Kapitel 20

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"Denkt ihr, sie wird sich schnell an ihr neues Leben gewöhnen?", fragte Toothiana in die Runde.
Nachdem North der Eiskönigin noch die Weihnachtswerkstatt gezeigt hatte, war er zu den anderen zurückgekehrt. Nun saßen sie versammelt im Speisesaal und ließen die Geschehnisse der letzten Tage noch einmal an sich vorüberziehen.
Auf ihre Frage hin verzogen sich die Gesichter des Sandmannes und North Poles zu einem nachdenklichen Ausdruck.
Hase hingegen schien in diesem Fall keine Bedenken zu haben und antwortete locker: "Na klar, Keule. Wieso sollte sie das nicht? Schließlich hat sie die beste Gesellschaft um sich, die man überhaupt haben kann."
"Ich das glauben nicht.", mischte sich der Weihnachtsmann ein, "Sie immerhin haben verloren ihre Familie und das alles ihr neu und fremd."
Sandy ließ daraufhin kleine und große Eisblitze, sowie Jacks Stab über seinem Kopf erscheinen.
"Genau. Sie muss so schnell wie möglich mit dem Training beginnen.", bekräftigte Hase.
"Findest du nicht, dass sie uns dazu zuerst vertrauen sollte? Ich denke, jeder von uns müsste ihr dafür zeigen, was wir genau machen.", entgegnete die schillernde Fee.
"Vor allem sie muss Jack trauen."
"Was meinst du damit, North?", wollte Tooth wissen.
"Er werden sie trainieren, wenn die Zeit reif. Er hat dieselben Kräfte.", erklärte er.
"Wo ist der Kerl eigentlich?" Diese Frage klang aus dem Mund des Osterhasen wie ein Vorwurf.
Als Antwort zuckte der kleine, gelbe Mann nur mit den Schultern.
"Er ist sicher Elsa suchen gegangen. Seit heute Vormittag hat sie niemand mehr gesehen.", mutmaßte Toothiana.
"Wir morgen mit ihm sprechen.", beschloss der Weihnachtsmann, "Schließlich er müssen sie vorbereiten."

Ruhe herrschte um sie herum.
Stillschweigend lehnte die junge Königin an der Schulter des Weißhaarigen. Sie hatte ihm ihr Innerstes, ihre Angst, ihren Schmerz offenbart. Hatte ihm gezeigt, dass hinter der Fassade einer starken, anmutigen und bedachten Frau noch immer ein kleines, verletzliches Kind steckte. Sie selbst hatte angenommen, dass mit dem Tag ihrer Krönung dieser Teil ihrer Seele verschwunden war, doch nun spürte Elsa mehr denn je, dass dem nicht so war. Ihre Angst war nicht vorüber.
Zwar verspürte die Königin nicht so häufig diese beengende Panik ihren Körper durchfließen, aber dennoch brach sie ab und zu aus ihrem Geist aus. Wie sollte es auch anders sein? Natürlich würde nicht alles Negative von ihr abfallen, nur weil Elsa jetzt wusste, wie sie mit ihren Kräften umgehen musste.
Die Angst wird immer bleiben. Auch, wenn sie zu verschwinden scheint. Sie existiert. Immer..., gestand sie sich ein, Aber ich muss sie zurückdrängen, sie einschließen.
Die meiste Zeit gelang ihr das auch, doch ab und zu gewann ihre Furcht die Oberhand. Nicht mehr die Angst, jemanden zu verletzen, sondern die Angst, die geliebten Menschen aus ihrem Leben zu verlieren, beherrschte sie dann. Heute mehr denn je, da sie nun um ihre Unsterblichkeit wusste.
Elsa musste sich eingestehen, dass sie den Hütern vorzuspielen versuchte, mit ihrer derzeitigen Situation gut klarzukommen, doch bei einem von ihnen konnte sie das nicht: Jack.
Der Hüter, der gerade neben ihr saß, brachte sie immer wieder dazu, ihre Fassade fallen zu lassen und sich ihm anzuvertrauen, ohne dass er ein Wort sagen musste. Die Eiskönigin konnte sich das selbst auch nicht erklären, doch es war so. In seiner Gegenwart empfand sie Geborgenheit und tiefstes Vertrauen. Jetzt, da er hier neben ihr saß, sie an seiner Schulter lehnen ließ und einfach nur in die Nacht hinein schwieg, spürte sie soviel Wärme, wie seit dem Tod ihrer Eltern nicht mehr. Jack hatte ihr zugehört, ohne sie für ihre Gefühle zu verurteilen, und dafür war Elsa ihm unendlich dankbar.
Doch nun, da sie die Stille für eine ganze Weile genossen hatte, war die Eiskönigin neugierig zu erfahren, was ihn zu ihr geführt hatte.
So fragte sie leise: "Jack?"
Dieser schaute sie freundlich an.
"Ja?"
"Woher wusstest du, dass ich hier bin?"
Er atmete tief ein, löste den Arm von ihrem Rücken und setzte sich so hin, dass er der Eiskönigin besser in die Augen sehen konnte, wenn er sprach.
Für einen kurzen Augenblick bereute Elsa, diese Frage gestellt zu haben, da sie so die Nähe zu ihm verlor, doch kurz darauf verdrängte sie dieses Gefühl wieder und blickte ihn wissbegierig an.
"Seit sich dir heute Morgen alle Hüter vorgestellt haben, hat dich niemand mehr gesehen. Ich habe dich gesucht, konnte dich aber nirgendwo finden. Ich fing an, mir Sorgen zu machen... Und als North meinte, du müsstest vielleicht ein wenig nachdenken, fiel mir dieser Ort hier ein. Ich suche ihn auch manchmal auf, musst du wissen."
Sie lächelte ihn gerührt an.
Er hat sich Sorgen um mich gemacht?
Schließlich antwortete sie: "Ja, ich musste nachdenken. Es ist alles so neu und fremd... Trotzdem finde ich es wunderschön hier bei euch."
Jack Frost nickte verständnisvoll, als die Eiskönigin sprach. Wie er schon vermutet hatte, musste Elsa erst einmal mit den neuen Umständen klarkommen, die sie nun umgaben.
"Elsa. Bitte versprich mir eins.", setzte der junge Hüter zu einer Bitte an, "Wenn es dir je wieder schlecht gehen sollte, komm zu mir. Spiel uns nicht vor, es sei alles in Ordnung. Komm zu mir und erzähl mir, was dich bedrückt. Ich werde immer für dich da sein, werde dir zuhören."
Während Jack seine Bitte aussprach, wurden die Gesichtszüge der jungen Frau immer weicher, schmolzen zu einem warmen Lächeln.
"Versprichst du mir das?"
"Ja.", sagte Elsa und errötete leicht, "Ich danke dir."
"Du brauchst mir nicht zu danken. Ich muss dankbar dafür sein, dass du dich mir anvertraust.", hauchte Jack und strich sanft über eine ihrer Hände.
Sofort durchzog ein wohliger Schauer den Körper der Eiskönigin. Ihre Hand kribbelte, als liefen tausend kleine Füßchen hindurch, und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Unfähig sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, starrte sie dem weißhaarigen Jungen in die himmlisch blauen Augen.
Dieser tat es ihr gleich. Doch dann löste er sich ruckartig aus seiner Starre und zog vorsichtig seine Hand von ihrer, nur um sich verlegen durch die Haare zu fahren.
Allmählich löste sich auch Elsa von seinen eisblauen Augen und ließ nun ihren Blick über den Nachthimmel schweifen. Der Mond schien noch immer hell auf sie herab, doch diesmal wirkte er fröhlicher, als noch vor einer Stunde. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein.
"Er ist wunderschön, nicht wahr?", durchbrach Jack ihre Gedanken.
Sie konnte nur nicken.
Da fiel ihr, von einem Moment auf den anderen, eine Frage ein, die sie seit heute Morgen beschäftigte: "Du hast mir nicht gesagt, was du bist, Jack... Was ist dein Innerstes?"
"Oh... Nicht?", lachte er verlegen.
"Nein."
"Ich bin der Hüter des Lachens.", meinte er knapp.
