Kapitel 29

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Elsas Blick wurde starr, fixierte denjenigen an, der nun vor ihr stand. Er war der Letzte, den sie hier bei sich erwartet hatte. Lautlos wie ein Schatten hatte er sich bei ihr eingeschlichen, sodass die Eiskönigin ihn garnicht hatte bemerken können. Für diesen einen Moment hielt sie inne, musterte ihn, blickte in seine glänzend goldenen Augen und vergaß für einen Augenblick all ihren Kummer.
Er erwiderte ihren Blick wortlos, bis er sich schließlich vor die junge Frau kniete und sie in seine starken Arme zog.
Immer noch gelähmt vor Erstaunen ließ Elsa es einfach geschehen. Bald jedoch löste sie sich aus ihrer Bewegungslosigkeit und legte ihre Arme sanft auf den Rücken ihres besten Freundes. Sie war so erleichtert, dass er bei ihr war. Nie im Leben hätte sie geglaubt, ihn je wiederzusehen, hatte sie doch nicht die Kraft dazu gehabt, nach ihm zu suchen. Noch immer herrschte Stille um sie herum, doch für Elsa war sie nicht unangenehm. Es war eine vertraute Stille voller Geborgenheit.
"Ich weiß, dass du nach mir suchen wolltest.", sagte der beste Freund der Eiskönigin plötzlich in die Stille hinein.
Dieser eine Satz ließ die Starre, die seit seinem Erscheinen um Elsas Herz gelegen hatte, zerbrechen. Ihre angestauten Gefühle, all die schmerzlichen Emotionen quollen nun über.
Die junge Frau brach erneut in Tränen aus. Sie brauchte jemanden der ihr beistand, brauchte Halt. So klammerte sie sich an ihn, zog ihren Gegenüber näher zu sich heran, um all seine Wärme und das Geborgenheitsgefühl, das Elsa immer in seiner Gegenwart verspürte, in sich aufzunehmen.
Er wehrte sich nicht. Stattdessen schloss er seine Arme fester um die Königin. Der mit den goldenen Augen strich mit seinen Händen ihren Rücken auf und ab.
"Shhh. Ist gut. Ich bin bei dir, ich bin ja bei dir.", raunte er in ihr Ohr.
Die einzige Antwort die er erhielt, war ein lautes Schluchzen ihrerseits. Der Körper der jungen Frau bebte unter ihrer Verzweiflung und ihrem Schmerz. Elsas Kräfte waren für einen Augenblick außer Kontrolle geraten, sodass die Wände, Möbel und das Fenster mit einem bedrohlichen Geknister überfroren. Das weiße Holz schien zu reißen, so mächtig zerrte der Frost daran.
"Elsa, Elsa beruhige dich! Du frierst alles ein!", richtete der dunkle Mann erneut das Wort an sie.
"Elsa, bitte...", hauchte er.
Die Tränen der jungen Königin verebbten augenblicklich. Sie musste sich zusammenreißen! Das Letzte was die Hüterin wollte, war ihrem Freund weh zu tun. Sie hatte ihn schon einmal durch unkontrollierte Macht verloren. Das durfte nicht erneut geschehen. Er stand ihr bei, obwohl sie ihn damals einfach zurückgelassen hatte.
Mit großen Augen, die noch die letzten salzigen Tropfen verloren, schaute sie zu ihm hinauf. Er kniete zwar, genau wie sie selbst, auf dem Boden, aber trotzdem war er um einiges größer.
"So ist es gut. Du brauchst nicht zu weinen. Nicht um ihn.", lächelte er ihr aufmunternd zu und strich ihr sanft mit einer seiner großen Hände über ihre Wange, um ihre Tränen endgültig zu trocknen.
Auch Elsa stahl sich nun ein leichtes Schmunzeln auf die Lippen.
Ihre Stimme war zwar noch leicht brüchig, aber trotzdem sagte sie: "Vielen Dank. Ich weiß nicht, was ich... was ich ohne dich tun würde."
Seine goldenen Augen antworteten ihr mit einem herzlichen Blick.
Sie strahlten soviel Wärme aus, soviel Nähe, dass sie sich beinahe in ihnen verlor. Was für ein Glück sie doch hatte, ihn zu kennen. Die Eiskönigin lächelte ihn verträumt an.
"Du brauchst mir nicht danken.", antwortete der Schwarzhaarige leise, "Du weißt, ich tu das gern."
Elsa's Lächeln wurde größer und sie fühlte ihr Herz, das gerührt auf und ab sprang. Er war das Beste, was ihr jemals in ihrem ganzen Leben passiert war, besser und wichtiger noch als Jack, beinahe bedeutender als ihre Eltern. Er verstand sie und ihre Ängste, unterstützte sie und heiterte die junge Königin immer auf, wenn sie am Boden zerstört war.
"Komm, der Untergrund ist zu hart für dich.", durchbrach er ihre Gedanken mit seinen Worten, nahm ihre beiden Hände in seine und zog sie vorsichtig zu sich hinauf. Ihr Freund war schon seit einiger Zeit aufgestanden.
Als Elsa schließlich sicher auf ihren schmalen Füßen stand, ließ er ihre Finger los und schaute sie direkt an. Das goldene Leuchten zog die Eiskönigin vollkommen in ihren Bann. Sie konnte sich nicht mehr von ihnen lösen...

Die verlorene HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt