Kapitel 1

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Dunkelheit. Das ist das Erste, woran ich mich erinnere. Es war dunkel und es war kalt und ich hatte Angst. Aber dann sah ich den Mond. Er war so groß und er war so hell. Es schien, als würde er die Dunkelheit verjagen. Und danach hatte ich keine Angst mehr. Warum ich dort war und wozu, das wusste ich nicht.

Der Tag, an dem Jackson Overland vom Mann im Mond seine besonderen Fähigkeiten erhielt und so zu Jack Frost wurde, war nun schon 305 Jahre her. Seitdem hatte sich vieles getan:
Er hatte lange Zeit sein Leben damit verbracht, herauszufinden, wer er war und woher er kam, doch sein einziger Freund, der Mann im Mond, wollte ihm keine Antwort geben. Jack versuchte seine Betrübtheit darüber zu verdrängen, indem er den Kindern dieser Welt Spaß brachte, Streiche spielte und nur das tat, wozu er Lust hatte. Doch nach 300 Jahren sollte sich sein Dasein von Grund auf ändern. Er wurde zum Hüter erwählt und bekam so die Chance, alles über sich und sein vorheriges Leben zu erfahren. Derjenige, der ihm dabei im Weg gestanden hatte, war Pitch Black gewesen. Und so kämpfte Jack Frost schon bald Seite an Seite mit den vier legendären Hütern. Es war kein einfacher Kampf gewesen, doch der Glaube des letzten Lichts hatte sie alle vor einer weiteren Ära der Dunkelheit bewahrt. Mit seiner Hilfe konnten sie Pitch letztendlich doch besiegen und der Glaube an die Hüter kehrte ich die Welt zurück. Er legte den offiziellen Eid der Hüter ab und wurde in den Stand eines unsterblichen Hüters erhoben.

Fünf Jahre waren nun vergangen, in denen er als Hüter diente. Seit dem Vorfall mit Pitch, war nichts Außergewöhnliches mehr passiert.
Jack wohnte bei North und durchstöberte mal wieder die riesige Bibliothek nach alten Büchern über die Hüter, denn keiner konnte ihm sagen, was vor ihnen war. Der erste Hüter war Sandy gewesen, doch auch er wusste nichts über die Zeit vor ihm.
"Und Jack, du schon haben was gefunden?", sprach North ihn an, als er in die Bibliothek trat.
"Noch nichts Besonderes. Nur einige Bücher über die einzelnen Feste und über jeden Hüter.", antwortete Jack.
"Soll ich helfen suchen?", bot North seine Hilfe in seinem freundlich klingenden russischen Akzent an.
"Danke, North. Ich würde mich sehr freuen."
Er nickte stumm und begann seinem jungen Freund bei der Suche zu helfen. Er wusste zwar nicht, was Jack genau suchte, aber er würde es schon finden. Einige Stunden vergingen, in denen die beiden nichts Interessantes fanden.
"Du, Jack. Ich glaube, es besser, wenn wir für heute hören auf. Wir suchen morgen weiter."
"North, warte mal! Was ist das hier für ein Buch?" Jack ging garnicht erst auf die Aussage des Weihnachtsmanns ein und hielt ihm stattdessen ein dickes Buch unter die Nase. Es war in rotes Leder eingebunden und ein goldener Schriftzug zierte den Einband.
"Die Legende der ersten Hüterin", las Jack Frost vor. "Moment mal! Ich dachte, Sandy war der erste Hüter? North?"
"Ah, ich kennen dieses Buch! Es sein alte Legende über eine Hüterin, doch das alles nur Geschichte."
Jack runzelte die Stirn. "Woher weißt du, dass das hier nur erfunden ist? Vielleicht..."
"Nein, nein! Alles erfunden, das sagt mir Bauch.", unterbrach North seinen jungen Freund und klopfte sich dabei, wie gewöhnlich, auf seinen üppigen Bauch.
"Hm... Wenn du meinst. Ich werde es mir trotzdem mal ansehen. Danke, dass du mir beim Suchen geholfen hast.", verabschiedete sich Jack und verließ die Bibliothek.

Nachdem Jack die Bibliothek verlassen hatte, ging er sofort zu seinem Zimmer. Er hatte es vor North nicht zugeben wollen, aber er interessierte sich sehr für diese Legende und irgendwie hatte er auch das Gefühl, dass sie ein Stück Wahrheit in sich trug.
Er setzte sich auf sein Bett und betrachtete noch einmal den Einband. Je länger er ihn ansah, desto mehr schien es ihm, als ob dieser sich veränderte. Das rote Leder verfärbte sich langsam blau und der Schriftzug wurde silbrig-weiß. Seltsam, dachte Jack bei sich. Trotz des außergewöhnlichen Verhaltens des Buches, schlug er es auf und begann zu lesen:
Am Anfang war nur Dunkelheit. Dunkelheit und Kälte. Aus ihr wurden die Kreaturen der Finsternis geboren. Sie brachten Unheil, Angst und Verderben über die Menschen. Verzweiflung beherrschte sie und kein Wesen auf Erden besaß auch nur ein Fünkchen Hoffnung. Da durchbrach der Mond mit seinem hellen silbernen Licht die ewige Finsternis. Er erschuf ein Wesen aus Hoffnung, Edelmut, Glück und Selbstlosigkeit und nannte es Elaine. Sie sollte von nun an bis in alle Ewigkeit dafür sorgen, dass die Menschen keine Furcht mehr hatten und sich dem Leben freuen konnten. Sie bot ihnen Halt und Schutz vor den Gefahren der Dunkelheit. Elaine bekam vom Mond besondere magische Kräfte, die es ihr vereinfachen sollten, die dunklen Kreaturen zu überwältigen. Von den Menschen wurde sie ehrfürchtig "Die Herrin der Quellen" genannt, da ihre Kräfte das Wasser und die Natur beeinflussten und sie diese beherrschen konnte. Deshalb trug sie später auch den Beinamen "Mutter Natur". Ihre Kräfte waren so gewaltig, dass sie es im Laufe der Jahrhunderte schaffte, fast alle Mächte der Finsternis für immer zu verbannen. Als nur noch der Schwarze Mann übrig war, schwor dieser Rache an Elaine zu nehmen, indem er sie vernichtete...
Jack hörte auf in dem Buch zu lesen. Wenn Elaine wirklich so mächtig war, wie es hier geschrieben stand, wie konnte sich Pitch überhaupt einbilden, sie jemals töten zu können? Gespannt las er weiter:
...Denn genau wie jedes Wesen der Finsternis, hatte auch das Wesen des Lichts, die Hüterin, eine Schwachstelle und diese galt es zu finden. Jahrzehnte suchte die letzte dunkle Macht nach Elaines Schwachstelle und fand sie letztendlich auch: Sollte die Hüterin sich je verlieben und mit ihrer Liebe einen, nicht wieder rückgängig machbaren, Bund eingehen, dann könnte sie keine Macht der Welt mehr vor dem Untergang bewahren...
Während Jack diese Stelle las, wurde er nachdenklich. Die Hüterin war also nicht, wie wir, vom Glauben der Kinder abhängig... Aber was für ein Bund ist hier gemeint? Er konnte sich keinen Reim daraus machen und las schließlich, nach langem Grübeln, weiter:
Mit diesem Wissen schmiedete der Schwarze Mann einen Plan zur Vernichtung der Hüterin. Dass sie ihre eigene Schwachstelle nicht kannte, erleichterte ihm die Durchführung seines Plans nur noch mehr. Die Jahre vergingen und im Laufe der Zeit fühlte sich Elaine immer einsamer. Es gab niemanden, außer ihr, ihrem Gegenspieler und den Menschen dieser Welt, doch keiner konnte sie wirklich verstehen. Sie war allein. Nach einiger Zeit traf sie einen Menschen, der anders war, als alle anderen. Er kam nicht zu ihr, um Hilfe zu erbitten. Er kam zu ihr, um bei ihr zu sein und er war der Erste, der ihr wirklich zuhörte. Seit langem fühlte sie sich endlich mal wieder verstanden. Mit der Zeit entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen ihnen. Elaine war nicht mehr einsam und irgendwann wurde aus Freundschaft mehr. All die Jahre über war Pitch immer in ihrer Nähe geblieben und hatte die beiden beobachtet. Als die Zeit reif war, entführte er Elaines Freund. Sie suchte ihn überall und wurde darüber hinaus von Verzweiflung erfüllt. Als die Hüterin erfuhr, dass Pitch ihren Liebsten gefangen hielt, schwor sie sich, ihn zu vernichten. Die Schlacht zwischen Licht und Dunkelheit hatte begonnen.
Der Kampf der beiden Gegensätze dauerte einige Jahre, doch keine der beiden Seiten hatte einen entscheidenden Erfolg erzielt, doch auch das sollte sich bald ändern. Für Pitch war nun alles bereit, um die Hüterin endgültig zu vernichten. Elaine war mittlerweile geschwächt, durch ihre Verzweiflung darüber, dass sie den wichtigsten Menschen in ihrem Leben vielleicht nie wiedersehen würde. Am nächsten Tag der Schlacht stellte er ihr einen Ultimatum: Entweder sie würde sich ihm ergeben, sodass er sie ein für allemal vernichten konnte, oder das einzige Wesen, das ihr in dieser Welt wirklich etwas bedeutete, wird sterben müssen. Entsetzt über seine Forderung und aus Angst um das Leben ihres Freundes, verlor Elaine ihren Mut weiterzukämpfen. Sie hatte nie gewollt, dass ein Wesen wegen ihr sterben muss. Somit fasste sie den Entschluss, sich für ihn zu opfern.
Ihre Welt brach zusammen und sie ergab sich endgültig der Dunkelheit.
Doch ihre Seele ging nie verloren. Eines Tages, wenn die Welt am Abgrund steht, wird eine neue Hüterin geboren und die alte Seele erhält diesen neuen Körper, doch diejenige wird nichts von ihrer Bestimmung wissen. Der rechte Weg muss ihr erst gezeigt werden.

Jack las die letzten Zeilen der Legende und schloss das Buch. Sein Kopf schwirrte von all den Fragen, die sich um diese Legende rankten.
Am besten, frage ich morgen North danach.
Er legte das Buch beiseite, streckte sich auf seinem Bett aus und schlief ein.

Die verlorene HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt