Kapitel 2

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Die Sonnenstrahlen strichen ihm sanft über sein Gesicht. Verschlafen rieb sich Jack die Augen, blinzelte einige Male und setzte sich dann auf.
Wie spät ist es?
In den anderen Zimmern herrschte schon reger Betrieb. Klirren, Scharren, Scheppern, Rascheln und Stimmen... Jack Frost gähnte, streckte sich und stand schließlich auf. Noch leicht verträumt verließ er sein Zimmer.
"Ah, guten Morgen, Keule!", begrüßte ihn Hase.
"Morgen.", gähnte er. Er lief weiter zum Speisesaal, wo Sandy, Tooth und North schon am Tisch saßen.
"Jack! Du geschlafen sehr lange. Es bereits Mittag!", sprach ihn North an.
"Hm.", gab Jack von sich und stützte sich mit dem Arm auf dem Tisch ab, als würde er jeden Moment wieder einschlafen.
"Hm, was? Schon Mittag?!" Jack schnellte geschockt aus seinem Halbschlaf hoch. Hatte er wirklich den halben Tag verschlafen? Er hörte Tooth kichern.
"Ach, Jack. Du siehst aber noch ganz schön müde aus!" Sie blickte ihn besorgt an. "Was hast du denn die ganze Nacht getrieben?"
"Ach nichts Besonderes. Ich hab nur gelesen."
Sandy ließ ein Buch aus Sand und ein Fragezeichen über seinem Kopf erscheinen.
"Ein Buch über eine alte Hüterlegende. Nichts Besonderes, wie ich schon sagte.", antwortete Jack auf Sandys Frage.
"Du haben Buch von gestern gelesen?", fragte North belustigt.
"Ja, aber ich weiß nicht, was daran so lustig ist."
"Na, es nur Geschichte."
"Da bin ich mir nicht ganz so sicher, North!", konterte Jack leicht gereizt. Er wusste nicht, wieso er gereizt war, wenn es um dieses Buch ging, aber irgendwie konnte er es nicht ausstehen, dass es nur als Märchen abgetan wurde. Er hatte das Gefühl, dass diese Legende wahr ist.
"Worum geht es denn in diesem Buch?", fragte Toothiana, während sie ihr Mittag aß. Jack schaute sie an. Ihm gefiel es, dass sie sich dafür interessierte. Jack Frost lächelte und fing an zu erzählen.

"... und es heißt, dass sie bei einer neuen Gefahr wiedergeboren werden soll.", schloss er seine Nacherzählung. Während er gesprochen hatte, war alles still gewesen. North war gegangen, da er meinte, die Geschichte schon zu kennen, Sandy blickte Jack kritisch an und die Zahnfee schien überwältigt zu sein. Jack konnte ihre Reaktion nicht genau einschätzen. War sie skeptisch oder konnte sie einfach nicht glauben, dass es vor ihnen noch eine, viel mächtigere Hüterin hatte geben sollen?
Da fing sie plötzlich an zu reden: "Jack! Das ist ja unglaublich! Stell dir mal vor, diese Legende wäre wahr. Dann wäre ich nicht allein!"
Sie glaubt dir nicht, Jack.
"Nicht allein?"
"Na dann hätte ich eine Freundin!"
Sandy verdrehte die Augen.
"Ach Fee...", seufzte Jack.
"Was ist, Jack? Du glaubst doch nicht etwa, dass an dieser Geschichte etwas Wahres dran ist?!", fragte sie in dem Tonfall, in dem eine Mutter zu ihrem Sohn spricht, wenn sie ihm zu erklären versucht, dass Rapunzel nur ein Märchen ist.
"Ja, ich glaube an diese Legende!", schnaubte Jack nun auch Tooth gereizt an. In dem Moment kam der Osterhase zur Tür herein.
"Sorry, Leute! Ich hab mich ein wenig verspätet." Als er sah, wie Jack Toothiana wütend gegenüber stand, fragte er geschockt: "Hey, Keule. Was ist denn hier los?"
"Ach nichts!"
Jack stampfte wütend aus dem Raum. Schulterzuckend setzte sich Hase an den Tisch und begann seine Karotten zu essen.