Daraufhin musste Elsa schmunzeln. Das hätte sie sich auch selbst denken können. Wie sollte es auch anders sein? Niemand hatte ein so schönes Lachen, wie Jack...
Die beiden Hüter saßen noch einige Stunden, Schulter an Schulter lehnend, im Freien und blickten hinauf zu den Sternen. Als sich schließlich die ersten dicken Wolken über den Nachthimmel schoben, standen sie auf und liefen gemütlich zurück zur Werkstatt des Weihnachtsmannes.
Jack begleitete Elsa bis vor ihre Zimmertür.
"Bis morgen früh.", hauchte sie.
"Schlaf schön.", lächelte der junge Hüter und ging den Flur wieder hinab.
Jack Frost wollte noch nicht in sein Zimmer gehen, zu aufgewühlt war er innerlich dafür.
Lauf noch eine Runde durch die Werkstatt, dann wird es schon gehen., ermutigte er sich.

"Jack, da bist du ja!", rief ihm der Weihnachtsmann entgegen, "Wir dich haben schon lange gesucht. Wir mit dir reden müssen!"
"Was gibt es denn?"
"Wo Elsa? Hast du sie gefunden? Denn hier keiner sie gesehen."
"Ja, habe ich. Jetzt ist sie wieder in ihrem Zimmer.", beteuerte der weißhaarige Junge mit den blauen Augen.
"Gut. Wir uns gemacht Sorgen. Und nun, komm mit!", forderte North Pole seinen jungen Freund auf, packte diesen mit seiner linken Hand am Arm und zog ihn mit sich.
Es dauerte nicht lange, da waren die beiden im Arbeitszimmer des bärtigen Mannes angekommen.
Eilig schob dieser Jack hinein und schloss die Tür hinter sich.
Der Hüter des Lachens wusste nicht, was diese Geheimniskrämerei sollte, doch sie nervte ihn. Wie sollte Elsa je aufrichtiges Vertrauen zu ihnen aufbauen, wenn sie hinter ihrem Rücken tuschelten?
Also sprach der Wintergeist den Weihnachtsmann in einem entnervten Tonfall an: "North, was soll das?! Warum redest du nicht einfach so mit mir?"
"Das nicht gehen. Wir alle mit dir sprechen müssen, wegen Elsa.", erklärte dieser.
"Was ist mit ihr?"
"Was sollte mit ihr sein?", mischte sich der Osterhase provozierend ein.
Jack hatte ihn nicht gesehen, als er eintrat. Daraus schloss er, dass das Osterkänguru wohl irgendwo im Schatten gestanden haben musste.
"Das frage ich euch.", erwiderte der Wintergeist, nicht ohne dabei die Augen zu verdrehen.
"Nix mit Elsa!", unterbrach der Weihnachtsmann die beiden, bevor sie anfangen konnten, sich ernsthaft zu streiten, "Wir haben nur Bitte an dich."
Erstaunt drehte sich der junge Hüter wieder zu North Pole um und musterte diesen.
"Welche?", wollte Jack skeptisch wissen.
Hase stellte sich neben den Hüter der Wunder und begann, diesmal freundlicher, zu erklären: "Wir haben bemerkt, dass sich Elsa hier gut zu arrangieren scheint. Trotzdem kennt sie uns alle noch nicht so gut. Sie ist ja auch erst seit gestern Abend hier..."
"Und dich sie kennt am Längsten.", ergänzte North.
"Scheint dich auch zu mögen, die Kleine.", grinste der Osterhase.
Jack spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Niemand sollte so über Elsa reden, wie es das blaue Känguru vor ihm gerade tat! Er ballte seine Hände zu Fäusten, riss sich aber ansonsten zusammen. Ein Streit würde sie alle jetzt nicht weiterbringen.
"Deswegen sollst du versuchen, ihr vollstes Vertrauen zu gewinnen.", redete die Zahnfee weiter, von der er garnicht bemerkt hatte, dass sie auch anwesend war, "Es ist wichtig. Die Angst lässt nicht mehr lange auf sich warten..."

Die verlorene HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt