schlange anzustellen.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich nur noch eine Stunde bis zum Gate habe. Deswegen war es hier so leer...
Schnell stellte ich mich an und zählte vier weitere Personen vor mir, die ebenfalls nur alleine oder zu zweit waren. Die Familien, wie ich es aus der Kindheit kenne, sind schon vier Stunden vor Abflug am Schalter.
„Fuck...Fuck...Fuck...", hörte ich eine männliche Stimme hinter mir energisch fluchen. Ich drehte mich kurz nach hinten um und sah einen wahrscheinlich noch minderjährigen Jungen mit einem kleinen Mero-Bart.
„Wir haben noch eine Stunde. Das wird schon", lächelte ich und versuchte, ihn zu beruhigen.
Er seufzte und nickte. „Das ist das erste Mal, dass ich fliege. Hab bisschen Schiss. Und dann hab ich auch noch meine Bahn verpasst", meckerte er und tippte nervös mit den Füßen herum. „Ich hab nicht meine Bahn verpasst und bin trotzdem zu spät", lachte ich verzweifelt und rückte ein Stück auf.
„Du bist doch bestimmt auch schon mal geflogen", verschränkte er die Arme. „Ja, zweimal. Einmal als kleines Kind und einmal vor ein paar Jahren." Ich war sechs Jahre alt, als ich das erste Mal geflogen bin, weshalb meine Erinnerungen so gut wie verblasst sind. Die Erinnerungen an das letzte Mal sind alle noch so klar wie Glas. Und nicht gerade gute Erinnerungen. Allein der Gedanke, dass ich mit diesem Bastard ein Zimmer geteilt hatte, macht mich schon übel.
„Zweimal mehr als ich", schmunzelte der Junge, der schon niedlich war, und mich an meinen kleinen Cousin erinnerte.
„Wenn du willst, kann ich dir helfen. Du fliegst doch auch nach Antalya?", bot ich ihm meine Hilfe an, da es am Flughafen schon mal kompliziert werden kann, zum Gate zu kommen.
„Das wäre geil, Aller", lächelte er breit.
„Ich bin Nova", stellte ich mich bei ihm mit einer ausgestreckten Hand vor, die er freundlich annahm. „Soufian."
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Ein Junge von der Straße | O.G.
RomansaNova, eine leidenschaftliche Künstlerin, die widerwillig zu einem Feature gezwungen wird, das ihr zutiefst widerstrebt. Der andere Künstler, ein mysteriöser hübscher Mann mit markanten Gesichtszügen, weckt in ihr gleichermaßen Angst und Faszination...