Ich hasse es! Nie glauben sie mir! Aber ich spüre doch, dass sie wahr ist, dass Elaine wahr ist! Warum glauben sie mir nicht?!
Unruhig lief Jack in seinem Zimmer auf und ab. Ich muss hier raus!, schoss es ihm durch den Kopf. Ohne weiter zu überlegen, öffnete er das Fenster und flog weg vom Nordpol. Krieg dich wieder ein, Jack! Du musst dir überlegen, wie du die anderen überzeugen kannst.
Er flog über Wiesen und Wälder, Seen und Meere, Berge und Täler und kam doch nicht zur Ruhe. Schließlich flog er zu dem See, in dem er seine Eiskräfte erhalten hatte, und setzte sich dort auf einen Baum, der am Ufer stand. Wenn er nachdenken musste, kam er oft an diesen Ort. Irgendwie beruhigte er ihn.
Jack saß eine Weile auf dem Baum, doch soviel er auch grübelte, so verzweifelt er auch versuchte eine Lösung für sein Problem zu finden, er kam zu keinem Ergebnis. Da hörte er plötzlich zwei Stimmen:
"Es ist so schön hier, Adgar! So wie damals, als du mir hier einen Antrag gemacht hast. Weißt du noch?", sprach eine liebliche Frauenstimme.
Ihr antwortete eine männliche Stimme: "Ja, Schatz. Aber bitte setz dich hier auf den Stein. Du darfst dich nicht überanstrengen."
Jack erblickte ein junges Paar am Fuße des Baumes. Sie schlenderten zum Ufer des Sees, wo sich die Frau auf einen der großen Steine setze. Sie seufzte verträumt und lehnte ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes, der sich mittlerweile neben sie gesetzt hatte.
Jack flog von seinem Baum runter, über den See, damit er die beiden von der Nähe betrachten konnte. Die junge Frau trug ein edles langes weinrotes Kleid mit goldenen Stickereien, einen schwarzen Umhang und eine kleine Krone auf dem Kopf. Ihre dunkelbraunen Haare waren geflochten und zu einer aufwändig aussehenden Hochsteckfrisur geformt. Der Mann neben ihr, Adgar, trug auf seinen rot-blonden Haaren eine prunkvolle goldene Krone. Außerdem trug er eine braune anliegende Hose, die in schwarze Stiefel gesteckt war, ein schwarzes Hemd mit goldenen Stickereien und Abzeichen und einen langen roten Umhang. Sie sahen glücklich aus.
Ein Königspaar.
Plötzlich legte sie ihre Hand auf ihren Bauch. Erst jetzt bemerkte Jack, dass sie schwanger war.
"Idun, was ist?", fragte Adgar besorgt.
Sie lächelte nur. "Dem Kleinen scheint es hier auch zu gefallen."
Sanft lächelnd sah der König sie an, legte dann seine Hand auf ihren Bauch und meinte: "Lass uns zurückgehen. Das ist doch bestimmt alles sehr anstrengend für dich."
Idun nickte und zusammen, Arm in Arm, verließen sie diesen Ort.
Jack schwebte noch eine Weile über dem See und schaute den beiden nach, auch als sie schon lange aus seinem Blickfeld verschwunden waren. Mittlerweile war es schon Abend geworden. Jack war noch immer an seinem Lieblingsort, als er am Himmel die Nordlichter sah.
North ruft die Hüter.
Augenblicklich stieß er sich vom Boden ab, hinterließ dabei feine Eiskristalle und flog zum Nordpol.

"Hey, was ist los?", fragte Jack in die Runde, als er am Pol ankam. Es waren bereits alle versammelt und warteten nun darauf, dass North ihnen erklärte, warum er sie hierher gerufen hatte, doch der ließ mal wieder auf sich warten.
"Was ist denn nun? Ich habe noch viel zu tun!", fragte der Osterhase ungeduldig.
"Du nicht viel zu tun, ICH viel zu tun!", antwortete North, der gerade in den Globusraum trat. "In drei Tagen Weihnachten!"
"Ja, wir wissen, ihr habt alle viel zu tun, aber was wolltest du uns nun eigentlich sagen?", unterbrach Jack die beiden, bevor sie anfangen konnten, sich mal wieder über die Wichtigkeit von Ostern und Weihnachten zu streiten.
"Ich nicht, aber der Mann im Mond etwas zu sagen."
Sofort blickten alle zu ihm hinauf. Ein heller Lichtstrahl fiel hinunter zu den Hütern.
"Manny sagen, jemand geboren.", erklärte North.
"Ja und? Es werden doch jeden Tag viele Menschen geboren.", verdrehte Hase die Augen. Auch Sandy ließ ein Fragezeichen über seinem Kopf erscheinen.
"Jemand aus alter Zeit... Eine Hüterin?!", fragend starrte nun auch North den Mond an.
"Ich dachte, Hüter werden erwählt und nicht geboren?", fragte Toothiana.
"Eigentlich schon, aber diese hier...", setzte North an, doch er wurde von Jack Frost unterbrochen:
"Elaine!"
Sofort schnellten alle Blicke zu Jack. Dieser musste grinsen.
"Du weißt davon, Keule und sagst nichts?!", ging ihn der Osterhase an und die Zahnfee fragte ihn perplex: "Jack, warum hast du uns das denn nicht erzählt?"
Sie sieht irgendwie enttäuscht aus...
Alle warteten gespannt auf eine Antwort. Jack begann zu lachen. "Ich wusste doch, dass sie wahr ist!"
"Wer, Jack?", tönte es, wie aus einem Munde.
"Ich hab euch das alles erzählen wollen, aber ihr wolltet mir nicht glauben! Es ist die Legende. Sie erfüllt sich jetzt!"
North starrte ihn mit großen Augen an. "Die Legende... Sie wahr?!", fragte er nun den Mann im Mond.
"Sieht so aus, als hätte dein Bauch mal Unrecht gehabt.", grinste Jack.
Auf die Frage des Weihnachtsmannes hin, antwortete der Mond mit einem Schatten, den er zeigte. Zwei Kronen drehten sich über einer Wiege.
"Was hat das zu bedeuten?", fragte die Zahnfee. Keiner der Hüter wusste das genau, nicht einmal North. Nur Jack hatte eine Idee:
"Das Königspaar...", murmelte er vor sich hin.
"Was sagst du?", fragte North.
"Das Königspaar! Ich war heute nach dem Mittag so wütend auf euch gewesen, dass ich zu meinem Lieblingsplatz geflogen bin, um dort nachzudenken. Dort habe ich ein Pärchen beobachtet. Einen König und eine Königin. Sie erwarteten ein Kind. Vielleicht hängt das mit ihnen zusammen..."
Das Licht des Mondes fiel nun auf Jack. Er hatte Recht, es hing mit dem Königspaar zusammen.
"Okay, Jack. Erzähl uns alles, was du über sie weißt! Wir müssen sie finden!", forderte North ihn auf.

Die verlorene HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt